Kapitel 1 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi 1. — Das wunderbare Mahl 1. Sage Ich: „Es ist aber nun auch schon eine Stunde über den Mittag, darum sorge du, Markus, für ein Mahl; Mein Raphael helfe dir! Nach dem Mahle wollen wir dann sehen, was uns der Tag noch alles bringen wird. Ordnet euch alle an die Tische, und du, Raphael, aber schaffe die beiden Gehirnhaufen von unserem Tische, dann erst hilf dem Markus!“ 2. Raphael tat das in einem Augenblick und sagte dann zum Markus: „Soll ich dir nach eurer Menschenart behilflich sein oder nach meiner Art? Sage, wie es dir lieber ist! Weniger Aufsehen würde es offenbar machen, wenn ich dir nach menschlicher Weise helfe; aber nach meiner Art ersparten wir viel Zeit, und diese ist denn doch etwas sehr Kostbares! Was du demnach willst, das werde ich tun, und du wirst nirgends etwas auszustellen haben, als wäre irgend etwas versäumt worden.“ 3. Sagt Markus: „Ja, Freund aus den Himmeln, deine Art, die Speisen schnellst auf die Tische zu bringen, wäre freilich sehr vorteilhaft – denn trotz der Hilfe der Dienerschaft des Cyrenius geht es doch so hübsch lange her, bis die Speisen für so viele Menschen auf die Tische gebracht werden; aber es hat hier einen andern Haken! Die Speisen sind in genügender Vielheit noch gar nicht völlig bereitet! Wenn da deine überirdische Gewandtheit etwas vermag, da wäre sie wohl vorderhand am allerrechtesten Platze; sonst wird es wohl noch einer guten halben Stunde benötigen, bis alles zum Auftragen bereitet sein wird!“ 4. Sagt Raphael ganz gemütlich zum Markus: „Das meine ich ja auch: schnellst bereiten und ebenso schnell die Tische mit den geziemenden Speisen und Getränken versehen! Ich sage dir, man muß nur wollen, und es geht dann alles! Wenn du willst, so kostet es mich nur einen allerkürzesten Augenblick, und alle Speisen stehen allerbest bereitet auch schon auf den Tischen vor den Gästen!“ 5. Sagt Markus: „Wäre schon alles recht; aber dann werden die Menschen das für eine himmlische Zauberei halten und vielleicht eine ganz erklärliche Furcht vor den Speisen bekommen und werden sich kaum getrauen, dieselben zu genießen, – besonders die Schwarzen, die hier ohnehin auf alles so aufmerken, daß ihnen sicher gar nichts entgeht!“ 6. Sagt Raphael: „Oh, denen macht es gerade am wenigsten; denn diese sind ans Wunderbare schon gewöhnt! Spät ist es auch schon, und der Herr wird etwa nach dem Mahle etwas von großer Wichtigkeit vorhaben, was nur Er allein wissen kann, und so ist es offenbar besser, wir machen es mit meiner geistigen Schnelligkeit, und es wird sich daran niemand stoßen! Zugleich ist dies das letzte Mittagsmahl, das der Herr hier einnimmt, und es schadet darum nichts, wenn es so ein wenig wunderbar aussieht! – Bist du da nicht auch meiner Ansicht?“ 7. Sagt Markus: „Ganz vollkommen; denn du als ein erster Geist aus den Himmeln wirst es wohl besser wissen und verstehen als ich, was hier schicksamer und vorteilhafter ist! Daher tue du nun nur ganz vollkommen nach deinem Gutdünken!“ 8. Als Markus solches dem Raphael kundgab, begaben sich beide in die Küche, in der wie gewöhnlich des Markus Weib, seine Töchter und Söhne und noch etliche Diener des Cyrenius alle Hände voll zu tun hatten, und dennoch war das Mahl für so viele nur kaum erst bis zur Hälfte fertig. 9. Da sagte Markus: „Oh, da wird's noch eine Stunde hergehen, bis da alles fertig wird!“ 10. Sagt dessen Weib: „Ja, mein lieber Gemahl, wir beide können keine Wunder wirken, und es läßt sich da nichts übers Knie brechen. Da heißt's geduldig ausharren, bis man alles herrichten kann!“ 11. Sagt Markus: „Weißt du was, laß du nun samt den Töchtern das Kochen, Sieden und Braten stehen; der Raphael als ein wahrer Schnellkoch wird damit bald zu Ende sein!“ 12. Sagt das Weib: „Das wäre wohl gut; denn es sind alle schon recht müde von der vielen Arbeit!“ 13. Mit dem traten alle Köche und Köchinnen zurück, und Raphael sagte darauf: „Nun könnet auch ihr an euren Tisch gehen! Alles ist bereits auf den Tischen, und alle Gäste nehmen bereits das Mahl ein. Komm, alter Markus, und setze dich als mein Mitarbeiter zum Tische und iß nun einmal von meiner Küche, und beurteile, ob ich wohl auch zu kochen verstehe! Dein Weib und deine Kinder und die Köche des Cyrenius aber haben ohnehin einen eigenen Tisch vor dem Hause, der mit denselben Speisen und Getränken bestens bestellt ist.“ 14. Sie gehen nun alle aus der Küche, und als sie die Hunderte von Gästen an den Tischen essend und trinkend ersehen, da sagt Markus, höchst erstaunt über diese Erscheinung: „Ja, wie ist denn das möglich? Du hast mich ja doch nicht einen Augenblick verlassen, und alle Tische sind voll, und das, wie man's sieht, in großem Überfluß! Du hast auch nicht eine Speise bereiten und noch weniger auf die Tische stellen können! Ich bitte dich, sage mir doch nur ein bißchen was, wie du das zustande gebracht hast; denn wahrlich, alles begreife ich eher als deine ganz verzweifelt unbegreifliche Schnelligkeit, besonders in Handlungen, die doch an eine gewisse zeiträumliche Ordnung für diese Erde notwendig gebunden sind! Ich bitte dich nochmals, mir darüber nur so einen kleinen Wink zu geben, wie du die Speisen bereitet hast und woher sie genommen! Denn von den in meiner Küche halbbereiteten ist nichts auf diese vielen Tische gekommen, weil ich sie soeben noch ganz wohlbehalten darin ruhend und ihrer Bestimmung harrend gesehen habe!“ 15. Sagt Raphael: „Da hast du nicht gut genug geschaut; denn dein ganzer Vorrat ist erschöpft! Sieh nur nach, ob es nicht also ist!“ 16. Markus macht schnell einen Nachblick und findet Küche und Speisekammer rein ausgeräumt. Nun kommt er mit noch größerem Staunen heraus und sagt: „Ah, Freund, da ist es aber mit dir rein nicht mehr auszuhalten! Wahrlich, ich mag keinen Bissen drei Tage lang über meine Lippen kommen lassen, so du mir nicht irgendeinen Wink gibst, wie du das angestellt hast!“ 17. Sagt Raphael: „Gehen wir nun auch an den Tisch; dort wollen wir davon einige Worte miteinander tauschen!“ 18. Auf das begibt sich Markus mit dem Raphael zu unserem Tische, an dem es schon recht lebhaft herging. Raphael greift gleich zu, legt auch dem Markus einen schönen Fisch vor und nötigt ihn zu essen. Markus mahnt ihn zwar zur Erklärung der Schnellkocherei und der ebenso schnellen Bedienerei; aber Raphael sagt ganz freundlich: „Jetzt, lieber Freund, iß und trink! Wenn wir beide für den Leib wieder die erforderliche Stärkung durch die gesegnete Speise und den gesegneten Trank bekommen haben werden, dann wollen wir auch ein paar Wörtchen über meine Schnellkocherei und Schnellbedienerei miteinander verplaudern!“ 19. Markus folgt nun dennoch dem Raphael und ißt und trinkt recht wacker. Kapitel 2 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 2. — Wie Wunder bewirkt werden 1. Als das Mahl etwa nach einer Stunde vollends verzehrt ist, sagt Markus wegen der Erklärung abermals zum Raphael: „Nun, Himmelsfreund, wirst mir doch etwas sagen?!“ 2. Sagt Raphael: „Ja sieh, Freund, ich möchte es dir wohl erklären; aber es wird vorderhand trotz alles Erklärens die Sache dennoch eine sehr wunderbare bleiben, solange du nicht auch mit dem Heiligen Geiste aus den Himmeln wirst getauft sein! Wird des Herrn Geist einmal in deiner Seele ganz erstanden sein und eins sein mit ihr, dann wirst du alles das auch ohne eine Erklärung sonnenhell einsehen; jetzt aber wird dir selbst die triftigste Erklärung ganz entsetzlich wenig Licht geben können! Denn selbst die vollkommenste Seele für sich begreift das nimmer, was da rein geistig ist; nur der Geist in ihr kann das begreifen und die Seele endlich durch ihren Geist! Weil du aber denn doch so einen Wink haben willst, so sieh dich ein wenig um und sage mir, was du gesehen!“ 3. Markus sieht sich ganz verwundert nach allen Seiten um und ersieht bei jedem Tische eine Menge dem Raphael ganz ähnliche Jungen, die da die vielen Gäste bedienen und stets mit allem versehen, und mehrere holen sogar ganz frische Fische aus dem Meere, eilen damit in die Küche und gleich wieder mit schon zubereiteten zu den Tischen; denn die Mohren haben viel Hunger, und zudem reizte sie auch noch der Speisen Wohlgeschmack. 4. Nun fragte Raphael den Markus: „Begreifst du nun, wie so manches mir schnellst zu bewerkstelligen möglich und gar leicht ist, zumal wenn du bedenkst, daß ein Geist, als das alles Innerste der Wesen und Dinge durchdringende Prinzip, mit aller Materie auch am wirksamsten und allzeit am gelungensten schalten und walten kann, wie er will und mag, und nichts kann ihm ein Hindernis legen?! Zudem habe ich als ein Erzengel äonen Mitdiener, die alle von meinem Willen in jedem Augenblicke abhängen. So ich aus dem Herrn heraus zunächst etwas will, so erfüllt dieser Wille auch schon zahllose mir unterstehende Diener, die sogleich in die vollste Tätigkeit treten und eine verlangte Tat denn auch leicht möglich in einen dir kaum denkbar schnellsten Vollzug setzen! Ich selbst gleichsam persönlich tue freilich nichts; aber durch meinen Erzwillen werden Äonen zur Tätigkeit vom innersten Seinsgrunde heraus bestimmt, und eine verlangte Tat wird denn auch auf diese Weise leicht schnellst in Vollzug gebracht, und das um so sicherer, weil vom Herrn und dann von uns aus schon lange alles zu irgendeiner Tat vorgesehen und vorbereitet ist, was dann für euch im Notfalle als schon lange vollendet schnellst in die äußerlich ersichtliche Tat übertragen werden kann. 5. Hast du doch gesehen, wie oben auf dem Berge eine Eselin entstanden ist; und siehe, so entsteht alles, wenn unser Wille die aus unseren Gedanken hervorgehenden Urnaturgeister zu einer bestimmten so oder so geordneten Tätigkeit innerlichst anregt und zur Tätigkeit nötigt! Und das allein, Freund, diene dir zur Erklärung, die du von mir gewünscht hast! Mehr kann ich dir mit den höchst beschränkten Welt- und Zungenworten nicht sagen! Frage auch nicht weiter; denn bis du in deiner Seele nicht selbst Geist wirst, wirst du von all dem nie mehr verstehen, als du nun verstehst! Denn in des reinen Geistes Wissen und Erkennen kann keine Kreatur je für sich dringen! – Verstehst du nun etwas mehr?“ 6. Markus aber war mit dieser Erklärung ganz zufrieden und sagte: „Ich danke dir für diese ganz gute Erklärung; denn nun verstehe ich denn doch, wenn ich so alles zusammennehme, was ich gesehen und gehört habe, so ganz zu meiner vollen Zufriedenheit, wie du, liebster himmlischer Freund, deine Wunder verrichtest, und besonders den schnellsten Vollzug der von dir verlangten Taten. Und ich kann nun ganz offen die Behauptung aufstellen, daß bei einem jeden Wunder es dennoch so ein bißchen natürlich zugeht und es immer auf einen Verein von Kräften ankommt, so irgendwo eine Tat entweder sehr schnell oder mit periodenmäßiger Einteilung in den Vollzug gesetzt werden soll. Ja, ich finde nun zwischen euren geistigen Wundertaten und zwischen den Zaubereien der irdischen Magier eine gewisse leise Ähnlichkeit, und diese besteht in dem, was du als Vorsehung und Vorbereitung benanntest! 7. Weißt du, mein himmlischer Freund, ich rede nun schon einmal so ganz geradeheraus, wie ich mir's denke! So ganz plötzlich ohne alle Vorbereitung und Vorsehung dürfte es euch vielleicht ebenso schwer werden, eine so recht exsekrable [im Sinne von: schwierige] Wundertat zustande zu bringen, wie einem Magier ohne irgendeine Vorbereitung und ohne vorangegangene Einverständnisse mit andern Menschen, die den Magier zu unterstützen haben. Freilich dürfen davon alle andern Menschen nichts wissen, sonst sähe es mit der Zauberei etwas schlecht aus! Ich ziehe für mich diesen sicher schwer zu widerlegenden Schluß heraus: Dem Herrn und euch durch Ihn sind alle Dinge möglich, aber nie unvorhergesehen, sondern vielleicht ewigkeitenlang vorbereitet und geistig also schon lange in einen periodenweisen Vollzug gesetzt! Was demnach als äußere Tat hier nun in Vollzug kommt, das ward schon lange geistig vorgesehen und vorbereitet! 8. Darum kann eine Erde, wie diese unsrige da ist, nicht mit einem puren allmächtigen ,FIAT‘! [FIAT = "Es geschehe!"] in ein solch vollendetes Dasein treten, sondern mit der Zeit erst nach langen vorangegangenen Vorbereitungen, auf welche diese gegenwärtige Erde, wie sie nun ist und besteht, als eine notwendige Folge ins Dasein treten mußte. Aus demselben Grunde kann dann auch so gut wie ganz unmöglich irgend etwas plötzlich in ein vollendetes und haltbares Dasein treten. Was denn immer irgend schnell entsteht, das vergeht auch ebenso schnell. Der Blitz zum Beispiel entsteht schnell, vergeht aber auch ebenso schnell. Eine andere Gegenfolge ist aber dann auch das, daß etwas einmal in einem haltbaren Dasein Befindliches auch so gut als unmöglich mehr irgend plötzlich vergehen kann, sondern nur periodenweise, wie es entstanden ist. Etwas, das noch nie vorgesehen und vorbereitet ward, kann sonach nie durch irgendeinen, selbst mit dem festesten Willen unterstützten Machtspruch ins Werk gesetzt werden, weder im Falle der Entstehung noch im Falle der Auflösung und Vergehung. Es ist demnach alles nur als ein zeitweiliges Wunderwerk anzusehen, und jedes Geschehen ist eine notwendige Folge von vielen, periodenweise weiligen Vorgängen! 9. Siehe, du mein Freund aus den Himmeln, dem Herrn allein alles Lob; aber wie es mir vorkommt, so habe ich deine mir gemachte Erklärung vielleicht tiefer aufgefaßt, als du es dir anfänglich magst vorgestellt haben! Ja, mein liebster Raphael, siehe, ganz so auf den Kopf gefallen sind die alten Römer nicht, als wie sich's so manche vorstellen! Na, was meinst du, Freund, nun? Habe ich dich verstanden oder nicht?“ Kapitel 3 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 3. — Die Vorsehung Gottes und des Menschen Willensfreiheit 1. Sagt Raphael lächelnd: „So einen kleinen Dunst hast du wohl bekommen; aber mit deinen ,notwendigen Folgen‘ und mit unseren ,notwendigen Vorsehungen‘ und ,langwierigen Vorbereitungen‘ bist du sehr auf dem Holzwege, – wovon dich sogleich ein paar recht handgreifliche Beispiele vollkommen überzeugen sollen! Da sieh irgend hin, bestimme mir einen Platz und verlange von mir ganz nach deiner freiesten Willkür, wo du einen und was für einen oder auch mehrere vollkommen ausgebildete und reichlichst mit vollreifen Früchten bestbestellte Bäume haben willst! Oder willst du verschiedene Gattungen? Kurz, sprich es aus, und sie werden auch unvorgesehen und unvorbereitet für bleibend dasein, und ein Jahrtausend soll ihre Daseinsspuren nicht völlig zu vertilgen imstande sein! Also sprich du aus, was du willst, und du sollst alsbald ein wahres Wunder sehen, das noch nie irgend vorbereitet und vorgesehen worden ist!“ 2. Sagt Markus: „Ja ja, das wäre, du mein Freundchen, schon alles recht, so du mir darin eine volle Überzeugung verschaffen kannst, daß nun mein Wollen und Begehren ganz in meiner freiesten Gewalt steht! Das aber dürfte dir selbst denn doch am Ende vielleicht noch um vieles schwerer fallen als die von mir verlangten verschiedenartigen Fruchtbäume auf einer beliebigen Stelle! Du hast mir einen starken Zweifelswurm in den Kopf gesetzt bezüglich dessen, daß selbst ihr allermächtigsten Geister ohne Vorsehung und Vorbereitung, gewisserart aus nichts, ein blankes Wunderwerk zustande zu bringen fähig seid! In eine volle Abrede will ich die Sache gerade nicht stellen; aber nach all dem zu urteilen, was auf dieser Erde je war, ist und auch sein wird, ist das wohl sehr schwer anzunehmen, weil dagegen schon die göttliche Allwissenheit ein starkes bißchen zu laut ihre Stimme erhebt und man dagegen mit der etwaigen leeren Behauptung, als hätte Gott geflissentlich für etwas nicht wollend und nicht wissentlich Seine Allerkenntnis angestrengt, wohl nicht kommen kann. Hat sich aber Gott nicht auch in diesem Punkte von Ewigkeiten her völlig unwissend erhalten können, daß in einer Zeit Sein Engel Raphael hier nach dem Wunsche eines Menschen Bäume herwundern wird, so wird es auch ebenso schwer zu erweisen sein, daß dieses Wunder nicht auch schon von Ewigkeiten her vorgesehen und vorbereitet war! Ganz geistig vorgesehen war es sicher ganz gewiß!“ 3. Sagt Raphael: „Das macht aber ja auch nichts, wenn es nur bis zum materiellen Sich-Ergreifen nicht vorbereitet ist! Zudem ist ja aber doch der Wille des Menschen derart frei, daß weder der Herr noch wir je denselben durch ein Vorsehen und noch weniger durch ein Vorbereiten im allergeringsten zu stören uns in eine Tätigkeit versetzen. Du kannst sonach vollkommen versichert sein, daß dein freiester Wille in seiner Art weder vorgesehen und noch weniger irgend vorbereitet ist. Darum verlange, und du wirst es sehen, daß der Herr entweder ganz für Sich allein oder durch mich als Seinen Altknecht sicher ohne alle Vorbereitung dir die von dir frei verlangten Fruchtbäume für bleibend hinwundern wird!“ 4. Markus denkt hier ein wenig nach und sagt nach einer Weile: „Freundchen, müssen es denn gerade lauter Fruchtbäume sein? Ich könnte zufälligerweise ja auch etwas anderes wollen?! Könnte auch das hergewundert werden?“ 5. Sagt Raphael: „O allerdings, uns macht eins wie's andere eine ganz gleiche Mühe! Verlange, was du willst, und es wird dasein!“ 6. Auf diese Versicherung denkt Markus noch eine Weile hin und her, ob ihm nicht etwas beifiele, womit er den Engel so ein wenig in die Enge treiben könnte. Da ihm aber gerade kein Einwurf mehr einfällt, so sagt er zum Raphael: „So stelle mir ein besser bewohnbares und festeres Haus her, das ist eine ganz förmliche Herberge für Fremde und Einheimische, einen gut umzäunten Garten, bestellt mit allerlei wohlgenießbaren Obstbäumen, und solle nicht fehlen die Dattel, und im Garten fließe eine frische Brunnquelle!“ 7. Sagt der Engel: „Aber Freund, wird das nicht ein wenig zu viel sein auf einmal?“ 8. Sagt Markus: „Aha, gelt, mein Freundchen, da hat's dich schon ein wenig? Ja, ja, ohne Vorsehung und Vorbereitung wird sich's etwa doch nicht recht tun lassen! Ich will dich aber dennoch zu nichts zwingen; was du nun hervorwundern kannst, das wundere her, das andere von mir Verlangte lasse hinweg!“ 9. Sagt der Engel: „Das wird ganz, wie du's verlangt hast, hergestellt. Und im Namen des Herrn sei alles da, was du von mir verlangt hast! Gehe hin und besieh dir alles, was da ist, und sage mir danach, ob dir alles also recht ist! Hast du irgend etwas auszustellen, so tue das; denn sieh, jetzt kann daran noch so manches abgeändert werden! Morgen würde es zu spät sein, weil wir sicher nicht mehr dasein werden. Gehe also hin und besieh dir alles wohl!“ Kapitel 4 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 4. — Das neue Anwesen des Markus, ein Wunderwerk Raphaels 1. Markus sah sich um und ward ganz betroffen von dem Anblicke dessen, was da alles in einem Nu entstanden war. Es stand ganz vollendet ein schönes aus Backsteinen gemauertes Haus rechts gen Nordost vom alten Fischerhaus und reichte mit der südöstlichen Front nahe ganz ans Meer hinaus. Es hatte ein Stockwerk mit einem bequemen Gang ums ganze Haus herum, und zu ebener Erde bestand es aus einer geräumigen Küche, aus einer großen Speisekammer und noch aus achtzehn Räumen, darunter fünf Wohnzimmern und dann dreizehn großen Gemächern zu allerlei landwirtschaftlichen Zwecken, als allerlei Getreidekammern, Fleischkammern, Kammern für Obst, Gemüse, für Hülsen- und Wurzelfrüchte. Eine große Kammer stellte einen mit weißem Marmor ausgemauerten Wasserbehälter dar, der gut seine zwanzig Quadratklafter maß und im ganzen durchgängig eine Wassertiefe von sechs Fuß hatte; das Wasser stand aber nur viereinhalb Fuß hoch, was zur Behaltung von Edelfischen tief genug war. 2. Dieser innere Fischbehälter bekam sein reinstes Wasser aus einer ganz neuen reichlichen Quelle; es drang von unten durch kleine, aber viele Öffnungen einer Steinplatte in den Behälter bis zur bestimmten Höhe. Von da lief eine Abzugsröhre hinaus ins Meer, konnte aber, so man etwa den Behälter voll Wasser haben wollte, von außen zugestopft werden. Um den Wasserbehälter ging ein sehr schönes, durchbrochenes, zweieinhalb Schuh hohes Geländer, ebenfalls aus weißem Marmor angefertigt, und auf einer Seite war, für den Fall, daß der Wasserbehälter mit Wasser voll angelassen würde, ein sehr zierlicher Abzugskanal angefertigt, der natürlich durch die Mauer des Hauses ging und ebenfalls unfern der tieferen Abzugsröhre ins Meer mündete. Die Wände und der Fußboden waren ebenfalls mit weißem Marmor verkleidet, des Gemaches Decke aber bestand aus Zedernholz reinster und festester Art ohne Ast und Splint. Dies Gemach ward durch fünf Fenster erhellt, die alle eine marmorne Einrahmung hatten, und jedes maß eine Höhe von fünf und eine Breite von drei Schuh. Die Fenster waren mit höchst reinen Kristalltafeln versehen und zum Auf- und Zumachen eingerichtet, wie im gleichen auch alle andern Fenster des Hauses. 3. Das Haupttor war aus goldähnlich schimmerndem Erz, alle Zimmertüren aber aus bestem Zedernholz gar zierlich und nett gearbeitet und mit guten Riegeln und Schlössern zweckmäßigst versehen. Der erste Stock aber war durchgängig mit Zedernholz höchst zierlich ausgetäfelt, und jedes Gemach gewährte einen wundervollsten Anblick. Zugleich aber waren zu ebener Erde wie im ersten Stockwerk alle Gemächer mit allem möglichen, was eine beste Herberge erfordert, auf das reichhaltigste eingerichtet und versehen, und die Getreidekammer war voll Getreide, die Speisekammer voll von allem möglichen, was man in einer Küche braucht. Kurz, es war nicht nur das verlangte Haus ganz nach der schon lange innegehabten luftschlösserbaulichen Idee des Markus auf das solideste hergestellt, sondern mit allen Mund- und andern Vorräten auf das reichlichste für Jahre ausgestattet. 4. Hinter dem Hause waren noch Stallungen für allerlei Vieh, und mehrere Fischergerätehütten waren aufs geschmackvollste und zugleich zweckmäßigste erbaut und mit allem Erforderlichen eingerichtet und reichlichst versehen, und um alle die neuen Gebäude zog sich ein bei zwanzig Joch großer, ganz dicht eingezäunter Garten, vormals eine herrenlose Sandsteppe, nun der fruchtbarste Boden, bestellt mit allerlei von den besten Fruchtbäumen. Ein paar Joch aber waren ganz mit den besten Weinreben bestellt, die alle von den schönsten und saftreichsten und schon vollreifen Trauben strotzten. Auch an Gemüse hatte es keinen Mangel. 5. In der Mitte des Gartens war noch ein bestes Gesundheitsbad mit einem Tempel aus Marmor errichtet. Es hatte zwei gesonderte Becken: das eine zur Heilung der Gichtbrüchigen mit sehr warmem Quellwasser und das zweite zur Heilung der Aussätzigen mit lauen Schwefel- und Natronquellen versehen, die durch Raphaels Macht nach Meinem Willen erst aus dem Innersten der Erde dahin geleitet wurden. Zugleich ersah er auch einen mit lauter Geviertsteinen eingefaßten Seehafen und fünf große, bestkonstruierte Schiffe mit Segeln und Rudern im sehr geräumigen Hafen, dessen Eingang, obwohl sechs Klafter breit, zur Nachtzeit mit einer ehernen Kette ganz abzusperren war. Es war dieser Hafen genau nach der oft gehabten Idee des alten Markus, der bei der Besichtigung alles dessen, was da wunderbar entstanden war, sich immer die Augen ausrieb, da er gleichfort der Meinung war, daß er schlafe und diese Dinge also im Traume sähe. 6. Als er mit der Besichtigung, die nahe eine Stunde andauerte, fertig war, kam er (Markus) nahe ganz schwindlig zurück und sagte voll Staunens: „Ja, ist denn das wohl alles Wirklichkeit oder sehe ich das alles nur in einer Art beseligender Träumerei? Nein, nein, das kann keine Wirklichkeit sein! Denn so habe ich schon mehrmals mir in meiner müßigen Phantasie eine Herberge ausgemalt und auch schon etliche Male in Morgenträumen geschaut, – und du, Freund aus den Himmeln, hast mich in einen künstlichen Schlaf versetzt, und ich habe meine eigenen Ideen nun einmal wieder im Traume beschaut!“ 7. Sagt Raphael: „Du kleingläubiger Römer du! Wenn das alles ein Traumgesicht wäre, so würde es nun nicht mehr zu sehen sein, und das wirst du denn doch nicht mehr behaupten wollen, daß du noch schläfst und gleichweg träumst? Sende nun dein Weib und deine Kinder hin, daß sie auch nachsehen, was alles da ist, und sie werden dann kommen und dir aus dem Traume helfen!“ 8. Sagt Markus, sich noch einmal nach dem neuen Hause umsehend: „Oh, es ist kein Traum, es ist lautsprechende Wirklichkeit! – Wird sie aber wohl bleiben?“ Kapitel 5 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 5. — Die Kinder der Welt und die Kinder des Herrn 1. Spricht Raphael: „Sagte ich dir's denn nicht, daß dies alles, das heißt, was da fest gebaut ist, ein Jahrtausend nicht völlig verwischen wird? Nur die verschiedenen Obstbäume, Edelgesträuche und die Pflanzen, wie auch die fünf Schiffe werden nicht solange anhalten; aber das Mauerwerk wird bestehen gar lange und sehr lange! Auch sogar nach zweitausend Jahren werden davon noch Spuren zu entdecken sein; aber freilich wird da niemand mehr an überirdische Erbauer dieser Mauern halten. Sogar in der Jetztzeit werden die nächsten Nachbarn, so sie alles dessen ansichtig werden, sagen, daß solches alles die anwesenden Römer aufgebaut hätten, da viele und kräftige Hände auch Wunder zuwege brächten! Du aber laß es den Weltmenschen gelten; denn so in einem Lande zehn mal zehn mal hunderttausend Menschen leben in der jetzigen Art, so wirst du in allem kaum fünftausend Menschen antreffen, die dir nach vielen Besprechungen das vernunftgemäß glauben würden. Einen blinden Glauben aber könntest weder du und noch weniger wir Himmelsgeister brauchen. Es liegt auch gar nichts daran, ob da viele oder wenige glauben; denn der Herr kam nur Seiner wenigen Kinder wegen in die Welt und nicht der Weltmenschen wegen. Und es wird also bleiben bis ans Ende dieser Welt und ihrer Zeiten! 2. Wann immer der Herr Sich auf dieser Erde wieder offenbaren wird, entweder durchs Wort allein oder zuweilen auch persönlich auf Momente, so wird Er das allzeit nur Seinen wahren Kindern, die von oben her sind, tun! Die Welt und ihre Kinder werden von Ihm wenig oder auch nichts zum Genusse bekommen! Für die ist die Ewigkeit lang genug, um sie zu irgendeinem höchst untergeordneten Lichte zu bringen. 3. Glaube du ja nicht, daß dies höchste Licht aus den Himmeln je alle Menschen der Erde durchdringen wird! Nur die wahren Kinder, allzeit in geringer Anzahl, werden damit rein und reichlichst versehen werden, und der Welt Kinder werden sich nur aus ihrem Unflate Tempel und Götzenhäuser erbauen und sie mit ehernen Gesetzen und blind-dummen Regeln umzäunen, aber darum den wenigen wahren Kindern doch nie etwas anhaben können, wofür der Herr allzeit auf das getreueste Sorge tragen wird. Es soll darum unter den Weltmenschen kein Jeremias mehr seine Klagelieder anstimmen! – Gehe aber nun hin zum Herrn und bedanke dich für solch ein Großgeschenk!“ 4. Hier kommt Markus zu Mir und will Mir mit einem Pomp von den allerausgesuchtesten Worten zu danken anfangen. 5. Ich aber sage zu ihm: „Erspare deiner Zunge die Mühe; denn Ich habe den Dank deines Herzens schon vernommen und brauche darum den der Zunge nicht! Ist denn nicht ein jeder ehrliche Gastwirt seines Lohnes wert? Du bist auch ein ehrlicher Gastwirt und hast uns unverdrossen nahezu acht Tage lang auf das beste bewirtet; das können wir von dir ja doch nicht umsonst verlangen! Diese Herberge wird dir und deinen späteren Nachkommen eine beste Versorgung bereiten! Aber du sorge dafür, daß Mein Name an diesem Orte, das heißt bei deinen Nachkommen, fest stehenbleibt; denn mit dem Verluste Meines Namens aus ihren Herzen würden sie dann auch bald alles andere verlieren! Wer zwar alles verlöre in der Welt, behielte aber dessenungeachtet Meinen Namen, der hätte immerhin noch gar nichts verloren, sondern nur alles gewonnen; aber wer da verlöre Meinen Namen aus seinem Herzen, der hätte alles verloren – und besäße er auch alle Güter auf der Erde!“ Kapitel 6 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 6. — Verhaltensgebote des Herrn für den Gastwirt Markus 1. (Der Herr:) „Darum sei vor allem um die Erhaltung Meines Namens im Herzen besorgt! Wem der bleibt, dem bleibt alles; wem aber der nicht bleibt, den hat dann aber auch alles verlassen! 2. Wer Mich aber wahrhaft liebt und seinen Nächsten wie sich selbst, der trägt Meinen Namen wahrhaft und lebendig in seinem Herzen und daran einen Schatz, den ihm alle Ewigkeiten nicht zu nehmen imstande sein werden; denn Gott wahrhaft in aller Tat lieben, ist mehr denn ein Herr aller Schätze nicht nur dieser, sondern aller Welten in der ganzen Unendlichkeit sein. 3. Aber es genügt nicht, Mich nur zu bekennen der Weisheit gemäß, sondern der vollwahren Liebe gemäß im Herzen. 4. Es werden zu dir kommen allerlei Arme; was du denen tun wirst ohne irdisches Entgelt, das hast du Mir getan, und Meine Liebe wird es dir entgelten. 5. Wenn jemand zu dir kommt, der nackt ist, den bekleide! Wer ohne Geld zu dir kommt, dem enthalte es nicht vor, so er dessen benötigt in der Welt! 6. Ich wollte zwar, daß alle Menschen als Brüder ohne dieses verderbliche Tauschmittel untereinander lebeten; aber da sie solches zur größeren Bequemlichkeit ihres Handels und Wandels als Weltmenschen in der Welt schon von alters her eingeführt haben, so will Ich es denn auch belassen, – aber Segen wird es den Menschen erst durch Meine Liebe bringen! 7. Lege nie einen andern Wert als nur den Meiner Liebe darauf, so wird es dir auch Meine Liebe und Meinen Segen bringen! Wer eines Groschens benötigt, dem gib zwei, auch drei, und Meine Liebe wird es dir anderseitig zehn- und dreißigfach ersetzen! 8. Kurz, in was du jemanden als arm erschaust, und du hilfst ihm für Meine Liebe mit freudigem Herzen, so wirst du allzeit auf Meine Entgeltung rechnen können, die nimmer unterm Wege verbleiben wird! 9. Es komme zum Beispiel zu dir ein sonst vermöglicher Mensch ins Bad, der aber von der Gicht behaftet ist, so rechne ihm nach dem Maße der Billigkeit die Herberge und die Verköstigung; aber das Bad lasse ihm frei! 10. So aber jemand kommt bloß des Vergnügens wegen ins Bad, dem rechne Bad, Herberge und Verköstigung teurer an denn einem andern! Will er aber die Wahrheit von dir, so gib sie ihm unentgeltlich; denn darin ist er ein Armer! 11. So aber da kommt ein Weltkluger und will von dir die Wahrheit hören, dem gib sie nicht umsonst, sondern lasse dir bezahlen für ein jedes Wort einen Groschen; denn für solch einen Wahrheitssucher hat die Wahrheit erst dann einen Wert, so er durch vieles Geld zu ihrem Besitze gekommen ist! 12. Wenn ein Armer hungrig zu dir gekommen ist, dem gib zu essen und zu trinken und entlasse ihn nicht als einen Armen von dir; kommt aber einer, dem es ein Vergnügen macht, bei dir zu Tische zu sein, der zahle auch das, was neben ihm ein Armer verzehrt hat! 13. Jede Armut unterstütze umsonst, und jedes bloße Vergnügen lasse dir bezahlen! – Hast du Mich wohl verstanden?“ 14. Sagt Markus, vor Freude weinend: „Ja, Herr!“ 15. Sage Ich: „So gehe und zeige alles den Deinen!“ 16. Markus ging zu seiner über alle Maßen staunenden Familie hin und gab ihr den Wink von Mir kund, und alle gingen eiligen Schrittes hin zum neuen Hause und natürlich auch in dasselbe, und besichtigten alles klein durch. Das Weib und die Kinder wurden ganz schwach vor lauter Seligkeit und Wonne und wußten vor lauter Freude nicht aus und nicht ein. Es fragten Mich aber nun alle am Tische Sitzenden, ob auch sie dieses auffallendste Wunderwerk in Augenschein nehmen dürften. 17. Sagte Ich: „Liebe Freunde! Dieses Werk wird bleiben, und ihr werdet es dann noch oft genug besehen und bewundern können; Ich aber werde nicht bleiben, außer durch die Liebe in euren Herzen. 18. Bleibet darum hier bei Mir, dieweil Ich noch bei euch verbleibe; denn Ich bin ja doch mehr denn jenes Wunderwerk, dem zahllos gleiche Ich in einem Augenblicke zustande bringen könnte!“ 19. Sagen alle: „Ja, ja, ja, o Herr, wir bleiben, wir bleiben alle bei Dir, o Herr; denn Du allein bist mehr denn alle die ganze Unendlichkeit erfüllenden Wunderwerke Deiner Macht, Weisheit und Güte!“ Kapitel 7 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 7. — Vom römischen Oberpriester. Eine Kritik am Heidenpriestertum in Rom 1. Sagt Cyrenius: „Herr, Du kennst mein wichtiges und schweres Regierungsamt; aber nun kommt es mir vor, als läge gar nichts daran und als täte es sich von selbst auch ohne mich und besorgte sich von selbst ohne mein Zutun! Ich komme mir nun schon ordentlich also vor wie ein fünftes Rad am Wagen; denn ich weiß, daß Du, o Herr, nun alle Geschäfte für mich besorgst und in meiner Regierung noch nie eine größere Ordnung bestanden hat als eben jetzt, da Du, o Herr, für mich sorgest! 2. O du glückliches Kaiserreich! Rom, du mein Vaterhaus, wie sehr kannst du dich im geheimen freuen darum, daß der Herr Sein gnädiges Auge dir zugewandt hat und Sich auch aus deinen alten Mauern und Burgen und Hütten Kinder zeihen will! Herr, ich stehe Dir mit meinem Leben: Wärest Du statt hier in Rom und hättest vor den Römern ein solches Zeichen gewirkt, nicht ein Mensch bliebe übrig, der Dir nicht zollte die höchste göttliche Verehrung! Aber Du kennst Deinen Plan und kennst Deine Wege, und es ist darum schon so am besten, wie Du es angeordnet und bestimmt hast!“ 3. Sagte endlich auch Meine Jarah, die bisher wie eine Maus geschwiegen hatte: „Wegen Rom sei du, hoher Statthalter, ganz ruhig! Die eigentlichen Römer wohl, die lasse ich mir schon noch gefallen; aber in Rom gibt es auch sehr viele Götzenpriester, die alle unter einem sogenannten PONTIFEX MAXIMUS [Oberpriester bei den alten Römern.] stehen! Diese haben das Volk im Sacke und mit ihren Hades- und gar Tartarusstrafen, welch letztere nur gleich ewig in einer allergräßlichsten Art fortbestehen sollen, beim Gewissenskragen! Wehe dem, der sich erkühnte, in solch ein Wespennest hineinzustechen! Wahrlich, dem würde es wohl ehest ganz erbärmlich schlecht ergehen! Ich glaube, daß eure Priester da noch um tausend Male ärger wären denn unsere Templer, die doch noch den Moses und die Propheten auf dem Rücken und an der Brust tragen, wennschon zumeist nur auswendig. Die euren aber haben auch auswendig nichts; all ihr Tun und Treiben ist die höchste Selbstsucht und unbezwingbare Lust, zu herrschen gleich nur über alles. 4. Haben mir doch einmal zwei bei uns Herberge nehmende untergeordnete Priester Roms erzählt und gesagt, daß der Pontifex maximus ein so hohes Wesen sei, daß sogar Zeus selbst, der alljährlich ganz gewiß einmal den P. m. besuche, sich sicher drei bis sieben Male vor ihm verneige, bevor er sich getraue, mit seinem allerhöchsten Stellvertreter auf Erden ein Wort zu reden und ihm in größter Ehrfurcht irgend neue Gesetze für das sterbliche Volk der Erde zu geben. Freilich ehre Zeus den P. m. nicht gerade seinetwegen, sondern nur der dummen Sterblichen wegen, die aus dem erkennen sollen, welch eine unaussprechliche und unermeßliche Hoheit und Majestät den allerhöchsten Stellvertreter des allerhöchsten Gottes auf Erden umkleidet. 5. Er sei ein Herr auf Erden über alle Kaiser, Könige, Fürsten, Feldherren und viele andere größte Herrlichkeiten. Dann habe er alle Elemente in seiner ausschließlichen Gewalt. Wenn er mit seinem heiligsten Fuße zornig auf die Erde stampfe, so bebe sie gleich vor Furcht wie das Laub einer Espe im wütendsten Sturme, und die Berge der Erde fingen an Feuer auszuspeien und unterstützeten so den erzürnten Pontifex maximus, damit er desto ergiebiger kühle seine allzeit gerechte Rache im Namen des Zeus. 6. Von ihm allein hingen gute und schlechte Jahre ab. Segne er die Erde, so gebe es gleich überreiche Ernten auf der ganzen Erde; segne er die Erde aber nicht, so werde es auf der Erde mit den Ernten schon sehr mager aussehen, – und möchte er gar einen Fluch über die Erde aussprechen, da wäre aber dann schon alles rein hin, und über die Erde kämen Krieg, Hungersnot, Pestilenz und noch tausend andere allerunerhörteste Plagen! Außer dem Zeus müßten ihm alle anderen Götter gehorchen; im Verweigerungsfalle könnte er sie auf hundert Jahre von der Erde verbannen, – was aber nie geschähe und nie geschehen werde, weil alle Götter von der unaussprechlichsten Hoheit des Pontifex maximus zu sehr und zu lebenstief überzeugt seien. 7. Es habe demnach ein Pontifex maximus eine dreifache Hauptgewalt: erstens über alle Götter bis auf den Zeus, mit dem er natürlich auf einer ganz gleichen Rangstufe stehe, zweitens über die ganze Erde und deren Elemente, und endlich drittens über alle Menschen, Tiere und Bäume, Gesträuche und Pflanzen. Nebst dem aber gebiete er noch über alle Planeten und über alle Sterne, habe die Wolken, Winde, Blitze, den Donner, Regen, Hagel und Schnee in seiner Hand, und das Meer bebe in einem fort vor seiner unendlichen Macht! 8. Und so in dieser Weise haben mir die zwei römischen Priester noch eine Menge von ihrem Pontifex maximus vorgesagt. Ich dachte eine Weile, daß sie sich mit mir nur einen unzeitigen Spaß erlaubt hätten; aber ich überzeugte mich leider nur zu bald, daß die beiden Narren solches ganz ernstlich nahmen. Denn, als ich ihnen darauf von dem allein wahren Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu vermelden begann und von Seinen Taten, da fingen sie an, mich recht brav auszulachen, und versicherten mir auf das lebendigste, daß ich total irrig und falsch daran wäre; denn sie hätten tausend Beweise für einen, daß es also sei, wie sie es mir kundgetan hätten. 9. Ich fragte sie, ob sie nicht wüßten, ob der Pontifex maximus sterblich oder unsterblich sei. Darauf hatte sich der eine etwas voreilig verschnappt und sagte, daß der P. m. zwar für die Erde wohl noch sterblich sei; sowie er aber sterbe, da nehme ihn Zeus sogleich ins höchste Elysium, allwo er dann hundert Jahre hindurch am Tische des Zeus speise und dadurch endlich auch im Reiche der Götter selbst eine wirkliche Gottheit werde. Diese Erzählung war dem andern gar nicht recht; denn er korrigierte gleich also: ,Du hast nun wieder einen germanischen Stiefel zusammengeplaudert! Seit wann ist denn ein P. m. sterblich gewesen?! Was du von ihm aussagtest, das gilt ja nur von uns Unterpriestern, besonders, so wir uns nicht ganz und gar des P. m. Gunst haben zu erwerben verstanden; der P. m. stirbt nie und kann nicht sterben, weil ihm Zeus für alle Zeiten die Unsterblichkeit verliehen hat! Siehe‘, sagte er weiter, ,ich kenne nun schon bereits den vierten, und von allen vieren ist noch keiner je gestorben, und dennoch sitzt stets nur ein Unsterblicher auf dem Throne und nicht vier, obwohl sie alle vollkommen unsterblich sind, da kein P. m. je sterben, wie auch des allerhöchsten Thrones auf Erden nie verlustig werden kann!‘ 10. Sagte endlich einmal wieder ich: ,Aber das ist ja rein unmöglich! Wie können denn vier einer sein und einer vier?! Das kommt mir wohl wie ein germanischer Stiefel vor! Kurz‘, sagte ich, ,euer Pontifex maximus ist durch euch zu einem Weltnarren gestempelt und ist sonst ebensogut ein sterblicher Mensch wie unsereiner, und seine Macht besteht vor allem in den Waffen des Kaisers, in der großen Dumm- und Blindheit des verwahrlosten Volkes und endlich in einer Art schlechtester Zaubereien; denn vor sehr dummen und geistig blinden Völkern ist leicht Wunder wirken! gehet, laßt mich mit euren Dummheiten gehen! Es wird wohl genug sein, daß ihr so recht blitzdumm seid! Warum soll auch noch ich an eurer Seite es werden?‘ 11. Darüber wurden die beiden ganz grimmig auf mich und auch unter sich und fingen bald an, sich gegenseitig die bittersten Vorwürfe zu machen, und prügelten sich gegenseitig zur Tür hinaus. Ich aber fragte sie noch zum Fenster hinaus, als sie sich wie ein paar Hunde herumbalgten, ob das auch der Pontifex maximus verordnet hätte durch ein neues Zeus'sches Gesetz aus dem Elysium. Aber sie vernahmen zum Glück meine Stimme nicht und bewiesen einander gegenseitig pro und contra stets mehr die Unsterblichkeit des Pontifex maximus, bis endlich einige unserer Hausknechte sie auseinanderbrachten. 12. Nun aber bitte ich dich, du lieber, hoher Cyrenius, wie hätte sich bei solch einer dümmsten Volksfanatik der Herr in Rom ausgenommen? Ohne Feuer und Schwefelregen sicher schlechter als schlecht! Oh, der liebe Herr wußte es schon von Ewigkeit her, wo es zu dieser Seiner Zeit auf der Erde noch immer am besten und am zweckmäßigsten sein werde, und ist darum auch gerade dahier und nirgends anderswo in die Welt unter Seine Menschen getreten! Siehe, das ist so meine Ansicht; wie lautet dagegen etwa die deinige? Was hältst denn du oder der Kaiser in Rom von dem so ominösen Pontifex maximus?“ Kapitel 8 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 8. — Die religiösen Verhältnisse in Rom zur Zeit Jesu 1. Sagt Cyrenius: „Mein Kindchen, du hast schon ganz recht; es steht in Rom, natürlich nur populärerweise, mit dem Pontifex maximus schon gerade also, und es läßt sich vorderhand auch nichts daran ändern! Aber ich kann dir auch ganz gut die Versicherung geben, daß nur der allergemeinste und aller höheren Bildung lose Pöbel noch so einen halben Glauben daran hat; vom besseren Volksteile glaubt wohl niemand mehr daran, und es ist darum mit uns Römern schon immer noch etwas zu machen. 2. Es wird des niedersten Volkes wegen dereinst die Verbreitung dieser reinst göttlichen Wahrheiten wohl manchen unliebsamen Kampf herbeiführen, aber auch Bekenner, die nach echt römischer Sitte Gut, Blut und Leben für diese Lehre mit Freuden einsetzen werden. Denn nicht leichtlich gibt es irgendein Volk auf der Erde, das sich vor dem Tode noch weniger fürchtet als eben die Römer! Ist ein wahrer Römer einmal für etwas sehr eingenommen, so setzt er auch allzeit sein Leben daran! Das tut ein anderes Volk nicht, dessen kannst du ganz versichert sein! 3. Unsere Priester sind nun gerade ein fünftes Rad am Wagen, und ihre Volksfeste und Predigten dienen nur noch zur Belustigung des Volkes. Mit den Sitten kehrt sich niemand mehr daran. Dafür sorgt unsere alles umfassende Rechtslehre, die ein Auszug von den besten und weisesten Philosophen ist, die als Menschen irgendwo und irgendwann diese Erde betreten haben. 4. Der Pontifex maximus wird vom Staate aus nur des gemeinsten Volkes wegen erhalten und ist in seinem vormals freien Wirken sehr beschränkt worden. Ja, vor etwa ein paar Jahrhunderten ging es noch ganz rar zu; da war der P. m. wohl sozusagen eine Art Gott unter den Menschen! Er für sich war stets ein sehr wissensreicher Mensch und mußte es sein, weil er sonst nicht leichtlich zu solch höchstem Amte hätte gelangen können. Er mußte bewandert sein in den Mysterien Ägyptens und mußte völlig bekannt sein mit allen Orakeln und ihren Geheimnissen. Auch mußte er ein vollendeter Magier sein, worüber er in einem geheimsten Kollegium vor den ältesten Patriziern Roms stets eine strengste Prüfung ablegen mußte. Hat er alle die erforderlichen Eigenschaften besessen, so wurde ihm das Pontifikat erteilt mit allen seinen Rechten, Vor- und Nachteilen. 5. Nun konnte er freilich so manches unternehmen dem Volke gegenüber, mußte aber geheim vor den Patriziern stets den gebührenden Respekt haben und auch tun, was diese verlangten. Wollten diese Krieg, so mußte er seine prophezeilichen Sachen stets so einrichten, daß daraus das Volk die Notwendigkeit des Krieges aus dem Willen der Götter ersah; aber die eigentlichen Götter waren dennoch nur die Patrizier des Reiches und mit ihnen die ersten und gebildetsten Bürger, Künstler und Dichter, die zuerst von der Idee ausgingen, daß man nur der Phantasie der Menschen eine zwar reichhaltige, aber dennoch bestimmte Richtung geben müßte, um sie vor den schmählichsten Abirrungen zu bewahren. 6. Denn ein jeder Mensch hat eine Naturphantasie. Wird diese verwahrlost, so kann durch sie aus dem edelsten Menschen eine reißendste Bestie werden; wird aber seine Phantasie geregelt und auf edlere Formen hingeleitet, unter denen sie sich ganz geordnet zu bewegen beginnt, so wird sie auch selbst edlere Formen zu schaffen anfangen, in ein reineres Denken und Trachten übergehen und für das Beste ihrer inneren Schöpfungen den Willen beleben. 7. Und so ist also die ganze Götterlehre nichts als ein stets mehr und mehr geordnetes Phantasiegebilde, zur Regelung der gemein menschlichen Phantasie ausgedacht und soviel als möglich mit allen humanen Mitteln praktisch ins ersichtliche und wirkende Werk gesetzt worden. Für uns weise und kundige Patrizier aber legte sich von selbst die leicht begreifliche Notwendigkeit auf, daß wir das zu sein scheinen mußten, als was seiend wir das Volk haben wollten. 8. Wie es aber damals war, also ist es auch jetzt noch, nur mit dem Unterschiede, daß nun auch schon das Proletariat in vieles eingeweiht ist, in was ehedem nur wir Patrizier eingeweiht waren, und darum ans ganze Pontifikat ganz verzweifelt wenig mehr glaubt. Die meisten glauben wohl an ein höheres Gottwesen, viele aber glauben an gar nichts mehr, und ein gebildeterer Teil sind Platoniker, Sokratianer und sehr häufig Aristoteliker. 9. Jene Priester aber, die dir den Pontifex maximus beschrieben haben, sind zum Teil ihrer Art nach oft wirklich so dumm, daß sie das alles auf ein Wort glauben, was ihnen eingebleut wurde; oft aber sind sie ganz fein abgedrehte Stricke, die vor dem Volke einen ganz entsetzlichen Lärm schlagen und tun, als spielten sie mit den Göttern gleich alle Tage am persischen Schachbrette! Aber für sich glauben sie nichts als bloß die Worte des Epikur, die ungefähr also lauten: EDE, BIBE, LUDE! POST MORTEM NULLA VOLUPTAS; MORS ENIM EST RERUM LINEA. [Iß, rinke, spiele! Nach dem Tode gib es kein Vergnügen; denn der Tod ist das Ende der Dinge.] 10. Wenn du, meine sonst allerliebste, für dein Alter wunderbar weise Jarah, uns nach den zwei Unterpriestern schätzen möchtest, da tätest du uns sehr unrecht; denn wir Römer sind genau also, wie ich uns dir nun beschrieben habe. Alles andere kann nur eine verbrannte Aussage eines Laien sein, der das Wesen Roms so wenig kennt, als du es vor dem gekannt hast, was ich als ein Mitbeherrscher Roms nun enthüllt habe. Da du aber nun solches weißt, so mußt du uns Römer schon ein wenig nachsichtiger beurteilen und behandeln! – Was meinst du, ist meine Anforderung an dich gerecht oder nicht?“ Kapitel 9 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 9. — Des Herrn Voraussage über das Schicksal Roms und Jerusalems 1. Sagt die Jarah: „Das versteht sich ja von selbst! Wenn es offenbar nur also ist, wie du mir's nun ganz offen enthüllt hast, dann habe ich gegen euch auch gar nichts einzuwenden. Habt ihr einen guten Willen, so kann auch dessen Erfolg im Grunde des Grundes nicht schlecht sein, auch dann nicht, wenn er sich vor den Augen der Welt auch nicht als vorteilhaft herausstellt. Ich lasse mich durch den Schein sicher am allerwenigsten täuschen; aber das sehe ich auch ein, daß man von Natur aus viel eher zu einem ganz ehrlich guten Willen denn irgend zur reinsten Wahrheit gelangen kann, die dann erst dem guten Willen zu einer wahren und wirksamsten Lebensleuchte wird. Den guten Willen habt ihr deiner Kundgebung nach schon unverändert im allgemeinen immer gehabt; einzelne Trübungen haben am Ganzen wenig oder nichts zu ändern vermocht. 2. Nun bekommet ihr zu eurem guten Willen aber auch noch der ewigen Wahrheit reinstes Licht hinzu, durch das euer schon vom Ursprunge an guter Wille auch die richtigen Wege und wahren Mittel zur sicheren Erreichung der besten Erfolge überkommen muß, und es läßt sich von euch dann ja offenbar nichts als nur das Allerbeste erwarten! – O Herr, segne Du diese meine schlichten Worte, daß sie zur für alle Zeiten bleibenden Wahrheit würden!“ 3. Sage nun Ich: „Ja, du Meine tausendgeliebteste Jarah, sie sollen gesegnet sein, deine wunderschönen und sehr wahren Worte! 4. Rom soll so lange der beste Aufenthaltsort Meiner Lehre und Meiner besonderen Gnaden verbleiben, und es soll diese große Kaiserstadt ein Alter in der Welt erreichen, wie ein gleiches nur sehr wenige Städte Ägyptens erreichen werden, jedoch nicht so unversehrt wie Rom. Die äußeren Feinde sollen dieser Stadt wenig je etwas zuleide tun; wenn sie schadhaft wird, so wird sie das nur der Zeit und ihren wenigen inneren Feinden zu verdanken haben! 5. Aber in der Folge wird leider auch in dieser herrschenden Stadt diese Meine Lehre in eine Art Abgötterei übergehen; aber ungeachtet dessen wird Mein Wort und noch immer der beste Sinn der Lebenssitten im allgemeinen darin erhalten werden. 6. Gar in die späten Zeiten hinaus wird der Geist dieser Meiner Lehre dort sehr verschwinden. Die Menschen werden an der äußersten Rinde kauen und sie fürs geistige Brot des Lebens halten; aber da werde Ich schon durch die rechten Mittel sie wieder nach und nach auf den rechten Weg zurückführen! Und hätte sie noch soviel Hurerei und Ehebruch getrieben, so werde Ich sie schon wieder reinigen zur rechten Zeit! 7. Im übrigen aber wird sie stets eine Verkünderin der Liebe, Demut und Geduld verbleiben, darum ihr viel durch die Finger nachgesehen wird zu allen Zeiten, und die Großen der Erde werden sich vielfach um sie scharen und aus ihrem Munde die Worte ihres Heiles vernehmen wollen. 8. Ganz rein aber wird sich auf dieser Erde im allgemeinen nie etwas für eine zu lange Dauer erhalten, somit auch Mein Wort nicht; aber am reinsten für den Zweck des Lebens und als Geschichtsreliquie noch immer in Rom! 9. Diese Versicherung gebe Ich dir, du Mein liebster Freund Cyrenius, und nun hier als volle und wahre Segnung der schönsten und wahrsten Worte unserer allerliebsten Jarah! 10. Ein Jahrtausend ums andere wird es dir zeigen und sagen, daß dieser Mein Ausspruch bezüglich Roms Dauer und Stellung in die volle Erfüllung übergehen wird! 11. Jerusalem wird also zerstört werden, daß man schon von jetzt an gar nicht wissen wird, wo es dereinst gestanden ist. Wohl werden die späteren Menschen allda eine kleine Stadt gleichen Namens erbauen; aber da wird verändert sein Gestalt und Stelle. Und selbst dies Städtchen wird von anderwärtigen Feinden viel Schlimmes zu bestehen haben und wird fürder ohne Rang und Bedeutung verbleiben ein Nest von allerlei Gesindel, das ein kümmerliches Dasein vom Moose der Steine aus der Jetztzeit fristen wird. 12. Ja, Ich wollte wohl diese alte Gottesstadt zur ersten der Erde machen; aber sie hat Mich nicht erkannt, sondern behandelt wie einen Dieb und Mörder! Darum wird sie fallen für immer und wird sich fürder nicht mehr erheben aus dem Schutte des alten wohlverdienten Fluches, den sie sich selbst bereitet und mit dem eigenen Munde ausgesprochen hat! – Bist du, Meine tausendallerliebste Jarah, nun mit dieser Meiner Segnung zufrieden?“ 13. Sagt die Jarah, ganz zu Tränen weich gemacht: „O Herr, Du meine ganz alleinige Liebe! Wer sollte auch nicht zufrieden sein mit dem, was Du, o Herr, aussprichst, und besonders mit solch einer großen, in die fernsten Zeiten weit und tief hineinreichenden Verheißung? Auch mein lieber, hoher Cyrenius scheint damit sehr zufrieden zu sein und ebenso der Kornelius, der Faustus und unser Julius. Ob aber auch die Kinder aus Jerusalem, deren auch mehrere an diesem Tische und noch mehrere an anderen Tischen um uns sitzen, mit Deinen Verheißungen bezüglich Jerusalems auch so zufrieden sein werden, das scheint mir eine ganz andere Frage zu sein; denn aus ihren Gesichtern strahlt nicht jene Heiterkeit wie aus den Gesichtern der Römer.“ 14. Nach dieser ganz triftigen Bemerkung erhoben sich etliche, die aus Jerusalem waren, und sagten: „Man soll wohl seinem Vaterhause keinen Untergang wünschen, solange es nicht Dieben und Räubern zur Wohnstätte ward; ist es aber einmal das, da soll es auch nicht mehr geschont bleiben! Der Nachkomme hat da – ohne Furcht, eine Sünde zu begehen – das Recht, es mit eigener Hand über den Häuptern der darin hausenden Bösewichter zu zerstören und jede Spur von einem einstmaligen Dasein für ewig zu verwischen. 15. Wenn Jerusalem nun unseres getreuesten Wissens aber nichts ist als ein barstes Raubmördernest, wozu sollen wir trauern, so der Herr diesem Neste den schon lange wohlverdienten Lohn geben will und auch sicher geben wird?! Das Traurige daran ist nur, daß diese so höchst begnadigte Stadt Gottes es endlich trotz aller Warnungen zu einem dritten Male dahin gebracht hat, von Gott Selbst ausgehend auf das allerempfindlichste gezüchtiget zu werden! Aber Seine bekannte Langmut und Geduld ist uns auch ein sicherster Beweis, wie sehr sich eine solche Stadt einer strengsten Züchtigung verdient gemacht hat und darum wahrlich nicht im geringsten zu bedauern oder gar zu betrauern ist. 16. VOLENTI NON FIT INIURIA! [Dem Wollenden geschieht nicht Unrecht, d.h.: Wer es so haben will, dem geschieht es recht!] Wer es selbst will, bei allem noch so hellen Sonnenlicht in eine Grube sich zu stürzen, wird den wohl jemand bedauern oder betrauern? Wir nicht! Für echte dümmste Esel und Ochsen empfanden wir noch nie Mitleid, besonders wenn sie vor aller Welt als Weiseste glänzen wollen; und noch viel mehr ganz besonders verdienen sie kein Mitleid, wenn ihre vorgeschützte Hochweisheit, die aber im Grunde nur krasseste Eselei ist, sich durch allerlei Bosheit und durch eine allerabgefeimteste Verschmitztheit als reell geltend machen will. 17. Es ist schon ganz richtig, daß auch eine kranke Menschenseele mehr Mitleid verdient als eines kranken Menschen gebrechlicher Leib. Wenn aber zu einem leibeskranken Menschen, der noch bei vollster Vernunft ist, ein grundgescheiter und bestbewährter Arzt kommt, die Krankheit wohl erkennt und dem Kranken nur zu gewiß helfen könnte und würde, der Kranke aber, statt mit aller Freude den heilsamen Rat des Arztes anzunehmen, denselben durch seine Knechte zur Tür hinauswerfen läßt, – wer, fragen wir, wird mit solch einer kranken Seele auch noch ein Mitleid haben? Wir nicht, und sonst sicher auch nicht jemand anders! Solch ein reines Vieh von einem Menschen soll dann nur in eine möglich allerbitterste und schmerzvollste Krankheit verfallen und erst aus seinen Schmerzen lernen, wie dumm es war, den allergeschicktesten Arzt zur Tür hinauszuwerfen! 18. Dummheit für sich verdient Mitleid, weil ein Dummer nicht dafür kann, daß er dumm geblieben ist schon von der Wiege an; aber es gibt Menschen – wie da sind die allermeisten Hohenpriester, Pharisäer und Schriftgelehrten –, diese sind nicht dumm, machen sich aber geflissentlich dumm, um die arme, durch sie dumm gemachte Menschheit dann desto leichter für ihre schändlichen, im höchsten Grade selbstsüchtigen Zwecke gebrauchen zu können! Derlei Menschen haben keine kranken Seelen, sondern sie sind nur ganz kräftige und gesunde Wölfe in Schafspelzen und verdienen nicht mehr, als mit den schärfsten Pfeilen niedergeschossen zu werden; denn da wäre ein jedes Mitleid eine grobe Dummheit irgendeines menschlichen Herzens. 19. Wem auf der ganzen Erde sollte es wohl leid sein um die Nacht, der die aufgehende Sonne den Garaus macht? Oder welcher Narr wird um den lästigen Winter, um einen rasenden Sturm, um eine aufgehört habende Pestilenz und um verschwundene schlechte Jahre weinen? Und wir glauben, daß es eine noch um sehr vieles größere Dummheit wäre, darum zu trauern, so der Herr uns jüngst einmal die größte Seiner Gnaden erweisen will. Ja, sehr traurig ist es, daß Jerusalem das hellste Geisteslicht nicht erkennen und annehmen will; denn da heißt es, sich ganz dem Satan der Welt einverleibt haben! Wo aber das, da nur Feuer und Schwefel vom Himmel! Sodom und Gomorrha ruhen lange gut im Grunde des Toten Meeres; wer würde beweinen wollen die Verruchten? Und so wird man auch Jerusalem nicht beweinen! 20. Und du, holdeste Jarah, hast dich mit deinem Urteile über uns denn auch ein wenig getäuscht! Siehe, der Schein ist nicht immer ein Abglanz der Wahrheit und trügt uns dann und wann! Meinst du nicht, daß es also ist und wahrscheinlich auch für immer also verbleiben wird? Haben wir recht oder nicht recht?“ 21. Sagt die Jarah: „Aber Herr, Du meine Liebe, warum muß es mir denn geschehen, daß ich die Menschen stets falsch und nicht recht zu beurteilen imstande bin? Es ist geradewegs schon nahezu ärgerlich! Vorher habe ich vom Cyrenius einen freilich nur sanften, aber immerhin einen Verweis bekommen, jetzt aber gleich von einer Menge! Sie haben alle recht, – nur ich offenbar nicht, weil sie der Wahrheit nach recht haben und ich aber nicht. O Herr, gib mir doch eine bessere Einsicht, damit ich mit meinen Urteilen nicht in einem fort aufsitze!“ Kapitel 10 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 10. — Ein Evangelium fürs weibliche Geschlecht 1. Sage Ich: „Nur schön sachte, Mein liebes Töchterchen! Du mußt dich darum nur mehr zurückhalten und nicht vorlaut sein gegenüber vielerfahrenen Männern! Dann mußt du nie nach der Äußerlichkeit gleich irgendein Urteil schöpfen, sondern allzeit schön abwarten, was zuerst die welterfahrenen Männer über eine oder die andere Erfahrung sagen werden! 2. Hat sich möglicherweise irgend jemand ein wenig verirrt, dann erst ist es Zeit, ihn ganz zart und sanft daran zu erinnern, wie und wo er etwa einen Seitenhieb ins Blaue gemacht hat, – aber ja nicht früher! 3. Denn es wäre gar nicht fein, wenn Mädchen den erfahrenen Männern die Wahrheit zuerst sollten kennen lehren; aber wenn die Männer dann und wann vom rechten Wege irgendeinen unweisen Seitentritt machen, dann wohl ist es an der rechten Zeit, daß ein Weib gar zart und sanft hinzutritt und sagt: ,Mein Freund, sieh dich vor; denn du hast da einen falschen Weg eingeschlagen! Die Sache verhält sich so und so!‘ Das wird den Mann sehr freuen, und er wird gerne der holden, zarten und sanften Stimme Folge leisten. 4. Aber mit dem Vorlautwerden ist es nichts, und es macht den Mann leicht mürrisch und verdrießlich, und er achtet dann oft gar nicht auf die schöne und sanfte Stimme eines noch so geschmeidigen Weibchens. 5. Siehe, das ist auch ein Evangelium, aber bloß nur für dein Geschlecht! Welches Weibchen solches achtet, welches wird auf der Erde stets gute Tage haben, aber dieses Evangelium nicht achten wird, wird sich's selbst zuzuschreiben haben, wenn es von den Männern nicht geachtet wird. 6. Ein rechtes Weib ist ein Symbol des höchsten Himmels – und ein unrechtes, eigensinniges und dominieren wollendes Weib ein Ebenmaß des Satans, der da ist schon gleich eine schlechteste, unterste und allertiefste Hölle. 7. Dann darf ein rechtes Weiblein schon gar nie gegen einen Mann je völlig ärgerlich werden; denn im weiblichen Wesen muß ja die größte Geduld, Sanftmut und Demut vorherrschen. In ihm muß der Mann erst die rechte Ruhe seines Sturmgemütes finden und selbst sanft und geduldig werden! Wenn aber am Ende das Weib vor dem Manne zu poltern begänne, was soll dann ein Mann erst tun, bei dem es ohnehin stets mehr stürmisch denn friedlich aussieht?! 8. Darum also nur nie vorlaut, Mein sonst gar allerliebstes Töchterchen, – sonst würdest du noch öfter in die Gelegenheit kommen, dich ärgern zu müssen, so dich wieder jemand zurechtwiese! – Hast du mich wohl verstanden?“ 9. Sagt Jarah: „Verstanden wohl, – aber es geschieht mir nun schwer beim Herzen darum, daß ich dumm und vorlaut war. Ich habe nun doch schon mehrere Stunden lang geschwiegen, und es war gut; es hat mich aber nun gelüstet, auch ein bißchen was zu reden, und da wäre es besser gewesen, so ich noch fort geschwiegen hätte. Aber von jetzt an soll meine Zunge einen Rasttag bekommen wie keine zweite in einem weiblichen Munde!“ 10. Sage Ich: „Das, Mein liebes Töchterchen, ist gerade auch nicht gar so strenge notwendig, sondern du schweigst, wenn du zu reden nicht aufgefordert wirst! Wirst du aber aufgefordert zu reden, und du schweigst, so wird der Mann das für einen recht dicken Eigensinn, für Bosheit und Verschlagenheit ansehen und sein Herz von dir wenden. 11. Also: reden zur rechten Zeit, und schweigen zur rechten Zeit, aber allzeit voll Sanftmut, Liebe und Ergebung, das ist eines Weibes schönster Schmuck und ist ein gar liebliches Lebensflämmchen, ganz geeignet, jedes Mannes Herz zu beleben und ihn gleich sanft und weich zu machen! 12. Es gibt aber bei den Jungfräuleins eine oft sehr grell auftauchende Unart, und diese heißet Eitelkeit, welche nichts als ein recht gesundes Samenkorn des Hochmutes ist. Läßt ein Fräulein solches in sich aufschießen, so hat es schon seine himmlische Weiblichkeit verwirkt und sich der Gestalt des Satans sehr genaht. Ein eitles Fräulein ist kaum des Auslachens wert, ein stolzes und hochmütiges Weib aber ist ein Aas unter den Menschen und wird darum von jedermann mit Recht tief verachtet. 13. Daher sei du, Mein Töchterchen, weder je auch nur ein wenig eitel und noch weniger je stolz und hochmütig, so wirst du unter vielen glänzen wie ein schönster Stern am hohen Himmel! – Hast du das alles wohl aufgefaßt und begriffen?“ 14. Sagt die Jarah: „O ja; aber nur werde Du mir nicht gram darum, weil ich wirklich recht dumm war!“ 15. Sage Ich: „Sei nur ruhig darum! – Nun kommt Markus wieder und die Seinen, und wir werden sehen, was die uns allen erzählen werden!“ 16. Als die Jarah sich zufrieden gibt und besonders über den Punkt Eitelkeit sehr nachzudenken beginnt, kommt Markus abermals mit seiner ganzen Familie zu Mir, und sein Weib und seine Kinder fangen an, Mich über alle die Maßen zu loben und zu preisen. 17. Ich aber segne sie und heiße sie sich zu erheben vom Boden, und sage zum Weibe und zu den Kindern: „Worin das bestehet, wodurch ihr euch Meines Wohlgefallens für immer werdet versichern können, sowie auch Meiner jedesmaligen Hilfe, so ihr deren irgend besonders benötigen werdet, wisset ihr und ganz besonders Markus, der euch nachderhand in allem unterweisen wird. 18. Aber da ihr euch die ganze Zeit hindurch um Mein und Meiner Jünger materielles Wohl gar so unverdrossen und angelegentlichst bekümmert habt, so habe Ich euch alles, was ihr nun gesehen habt, zu einem Gegengeschenke gemacht und habe alles also eingerichtet, wie es zu eurem großen zeitlichen und auch ewigen Vorteile dienen kann. Aber nun lasset euch auch von dem Raphael alles zeigen, wie es zu gebrauchen ist; denn zu solch einem Besitze gehört auch das Wissen, ihn zweckdienlich gebrauchen zu können!“ 19. Hier berufe Ich den Raphael und sage zu ihm: „Gehe mit ihnen hin und zeige ihnen, alles ordentlich zu gebrauchen; und den zwei Söhnen zeige auch, wie sie die fünf besegelten Schiffe zu gebrauchen haben, und wie sie sich damit auch jeden Wind zunutze machen können! Dadurch sollen sie die ersten und besten Schiffahrer auf diesem ganzen Meere werden, und nach ihrer Art werden dann bald alle die Schiffe am großen Meere einzurichten sein, was den Römern gut zustatten kommen wird.“ – Darauf geschah schnell das, wozu Ich den Engel beauftragt hatte. 20. Ich sagte aber auch zum Cyrenius: „Laß du einige deiner offensten Diener mitgehen, auf daß sie auch etwas lernen für euren weltlichen Bedarf! Denn Ich will, daß alle, die Mir nachfolgen, in allen Dingen weise und tüchtig sein sollen.“ – Darauf beorderte Cyrenius sogleich nach Meinem Rate einige seiner Diener und ließ auch den Knaben Josoe mitgehen, weil der eine große Vorliebe zur Wasserfahrt hatte. Kapitel 11 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 11. — Der Nubier Ansichten über das Wunderwirken 1. Als auch dieses in der Ordnung war, trat wieder der Oubratouvishar zu Mir und sagte: „Du allein bist allmächtig über allmächtig! Siehe, ich und meine Brüder und Schwestern haben nun das Heil aller Menschen gesehen, die redlichen Herzens und eines guten Willens sind, die da sehen auf die Bildung des Herzens und des Gemütes und nicht vor der Zeit auf die des Verstandes, der eigentlich nur ein rechter Arm des Herzens sein soll. Dies ist und bleibt der allein richtige Weg des wahren Lebens und dessen Heiles, was wir Schwarzen alle wie ein geweckter Mann wohl einsehen und begreifen. 2. Aber bei aller unserer Lebensreife und Einsicht plagt uns nun dieses Wunder gar sehr, und es ist darum unter uns ein Hin- und Herraten darin entstanden, daß einige von uns meinen, solch ein Wunder könnte auch ein durch Deinen Geist ganz vollendeter Mensch zustande bringen. Andere wieder meinen: Solche Dinge hervorzubringen, sei für ewig nur Gott allein möglich; denn dazu gehöre ein allmächtiger Gotteswille, den nie ein geschaffener Geist für sich haben könne, weil er kein unendlicher, sondern nur ein höchst beschränkter Geist ist. 3. Sie sagen weiter und meinen, man merke das schon an den Kreaturen dieser Erde. Je größer sie würden, mit desto mehr Kraft und Macht träten sie auf, und je kleiner sie seien, desto geringer sei auch ihre Kraft. Man erzählt sich bei uns von einstigen Riesenelefanten, gegen welche die auf Erden nun vorkommenden nur kleine Affen wären. Diese Tiere sollen eine solche Kraft innegehabt haben, daß sie mit ihrem Rüssel die stärksten Bäume zu entwurzeln gar leicht imstande waren. Wenn denn aber schon auf dieser Erde eine Kreatur, je größer sie ist, in einer desto größeren Kraft auftrete, um wieviel mehr des Unterschiedes müßte man dann erst bei den Geistern, als der Grundbedingung der Kraft in den mannigfachen Kreaturen, merken! Was demnach Dir als dem urewigsten Geiste möglich sei, weil Du allein von der allerunendlichsten Größe seist, das sei keinem endlich geschaffenen Geiste möglich, und daher also auch nicht möglich, solch ein Haus, solch einen Garten und solche herrlichen Schiffe hierherzuschaffen aus nichts! 4. Meine Meinung ist da selbst ein wenig gespalten; denn ich sagte zu ihnen, mich an die Meinung der ersteren haltend: In einem Momente ein Werk hervorzurufen, das aber auch Menschen – wenn auch mit vieler Mühe und Zeit – zustande brächten, dürfte Gott denn doch leichter möglich sein als ein anderes, das den Menschen für immer unmöglich bleiben wird und bleiben muß. 5. So können Menschen gar wunderbar herrliche und überaus große Gebäude mit der Zeit zustande bringen; aber alle Menschen der Erde können nicht einmal auch nur ein Moospflänzchen erschaffen, daß es wüchse, blühete und Samen trüge ganz tauglich zur Fortpflanzung, geschweige irgendeinen Fruchtbaum oder gar ein Tier, das sich frei bewegen, seine Nahrung suchen und seinesgleichen zeugen kann. 6. Solche Dinge aus nichts allein durch den allmächtigen Willen hervorzubringen, wird durch einen noch so vollendetsten Menschen wohl schwerlich je hervorzubringen möglich sein; denn dazu gehört mehr als die endliche Kraft eines sowohl der Zeit als dem Raume nach endlichen Menschengeistes. Aber Dinge, die er schon einmal als endliche, wenn auch mühsam, geschaffen hat, dürften dem ganz vollendeten Geiste eines Menschen wohl ganz füglich möglich sein, sie in einem Momente ins Dasein zu rufen. Es bliebe nur noch die Frage übrig, ob für bleibend oder ob nur auf wenige Augenblicke allein für die Erscheinlichkeit bei einer Gelegenheit, bei der man ohne alle Selbstliebe bloß zur Verherrlichung Deines Namens den Blinden ein rechtes Licht zu geben bemüht wäre! 7. Wolltest Du, o Herr, mir darüber nicht einen ganz richtigen Bescheid geben? Habe ich recht, oder die andern? Ich würde dich mit dieser Frage sicher nicht belästigt haben, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß Dir nun eine kleine Muße – natürlich ganz durch Deinen höchst eigenen Willen – gegönnt ist. So Dein heiliger Wille es demnach Dir gestattete, mir auf meine Frage einen für ewig gültigen Bescheid zu erstatten, so wäre uns allen auch das eine übergroße Gnade, für die wir Dir nie zur Genüge danken könnten.“ Kapitel 12 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 12. — Von der Rechthaberei 1. Sage Ich: „Ja, du Mein sehr lieber Freund, da wird es Mir sehr schwer werden, dir oder deinen etwas anders meinenden Gefährten recht zu geben! Denn stelle dir einen Stock vor, der etwas locker in der Erde steckt; dieser soll, um dann etwas fest anhängen zu können, mittels einiger Holzschlägelschläge fester ins Erdreich getrieben werden. Es kommen aber zwei etwas ungeschickte Zimmerleute, noch sehr Jünger ihrer Kunst, hinzu, und einer, der sich für tüchtiger erachtet, sagt zu seinem Gefährten: ,Bruder, gleich ist zwar unsere Kunstfertigkeit; aber dennoch gib mir den Schlägel, auf daß ich den ersten Hieb führe auf des Stockes Haupt! Denn mir ist das sehr eigen, den Nagel auf den Kopf zu treffen!‘ – ,Gut‘, sagt der andere, ,laß sehen, wie du der Nägel Köpfe gar so treffend zu behandeln imstande bist!‘ Darauf nimmt der erste den Schlägel und führt einen kräftigen Hieb. Er trifft den Stock, aber nur auf der linken Seite streifend, was den Stock durchaus nicht fester gemacht hat. Darüber lacht sein Kollege und sagt: ,Gib nur wieder mir den Schlägel; denn mit solcher Bearbeitung seines Kopfes wird der Stock wohl nimmer fester als zuvor in der lieben Mutter Erde stecken!‘ Spricht der, der den Stock nicht auf den Kopf getroffen hatte: ,Da, nimm den Schlägel und versuche du dein Glück!‘ Nun führt auch dieser einen allerkräftigsten Hieb, trifft des Nagels Kopf aber auch nicht, sondern streift ihn auf der rechten Seite. Und es entspinnt sich nun unter beiden ein Streit darum, welcher von ihnen etwa doch den besseren Hieb geführt habe. Daß darüber die beiden nicht leicht einig werden, ist begreiflich; denn wo zwei untereinander zu streiten anfangen, da nimmt der Streit nicht eher ein Ende, als bis ein Stärkerer und Geübterer hinzukommt und den beiden Streitern ums Recht zeigt, wie man den Nagel auf den Kopf trifft. Nachher geht es bei den beiden auch; aber ohne den dritten hätten die beiden wohl noch einige Zeit lang bloß darum gestritten, wer von ihnen den besseren Hieb geführt habe, ob der Streifhieb nach links besser war denn der nach rechts. 2. Und siehe, gerade also steht es mit eurem Streite, und Ich muß am Ende der dritte sein, der eurem Weisheitsstreite dadurch ein Ende macht, daß er den Nagel vor euch auf den Kopf trifft, ansonst ihr unterwegs zu einem blutigen Streite gelangen könntet, und das alles darum, ob der verfehlte Streifhieb nach links besser war als der ebenso verfehlte nach rechts! 3. Also weder du noch deine Gefährten habt in bezug auf das zustande gebrachte Wunder, und ob ein solches ein geistig ganz vollendeter Mensch auch zu bewirken imstande wäre, die Wahrheit gefunden, sondern kaum nur an dieselbe nach links und rechts gestreift! 4. Nun, daß Ich den Nagel wohl auf den Kopf treffen werde, das ist sicher und gewiß; aber bevor Ich noch darin für euch den sichern Hieb führen werde, mußt du hingehen zu deinen Gefährten und ihnen sagen, daß da weder die links noch die rechts meinende Partei recht hat, sondern eine jede kaum an die Wahrheit gestreift ist. Ihr müßt euch zuvor darin vergleichen, daß ihr völlig nichts wisset und verstehet in dieser Angelegenheit. Dann erst komme, und Ich werde dir dann kundtun, was da wahr und recht ist zu wissen und zu denken in dieser Sache!“ 5. Mit dem geht der schwarze Anführer wieder zu seinen Gefährten und sagt ihnen alles. Diese aber sagten recht klug: „Es ist ganz recht, wohl und gut, daß der Herr Selbst uns gegeben hat diesen Bescheid; denn er taugt nicht nur für jetzt, sondern für alle künftigen Zeiten. Wie oft kam es schon unter uns vor, daß einer eine Sache so, und ein zweiter anders und ein dritter noch verschiedener anders beurteilte! Wer von den dreien hatte denn der vollen Wahrheit gemäß recht geurteilt? Gar keiner hatte den Stock auf den Kopf getroffen, vielleicht oft kaum gestreift! Es mußte endlich durch einen allgemeinen Rat und durch die Mehrheit der Stimmen entschieden werden, wer da in der Beurteilung einer Sache oder einer Handlung recht habe; und da geschah es sicher nicht selten, daß gerade derjenige von der Stimmenmehrheit das Recht zuerkannt bekam, der seinen Hieb am fernsten vom Stocke geführt hatte. Hätten wir damals schon solch weisesten Wink von jemandem erhalten, wie viele unnötige Zänkereien wären da hintangehalten worden! Aber so hatten wir diesen heiligen Wink nicht und gerieten oft in Zank und Hader bloß darum, weil ein jeder von uns der Weiseste sein wollte. 6. Aber es hatte das doch auch wieder sein Gutes; denn dieses ewige Zanken hat unsern Durst nach einer reinen Wahrheit stets mehr und mehr geweckt. Ohne diesen hätten wir fürs erste dich, Oubratouvishar, sicher nie zu unserem Wegweiser erwählt; ohne dich aber wären wir nie nach Memphis, und ohne Memphis noch weniger je hierher gekommen, wo wir nun gar die allerreinste Wahrheit aus dem Munde Dessen vernehmen können, der der ewigste Urgrund alles Lebens, alles Seins und aller Dinge ist. Gehe nun hin und entrichte unser aller innigsten Dank für den an uns alle gerichteten göttlich weisesten Wink, den wir durch die Tat von Nachkommen zu Nachkommen allerlebendigst und wahrhaftigst ehren wollen und werden! Keinen Zank darum unter unverkennbaren Brüdern!“ Kapitel 13 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 13. — Die Möglichkeit, Größeres zu wirken als der Herr 1. Mit diesem Bescheide kam der Anführer, begleitet von seinem Diener, zu Mir und wollte Mir buchstäblich kundtun, was seine Gefährten zu ihm geredet hatten. 2. Ich aber sagte zu ihm: „Freund, dessen bedarf Derjenige, der der Menschen Herzen und Nieren prüft, nicht! Ich weiß schon so um alles, was deine Gefährten dir recht sehr klug anvertraut haben, und du kannst nun aus Meinem Munde erfahren, was da vollkommen Rechtens ist in eurer strittigen Sache. Siehe, höre und verstehe! 3. Wenn ein Mensch auf dieser Erde oder auch erst jenseits, was zumeist der Fall sein wird, die höchste geistige Lebensvollendung wird erhalten haben, so wird er bloß auch nur durch seinen freien Willen nicht nur das, was Ich nun tue vor euren Augen, und was da in allen Schöpfungssphären ist und geschieht, auch tun und entstehen und bestehen lassen können, sondern noch viel Größeres! Denn ein vollendeter Mensch ist erstens als Mein Kind eins mit Mir in allem, und nicht etwa nur im gewissen Sonderheitlichen, und muß, weil Mein Wille ganz auch der seine geworden ist, ganz natürlich auch alles das zu leisten imstande sein, was Ich Selbst zu leisten vermag. 4. Zweitens aber verliert deshalb kein noch so vollendeter Mensch seinen eigensten freien Willen, wenn er auch noch so willenseins mit Mir geworden ist, und kann deshalb nicht nur alles aus Mir heraus wollen, sondern auch ganz ungebunden frei aus sich heraus, und das wird dann ja doch ein offenbares Mehr über Meinen Willen hinaus sein. 5. Es klingt dir solches nun zwar ein wenig fabelhaft, und dennoch ist es also und wird auch für ewig dann also verbleiben. Damit du aber das ganz klar einsehen magst, will Ich die Sache noch ein wenig heller machen durch die Aufmerksammachung auf eine Sache, die dir von Memphis aus nicht mehr völlig fremd ist. 6. Du hast in Memphis bei eurem ersten Dortsein, und zwar beim Obersten, dem weisen Justus Platonicus, mehrere Arten Spiegel gesehen, aus deren höchst geglätteter Oberfläche dir dein Ebenbild entgegenstrahlte. 7. Der Oberste aber zeigte dir am Ende auch einen sogenannten magischen Spiegel, in welchem du, dich über Hals und Kopf verwundernd, dich selbst um vieles größer erschautest, als du für deine Größe in der Natur bist. 8. Der Oberste zeigte dir aber auch noch eine andere Eigenschaft dieses Spiegels. Er ließ nämlich die Sonne hineinscheinen und zündete dann im überaus lichten Brennpunkte, der so beiläufig eine gute halbe Mannslänge außerhalb der von allen Seiten gegen die Mitte eingebogenen Fläche sich befand, allerlei brennbare Dinge an, was dich in ein noch höheres Erstaunen versetzt hat. 9. Nun frage Ich dich, wie denn das möglich war? Wie ging denn das zu, daß der vom sogenannten magischen Spiegel zurückgeworfene Strahl der Sonne eine viel größere Wirkung zustande brachte als die Sonne mit ihren geraden, ungebrochenen Strahlen? Und doch war der Strahl aus dem magischen Spiegel kein anderer als einer aus einer und derselben Sonne! 10. Der Spiegel blieb dabei sicher ganz kalt! Ja, woher nahm denn hernach der Strahl solche das natürliche, freie Sonnenlicht so weit übertreffende Wirkung? Du siehst doch so manches ein und wirst mir da auch irgendeinen Grund angeben können, wenigstens insoweit, als dir solchen der Oberste anzugeben imstande war!“ 11. Sagt der Anführer: „O Herr, Du weißt wahrlich, wahrlich um alles! Ja, es ist wahr, der Oberste in Memphis hatte uns solche Spiegel gezeigt und auch ihre mannigfache Wirkung; aber mit seinen Erklärungen darüber war ich, geradeheraus gesagt, am allerwenigsten zufrieden. Er schien da stark neben Deinem Stocke, denselben nicht einmal streifend, den Hieb geführt zu haben. Kurz, je länger er mir zwar mit allem Eifer die Sache aufzuhellen suchte, desto dunkler war es bei ihm und mir. 12. Nur das einzige schien mir richtig, daß solch ein eingebogener Spiegel die Eigenschaft habe, die von der Sonne ausgehenden Strahlen zu verdichten, und täte dasselbe in einem viel dichteren und gediegeneren Grade, als so man viele ganz ebene Spiegel, die die Sonne in ihrer ganz natürlichen Größe, wie sie unserem Auge erscheint, zeigen, also aufstellen würde, daß aller Strahlen auf einem und demselben Flecke zusammenkommen müßten, welcher Fleck dann auch um vieles heller leuchten würde, als der Lichtfleck nur aus einem einzigen Ebenspiegel gehend. Und das sei denn eine offenbare Verdichtung des Sonnenlichtstrahles, und die Erfahrung zeige es, daß die Steigerung des Lichtes auch eine gleiche Steigerung der Wärme und Hitze zur Folge habe. So etwas ließe sich zwar nach der Meinung des Obersten nimmer genau berechnen; aber es ist dennoch das von ihm Gesagte der vielfachen und wohlerprobten Erfahrung nach sicher. 13. Das, o Herr, ist nun aber auch schon alles, was ich als Besseres aus des Obersten Munde vernommen habe. Was ich aber daraus etwa für einen weiteren guten Schluß ziehen sollte oder könnte, dazu sind die Erkenntniskräfte meiner Seele zu gering, und ich bitte Dich darum abermals, daß Du mir Lichtlosem ein wahres, verdichtetes Licht in meine Seele gießen möchtest, sonst wird es in ihr ebenso dunkel sein, als wie dunkel und schwarz da ist meines schlechten Leibes Haut durch und durch an meinem Fleische!“ Kapitel 14 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 14. — Das Wunderwirken des in Gottes Willen eingegangenen Geistesmenschen 1. Sage Ich: „Nun wohl denn, und so höre Mich! Ich bin die Sonne aller Sonnen und aller Geisterwelten und der auf ihnen befindlichen Wesen aller Art und Gattung. 2. Wie aber diese irdische Sonne mit ihrem Lichte und mittels desselben erregter Wärme in alle auf einem Erdkörper wohnenden Wesen und auf den Erdkörper nur in einer gewissen abgemessensten Ordnung einfließt und dadurch den ganzen Erdkörper sichtbar naturgemäß belebt, ebenso auch fließe Ich in der ewig strengsten, und gemessensten und von Mir aus unwandelbarsten Ordnung in alles, was von Mir geschaffen ist, ein; und es kann darum die Erde nicht mehr Erde sein und werden, als sie ist, der Feigenbaum nicht noch mehr Feigenbaum, der Löwe nicht noch mehr Löwe, und so bis zum Menschen herauf kann keine Kreatur mehr oder auch weniger in ihrer Art und Gattung werden, als wie und was sie ist. 3. Nur der Mensch allein kann seelisch und geistig noch fort und fort mehr und mehr Mensch werden, weil ihm von Mir aus das unvertilgbare Vermögen erteilt ist, stets mehr von Meinem geistigen Lebenslichte durch die Befolgung Meines ihm kundgemachten Willens in sich aufzunehmen und für alle Ewigkeiten zu behalten. 4. Nun, wenn der Mensch so ganz ordentlich nach dem Gesetze lebt, aber dabei weder nach etwas besonders Höherem strebt, sich aber aus seiner einmal angenommenen Ordnung auch nicht für etwas Niedereres gebrauchen läßt, also für die Welt so ein ganz tadelloser Mensch ist, da gleicht er einem Ebenspiegel, der das Bild der Sonne auf seiner Glattfläche weder vergrößert noch irgend verkleinert. Er wird darum auch jede Sache so ganz natürlich einsehen und damit ein ganz gewöhnliches Gedeihen in allen Dingen erzielen. 5. Ein Mensch aber, der wegen ein bißchen Lichtes, das er sozusagen gerade irgendwo erschnappt hat, unter den ganz Lichtlosen in einer oder der andern Sache viel Aufhebens macht und tut, als wäre schon gerade er selbst der erste Erfinder der Urweisheit, und alle andern für dumm über dumm hält, – ein solcher Mensch bläht sich auf und gleicht einer Kugel, deren Oberfläche sehr glatt poliert ist und dadurch eine nach außen hinausgebogene Spiegelfläche abgibt. 6. Auf einer solchen Fläche wirst du zwar das Bild der Sonne auch noch widerstrahlend erschauen, aber ganz klein, und du wirst nichts mehr merken von einer Wärme. Bei diesem zurückstrahlenden Schimmerlichte wird sich ewig nichts entzünden, und wäre es selbst ein allerleichtest entzündbarer Naphthaäther! Das tut der Hochmut der Seele, so sie sich auf etwas höchst wenig Sagendes sehr viel einbildet. Und je mehr eine solche Seele da ihre Einbildung erhöht, desto ordentlich spitzrunder wird ihr Spiegel und desto kleiner das Abbild der geistigen Sonne auf solcher nahe spitzrunden Erkenntnis- und Wissensspiegelfläche. 7. Diese zwei nun bezeichneten Menschengattungen werden nicht stets mehr Mensch, sondern die letztbezeichnete nur stets weniger. 8. Aber nun kommt eine dritte, freilich etwas selten gewordene Menschenart! Sie ist äußerlich äußerst gefällig, dienstfertig, geduldig, sanft, bescheiden und voll Demut und Liebe gegen jedermann, der ihrer Dienste benötigt. 9. Diese Art gleicht unserem magischen, nach innen eingebogenen Spiegel. Wenn das Licht des Lebens und des Erkennens aus Mir auf solch einen Seelenspiegel fällt, so wird dessen ins irdische Tatenleben herüber zurückstrahlendes Licht das Gemüt und den eigenen freien Willen für alles Gute, Liebe, Schöne, Wahre und Weise erbrennen machen, und alles, was unter den Brennpunkt des vielfach verdichteten Geisteslichtes fällt, wird höchst klar erleuchtet und durch des innern Lebens hohen Lebenswärmestand schnell in seiner ganzen Fügung entfaltet. Und der Mensch mit solch einem Seelenspiegel erkennt dann bald in größter und lebendigster Klarheit Dinge, von denen ein gewöhnlicher Mensch wohl nie einen Traum haben kann. 10. Ein solcher Mensch wird dann auch stets mehr und mehr Mensch; und je mehr und mehr Mensch er wird, desto vollendeter wird er auch in sich. Und wenn mit der gerechten Weile sich sein Lebensspiegelumfang oder – durchmesser mehr und mehr ausgedehnt und an Tiefe gegen das Lebenszentrum zugenommen hat, so wird der nach außen wirkende und um vieles größer und lichtdichter gewordene Brennpunkt auch sicher noch um vieles Größeres bewirken als Mein für alle Kreatur genauest abgegrenztes Sonnenlicht, von dem auf dem ordnungsmäßigen und natürlichen Wege nie ein gewisses außerordentliches Mehr zu erwarten ist und man nicht annehmen kann, daß der Sonne ganz natürliches auf diese Erde fallendes Licht je einen Diamanten schmelzen wird, wohl aber der verdichtete Lichtstrahl aus einem großen sogenannten magischen Spiegel. 11. Gerade also aber verhält es sich denn auch mit einem höchst vollendeten Menschen, von dem Ich früher gesagt habe, daß er noch Größeres leisten werde denn Ich. Ich leiste nur alles nach der von Ewigkeit her genauest abgewogenen Ordnung, und es muß die Erde in der bestimmtesten Entfernung von der Sonne ihre Bahn halten, in der sie im allgemeinen stets unter einem gleichen Lichtgrade steht. 12. Ich kann somit wohl leicht einsichtlich nie irgendeinmal des Wissens oder etwa gar eines Scherzes halber mit Meines Willens Allmacht diese oder eine andere Erde ganz knapp an die Sonne hinsetzen; denn ein solcher Versuch würde diese ganze Erde ehest in einen puren weißlichblauen Dunst verwandeln. 13. Aber ihr Menschen könnet durch derlei Spiegel auf dieser Erde der Sonne zerstreutes Licht auf einen Punkt zusammenziehen und dessen Kraft an kleinen Teilen der Erde versuchen und tuet dadurch schon, nur ganz naturmäßig betrachtet, mit dem Lichte aus der Sonne ein Mehreres und Größeres denn Ich, – um wieviel mehr mit Meinem Geisteslichte aus dem vollkommensten Demutshohlspiegel eurer Seele! 14. Ja, Meine wahren Kinder werden Dinge zustande bringen und Taten vollziehen in ihren kleineren Bezirken, die an und für sich offenbar in dem Verhältnismaße Meinen Taten gegenüber größer sein müssen, weil sie nebst der vollendeten Erfüllung Meines Willens auch nach ihrem freiesten Willen, in dem sich Mein Licht bis zu einer unaussprechlichen Potenz verdichten kann, zu handeln vermögen und dadurch in einem kleinen Bezirke mit der allerintensivsten Feuermacht Meines innersten Wollens Taten verrichten können, die Ich der Erhaltung der ganzen Schöpfung wegen nie verrichten darf, wenn Ich es freilich wohl auch könnte. 15. Kurz, Meine wahren Kinder werden sogar mit jenen Kräften Meines Herzens und Willens ordentlich herumspielen können, die Ich in engster Beziehung noch so wenig je in eine tatsächliche Anwendung gebracht habe, als Ich je diese Erde einmal darum ganz knapp an die Sonne hingeschoben habe, um einige Bergspitzen des Scherzes wegen an ihrer für euch unaussprechlichen Hitze abzuschmelzen, was nicht möglich wäre, ohne gleich die ganze Erde mit in den alten Äther zu verwandeln. Was Ich sonach weder im Großen und noch weniger im Kleinen tun darf, das können Meine Kinder mit den magischen Spiegeln einmal schon natürlich und dann um so mehr geistig verrichten! 16. Verstehest du, Mein lieber Freund, nun so ganz gut, wahr und recht, was Ich dir nun über deine Fragen Erklärliches gesagt habe? Bist du nun zufrieden, oder hast du noch irgendwo einen Zweifel unter deiner schwarzen Haut?“ Kapitel 15 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 15. — Der Herr tröstet die nicht zur Gotteskindschaft berufenen Nubier 1. Sagt der Anführer: „Ja, Herr, mir ist nun alles klar, und meine Seele fühlt sich nun wie ganz in allem völlig daheim zu sein! Aber ich merke es bei Deinen Jüngern, wie sie zumeist alle dieses Bild von den drei Spiegelgattungen durchaus nicht recht zu fassen scheinen! Ich danke Dir innigst für solche Deine Aufhellung, die allen meinen Lebensgefühlen vollkommen entspricht; aber wie gesagt, es ist mir unangenehm zu sehen, wie gerade diejenigen dies alles am wenigsten zu verstehen scheinen, die es als eigentlich zur Kindschaft Berufene am meisten verstehen sollten!“ 2. Sage Ich: „Das kümmere dich wenig oder gar nicht! So du es verstehst, was kümmert's dich weiter? Diese werden es dann schon verstehen, wenn es an der Zeit für sie sein wird; denn sie werden noch länger um Mich sein, während ihr morgen in euer Land ziehen werdet! 3. Es ist ja doch wohl eine gute Sitte von alters her bei allen Völkern, daß der fremde Gast eher bedacht werde denn die Kinder des Hauses. Die Kinder werden darum nicht zu kurz kommen! Euch war diese Sache vorderhand leicht verständlich zu machen, weil ihr mit dem Wesen der Spiegel schon bekannt waret; aber von Meinen wahren Jüngern und Kindern hat noch nie einer einen andern Spiegel gesehen als allein den einer ruhigen Wasseroberfläche. So Ich ihnen aber diese Sache näher werde erläutern wollen, da werde Ich Mir wegen der leichteren Verständlichung ebenso leicht die betreffenden Spiegel zu verschaffen verstehen, als wie Ich Mir das Menschengehirn zu verschaffen verstand, und wie Ich es verstand, dem alten Markus dieses neue Haus mit allem Zubehör zu verschaffen. 4. Es sei dir darum Meiner Jünger und Meiner wahren Kinder wegen nicht bange; denn Ich Selbst gebe dir die Versicherung, daß sie alle nicht zu kurz kommen werden. Denn die Fremden kommen wohl und gehen wieder; aber die Kinder bleiben im Hause! – Hast du auch dieses verstanden?“ 5. Sagt der Anführer: „Ob ich's verstanden habe, – aber heiterer ist darum meine Seele nicht geworden; denn es klang aus Deinem Munde gar so entfernt, mit dem Namen ,Fremde‘ benamset zu werden! Aber wir werden es ewig nicht ändern können, was Du von Ewigkeit her schon einmal also bestimmt hast, und sind Dir als Fremde aber dennoch aufs liebeglühendste dankbar für alle diese auch nie verdienten übergroßen Gnaden, die Du uns nun erwiesen hast!“ 6. Hier treten dem Anführer Tränen in die Augen, wie auch seinem Diener, und die Jarah sagt zu Mir ganz heimlich: „Herr und Vater aller Menschen, siehe, die beiden Schwarzen weinen!“ 7. Ich aber sage: „Das macht nichts, Mein liebstes Töchterchen; denn eben dadurch werden sie zu Kindern Meiner Kinder, die auch nicht aus dem Hause des Großvaters gestoßen werden!“ 8. Als die beiden Schwarzen solche Worte aus Meinem Munde vernommen hatten, sanken sie vor Mir auf ihre Knie und schluchzten laut, aber nur aus Freuden. 9. Und nach einer Weile rief der Anführer laut aus: „O Gott voll Gerechtigkeit, Weisheit, Liebe, Macht und Erbarmung, mit der größten Zerknirschung meines ganzen Wesens danke ich Dir in meinem und in meines Volkes Namen, daß wir uns wenigstens Kinder Deiner Kinder nennen dürfen!“ 10. Sage Ich: „Sei ruhig, du Mein Freund! Den Ich annehme, der ist Mir kein Fremder mehr! Du siehst die Erde, wie sie voller Berge ist, und es gibt darunter hohe und niedere. Die hohen sind zwar die ersten und eigentlichen Ursöhne der Erde, und die niederen sind erst nach und nach als Absitzlinge der hohen entstanden, – und siehe, während die allerersten und allerhöchsten ihre Häupter mit ewigem Schnee und Eise schmücken, säugen die niederen Nachkömmlinge fortwährend die Milch der Liebe aus der Brust der großen Mutter! 11. Ich sage es euch: Wer Liebe hat und Liebe tut, der ist Mein Kind, Mein Sohn, Meine Tochter, Mein Freund und Mein Bruder! Wer aber die Liebe nicht hat und also auch nicht nach ihr tut, der ist ein Fremder und wird als solcher behandelt. So Ich dich aber Meinen Freund nenne, da bist du kein Fremder mehr, sondern gehörst zu Meinem Hause durch Mein Wort, das du in dein Herz treulichst aufgenommen hast. Gehe aber nun getrost hin und verkünde das alles deinen Brüdern!“ 12. Der Anführer begibt sich nun mit seinem Diener hin zu den Gefährten und verkündet ihnen alles, was er nun von Mir vernommen hat, und alle fangen förmlich an zu jauchzen vor Freude über solch eine für sie so übertröstliche Nachricht. Wir überlassen sie nun ihrer gerechten Freude. Aber Cyrenius, der die Erklärung mit den Spiegeln auch nicht eben zu klar aufgefaßt hatte, obwohl er von den verschiedenen Spiegelgattungen einen ganz guten Begriff hatte, fragte Mich, ob Ich ihm darüber nicht etwas Näheres sagen wollte. Ich aber beschied ihn, sich darob ein wenig zu gedulden, da wir sogleich mit einer etwas traurig aussehenden Deputation aus Cäsarea Philippi zu tun bekommen würden. Und Cyrenius stellte sich damit zufrieden. Kapitel 16 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 16. — Die Deputation von Cäsarea vor Cyrenius 1. Als Ich solches kaum ausgeredet hatte, kamen schon ums alte Haus gebogen zwölf Männer daher; es waren sechs Juden und sechs Griechen. Die nun in einigen Hütten kampierenden Cäsaräer hatten nämlich durch ihre Hirten und Fischer die Nachricht überkommen, daß dem alten Fischer Markus ein großer Teil Landes vom römischen Statthalter wäre geschenkt und als sein volles Eigentum mit einer unüberwindbaren Mauer wäre umgeben worden. Die Cäsaräer hielten aber allen Grund weit und breit um die Stadt für ein Gemeindegut und wollten vom Cyrenius nun erfahren, mit welchem Rechte er sich am Eigentume der Stadt habe vergreifen können, da die Stadt davon stets sowohl an die Römer wie auch nach Jerusalem den Tribut entrichtet hätte. Ich hatte dem Cyrenius aber schon vorher geheim einen Wink ins Herz gelegt, und er wußte denn auch schon zum voraus, um was es sich da handeln werde, bevor noch jemand von der Deputation den Mund aufgetan, und war darum auch zur Genüge vorbereitet in dem, was er der höchst unbescheiden traurigen Deputation zu erwidern hatte. 2. Es trat denn nach allen gemachten Verbeugungen ein feiner Grieche namens Roklus zum Cyrenius hin, tat seinen Mund auf und sprach: „Allergerechtester, gestrengster und allerdurchlauchtigster Herr, Herr, Herr! Wir nahen uns dir in Anbetracht dessen, daß dem alten Krieger und nun Fischer Markus durch deine Munifizenz (Freigebigkeit) ein bedeutender Teil von unseren mit starkem Tribut belegten Gemeindegründen zum eingefriedeten Eigentume ist eingeantwortet worden. Dies haben wir vor einer Stunde durch unsere um das schöne Stück Landes traurigen Hirten in unsere noch trauriger aussehende Erfahrung gebracht. 3. Welch ein Unglück uns sonst so wohlhabende Cäsaräer getroffen hat, davon zeugen die hier und da noch dampfenden Ruinen. Wir sind nun im vollen Sinne des Wortes die elendsten Bettler von der Welt. Wohl dem, der bei dem mächtigen Brande etwas von seiner Habe zu retten vermochte! Uns armen Faunen ist solch ein Glück nicht möglich gewesen; denn das Feuer griff so schnell um sich, und wir und noch viele von uns mußten den Göttern noch sehr dankbar sein, daß wir mit dem nackten Leben davongekommen sind. Etwas Vieh ist nun unsere ganze Habe, wir sind nun wieder Nomaden geworden; aber wie selbst diese letzte Habe erhalten, wenn deine Munifizenz gegen eingeborene Römer uns unsere besten Gründe wegnimmt und sie denen als volles, unantastbares Eigentum einfriedet, die das Glück haben, in deiner hohen Gunst zu stehen?! 4. Wir wollen dich demnach nur bittend fragen, ob der nun so überglücklich gewordene Markus an uns eine Entschädigung zu leisten haben wird oder nicht! So ganz ohne Entschädigung wäre in dieser unserer gedrücktesten Lage diese Wegnahme wohl etwas, was die Geschichte der Menschheit schwerlich irgendwo und -wann aufzuweisen hätte. – Allerhöchster Herr, was haben wir Armen zu erwarten?“ 5. Sagt Cyrenius: „Was redet ihr, und was wollet ihr unverschämten Halbmenschen?! Dieser Grundanteil hat seit fünfhundert Jahren zu diesem Berge und zu dieser Fischerhütte gehört und war völlig wertlos, weil er eine pure Sand- und Schottersteppe war. Es gehörten aber noch zwanzig Morgen Landes hierher, die nicht eingefriedet und somit der Stadtgemeinde zur freien und beliebigen Benutzung überlassen wurden. Zudem habt ihr euch als komplette Arme und Bettler nun bei mir aufgeführt, die aller ihrer Habe bar geworden sind! Was soll ich aber nun zu solch eurer boshaften Lügenhaftigkeit sagen?! Wohl weiß ich, daß euch eure Stadthäuser durchs Feuer zerstört worden sind, und weiß genau, wie hoch sich euer Schaden beläuft; aber ich weiß auch um eure großen Besitzungen in Tyrus und Sidon, und weiß, daß eben du, Roklus, dort so viel der Schätze besitzest, daß du dich mit mir ohne weiteres messen könntest! Und ebenso sind alle die elf, die nun mit dir hierhergekommen sind! 6. Ihr zwölfe habt noch so viel der Schätze und Reichtümer, daß ihr allein die durchs Feuer zerstörte Stadt wenigstens zehnmal von neuem aufbauen könntet; und doch kommet gerade ihr, beklaget euch der Armut und wollet mich eines Unrechtes beschuldigen, weil dem alten Markus, der in jeder Fiber seines Lebens ein Ehrenmann ist, sein blankes und rechtmäßigstes Eigentum von dem eurigen abgesondert wurde! Saget, mit welchen Namen ich euch belegen soll! 7. Gehet hin und besehet den Grund, der über der Gartenmauer noch als volles Eigentum des Markus sich befindet! Es sind noch gut über zwanzig Morgen Landes. Ich verkaufe ihn an euch um zehn Silbergroschen. Wenn ihr findet, daß er es wert ist, dann erleget die zehn Groschen, und der Grund gehört euch! Ein schlechteres Klebah (Erdscholle) gibt es außer auf Saharia in Afrika nicht auf der lieben, weiten Erde; denn außer Sand und taubem Steingeröll und hie und da eine verkümmerte Distelstaude werdet ihr nichts finden! 8. Ihr aber seid reiche Leute, könnet Erde von weit her bringen lassen und damit diese kleine Wüste überlegen und zum fruchtbaren Lande machen! Auch könnet ihr von weit her eine sehr kostspielige Wasserleitung anlegen, um das also kultivierte Landstück in hier gewöhnlich trockenen Sommern recht tüchtig bewässern zu können, und ihr habt dadurch ein recht ertragbares Stück Landes in euren rechtmäßigen Besitz gebracht! Aber mit solch euren allerunbegründetsten Ansprüchen werdet ihr bei mir ewig nichts ausrichten, und ich werde es euch faktisch beweisen, daß nach eurer gegenwärtig allerungerechtesten Petition stets nur der Mächtigere das Recht für sich hat! – Was wollet ihr nun tun?“ 9. Sagt Roklus, stark eingeschüchtert durch die energische Sprache des Oberstatthalters: „Herr, Herr, Herr! Wir sind es nicht selbst, die da sucheten ein Recht für sich, sondern wir sind nur Repräsentanten derjenigen, die in der zerstörten Stadt im vollsten Ernste ein gar jämmerliches Dasein fristen. Wir haben für sie schon viel getan, und die ganze, nun ganz verarmte Stadtgemeinde hat uns aus Dankbarkeit nur alle die umliegenden Gründe zum vollen Eigentum eingeantwortet und sagte uns, daß auch diese Gründe am Meere ihr Gemeineigentum seien! 10. Wenn also, dachten wir, da kann es uns durchaus nicht gleichgültig sein, daß sich unbefugtermaßen jemand einen Teil davon nimmt, kultiviert und den kultivierten Teil gleich mit einer unüberwindlichen, allerfestesten Mauer einfrieden läßt, und das in einer wahrhaft zauberhaften Schnelligkeit, – was natürlich euch kriegsgeübtesten Römern möglich sein kann, weil ihr im Felde nicht selten in wenigen Augenblicken ein Lager für hunderttausend Mann zu errichten verstehet! 11. Nun sich aber die Sache ganz anders verhält, so stehen wir ganz einfach von unserer Forderung ab und begeben uns nach Hause! Die noch übrigen, außerhalb der Mauer liegenden zwanzig Morgen Landes kann sich der alte Biedermann auch noch dazu einfrieden lassen, und wir geben hiermit unsere Erklärung dahin ab, daß er weder je von uns noch von der Stadtgemeinde aus in seinem freien Besitze soll gestört werden. Aber das glauben wir doch, daß er an die Stadt wegen seines ausschließlichen Fischerrechts den altherkömmlichen Zehent fortan zu entrichten haben soll!“ 12. Sagt Cyrenius: „O ja, aber ihr müßt es erweisen, in welcher Zeit die Stadt dieses Recht ersessen hat! Mir ist in dieser Hinsicht kein Dokument bekannt, da ich seit meiner hiesigen, nun schon bei fünfunddreißig Jahre langen Dienstzeit davon nie etwas zu Gesichte bekommen habe. Denn erst unter mir ist der frühere Flecken zu einer Stadt erhoben worden, und zwar zu Ehren meines Bruders, der Rom über vierzig Jahre lang beherrscht hatte. Mir sind sonach alle die noch so kleinen Verhältnisse dieser eurer Stadt ungemein bekannt! Von einem von dieser Stadt rechtlich zu fordern habenden Fischzehent weiß ich nichts; wohl aber weiß ich, daß man solchen widerrechtlich von der Stadt aus gefordert hatte und mein Markus genötigt war, euch solchen stets zu entrichten, wofür er, so er schlecht wäre, eine vollgültige Rückerstattung verlangen könnte, was er jedoch nicht tun wird, weil er ein zu ehrlicher und zu echt guter Mensch ist. Aber daß er in der Folge an euch keinen solchen ganz widerrechtlichen Zehent entrichten wird, dafür stehe ich euch! 13. Anstatt euch nun irgendein Recht einzuräumen, mache ich euch Deputierte dieser Stadt damit bekannt, daß ich laut meiner Macht, vom Kaiser ausgehend, den alten Markus zum Obersten über die Stadt und über ihr weites Umgebiet, mit aller Macht, die mir selbst eigen ist, ausgerüstet, setze, und daß in der Folge er allein über euch und alle eure Angelegenheiten das volle Recht zu sprechen haben soll und ihr alle an ihn den pflichtigen Tribut zu entrichten haben werdet! Das sage ich euch nun mündlich, er aber wird sich vor euch mit der Schrift, mit dem Stabe und mit dem Schwerte und mit der goldenen Waage der Gerechtigkeit ganz vollkommen gesetzlich ausweisen! Nur in ganz besonderen Fällen wird eine Berufung an mich zulässig sein, sonst aber wird er völlig alles zu schlichten haben! – Seid ihr damit zufrieden?“ Kapitel 17 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 17. — Die weise Gesetzgebung in Mathaels Königreich am Pontus 1. Sagt Roklus: „Zufrieden oder nicht zufrieden, – was wollen wir gegen eure Macht? Den ohnmächtigen Würmern muß ja alles recht sein; denn wehe ihnen, wenn sie sich nur ein wenig in ihrem Nichtigkeitsstaube zu rühren anfangen, so werden sie sogleich von den lustigen Vögeln aus der Luft bemerkt, gefangen und gefressen! Der Schwache muß ja dem Mächtigen gehorchen, wenn er leben will, und so werden auch wir dem nun Herrn Herrn Markus gehorchen müssen, so wir nicht gefressen werden wollen. Aber angenehm – um ganz aufrichtig zu reden – ist es uns durchaus nicht, daß dieser alte, schroffe Krieger über uns gebieten wird; denn das ist der allerrücksichtsloseste Mensch, der uns noch je vorgekommen ist. Rechtlich ist er, das kann niemand in Abrede stellen, und er hat laut seiner vielen Erfahrungen auch ein stets ganz gesundes und richtiges Urteil; aber im übrigen ist er der ungesellschaftlichste Mensch, und von einer Humanität ist bei ihm gar keine Rede! Na, na, es sei uns gratuliert, daß der unsere Behörde geworden ist! Wahrlich, da werden wir, unsere Kinder und Kindeskinder von guten Zeiten zu erzählen wissen! Auswandern wäre hier freilich das beste, – aber wohin?“ 2. Hier erhebt sich Mathael und sagt: „Gut, so ihr auswandern wollet, da wandert in nun mein Reich, das über Kleinasien hinaus am weiten Pontus liegt! Es ist ein großes Reich und von zwei großen Meeren begrenzt, im Westen vom Pontus und im Osten vom MARE CASPIUM (Kaspische Meer). Dort werdet ihr unter meinen aber wohl allerstrengsten Gesetzen ganz sicher und recht sehr ruhig zu leben haben. Nur das sage ich euch, daß in meinem Reiche auch nicht einmal ein Schein von einer ungerechten Handlung vorkommen darf, und eine jede Lüge wird auf das allerschärfste und unnachsichtlichste bestraft; aber der vollkommen rechtliche, wahrheitsliebende und von aller Selbstsucht freie Bürger soll unter meinem ehernen Zepter das beste Leben haben! 3. Niemand soll bei mir tributfrei sein; denn wer da eine Kraft zu einer oder der andern Arbeit hat, der soll nur arbeiten und sich etwas verdienen! Wer sich aber etwas verdient, der kann auch einen Tribut an den König entrichten, der stets für das Wohl des ganzen Reiches zu sorgen hat und daher stets mit vielen und großen Schätzen versehen sein muß, um eine Wehrmacht zu unterhalten, die stark genug ist, um irgendeinem kecken Feinde die Spitze bieten zu können. 4. Er, der mächtige König, muß Schulen und Zuchthäuser unterhalten und muß die Grenzen des Reiches mit starken, unüberwindlichen Festungen versehen, über die irgendein Feind nicht gar zu leicht springen kann, – wozu aber sehr viel Geld erfordert wird. 5. Ihr sehet aus dem, wie ein König gar strenge darauf sehen muß, daß ein jeder Mensch ihm den pflichtigen Tribut zahlt; und so könnet ihr nun schon in mein Reich überwandern, so euch die Verpflichtungen, die ich von jedem Untertan mit aller unnachsichtlichsten Strenge fordern werde, behagen! Meine Bewilligung habt ihr; sollte euch das Joch Roms unter der Verwaltung des alten Markus zu sehr drücken, dann wisset ihr nun schon, wohin ihr auszuwandern habt! 6. Um euch aber mit allen meinen Einrichtungen im allgemeinsten bekannt zu machen, so sage ich euch noch das, daß bei mir kein unbeschränktes Erwerbsrecht je jemandem gestattet wird. Jedermann steht es zwar offen, sich ein Vermögen zu sammeln; das aber die Zahl ,zehntausend Pfunde‘ niemals, sogar bei Todesstrafe, übersteigen darf. Alles, was jedermann irgend darüber erwerben würde, müßte er allergewissenhaftest an die allgemeine Staatskasse abführen; im Gegenfalle, der sich nach meiner Einsicht schnellst auffinden und erweisen läßt, wird der Übertreter dieses für das allgemeine Staatswohl aller meiner Völker so überaus heilsamen Gesetzes seines ganzen Vermögens verlustig erklärt und dazu noch mit anderen schärfsten Strafen belegt werden. 7. Zudem wird es auch niemandem gestattet, sich in einer zu kurzen Zeit die erlaubten zehntausend Pfunde zu erwerben; denn es ist nur zu einleuchtend, daß ein solcher Gewinn in einer zu kurzen Zeit ohne allerlei Betrug und andersartige gewaltsame Erpressungen nicht denkbar möglich ist, außer durch ein Geschenk oder durch eine Erbschaft oder durch einen möglichen Fund. 8. Bei Schenkungen, Erbschaften und Auffindungen aller Art aber besteht in meinem Reiche folgende höchst weise Anordnung, daß davon stets die Hälfte an die Staatskasse abzuliefern ist, aus welcher fürs erste die unmündigen Kinder erzogen und ernährt werden, wie auch andere arme, jeder Arbeit unfähige Menschen. Kurz, in meinem Reiche ist die Anordnung also getroffen, daß darin niemand Not leiden, aber auch niemand einen unnötigen Überfluß haben soll! Er müßte denn ein gar außerordentlich guter, weiser und allerrechtlichster Mensch sein, dann soll er auch über zwanzigtausend Pfunde zu gebieten haben, – über mehr aber schon niemand in meinem ganzen Reiche, außer mir und meinen allervertrautesten Beamten und Feldherrn! 9. Wenn ihr mit dieser meiner Staatseinrichtung zufrieden seid, so packet eure Sachen zusammen und übersiedelt in mein Reich!“ 10. Sagt Roklus: „O du feiner König des Pontus und des Mare Caspium, wir wünschen dir sehr viel Glück in deinem Reiche, werden aber von deinem löblichen Antrage dennoch keinen Gebrauch machen! Da sind wir schon lieber römische Sklaven denn deine allerersten Reichsuntertanen. Nein, so eine Staatseinrichtung könnte uns etwa so ein bißchen gestohlen werden! Die Mohren dort haben sicher eine menschlichere! Ist etwa noch so ein König irgend hier, der uns so einen herrlichen Antrag machete?! 11. Es mag sich zwar deine Regierung recht gut machen, so man sich derselben einmal so angewöhnt hat wie der Ochse an sein Joch; aber jetzt? Höre, da sollen noch eher zehn Städte über unsern Häuptern zusammenbrennen und zwanzig Markusse über uns gesetzt werden! Lebe wohl, du weiser König des eisgrauen Nordens!“ Kapitel 18 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 18. — Des Cyrenius und Roklus Rechtsstreit 1. Hierauf wendet sich Roklus wieder an den Cyrenius und sagt: „Herr, Herr, Herr, wo ist der Markus, nun unser Herr und Gebieter, auf daß wir ihm darbrächten unsere Huldigung?“ 2. Sagt Cyrenius: „Dessen hat es keine Not; denn mit einer Huldigung voll leerer Worte ist ihm nicht gedient, und anderer Schätze benötigt er nicht, da er mit derlei mehr denn zur Übergenüge ausgerüstet ist. 3. Die beste Huldigung aber wird ihm sein, daß ihr allzeit redlichen und offenen Herzens zu ihm kommet und ihm euer Anliegen vortraget; da wird er euch auch anhören und euch ein volles Recht verschaffen! Jede Lüge aber, die sein Scharfsinn augenblicklich entdeckt, wird er auf das strengste und unnachsichtlichste ahnden! Denn es ist des Kaisers und auch mein vollernstlicher Wille, die Lüge und den Betrug aus dem ganzen Reiche zu verbannen und nur allein die reine Wahrheit, gepaart mit der ebenso reinen und uneigennützigen Liebe, herrschen zu lassen über alle Menschen, die weit und breit Rom angehören; denn nur unter dem Zepter der Wahrheit und der Liebe können Völker wahrhaft glücklich leben. Und wer weiß es, ob es mir nicht gefallen wird, des nordischen Königs überaus weise Regierungsmaximen auch im römischen Reiche einzuführen; denn ich habe sie zu wahrem, brüderlichem Gedeihen der Menschen eines großen Reiches für überaus weise und zweckmäßig gefunden. 4. Durch solche weisen Beschränkungen muß Wahrheit und Liebe in einem Staate den Menschen zur zweiten, wahren und bessern Natur werden! Denn nach meiner nunmaligen Ansicht gibt nichts so sehr der Lüge, dem Betruge und der Selbstsucht Vorschub als der unbeschränkte Erwerb. Eine weise Beschränkung dieses wahren Vaters der Lüge, des Betrugs, der Selbstsucht, des Hochmuts, der Herrschgier und der geizigsten Hartherzigkeit ist wahrlich mit keinem Golde zu bezahlen, und ich werde diese Ansicht jüngst dem Kaiser zur Prüfung einsenden. Unterdessen aber werde ich wenigstens in meinem unumschränkten Regierungsgebiete diese nordische Regierungsweise sobald als tunlich einführen; denn wahrlich, sie ist wie von einem Gott gegeben weise!“ 5. Sagt Roklus: „Unweise ist sie gerade nicht, wo sie schon, wenn auch nur annäherungsweise, seit mehreren Hunderten von Jahren besteht; aber sie nun hier einführen wollen in diesen an allerlei Fürsten und Vierfürsten verpachteten Ländern, das wird sich so leicht nicht tun. Mit der absoluten Macht kann man zwar sehr viel ausrichten, aber alles dennoch lange nicht, weil ein Kaiser denn doch auch die Verträge, die er mit auch nicht ganz machtlosen Fürsten geschlossen hat, nicht von heute bis morgen umstoßen kann, sondern sie als ein von ihm ausgehendes und festgestelltes Recht respektieren muß so lange, bis ihre stipulierte (vereinbarte) Zeit abgelaufen ist oder die Kontrahenten die bedungenen Verbindlichkeiten entweder böswillig oder als leistungsunfähig nicht eingehalten haben, was nach der Art des gemachten und geschlossenen Vertrages denselben entweder ganz oder wenigstens zum Teil aufhebt! Solange sonach aber der Kaiser die Länder an gewisse Fürsten verpachtet und diese in ihren Landen auch für ihre Untertanen Gesetze zu geben das Recht haben, weil sie es teuer genug bezahlen, so lange muß der Kaiser das festgesetzte Recht auch respektieren. Wir alle leben wohl in einer gewissen Hinsicht unter römischen Gesetzen, so wir uns eines Verbrechens gegen den Staat schuldig machen, was bei uns wahrlich nicht der Fall ist; in allem übrigen aber sind wir unter den Gesetzen eines jeweiligen Pachtfürsten stehend, der uns in der bedungenen Pachtzeit gegen willkürliche Eingriffe des Kaisers in vollen Schutz zu nehmen hat. 6. Weißt du, hoher Herr, Herr, Herr, wir kennen den Standpunkt genau, auf dem wir stehen, und benötigen diesfalls keines Kommentars! Wir kennen unsere Verpflichtungen gegen Rom und die gegen unsere Fürsten. Bevor wir bei euch ein Recht suchen, gehen wir zu unserem Fürsten. Bescheidet der uns nach Rom, dann erst kommen wir zu euch. Daher glauben wir, daß es dir vorderhand etwa doch nicht zu leicht werden sollte, hier in ganz Palästina des nordischen Königs weise Regierungsnorm einzuführen!“ 7. Sagt Cyrenius, nun schon ein wenig in eine Art Hitze gebracht: „Du hast zwar einesteils recht, daß die Kontraktpunkte einzuhalten sind; aber an eines hast du nicht gedacht, daß sich nämlich der Kaiser in einem jeden Länderpachtkontrakte die unbedingte und augenblickliche Auflösung des Vertrages stets weislich vorbehalten hat, wenn er selber seiner Ansicht nach als der Regierung förderlich, für nötig erachten würde. Der Pächter hat in solchem Falle bloß eine einjährige Vergütung vom Kaiser anzuflehen, und dem Kaiser fällt von dem Augenblick der Bekanntmachung solches seines Willens an das Regiment des früher verpachteten Landes anheim, und jedermann hat sich dessen Gesetzen zu fügen. Es steht zwar dem Pächter das ihm gnädigst gewährte Recht zu, dem Kaiser eine Vorstellung dahin zu machen, daß er bei ihm belassener Pachtung sich jedes Rechtes entschlage, ein von ihm ausgehendes Gesetz zu geben, sondern ganz nach dem gegebenen kaiserlichen Gesetze seine Regierung fortführen werde, worauf der Kaiser ihm dann freilich den Pachtvertrag als fürder geltend erklärt, so er will; aber Zwang ist da keiner denkbar möglich, wohl aber die pure, freieste Gnade des Alleinherrschers. 8. Für Palästina bin sogar ich mit denselben Vollmachten gegen jeden Pächter versehen und kann jede Pacht sogleich völlig auflösen! Du bist demnach sehr irre, so du meinst, ein Kaiser werde sich irgend eines Rechtes begeben und also sich selbst die Hände binden. Oh, so weise ist sicher ein jeder Monarch, daß er niemandem ein Recht erteilt, das heißt in seinem Reiche, das er nach Umständen nicht bloß durch sein Wort schon im nächsten Momente gänzlich aufheben könnte! 9. Ein Kaiser kann alles, was er will, ausführen! Nur Wunder kann er natürlich nicht wirken und keine Welt erschaffen; sonst aber kann er schon alles zustande bringen, die alten Gesetze verwerfen und neue dafür schaffen, – ja er kann sogar die alten Götter samt ihren vielen Tempeln zerstören und dafür dem einen, wahren Gott einen neuen und allerherrlichsten Tempel erbauen, und niemand wird zu ihm sagen dürfen: ,Herr, Herr, Herr, was tust du?!‘ Und so kann er morgen schon des weisen Königs Gesetze in seinem ganzen Reiche ausrufen lassen. Wer wird sich denselben widersetzen wollen und können, ohne daß er erreicht würde von des mächtigen Kaisers Zorn?!“ Kapitel 19 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 19. — Die eigentliche Absicht des Roklus und seiner Gefährten 1. Sagt Roklus: „Ich sage ja nicht, daß des nordischen Königs Gesetze unweise oder gar ungerecht und grausam seien; nur für unsereinen wären sie nun denn doch ein wenig unbequem! Und ich meine darum doch, Rom, dir und dem alten Markus keine Unehre anzutun, so ich ganz festweg behaupte, daß mir Roms gegenwärtige Gesetze um sehr vieles lieber sind denn die sicher nicht unweisen des nordischen Königs, dessen Reich einer alten Sage zufolge gar bis ans Ende der Welt reichen soll und somit wohl das größte Reich der Erde sein wird. Ob es ihm aber möglich sein wird, seine weisen Gesetze allen Völkern seines weitesten Reiches nur zu verkünden, das ist eine ganz andere Frage! Wohl ihm und seinen Völkern, so er dazu imstande sein wird! – Nun erlaube mir aber noch eine ganz harmlose Bemerkung; denn so ich schon einmal offen sein muß, da bin ich gerne ganz offen und scheue jede Verdecktheit! 2. Du, hoher Herr, Herr, Herr, hast ehedem die Bemerkung gemacht, daß ein Kaiser keine Wunder wirken könnte und keine Welt erschaffen; aber dem scheint es wenigstens mir nicht völlig also zu sein. Denn dies neue Prachthaus des alten Markus, die große Gartenmauer, woran hundert der besten Maurer mindestens fünf Jahre vollauf zu bauen hätten, wenn man die Behauung der schönsten Granitquadersteine und ihre Herbeischaffung mit in den Anschlag nimmt, und endlich sogar die Versetzung eines so großen Gartens in den vollsten Kulturstand, und gar am Ende noch, wie ich nun erst bemerke, die Erbauung eines sehr großen und sicheren Hafens und mehrerer ganz neuer, großer Segelschiffe, was nach unserer genauen Bemerkung von einem Hügel der Stadt aus alles wie durch einen Zauberschlag auf einmal fix und fertig dastand, – ja, wenn das nicht Wunder wirken heißt, dann leiste ich auf alles Verzicht, was bei mir Mensch heißt, und will ein Krokodil sein! 3. Und weil ich denn nun schon einmal ohne Schiffbruch diesen zwar kleinen, aber dennoch sehr kitzligen Punkt berührt habe, so muß ich nun schon im Namen meiner elf Gefährten offen eingestehen, daß mein ganzes früheres, tolles Verlangen eigentlich bloß eine reine Finte war, um durch sie zu diesem Geheimnisse zu gelangen und zu erfahren, wie solches möglich war! Denn auf einem natürlichen Wege ist das alles unmöglich entstanden! Und so sage ich dir nun erst die Wahrheit, daß uns die Neugier auf Leben und Tod hierhergezogen hat! Wir alle dachten einstimmig, als wir das alles in Blitzesschnelle entstehen sahen: Da muß entweder ein Gott oder ein urindischer großer Magier zugegen sein, da so etwas mit natürlichen Menschenkräften doch unmöglich auszuführen ist! Wir entschlossen uns denn auch schnell, unter irgendeinem Vorwande hierherzueilen, um hinter das Wunder und dessen Meister zu gelangen. 4. Alle unsere früher vorgeschützte Rechtsangelegenheit ist eine reine Null, eine pure, nichtige Finte, um doch irgendeinen Anhaltspunkt zu haben, der sich ganz knapp um das entstandene Wunder dreht. Und siehe, die Finte war gut, da wir durch sie doch zum eigentlichen Grunde unseres Hierherkommens gelangten! Wir ersuchen dich nun demnach flehentlichst, uns darüber ein kleines Lichtlein zu geben, – koste es, was es wolle! Wir wollen dem guten, biedern, alten Markus nicht nur nichts wegnehmen, sondern verpflichten uns noch obendrauf, für ihn den andern, noch brachliegenden Grundanteil in den besten Kulturzustand auf unsere Kosten – und müßten wir das Erdreich aus Europa herbeischaffen! – zu setzen; aber nur hinter dies Wundergeheimnis laß uns blicken!“ 5. Sagt Cyrenius: „Ja, das hat nun mit euch freilich ein ganz anderes Gesicht, bei dem ihr offenbar besser fortkommen werdet als mit eurer früheren, höchst ungerechten Anforderung, mit der ihr bei mir wahrlich schlecht zum Teile gekommen wäret!“ 6. Sagt schnell Roklus: „Das wußte ich und wir alle recht gut, und das aus vieler Erfahrung! Du bist nun schon stark über die dreißig Jahre unser allergerechtester und zugleich gütigster Gebieter, und wir kennen dich und alle deine schwachen Seiten. Man muß dich zuvor ja allzeit in einen gewissen Eifer versetzen, wenn man von dir etwas Außerordentliches erfahren will, und so war es denn auch hier, was du uns sicher der guten Sache wegen gerne verzeihen wirst!“ 7. Sagt Cyrenius: „Ja, aber auf was stützet ihr denn eure Behauptung dafür, daß dies alles auf eine wunderbare Weise entstanden sei? Ihr habt es wohl heute als fertig entdeckt, habt aber die sieben Tage hindurch wahrscheinlich wenig oder auch gar nicht darauf geachtet, wie meine Soldaten und Krieger daran gearbeitet haben!“ 8. Sagt Roklus: „Herr, Herr, Herr, lassen wir das gut sein! Seit du mitten unter einer bedeutenden Streitmacht dich uns wohlbekanntermaßen hier aufhältst, haben wir unsern Hügel wohl Tag und Nacht nicht verlassen, um von weitem zu erspähen, was etwa doch von hier aus alles von euch Römern unternommen werden möchte. Heute hatte uns der wunderherrlichste Morgen um so früher herausgelockt. Unsere Blicke waren natürlich fortwährend auf diese Gegend gerichtet. Bis vor einer kleinen Stunde sahen wir nichts, als was, seit wir diese Gegend kennen, zu sehen war; aber, wie gesagt, vor einer kleinen Stunde entstanden hier Haus, Garten, Hafen und Schiffe, wie gerade vom Himmel herabgefallen! – Und höre, – das sollte kein Wunder sein?! 9. Haben wir doch vor drei Stunden die ganze Legion, oder wie viele ihrer waren, von Mohren hierherziehen sehen und haben auch bemerkt, wie ihr heute morgen vom Berge herabgegangen seid; denn wir haben ziemlich scharfe Augen! Es ist dies also unbestreitbar ein Wunder der allerkolossalsten Art, und wir möchten darum denn doch nur ein ganz kleines Lichtlein haben, wie und durch wen solches bewirkt worden ist!“ 10. Sagt Cyrenius: „Nun also denn, – wenn ihr es besser wisset denn ich, so bleibet beim Wunder! Das ,Wie‘ aber und ,Durch wen‘ brauchet ihr gar nicht zu erfahren; denn dazu wird ein mehreres erfordert, als bloß hierherzueilen und schlauerweise hinter solch ein Geheimnis zu gucken! 11. Wenn ein kluger Staatsmann gleich aller Welt seine besonderen Geheimnisse auskramen wollte, da würde er mit seiner Politik ganz verdammt kurze Sprünge machen, und seine Untertanen würden ihn nur zu bald bei der Nase nach rechts und nach links herumziehen! Weil aber ein Staatsmann schon zumeist durch Politik sein Reich und seine Untertanen regieren muß, weil sie als jedes für sich selbständig das allgemeine Staats- und Völkerwohl nicht zu erkennen imstande sind, so würden die Einzelstände, die außer sich niemanden sehen und kennen, sich dazu kaum herleihen, und es wäre damit für irgendein armes Volk schlecht gesorgt. 12. Ein rechter Regent muß daher eine rechte Macht, Wissenschaft in allen Dingen und eine gar feine Klugheit besitzen, – und also ist er erst ein rechter Herr, Gebieter und Leiter von vielen tausendmal Tausenden von blinden Menschen, die gar nicht zu berechnen imstande sind, welch ein großer Wohltäter ihnen ein rechter Herrscher ist! Daß ein rechter Herrscher aus gar sehr weisen Gründen seine Untertanen nicht allzeit in die Karte blicken lassen kann und also vor der Zeit verraten seinen guten Plan, das ist ganz klar und sehr begreiflich, und so wird es auch euch sehr klar und ganz begreiflich sein, warum ich euch dieses Geheimnis nun nicht näher enthülle; denn das werdet ihr wohl einsehen, daß ein Regent mehr zu leisten imstande sein muß denn ein anderer Mensch, ansonst er sicher ein ganz magerer Regent wäre! Welchen Respekt hätten seine Untertanen wohl vor ihm, so er ihnen gegenüber im Notfalle nicht auch so ein bißchen allmächtig wäre? Gehet nun hin und besehet euch euer Wunderwerk näher, und kommet dann erst wieder; vielleicht wird sich dann mit euch ein etwas vernünftigeres Wörtlein reden lassen! Aber für jetzt sind wir fertig!“ Kapitel 20 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 20. — Roklus besichtigt den Wunderbau 1. Darauf eilen die zwölfe freudigst in den Garten und besehen mit der größten Verwunderung alles, was der Garten enthält, und werden auch vom Markus selbst ins Haus eingeführt, wo sie alles in den verwundertsten Augenschein nehmen. Aber Markus sagt ihnen so wenig wie Cyrenius etwas Näheres, trotz alles ihres noch so artigen Fragens; denn Ich habe solches alles dem Cyrenius eingegeben, wie auch zuvor dem Mathael, was sie zu reden hatten, und so ward hier die Möglichkeit angebahnt, auch diese Erzkäuze zur Wahrheit des Geistes zu bekehren, die nun nach einer halben Stunde samt Markus wieder voll Neugier zu uns kommen. 2. Als Markus mit dem Raphael, der ihm die Zwecklichkeit alles dessen gezeigt hatte, was sich im Hause vorfand, und mit den zwölf Deputierten ankam an Meinem Tische, sagte der Raphael geheim zu ihm: „Erspare dir diesmal ein lautes Mundlob an den Herrn, der solches ohnehin laut genug aus deinem Herzen vernimmt; denn es handelt sich nun darum, daß möglicherweise diese zwölf Cäsaräer, die eigentlich gar keinen Glauben haben, sondern pure Atheisten aus der schönen Schule Epikurs, eines Hauptgründers des lieben Essäergremiums (Körperschaft), sind, auch zum Herrn bekehrt werden! 3. Es sind sechs Griechen und sechs Juden, die aber alle vollkommen eines Sinnes und einer Ansicht sind und geheim dem Orden der lieben Essäer angehören. Kurz, es sind das zwölf so rechte Mordskerle, mit denen durchaus nicht leicht zu verhandeln sein wird. Sie sind sehr reich und besitzen unermeßliche diesirdische Schätze, aus welchem Grunde sie mit dem Oberstatthalter auch so ganz leichtweg reden, als wären sie ihm ebenbürtig. 4. Es wird schwerhalten, sie zu bekehren! Aber wenn es gelingt, sie – nicht so sehr durch irgend auffallende Wunder als vielmehr durch Worte – zur Wahrheit zu führen, so ist damit sehr viel gewonnen; denn von diesen zwölfen hat ein jeder gut über hunderttausend Menschen als ein Herr zu verfügen. 5. Der Herr darf ihnen vorderhand gar nicht verraten werden. Der Mittelpunkt bleibt nun Cyrenius, und nach ihm, wenn es not tun sollte, kommst du; und wenn sich's gut fügt, dann komme erst ich, und am Schlusse erst der Herr Selbst! Bleibe aber nun nur hier; denn es wird das eine Haupthetze werden! Aber nun stille!“ 6. Fragt Cyrenius den Roklus: „Nun, wie gefiel euch mein Wunderbau? Könntet ihr auch einen gleichen aufführen?“ 7. Sagt Roklus: „Höre du mir auf mit dem Wunderbaue, wie aus deiner Hand hervorgehend! Du bist zwar ein mächtigster Herr, Herr, Herr durch die große Anzahl deiner Soldaten und ihrer scharfen Schwerter; aber das Haus und den Garten und den Hafen und die großen Schiffe hast du ebensowenig wie wir erbaut! 8. Du hättest sie wohl erbauen können mit vielen Bauleuten in 5-10 Jahren, das lasse ich dir sehr gerne gelten; denn des Schwertes und des Geldes Macht ist groß in dieser Welt. Einer eurer sehr berühmten Dichter, den ich gelesen habe, sagt von den Menschen: ,Nichts ist den Sterblichen zu schwer; sogar den Himmel will erklimmen der Mensch in seiner Tollkühnheit!‘ (Horaz) Und es ist also mit dem Menschen, diesem nackten Wurme des Staubes! Man gebe ihm Mittel, Macht und Zeit, und er wird dir bald ganze Berge zu versetzen anfangen und Meere und Seen austrocknen und wird geben den Strömen ein neues Rinnsal! Das ist demnach aber alles zusammen kein Wunder, sondern ein ganz natürliches Handeln der Menschen mit vereinten Kräften zu einem und demselben Zwecke. 9. Aber das Haus hier, der Garten und sein allerüppigster Kulturzustand, die ihn umfassende und schützende Mauer, die wie gegossen dasteht und das Ansehen hat, als wäre sie aus einem Marmorstücke, ebenso die große und hohe Hafenmauer, die hie und da wohl eine Tiefe von 10-20 Mannshöhen haben dürfte, und gar die fünf großen Flaggschiffe mit dem vielen Tauwerk! Mein sonst sehr weiser und mächtigster Gebieter, das zaubert die tollkühne Menschheit, wie auch das ,Tischchen deck dich!‘ der persischen Zauberer, in einem Augenblicke nicht daher, wie es hier vor uns der Fall war und ist und auch sicher bleiben wird; denn das ist keine morganische Sinnentäuschung durch leere und nichtige Gebilde der Luft, sondern die allergediegenste Wahrheit, die da ein jeder empfinden wird, so es ihn gelüsten sollte, mit dem Kopfe durch diese Mauern rennen zu wollen. 10. Ich habe noch nie gesehen bei all den hundert von mir gesehenen Magiern, daß irgendeines ihrer Werke für bleibend stehengeblieben wäre. Es geschieht wohl etwas, wovon man nicht weiß wie und mit welchen Mitteln, und es kommt auch allzeit etwas zur Sicht; aber bald vergeht es wie eine Schaumblase auf dem Wasser, und ist es einmal weg, so ruft es kein Magier mehr ins Dasein zurück! Ich möchte aber den Zauberer sehen, der mir diese Werke auch so mir nichts dir nichts hinwegblasen könnte! Bei dir möchte ich ohne weiteres mein ganzes Vermögen daransetzen, daß es dir nimmer gelingen würde, das alles bloß so mit einem Gedankenstriche hinwegzuhauchen!“ Kapitel 21 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 21. — Das gottesleugnerische Glaubensbekenntnis des Roklus 1. (Roklus:) „Daher ist nun mein Gedanke von der Art: Ich habe zwar an keine Gottheit mehr geglaubt, sondern an eine geheime, rein geistige Allkraft der Natur, die allenthalben ganz ernstweise und dabei dennoch freundlich sich zeigt und nach den ihr zugrunde liegenden Gesetzen in einer bestimmten Ordnung gleichfort wirkt und sich sicher nie darum kümmert, was die vergänglichen Menschen machen. Sie kennt kein Gutes und kein Böses; denn das bewirken nur die argen Menschen unter sich. Die große, heilige Natur weiß nichts davon! 2. Es ist ein großes Unglück für den Menschen, ein Sklave zu sein; aber wer hat ihn zum Sklaven gemacht? Die großheilige Natur sicher nicht, sondern nur der zufällig stärkere Mensch hat aus lauter Lust fürs höchsteigene Nichtstun und dennoch dabei Gut- und Bequemleben den Schwächeren zu seinem Lasttiere gemacht, und im gleichen Maße auch das Vieh. Wer warf an den Nacken des Ochsen das harte und schwere Joch, wer belastete den Esel, das Kamel und das mutige Pferd, und wer erbaute sogar Türme auf dem Rücken des geduldigen Elefanten? Wer erfand das Schwert und wer die Ketten, die Kerker und gar das allerschmählichste Kreuz, an das ihr Römer die unfolgsamsten und eigensinnigsten Menschen, die auch herrschen und morden möchten, festknebelt und sie unter den größten Schmerzen den Tod erleiden laßt? – Alles, alles das Elend stammt vom Menschen her! 3. In der großen Natur ist alles frei; nur der Mensch ist gleichsam ein Fluch für sich und für die gesamten anderen freien Werke der großen Meisterin, der Natur. Müßige Menschen fingen einst an, sich Luftburgen zu erbauen und erfanden die nichtigen Götter, die sie ganz nach sich und mit allen den menschlichen bösen Leidenschaften ausgerüstet sich dachten und auch also gestalteten. Mit diesen Göttern errichtete also der Mensch sich neue Plagegeister, die für sich dem Menschen sicher nie etwas zuleide tun würden; aber der Mensch erbaute diesen von ihm erfundenen Göttern, die in der Wirklichkeit nie irgend waren und auch nie irgend sein werden, Tempel und weihte sich selbst zu ihren Stellvertretern, versehen mit allerlei Treib- und Schreck- und Plagemitteln, und führte dadurch nebst seiner Herrschaft über die schwache Menschheit auch die allerunerbittlichste Tyrannei der von ihm erfundenen unsichtbaren Wesen ein. Die in der Wirklichkeit nie irgend existiert haben, existieren nun fort und fort zur Qual der armen Menschheit, aber dafür desto mehr zum Nutzen und Frommen der Mächtigen, weil diese durch ihre vorgeschützte mächtige Einflußnehmung viel leichter denn durch das ledige Schwert die Menschheit im blinden Gehorsam erhalten. Und so kann man naturgerecht mit der reinen Vernunft denken wie man will, so steht überall der starke und mächtige Mensch für alles alles, was nur immer irgend vorkommen kann, da und herrscht bald als ein mit Schwert und Lanze wohlversehener König und gleich daneben aber auch als ein schon allmächtigster Stellvertreter der Götter. Wehe dem, der da sich als ein uneingeweihter Mensch erkühnen würde, hinter den von Menschen gewebten Schleier der Isis zu blicken! O weh, o weh, o weh, – den würden die Götter schön zurichten! 4. Das war bis jetzt mein freier Glaube, der aber nun durch diese Erscheinung einen ganz jämmerlichen Rippenstoß erhielt, und ich fange nun an, denn doch an ein höheres Gottwesen ganz leise zu glauben, weil ich nur zu auffallend einsehe, daß so ein Werk kein Mensch mit seinen bekannten Kräften zuwege bringen kann und auch nie zuwege bringen wird. Das kann denn nur eines Gottes Werk sein, der zwar auch nur eine Art Mensch sein kann, aber ein Mensch, dem die Kräfte der großen Natur leicht und allzeit sicher derart gehorchen wie die gemeinen Krieger einem erprobt einsichtsvollen Feldherrn, von dem sie wohl wissen, daß er noch niemals irgendeine Schlacht verloren hat. 5. Aber diesen Gottmenschen möchte ich hier nun kennenlernen! Du, hoher Cyrenius, bist es in keinem Falle. Denn wäre dir das möglich, so wäre das große römische Kaiserreich schon lange mit einer berghohen Mauer umfangen, über die zu fliegen selbst einem Adler grauen müßte. Gib uns, du hoher Herr, Herr, Herr, darüber nur einigen Bescheid, und wir wollen dann ganz ruhig von hier wieder heimkehren!“ 6. Sagt Cyrenius: „Wäre schon alles recht, wenn dies nur gleich so mir und euch nichts gang und gäbe sein könnte; aber dem ist nicht also, als wie ihr es euch etwa vorstellet! Ihr könnet wohl einen Feldhüter fragen, um welche Zeit es sei, und er wird euch, wenn die Sonne scheint, nach seinem in die Erde gesteckten Pfahle genau und ohne Anstand kundtun des Tages Stunde, wofür ihr ihm dann einen Stater zu entrichten habt; aber hier geht das nicht gleich also! Geduldet euch, vielleicht kommt am Ende denn doch noch etwas heraus; aber es wird das schon etwas mehr kosten als einen Feldhutstater!“ 7. Sagt Roklus: „Nun, für so etwas können wir auch ein Pfund Goldes und zehn Pfunde Silbers, ja auch noch mehr, in die Schanze schlagen!“ 8. Sagt Cyrenius: „Ja, wenn man so etwas um viel Gold und Silber erkaufen könnte, so wäre das freilich etwas anderes! Aber ich kann euch diesfalls dahin die allerbestimmteste Versicherung geben, daß das um gar keine Schätze der ganzen Welt erreicht werden kann! Wofür es aber erreicht werden kann, darüber müßt ihr erst belehrt und durch noch so manche Proben aus euch selbst geläutert werden! Vom größten Unglauben an einen Gott der Person nach und an andere persönliche, gottähnliche Wesen durchdrungen und im selben förmlich erzogen, wollet ihr, um dann eine recht derbe Lache über uns alle in eurem Alleinbeisammensein erheben zu können, nun gleich von mir eine Anzeige Dessen erfahren, dem es möglich war, alles bloß durch Seinen allmächtigen Willen im schnellsten Momente hervorzurufen! Da sage ich: Halt, meine Lieben, wir werden erst sehen, ob ihr irgendeines Glaubens fähig seid! Kann bei euch gar kein Glaube mehr Eingang finden, so kann an euch auch die von mir verlangte Mitteilung nicht gemacht werden! Ist bei euch aber noch ein Glaube möglich, so werdet ihr mit dessen Lebendigwerden auch alles andere zu erhalten imstande sein! – Habt ihr mich wohl verstanden?“ 9. Sagt Roklus: „Verstanden ganz sicher; denn keiner von uns ist vernagelten Gehirnes! Aber es ist für uns dein Verlangen vorderhand so gut wie rein unmöglich, wofür wir dir zum Teil unsere Gründe schon dargetan haben und dir, so du sie zu hören wünschest, noch weiter dartun wollen und können!“ 10. Sagt Cyrenius, durch Mein ihm auf die Zunge gelegtes Wort angetrieben: „So tut solches, und ich werde daraus entnehmen, wie weit ihr euch vom Wege der Wahrheit entfernt habt! Lasset denn hören eure Gründe, und ich werde daraus ganz wohl zu entnehmen imstande sein, ob ihr einer wahren, geistigen Bildung fähig seid, und ob man euch euren Wunsch wird gewähren können! Denn seid ihr keiner reingeistig wahren Bildung mehr fähig, dann möget ihr wieder in Frieden von hier ziehen und leben nach den Lehren eures Epikur, der für mich einer der allerletzten Weltweisen ist! 11. Ja, man kann nach Epikur als ein reicher und physisch kerngesunder Mensch mit dieser Welt am besten auskommen; denn der Grundsatz: ,Man sei seiner selbst willen ehrlich und wohlverträglich gegen jedermann, – aber stets gegen sich selbst am ehrlichsten!‘ läßt sich zwar mit weltlichen Ohren anhören, aber eines Menschen von Gottes Odem erweckte Seele schaudert davor, weil so ein Epikuräer doch stets nur ein abgefeimter Egoist ist und nur für seine Haut sorgt! Was kümmern ihn alle Menschen? Kann er von ihnen keinen Vorteil ziehen, so können sie alle vom Blitze getötet werden. 12. Das sind so die Hauptzüge eines Epikuräers! Wieviel Geistiges in solch einem steinernen Gemüte Platz hat, das wird hoffentlich wohl schon sogar für jeden Blinden mit Händen zu greifen sein. Ja, zum Reichwerden auf dieser Erde taugen des Epikur Lehren am meisten, besonders wenn sie mit dem stoischen Zynismus unterspickt sind, wie es bei euch der Fall ist; aber zum Geistig-Reichwerden taugen sie am allerwenigsten, weil sie die reine Liebe zu Gott und zu dem armen Nächsten gänzlich ausschließen. So viel zu eurer Selbstbeleuchtung! Und nun lasset eure Gründe für euer recht essäisches Atheistentum hören!“ Kapitel 22 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 22. — Roklus beweist seinen Atheismus 1. Sagt Roklus: „Du hast recht, wir sind das alles, wie du soeben einen echten Epikuräer gezeichnet hast, und befinden uns diesirdisch ganz wohl dabei! Für unsern Atheismus aber haben wir so viele der allertriftigsten Beweise, daß wir damit das ganze, große Meer ausfüllen könnten. Ich will dir nur über die dir schon bekanntgegebenen noch welche hinzufügen, und ich hoffe, daß du daran genug haben wirst, und du wirst uns auch mit oder ohne deinen Willen recht geben müssen! Und so wolle mich denn gnädigst anhören! 2. Sieh, alles, was irgend ein wie immer geartetes Dasein hat, äußert sich stets zu Zeiten auf eine für alle Menschen ohne Ausnahme fühlbare Weise! Ist das daseiende Wesen ein mit irgendeiner Art Vernunft begabtes, so wird diese aus seinen Werken gar leicht und bald ersichtlich sein; ist aber ein Wesen, wie zum Beispiel eine Bildsäule, mit gar keiner Vernunft begabt, so werden vom selben entweder gar keine oder nur solche Werke ersichtlich sein, die der blindeste Zufall an dem Wesen verübt oder demselben angefügt hat. Wo demnach irgendeine wenn noch so beschränkte Intelligenz vorhanden ist, da wird sie sich auch ehest durch die von der innern Intelligenz ausgehenden ordentlichen Erscheinungswerke äußern. 3. Zum Beispiel: Eine noch so einfache Moospflanze beschafft sich selbst einmal eine ganz ordentliche Form und bildet dafür auch ihren Organismus aus, aus dem sie sich dann im weiteren Verfolge Blüte, Samenkorn und mit diesem die Fortpflanzungsfähigkeit beschafft. Bei höherstehenden Pflanzen ist nach einer gewissen Stufenfolge eine größere und entschiedenere Intelligenz noch um vieles ersichtlicher und erkennbarer. 4. Gar entschieden tritt dann erst bei den Tieren eine innere Intelligenz auf, deren Werke, wennschon in der Anzahl und im Wechsel noch sehr beschränkt, die des Menschen in vielfacher Hinsicht übertreffen. Des Menschen Werke zeugen wohl von seiner äußerst umfangreichen Intelligenz; aber nirgends ist eine von innen ausgehende Vollendung ersichtlich, ein Etwas, das den Werken der Tiere durchaus nie und nirgends abzusprechen ist. Also stehen auch eines Tieres Außenwerke inniger mit seinem Wesen und Charakter im Verbande, als wie das beim Menschen, diesem Gotte der Erde, der Fall ist. 5. Des Menschen Werke sind eigentlich nur eine Nachäfferei und bestehen aus plumpen, bloß äußeren Formierungen, die jedes eigentlichen inneren reellen Wertes bar sind. Der Mensch kann zwar aus allen möglichen fügbaren Stoffen eine Art von Bienenwachszellen nachäffen, ja er kann sie auch nachzeichnen und nachmalen, – aber welche Plumpheit, abgesehen des Stoffes, aus dem die Biene ihre Zellen baut, waltet da vor! Es scheint überhaupt, daß die Natur mit dem Menschen sich einen nahe mit Händen zu greifenden Scherz erlaubt hat! Es wohnt ihm eine umfassendste Intelligenz wohl offenbar inne und ebenso auch der Sinn für eine wahre Vollendung; aber er kann da schon tun, was er nur immer will, so erreicht er diese doch nimmer und nimmer! 6. Wenn wir denn annehmen, daß alle organischen Wesen auch beseelt sind und die Seele überall das handelnde Prinzip ist – ob mehr oder weniger vollkommen, das ist hier ganz einerlei –, so kann diese Annahme dadurch zur evidenten Wahrheit erhoben werden, daß man logisch richtig von der Wirkung auf die Ursache zurückschließt oder von den Werken auf die Kraft, die wir denn die Seele nennen wollen. Nach dem Grade der Vollendung und Ordnung der Werke einer Seele schließt man denn auch folgerichtig erstens auf ihr Dasein und zweitens auf ihre Tüchtigkeit. Finden wir aber irgendein chaotisches Gemenge wild und ordnungslos durcheinanderliegen ohne eine Regung und Bewegung, also ohne alle Spuren irgendeines Lebens, so denken und sagen wir: Da waltet der sich selbst gänzlich unbewußte Tod, dessen Fürgehen ein volles Zunichtewerden ist, – eine Erscheinung, die man im Herbste an gar vielen Bäumen und Gesträuchen bemerken kann, von denen das früher so schöne und bestgeordnete Blätterwerk der Baumseele in der wildesten Unordnung herunterfällt, verdorrt und den Winter hindurch nahe völlig zunichte wird. 7. Wer aber ist der Feinfühler, der in der totalsten Ordnungslosigkeit auch noch eine wirkende Seele erblicken wollte?! Ein Entfliehen und Zunichtewerden derselben – ja, – aber kein neues und etwa gar ein vollendeteres Werden! Wohl wird durch das verweste Laubwerk der Boden der Erde fetter und empfänglicher für die Feuchtigkeit aus der Luft und durch diese ernährungsfähiger für die darauf wachsenden Pflanzen; aber das herabgefallene Laub wird daraus nimmer als eines und dasselbe wieder erstehen, weil dessen Seele so gut wie gar keine mehr ist. 8. Man kann demnach füglich den Satz also feststellen, daß man sagt: Je geordneter und vollendeter ein Werk ist, desto vollkommener ist auch die dasselbe hervorbringende Kraft, die man ,Seele‘ oder auch ,Geist‘ nennt. Man kann also ganz folgerichtig von den Produkten oder Werken auf das Dasein einer Seele oder eines Geistes schließen und auf ihre Tüchtigkeit. 9. Wo finden wir aber jene Werke und jene Ordnung in ihnen, die uns nur mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein allerhöchstes, allerweisestes und zugleich allmächtiges Wesen der Gottheit schließen ließen? Nur zu bekannt ist der Lehrsatz aller Theisten und Theosophen [Gottesgläubige und Gottesweise]. Sieh an die Erde, ihre Berge, Felder, Meere, Seen und Flüsse und alle die zahllosen Kreaturen, die sie bewohnen! Alles das weiset hin auf das Dasein von höheren Gottwesen!‘ –, oder wie bei den blinden Juden auf nur einen Gott, was im Grunde um ein Haar vernünftiger ist und zugleich denn doch auch bequemer, als gar so viele unsichtbare Herren zu haben, wo man sich mit dem einen offenbar verfeinden muß, so man dem andern huldigt und opfert. Ich möchte den kennen, der mit der Juno und mit der Venus zugleich gut auskäme, oder mit dem Mars und Janus, oder mit Apollo und Pluto! 10. Auch da sind die Juden wieder um ein Haar besser daran; denn sie haben einen Jehova, der auch ein Herr über ihren Pluto, den sie ,Satan‘ nennen, ist. Nur ist der Juden Pluto ein höchst dummes Luder, weil er seine Diener, statt sie auszuzeichnen und zu belohnen, gar böse und übel mitnimmt; und es läßt sich daher kein ehrlicher Jude darum ein graues Haar wachsen, seinen Herrn Pluto nach aller Möglichkeit auf das tiefste zu verachten, und er erscheint dann dem Jehova um so angenehmer, mit je mehr Energie er den Judenpluto verachtet und dessen Willen zuwiderhandelt, was ich keinem echten Römer und Griechen raten möchte! Wer dies täte, der käme dann den allerbösartigsten Plutopriestern recht. Da heißt es, dem Pluto so gut Opfer bringen wie dem Zeus, sonst sitzt einem armen Sünder der liebe Pluto im Genicke, und Zeus kann da von Rechts wegen gegen Pluto nichts tun und irgend etwas ausrichten; denn das SUUM CUIQUE (jedem da Seine) steht als ein Satz des Fatums obenan, gegen das selbst Zeus kein Urteil fällen kann, ohne sich der Gefahr auszusetzen, mit allen andern Göttern in eine Kollision zu geraten.“ Kapitel 23 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 23. — Des Roklus Ansichten über Götter und Priester 1. (Roklus:) „Wir haben mit einigen kleinen Seitensprüngen nun zwei Gottheitsbegriffe, von denen eine nur einigermaßen geweckte menschliche Vernunft rein zum Lachen genötigt wird. Bei den Ägyptern, Griechen und Römern wimmelt es von großen, kleinen, guten und bösen Göttern; bei den Juden sitzt nur einer auf dem Throne, der sehr ernst und streng gerecht, aber dabei dennoch gut und zuweilen barmherzig ist. Aber böse machen dürfen ihn die Juden, die er sein Volk nennt, auch nicht; denn geht ihm einmal die Geduld aus, dann hat bei ihm aller Scherz rein aufgehört. Er taucht dann gleich die ganze Menschheit unters Wasser auf ein Jahr lang, und läuft dann – Gott weiß wohin – das Wasser ab, so sind Millionen geheilt und fühlen sicher keinen Kopfschmerz mehr! Oder er läßt gleich Blitz-, Schwefel- und Pechfeuer vom Himmel herab über ein lasterhaftes Völkchen einen halben Monat lang regnen, und das Völkchen ist samt dem Laster von der Erde verschwunden! Auch mit Pestilenz und andern Übeln ist der Eingott der Juden sehr freigebig; und fängt er einmal an, seine Zuchtrute über ein Völklein zu schwingen, dann ist von einem baldigen Aufhören schon lange gar keine Rede! Bei den Juden kommt sonach alles Gute und Schlimme von einem und demselben Gotte, während bei uns Griechen viele Götter eines oder das andere zu besorgen haben. Wer nun mit seiner Götterei besser daran ist, dürfte hier sehr schwer zu entscheiden sein. 2. Aber was Götter entweder im Himmel oder im Orkus und Tartarus!? Das ist alles ein blauer Nebeldunst! Die müßigen und arbeitsscheuen Priester sind die Götter, und der Juden Eingott ist der Hohepriester zu Jerusalem! Diese Menschen sind mit mannigfachen Erfahrungen und Wissenschaften wohl ausgerüstet, von denen sie ja weislich nichts ins blind gemachte und fürder mit aller möglichen Gewalt blind gehaltene Volk übergehen lassen. Nur in ihrer böswilligen Kaste werden die oft sehr breiten Erfahrungen vieler Jahrhunderte und die mannigfachsten Künste und Wissenschaften aufbewahrt, und das als stets unantastbare, heilige Geheimnisse. Damit treiben sie loses Spiel mit den Menschen, die ihnen dafür recht dick opfern müssen, daß sie von ihnen dann um so leichter so breit als möglich betrogen und nach allen Lebensseiten hin mißhandelt werden können. Mein ganzes Vermögen und selbst den letzten Funken meines Lebens gebe ich dem, der mir das Gegenteil faktisch beweisen kann! 3. Es mag hie und da in den Urzeiten wohl ehrlichere und biederere Menschen gegeben haben, die, mit einer besonderen Geistesschärfe schon von Geburt an ausgerüstet und mit der Zeit durch mannigfache und viele Erfahrungen bereichert, gerne und mit aller Liebe ihre geistigen Errungenschaften mit ihren nicht so hoch geweckten Mitmenschen teilten und am Ende auch die Segnungen an ihren Brüdern von den besten und nachhaltigsten Erfolgen begleitet ersahen. Es muß sich gar herrlich haben leben lassen in einer Volksgemeinde, in der kein Mensch vor dem andern irgendein selbstsüchtiges Geheimnis barg und alle in alles eingeweiht waren zu ihrem Frommen, was der eine Erfahrenste unter ihnen wußte! Aber wie lange konnte ein solch glücklicher Zustand dauern? 4. Ein solcher erster Wohltäter seiner Mitmenschen ward von ihnen sicher auf den Händen getragen, und nicht minder sein Nachfolger. Das erweckte bei so manchen den Müßiggang Liebenden den Neid und die Sucht, auch von den Nebenmenschen auf den Händen getragen zu werden. Sie suchten sich auch mit Erfahrungen einer und der andern Art zu bereichern, fingen aber damit schon an, stets mehr und mehr geheimzutun, um sich dadurch bei ihren Nebenmenschen wichtig zu machen. Da sagte einer, der es längere Zeit über sich vermocht hatte, stumm wie ein Fisch, aber dabei mit erhabener Miene einherzuschreiten, so er natürlich von vielen Neugierigen auf das dringlichste befragt ward, warum er stets so stumm und tiefsinnig einherwandle: ,Wüßtet ihr das, was ich weiß, und hättet das gesehen, gehört und erfahren, was ich gesehen, gehört und erfahren habe, dann würdet ihr vor lauter innerem Staunen noch stummer und tiefsinniger euch ergehen denn ich!‘ 5. Wenn die vor Neu- und Wißbegier ordentlich brennenden, noch ganz einfachen Menschen so etwas von einem listigen Gauner und Tagediebe hören, so geben sie ihm schon gar keine Ruhe auf so lange mehr, bis er ihnen Bedingungen zu machen anfängt, unter denen er ihnen nur etwas Weniges von seinem unendlichen Vorrate mitteilen will. Die Bedingungen werden bereitwilligst eingegangen, und der pfiffige Gauner hat sich dadurch zu einem Propheten und Priester unter seinen Mitmenschen emporgeschwungen, denen er dann allerlei mystische Dinge vorzumalen anfängt, die weder er und noch weniger jemand anders versteht und verstehen kann, weil sie sonst nirgends vorhanden sind als nur im ziemlich phantasiereichen Gehirne unseres Gauners, der durch solchen seinen listigen Betrug am Ende alle die wirklichen alten, redlichen Naturweisen zum Schweigen bringt, und zwar hauptsächlich dadurch, daß er das Volk an sich zieht und demselben begreiflich macht, daß er allein mehr weiß und versteht denn zehntausend ihrer alten Weisen. 6. Um seinen Truglehren aber bei dem Volke den vollsten und bleibendsten Eingang zu verschaffen, darf er nur etliche Zauberstücklein hinzufügen, und das arme, gute Volk läßt sich von ihm, dem herz- und gewissenlosen Gauner, gleich mit tausend scharfsichtigen, scharfhörigen und gewöhnlich allmächtigen Göttern auf das allerfesteste vernageln! 7. Und wehe dem ehrlichen und wohlmeinenden Biedermanne, der aus wahrer Einsicht und reiner, uneigennütziger Liebe zum Volke sagete: ,Glaubet diesem falschen Propheten nicht; denn jedes Wort aus seinem Munde ist eine bergdicke Lüge, aus der nichts als eine brennendste Eigenliebe und die tyrannischste Herrschsucht herausschaut, die eure jetzt noch freien Glieder ehest mit den schwersten Ketten belegen wird! Er wird euch unerträgliche Gesetze unter dem Titel ,Götterwille‘ aufbürden und auf die Übertretung derselben die schwersten Strafen, ja sogar den Martertod bestimmen. Dann werdet ihr und eure Kinder unter dem mächtigsten Drucke eines solchen Falschlehrers seufzen und wehklagen und werdet laut rufen um Abhilfe! Aber euer Rufen wird ein völlig vergebliches sein; denn gegen die Macht des Tyrannen, der weder ein Herz noch irgend eine humane Nächstenliebe besitzt, wird sich schwer etwas ausrichten lassen!‘ 8. Solch einer Gegenbelehrung, die in den Anfängen der Volksknechtungen sicher häufig wird stattgefunden haben, kann doch keine rechtliche und gesunde Menschenvernunft etwas entgegen haben! Aber das Volk ließ sich durch etliche Wunder breitschlagen und glaubte entweder an einen oder gar an eine Menge von allerlei Göttern und ließ sich von ihnen, das heißt von ihren allerstolzesten und allerhochmütigsten und allergrausamst herrschsüchtigsten und eigennützigsten Stellvertretern, auf das allerunbarmherzigste mißhandeln, als selbst nachzudenken anzufangen und zurückzukehren zur alten, naturreinen Menschenvernunft. Wenn man, gleich mir und auch meinen elf Gefährten, die Sache so ziemlich genau kennt, so wird es etwa wohl begreiflich sein, warum ich ein Atheist bin.“ Kapitel 24 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 24. — Roklus sucht seinen Atheismus als die wahre Weltanschauung zu begründen 1. (Roklus:) „Wenn nun auf diese schwer widerlegbare Weise mehr denn handgreiflich klar dargetan ist, wie sicher alle Götter entstanden sind, und wie ihre Priester nach und nach die eigentlich mächtigsten Gebieter über Leben und Tod ihrer Brüder geworden sind, so wirst du, hoher Herr, Herr, Herr, auch begreifen, wie und warum wir Atheisten geworden sind! Siehe, wir wenigen haben den klaren Weg zur alten, reinen Menschenvernunft gefunden und sind zur großen und heiligen Mutter Natur wieder zurückgekehrt, die uns eine sichtbare und stets gleich in der schönsten Ordnung wunderwirkende Gottheit ist, während alle sonstigen durch irgendeines Menschen Mund sich offenbarenden Gottheiten nichts als eine Phantasie eines gehirnkranken und arbeitsscheuen Faulenzers sind, der von irgend jemandem ein paar magische Künste erlernt oder selbst erfunden hat, um vor den Blinden sich als ein von Gott erwähltes Werkzeug zu offerieren und dessen Willen ihnen kundzutun. 2. Die Natur hat noch nie eines Stellvertreters bedurft, und der Sonne ist es auch noch nie etwa in den Sinn gekommen, sich einen Stellvertreter zu wählen aus der Zahl der elenden Menschen; sie wirkt selbst, leuchtet und erwärmt alles auf eine allerunvergleichbarste Weise! Kurz, es ist in der ganzen, großen Natur bis auf den Menschen alles in der Ordnung. Auch der Mensch, diese größte und vollkommenste Affengattung, was seine Natur anbelangt und was da betrifft seine Form, läßt sicher nichts zu wünschen übrig. 3. Aber der Mensch, besser das wortbefähigte, aufrecht gehende, also vollkommenste Tier, hat denn auch eine Vernunft und einen daraus sich frei entwickelnden Verstand. Durch diesen kann und soll er die Herrschaft über die gesamte, ihm unterstehende Wesenreihe betreiben. Aber es ist solch ein von der Natur dem Menschen erteilter Vorzug ihm nicht genug; er will auch seinesgleichen in seinem Gottähnlichkeitsdünkel mit seinen Füßen treten! Und da ist der kritische Punkt dann, wo der Mensch über seine Schranken hinaustritt und sich zu einem Gotte macht. Da aber weiter doch ein jeder Mensch, wenn er nicht ein Taubstummer oder gar ein gänzlich Irrsinniger ist, sich denn selbst in seinem Fleische als ein gleicher Fleischmensch mit allen andern Fleischmenschen doch nicht unmittelbar zu einem Selbstgotte machen kann – was er sicher auch täte, so er sich nicht fürchtete, vom ganzen Volke darob ausgelacht und gar gezüchtiget zu werden –, so begnügt er sich mit der bloßen Gottesstellvertreterschaft auf dieser Erde; denn ist diese nur schlau genug begonnen und auf festem Grunde erbaut, so steht sie für viele Jahrhunderte fest. 4. Man gebe mit der Errichtung irgendeiner Gottesstellvertreterschaft nur auch einige ersichtlich weise und bürgerlich nützliche Anordnungen hinzu, und man hat es mit dem von Natur aus stets kindlich guten und sanften Menschengeschlechte auf ein Jahrtausend gewonnen! Auf ein weises Gesetz kann man dann den Aberglaubenden schon tausend der absurdesten Lügen und Dummheiten anhängen, und sie werden von der gutwilligen, aber dabei sehr blinden, armen Menschheit mit einer allerehrfurchtsvollsten Bereitwilligkeit angenommen. Vom Verstehen kann da natürlich keine Rede sein, weil solche divinative Mysterien als Hirngespinste eines Schlaukopfes nie zu verstehen sein können. Aber das macht eben nichts; denn die Menschheit betrachtet das ja stets am liebsten, was ihr am unerklärlichsten, unbegreiflichsten und am allerfremdartigsten ist. 5. Wer die Menschheit langweilen will, der trage ihr nur recht gute, bekannte und leicht faßliche Wahrheiten vor, und ich stehe dafür, daß er gar bald allein am Flecke sich befinden wird! Kann er aber so recht aus dem Salze lügen und aus seiner Phantasie erzählen, daß er zum Beispiel im weiten Indien Tiere gesehen habe, die gleich berggroß einhergehen, hundert Köpfe haben, und zwar jeden Kopf einem andern Tiere vollkommen ähnlich, und in der Mitte der hundert verschiedensten Tierkopfgattungen rage auch ein riesigster Menschenkopf auf einem langen und dicken Halse sitzend empor, der alle Sprachen der Welt ganz deutlich, nur aber mit einer donnerähnlichen Stimme spricht und den Menschen sogar Gesetze vorschreibt, wie sie sich gegen das ganze andere große Heer von seinen Tierköpfen zu benehmen haben. – –! Ja, er kann ihnen, den ihn alleraufmerksamst anhörenden Menschen, ganz keck hinzu erzählen, daß auf dem großen Rücken dieser wundersamen, größten Tiere die schönsten Städte und Gärten angelegt seien, in denen Menschen und Tiere wohnen und ein gar angenehmes Leben führen, wenn sie des menschlichen Mittelkopfes Gesetze an diesem riesigsten Tiere genau handhaben; versündigen sie sich aber, so werden sie vom Tigerkopfe dieses Tieres sogleich aufgefressen! Zu dieser sicher allerabsurdesten Lüge kann er noch eine Menge anhängen, und sie werden alle fest geglaubt; und wehe dem, der nun sagen möchte: ,Aber was höret ihr diesen Hauptlügner an?! Ich war doch selbst mehrere Male in Indien und habe nie nur von ferne hin etwas Ähnliches weder gesehen noch davon reden gehört!‘ Das nützt alles nichts! Er wird als ein Verleumder solch einer wunderbaren Sache zum für ihn heilsamen Schweigen gebracht, und der Hauptlügner, der Indien nie gesehen hat, behauptet das Feld. Das habe ich selbst zu öfteren Malen erfahren, wie die Menschen eine noch so kolossalste Dummheit um vieles eher annehmen und sie auch glauben denn eine noch so erwiesen nützliche Wahrheit. 6. Und ist es bei solch bekannten Eigenschaften der Menschen denn zu verwundern, daß wir nun schon mit lauter Göttern ordentlich eingesalzen und einbalsamieret sind? Und ist es nicht vielmehr hoch zu verwundern, wie unter so vielen dümmsten Menschen noch Menschen von meiner Art bestehen können? Und kannst du, hoher Herr, Herr, Herr, dich wundern, so wir zwölf tieferfahrenen Griechen und Juden notwendig Atheisten sein müssen, und zwar aus dem ganz einfachen Grunde, weil es doch alleroffenbarst keinen nach solcher menschlich dummen Weise gearteten Gott geben kann, der von den Menschen die oft allerlächerlichsten Dinge, sage, zu seiner Ehre verlangen würde, auch den Ankauf des Tempelmistes und – dreckes zur Segnung der Felder, Äcker, Gärten und Wiesen und noch tausend ärgere Absurditäten dazu, was alles der noch immer weisere Eingott der Juden verlangt, – geschweige der gar allerdümmsten und allerabgeschmacktesten, die Menschenwürde entehrendsten Dinge, Opfer, Sitten und Gebräuche, die von unseren griechischen, gut bei zehntausend Göttern verlangt und mitunter sogar strenge geboten werden? 7. O wehe, wehe, wehe dem, der es wagte, auch nur einer der geringsten hölzernen Gottheiten einen Nasenstüber zu versetzen! Der würde als ein SACRILEGUS MALEDICTUS (verdammter Tempelschänder) auf das allerübelste bedient werden von den Stellvertretern Gottes! Die Zerstörung oder auch nur eine zugefügte Beleidigung einer in Holz geschnitzten Lüge wird nun noch immer als ein höchstes, unverzeihliches Verbrechen mit dem Schwerte auf das schärfste bestraft. Aber wenn Tausende von den arbeitsscheuen Völkerbetrügern jede noch so reine Wahrheit und die wahre Ehre der Menschheit mit Füßen treten, sie überall verfolgen und jedes irgend emporkeimende Gute mit aller Gewalt und mit den grausamsten Mitteln unterdrücken, so ist das vollkommen recht und, – DICO (ich sage) – den weisen und allmächtigen Göttern im hohen Grade wohlgefällig. Ah, da bedankt sich die wahre Menschheit allergehorsamst für alle die Götter und Gottheiten! Kannst du als ein bekannt wahrhaft weiser Herr und Völkerregent es mir verargen, daß es mir zum Speien eklig wird, wenn irgend von einem Gotte nur etwas noch so leise als möglich angezogen wird?! 8. Als ich als Handelsmann zum dritten Male nach Indien kam, habe ich recht viel Gescheites und Gutes angetroffen, aber danebst auch wieder so gräßliche Dummheiten gefunden, daß man sich darob gerade selbst kreuzigen könnte, um nur nicht mehr mit solch kolossalsten Gottheitsdummheiten jemals in Berührung zu kommen. Nach dem, was ich dort aus ihrer Theosophie vernahm, erweise der höchste Gott Lama, der auch den Beinamen Delaih hat, alljährlich einmal seinem höchsten Stellvertreter, der auch unsterblich sei, die höchste Ehre und zeige sich ihm und auch seinen Oberpriestern, aber nur auf einer hohen Bergesspitze! Da muß der Stellvertreter dann auf des allerhöchsten Gottes Geheiß auf ein reinstes, weißes Tuch hostieren (Kot lassen), den Kot dann trocknen und ihn nachher zu Pulver machen. Dieses ,Pulver Gottes‘, wie es die Indier benamsen, wird dann granweise in hölzerne, sehr kleine Schächtelchen getan und wohlverwahrt an die Häupter der Völker gegen ein großes Lösegeld gesandt, welche hohen Häupter dann nach vorgeschriebener gewirkter Buße dieses Dreckpräsent Gottes allerehrerbietigst zu verzehren haben. Das und noch eine große Menge der allerabsurdesten Dummheiten mehr sind Tatsachen, von denen ein jeder dahin Reisende sich selbst überzeugen kann. 9. Was aber soll ein nüchterner Mensch im Besitze einer reinen Vernunft und eines gesunden Verstandes dazu sagen, so er von dem indischen höchsten Gotte solch eine echteste Schweinerei vernimmt, mit der er höchst verehrt sein will? Ja, da möchte man ja gleich wieder aus der Haut fahren vor Ärger über solch eine kolossale Dummheit der Menschen, an der sie vielleicht schon etliche Tausende von Jahren mit Leib und Leben hängen und durch gar keine vernünftige Vorstellung mehr abzubringen sind! 10. Ja, lasse du mich einmal mit einem vernünftigen Gotte zusammenkommen, und ich will aufhören, ein Atheist zu sein, wozu mich diese wunderbare Tatsache, die sich vor meinen Augen zutrug, sehr mächtig reizen könnte und auf den Glauben bringen, daß es trotz allen den von Menschen ausgeheckten allerdümmsten Gottheiten denn doch noch eine wahre und der reinsten Vernunft entsprechende Gottheit geben könne, was ein hoher und schönster Gedanke des Menschen wäre! Wäre aber die Gottheit am Ende auch irgend also geschwollen, wie das bisher mit allen mir bekannten Gottheiten noch immer der Fall war, so mag sie mir noch tausend solche Wunder vor meiner Nase verüben, und ich werde ihr wahrlich keine Ehre antun! 11. Da hast du mich nun ganz, wie ich bin, denke und handle! Und so kannst du mir nun schon etwas anvertrauen, wenn du etwas noch Besseres und Wahreres weißt, und ich werde es gewiß nicht undankbar annehmen! – Wie ist also des alten Markus neue Behausung entstanden? Wer rief sie ins Dasein?“ Kapitel 25 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 25. — Des Roklus Wesen, vom Herrn beleuchtet 1. Cyrenius ist auf alles das, was er nun vom Roklus vernommen hat, sehr nachdenkend geworden und weiß durchaus nicht, was er ihm darauf für eine Antwort geben soll. Er wendet sich darum an Mich und sagt mit halblauter Stimme: „Herr, unrecht hat der Mensch im ganzen nicht, und es kommt mir vor, daß er trotz seines Atheismus ein ganz gutes Herz für die echte Menschheit haben muß. Wäre er zum wahren Theismus zu bewegen, so wäre er bei seiner enormen Verstandesschärfe und durch seine vielseitigsten Erfahrungen ja gerade eine Goldperle für Deine rein göttliche Sache. Aber weil er eben so viele Erfahrungen besitzt und eine Urteilsschärfe dazu, als wie scharf da sein muß der Blick eines Adlers, so ist es wenigstens für mich schwer, ihm nun eine Antwort zu geben, von der man bei ihm einen besten Erfolg erwarten könnte. Wie wäre es denn, so Du Selbst ihn nun in Bearbeitung nähmest? Du könntest ihm mit wenigen Worten sicher mehr sagen als ich. Herr, tue das an diesem Menschen; denn seine Ansichten kommen mir ganz kerngesund vor!“ 2. Sage Ich: „Du hast den Menschen ganz richtig beurteilt, und es stehet also mit ihm; denn so viel natürlich gesunde Welterfahrung hat wohl niemand von euch allen wie dieser Roklus und durch ihn auch seine elf Gefährten. Aber weil er in dieser Zeit und häufig durch seine bedeutenden irdischen Schätze auf lauter List und Betrug gekommen ist und die Gottheit überall durch die größten und abgefeimtesten Betrüger vertreten fand, so kann man sich denn auch gar nicht wundern, daß er am Ende notgedrungen das Kind samt dem Bade wegschütten mußte. 3. Er suchte Gott wohl recht emsig und machte darum auch seine großen Reisen. Aber je weiter er kam, desto mehr Unsinn, Narrheit und mit Händen zu greifenden Betrug fand er. Er ließ sich am Ende sogar bei den Essäern einweihen und fand deshalb Wohlgefallen daran, weil diese ihren Divinationsbetrug doch wenigstens zum ersprießlichen Nutzen der Menschheit zusammengestellt haben und dabei unter sich sehr gute und kluge Menschen sind, bei denen einer dem andern ein offener Bruder ist und nichts vor seinem Nächsten voraushaben will; denn dieser Sekte Grundsatz ist: ,Gleichviel wissen, gleichviel haben, gleichviel sein, und an keinen Laien das Geheimnis der hohen und dicken Mauern verraten, aus denen für keinen Menschen der Erde irgendein Unheil, sondern nur ein möglichstes Heil hervorgehen soll!‘ 4. Das ist an und für sich gewiß ganz löblich, aber mit dem Glauben an einen Gott hat es einen ungeheuren Haken; denn das ist bei ihnen die allerausgemachteste Sache, daß es außer den geheimen Kräften in der Natur ewig nirgends einen Gott gebe und geben könne. Und darum ist es schwer, so einen echten Erzessäer zum Glauben an einen Gott umzustimmen. Man muß ihm zuvor noch viel mehr Gelegenheit geben, sich so ganz nach seiner Herzenslust frei zu entäußern in allem und jedem. Erst wenn er sich vor dir ganz enthüllt hat, wird mit ihm schon noch etwas ganz Besonderes zu machen sein. Aber jetzt ist er noch nicht reif dazu, weil in ihm noch vieles steckt, mit dem er infolge eines Mißtrauens gegen deine römische Schwertgerechtigkeitspflege noch lange nicht zum Vorscheine gekommen ist. 5. Solange aber ein Mensch zu jemandem nicht ein vollstes Vertrauen zu fassen sich getraut, wird er auch nie ein wahrer Freund von ihm. Solange er aber nicht ein wahrer, volltrauigster Freund von jemandem wird, da wird er sich ihm auch nicht völlig eröffnen. Eröffnet er sich aber jemandem nicht völlig, so fällt die notwendig völlige Entäußerung von selbst notwendig in den Bach. Du mußt demnach trachten, dir diesen Roklus zu einem volltrauigsten Freunde zu machen, und er wird dir dann noch ganz sonderbare Dinge kundtun, über die du ganz erstaunen wirst! 6. Aber deine hochrichterlich römische Miene und Tugend mußt du vor ihm in die eines rechten Freundes umwandeln, und zwar so offen und aufrichtig als möglich, sonst wirst du nichts ausrichten mit ihm! Hast du ihn aber dahin gewonnen, dann wird mit ihm leicht zu unterhandeln sein, und Ich kann dann erst ein Weiteres mit zu reden anfangen; aber jetzt würde er bei der vollen Belassung seines freien Willens Mir nicht einmal Rede stehen, sondern Mir ganz einfach sagen: ,Freund, ich kenne nur den Oberstatthalter und habe nur mit ihm zu verhandeln; denn dich kenne ich nicht und weiß darum auch nicht, wieviel ich dir anvertrauen kann!‘ Und Ich könnte ihm vorderhand dagegen nichts anderes erwidern als: ,Freund, du hast ganz richtig und gut geurteilt!‘ Suche du darum ihn vorerst ganz freundlichst zu gewinnen und leite ihn sodann erst zu Mir, und wir werden dann die ganze Sache bald abgemacht haben!“ 7. Sagt Cyrenius: „Versuchen will ich's wohl; aber ich ahne es, daß mir mein Vorhaben eben nicht zu sehr nach meinem Wunsche gelingen wird!“ 8. Sage Ich: „Fasse es nur bei der rechten Seite an, dann wird es schon ganz gut gehen!“ Kapitel 26 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 26. — Des Cyrenius freundliche Entgegnung an Roklus. Die Ursachen des Verfalls des Priestertums 1. Hierauf wendet sich Cyrenius wieder an den Roklus und sagt: „Nun höre, Freund, ich habe alles das, was ich von dir vernommen habe, reiflichst überdacht und hin und her überlegt, habe deine Gründe zwar sehr wahr und triftig gefunden und kann nicht umhin, dir zu sagen, daß du in vieler Hinsicht recht hast, – aber ganz in allem dennoch nicht, da du denn doch bei allen deinen gesunden Ansichten den Fehler eines übertriebenen Eifers hast und das Kind samt dem Bade ausschüttest, deine Urteile nach der Gegenwart richtest und ein Gebäude aufführst, das keinen soliden Grund hat, auf dem Sande steht und von den Stürmen leicht zerstört werden kann. 2. Es ist wohl wahr, daß die Priester, besonders die hohen, zumeist höchst herrschsüchtige und darum auch zumeist herzlose Menschen sind und die Unterpriester zumeist nach ihrer Pfeife tanzen müssen, besonders jene, die in der unmittelbaren Nähe der Großen und Hohen ihr Amt zu versehen haben; aber ganz so leer und als ein purster Betrug stehen denn die Sachen doch nicht da, als wie du es dir vorstellst und nimmst! 3. Denke dir nun den Unterschied in der Sprache zwischen jetzt und der Vorzeit! Vor tausend Jahren sprach man in lauter Bildern und entsprechenden Gleichnissen. Die ganze Sprache war eine rechte Poesie, aus welchem Grunde die Alten denn auch alles in Versen geschrieben und auch gemeinhin miteinander geredet haben; denn die sogenannte elende Prosa kam erst dann zum Vorscheine, als die Menschen grundverderbt ins rein materiellste Fleischleben übergegangen sind. 4. Es mögen demnach die alten Propheten und Seher immerhin den Menschen den wahren und den rechten Gott beschrieben und gezeigt haben, und die ersten Menschen haben sie auch sicher besser verstanden, als wir sie nun verstehen; aber durch die damals strikte Befolgung der bekannten weisesten Gebote Gottes kamen schon die jüngsten Nachkommen in einen großen Wohlstand. Dieser machte sie bald übermütig, sinnlich und gemein. Derlei Menschen hatten nur gar zu bald mit der bildlichen Seelensprache nichts mehr zu tun und verstanden die Sprache der alten Propheten und Seher ehest darauf gar nicht mehr. 5. Man fing an, am Buchstabensinne, der nicht belebt, sondern nur tötet, zu kleben, und kam auf diese Weise nur zu bald um den Lichtkern der Wahrheit. Wir alle, wie wir hier sind, bis auf zwei unter uns, wußten samt und sämtlich von einem inneren, geistigen Wahrheitssinne nichts, und es kam uns, wie dir, alles als eine blankste Torheit vor, was wir von allen den Sehern und Orakeln vernommen haben. Aber die beiden, die auch unter uns sind, und besonders der Eine, haben uns eines Bessern belehrt und gezeigt, wie ganz und gar entsetzlich irrig wir alle die alten Seher und Propheten verstanden haben. 6. Aus solch irrigem Verständnisse mußten am Ende ja auch ganz verkehrte Lebensgrundsätze herauswachsen, und aus diesen andere Torheiten in einer Unzahl, und die Gotteslehren konnten am Ende ja auch kein besseres Gesicht haben als alles andere, was der Mensch tat und zustande brachte. 7. Weil aber die Menschheit in ihrer inneren geistigen Lebenssphäre gar so sehr ins Trübe gekommen ist und sich von dem höheren, göttlich geistigen Einflusse wie total verlassen fühlen mußte, so fing die Selbstsucht an, sich zu steigern, umpanzerte sich, witterte allenthalben Feinde und rüstete sich gegen ihren allfälligen Angriff mit lauter äußeren Waffen gleich einem Menschen, den im dichten Walde die Nacht überraschte, und der aus Furcht vor irgend feindlichen Kreaturen auch alles mögliche aufbietet, um sich einen Schutz gegen seine vermeintlichen, auf ihn eindringen wollenden Feinde zu bereiten. 8. Ja, mancher treibt es mit seiner Furcht so weit, daß er die Möglichkeit vom Dasein eines ihm freundlichen Wesens in die vollkommenste Nullität zieht und setzt, sich gegen jedermann verschließt und ein vollendetster Geizhals ist, der alles zu seiner Sicherung zusammenrafft und niemanden neben sich aufkommen läßt! Er umgibt sein Haus mit hohen und dicken Mauern, seine Schätze verschließt er in ehernen Särgen und verscharrt sie obendrauf oft unter die Erde, gewöhnlich an einem solchen Orte, der von Menschen schwerlich irgendwann betreten wird. 9. In solchem Zustande wird der Mensch dann auch sehr herrschsüchtig, umgibt sich mit allerlei Macht und sucht dann auf die schonungsloseste Weise sich alles zuzueignen, aus Furcht, irgendeinmal zuwenig haben zu müssen. 10. Gehe hin und frage so einen echten Geizhals, für wen er denn alles also zusammenraffe, da er ja doch selbst für seine Person das in tausend Jahren nicht verzehren könne, was er sich zusammengeknickert hat. Da wird er dich gleich als seinen Erzfeind ansehen und dir sicher keine Rede und Antwort geben. Und also sind nun in geistiger Beziehung namentlich vor allem die Priester. 11. Sie sind zwar im äußeren Besitze der alten prophetischen Überlieferungen und lesen und betrachten sie auch am meisten; aber eben dadurch geraten sie auch zuerst und zumeist in einen dichtesten Wald voll Finsternis und Zweifel, aus denen sie sich nimmer zurechtfinden können. Weil sie aber schon einmal Priester sind, so müssen sie sich vor dem Volke durch allerlei törichtes Außengepränge den Schein geben, als wüßten und verstünden sie etwas; aber sie wissen und verstehen nichts, außer das – aber nur geheimst bei sich selbst –, daß sie total nichts wissen, verstehen und erkennen! 12. Sie verwenden daher ihre Zeit nur darauf, wie sie immer wirksamer ihre totalste Unwissenheit vor dem Volke verbergen und demselben einen recht dicksten blauen Dunst vormachen könnten, was ihnen, die es mit ihrem Denken doch so weit gebracht haben, daß sie bei sich selbst gar nichts wissen – wozu schon sehr viel gehört –, eben eine nicht zu schwierige Aufgabe ist. 13. Manche kommen hinterdrein freilich oft durch ein Ungefähr zu einem Lichte rechter Art; aber sie können nun das einmal aufgebaute Gebäude, leider voll Trug und Lug, nicht mehr des einmal verfinsterten Volkes wegen umstoßen. Sie müssen nun einmal mit dem Strome fortschwimmen und höchstens ganz geheim bei sich die bessere Überzeugung behalten. 14. Glaube du mir sicher, daß es unter den Priestern von was immer für einer Gotteslehre Männer gibt, die ihre total falsche Außenlehre nur zu gut kennen und ganz tüchtige Kenntnisse von einem wahren und einigen Gotte haben, dem sie in ihrem Herzen auch völlig anhängen; aber sie können ein für alle Male am alten, irrsäligen Gebäude dennoch nichts ändern! Sie überlassen das ganz geduldig Dem, der die Macht hat, die Tempel des Truges umzuschmeißen, wann es Ihm beliebt und Er es für gut finden wird. Denn Er werde es auch schon am allerbesten wissen, warum Er es zugelassen habe, allerlei Truggöttern und Götzen Tempel zu erbauen und sie mit Mauern und Schwertern zu befestigen! 15. Wenn du nun das so recht reiflich überlegst, so muß es dir denn schon wenigstens darin ein wenig heller zu werden anfangen, daß du bei aller deiner Verstandesschärfe und bei allen deinen vielen Erfahrungen als ein kompletter Atheist nicht in allen deinen angeführten Gründen durchaus recht hast und von der reinen, inneren Wahrheit noch sehr ferne stehst! 16. Nun ist wieder die Reihe an dir, dich zu rechtfertigen, wie du magst und kannst; denn nun stehen wir uns als Freunde gegenüber, und es ist dir das freieste Wort ohne die geringste richterliche Ahndung gestattet! Du kannst dich nun ganz offen aussprechen, wie es dir ums Herz ist, und ich werde dich darauf nicht als ein erster Gewaltträger Roms, nicht als ein oberster Richter, sondern als Mensch und Bruder auf den rechten Weg zu bringen trachten durch Wort, Rat und Tat! Willst du aber das nicht, so kannst du nach deinem freiesten Willen dich allerungehindertst von hier begeben und hinziehen, dahin du magst und willst! Es wird mir zwar sehr leid sein, dich in deinem Wahne von hinnen ziehen zu lassen; aber dessenungeachtet sollst du schon wegen deiner Verstandesschärfe, die ich zu achten verstehe, von mir nicht den allerleisesten Zwang irgend zu erleiden bekommen. – Rede sonach nun weiter ganz frei und offen mit mir, deinem Freunde!“ Kapitel 27 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 27. — Das künstliche Allerheiligste im Tempel zu Jerusalem. Indische Bußgreuel 1. Sagt Roklus: „Herr, Herr, Herr, ganz gut und weise war dein Gegenwort, das ich von Silbe zu Silbe reiflichst erwogen und gar wohl überlegt habe! Ich fand so manches Wahre und Gute darin, wie auch, daß du mir kaum begreiflichermaßen ein ganz vollkommen echter Kosmopolit bist, wie es leider besonders in deiner Höhe nun wohl ganz verzweifelt wenige mehr gibt. 2. Es wäre die Idee von einem einigen, allerweisesten, aber dabei auch allerhumansten Gotte gar schön und höchst löblich; aber wo existiert solch eine Gottheit anders als eben in der schönen Idee eines poetisch geweckten Menschengemütes? Denn wäre irgend anders eine göttliche Realität, so müßte sie sich ja doch durch irgend etwas Besonderes äußern! Aber da kann man schon tun, was man nur immer will, und suchen und forschen mit dem höchsten Fleiße von der Welt und mit aller der intensivsten Aufmerksamkeit und Verstandesschärfe, und das stets mit dem besten Willen von der Welt, so nützet das alles aber dennoch nichts! 3. Überall, wohin man sich auch suchend wendet, steht ein vermummter Mensch im Vordergrunde, so wie im Tempel zu Jerusalem vor dem kostbaren Vorhange Wächter stehen, damit ja kein Laie je hinter den mysteriösen Vorhang treten könne. Unsereiner aber kam durch sein Gold als Nichtjude auch hinter solchen Isisschleier und fand hinter demselben nichts, als was Menschenhände erzeugt haben: einen sarkophagähnlichen Kasten aus schwarzem und braunem Holze, und in der Mitte dieses Kastens war ein ehernes Becken befestigt, aus dem Naphtha in heller und hoher Flamme brannte, welche Flamme die Gegenwart des allerhöchsten Gottes darstellte! 4. Ich aber frage, wieviel Blindheit und Dummheit dazu erfordert wird, um das glauben zu können! Wo ist da der Gott und nicht der Mensch, der alles das zusammengesetzt hat zur Illusion seiner Nebenmenschen, denen er alle Kenntnisnahmen auf Leben und Tod vorenthält, auf daß sie gleichfort so dumm und blind als möglich bleiben sollen und mit bluttriefenden Händen Tag und Nacht arbeiten, auf daß die arbeitsscheuen Stellvertreter Gottes sich recht mästen können auf Kosten der armen, dummen Faune. Was kümmert so eine menschgöttliche Hoheit auch das Leben von Millionen? Diese müssen, um sich nicht alle Furien an den Hals zu ziehen, alle Augenblicke bereit sein, ihr Leben irgend in die Schanze zu schlagen, um ihren Gottes Stelle vertretenden, unvertilgbaren Quälgeist, der eigentlich ihr größtes Übel ist, zu erhalten! 5. Freund, wenn ich dich also nennen darf, gehe nach Indien und besieh dir dort die Menschheit, und dir werden die Haare zu Berge stehen! Da wirst du Büßer antreffen, von denen deiner Phantasie noch nie irgend etwas hat träumen können! Hier hat man gegen Verbrecher Strafen, die von den Richtern verhängt und von den Gerichtsvollstreckern im schlimmsten Falle längstens einen Tag lang an den Sündern wider's Gesetz vollzogen werden. Dort dauert die leichteste Bußstrafe mindestens ein bis zwei Jahre, die der Sünder an sich selbst ohne alle Gnade in den bestimmtesten Vollzug setzen muß, und da ist die leichteste aber schon derart grausam, daß eine römische Kreuzigung als ein förmliches Nichts dagegen anzusehen ist. Ich werde dir nur so einige leichteste Beispiele kundgeben, und du wirst an denen sicher vollkommen genug haben! 6. Ich sah einen solchen leichten Büßer! Dieser hatte durch die Waden drei eherne Nägel gezogen, mußte aber dennoch eine bedeutende Last um einen Baum ziehen. Wollte sein Fleisch ermüden, so nahm er eine mit ehernen Spitzen versehene Peitsche und versetzte sich selbst die gewaltigsten Hiebe. Sein tägliches Büßeressen bestand aus sieben Feigen und einem Kruge Wasser. Dieser Büßer verrichtete seine Buße schon im zweiten Jahre und war noch am Leben. 7. Einen andern, auch leichten Büßer, sah ich am ganzen Leibe mit Stacheln gleich einem Stachelschweine besteckt, nur mit dem Unterschiede: Bei dem Stachelschweine sind die scharfen Spitzen nach außen gekehrt, bei dem Büßer aber waren sie nach innen gekehrt und staken mindestens zwei Daumen dick im Fleische. Diese Stacheln, entweder aus hartem Holz, Bein oder auch aus Erz, muß sich der Büßer nach Vorschrift des freundlichsten Bußpropheten selbst ins Fleisch stoßen, und zwar an jedem Tage um einen mehr die ganze zweijährige Bußzeit hindurch, so daß er am Ende seiner verzweifelten Bußzeit ebenso viele heilige Bußstacheln im Leibe und Fleische stecken hat, als wie viele Tage zwei volle Jahre enthalten. Hat der Büßer noch mit Beibehalt des Lebens seine Buße überstanden, so beginnt dann erst die freiwillige Nachbuße des Verdienstes wegen vor den allsehenden Augen Lamas; denn der erste Pflichtteil der Buße war nur da, um vom Lama die Vergebung einer Sünde zu erlangen. Erst durch die Nachbuße kann der Sünder sich ein Verdienst vor dem Lama erwerben. 8. Ich fragte den sonst sehr freundlichen Bußverkünder, worin denn die Nachbuße dieses bestachelten Büßers bestehen werde. Da sagte dieser: ,In zwei-, auch dreierlei! Entweder: er behält die Stacheln bis an sein Lebensende im Fleische steckend, was mit sehr vielen Unbequemlichkeiten verbunden ist, besonders bei der Nachtruhe; denn dergleichen Büßer können dann nur auf dem Flugsande oder mit angebundenen Schläuchen, die mit Luft gefüllt sein müssen, im Wasser die Nachtruhe halten. Fürs zweite aber können sie sich die Stacheln schon wieder aus dem Fleische ziehen; aber an einem Tage nicht mehr als nur einen, und so haben sie mit dem Ausziehen dann ebenso lange zu tun wie früher mit dem Hineinstoßen. Sie können sich aber fürs dritte auch alle Stacheln auf einmal herausziehen lassen und darauf ein Balsambad nehmen. Das heilet schnellst die Wunden, und der Büßer ist darauf gleich wieder ein brauchbarer und arbeitsfähiger Mensch; aber er muß dafür entweder ein tüchtiges Opfer dem Lama verabreichen oder vier Jahre lang der Sklave eines Priesters sein und dessen Äcker, Wiesen und Gärten bestellen, wobei er sich aber ganz aus eigenen Mitteln zu verpflegen hat. Daß es ihm dabei eben nicht am besten ergeht, läßt sich wohl von selbst denken!‘ 9. Das gab mir so ein freundlicher Bußverkündigungspriester zur Kunde, worauf ich ihn dann fragte, was so ein Sünder denn verbrochen haben müsse, damit ihm solch eine Marterbuße auferlegt werden könne. Da sagte der Bußverkünder: ,Es ist dazu oft gar kein eigentliches Verbrechen notwendig, sondern das alles liegt in der nie erforschbaren weisen Willkür des ewigen Lama! Er offenbart seinen heiligen Willen nur allein seinem obersten Priester auf Erden. Dieser verkündet ihn dann uns Unterpriestern, und wir unterrichten darauf dann erst das Volk, das uns blindest zu gehorchen hat. Denn sind wir auch unendlich klein und wenig vor des Lama höchstem Priester, so sind wir aber dennoch unendlich viel und groß und willensmächtig vor dem Volke! Ein Wort aus unserem Munde ist dem Volksmenschen ein unwandelbares Gesetz, weil das Volk es wohl weiß, daß des Lama und unser Wort eins ist!‘ 10. Ich fragte ihn, ob Lama denn nie einen Grund angäbe, warum er über so einen Menschen solch ein entsetzlich grausames Bußwerk verhänge. Sagte der Priester abermals mit der freundlichsten und mit der demutsvollsten Miene von der Welt: ,Sagt Lama auch je einem Menschen, wie, wann und warum er ihn mit einer schmerzlichsten Krankheit behaftet? Lama ist höchst weise, allmächtig und gerecht. Er tut, was er will, und fragt nie jemanden um Rat, und der Menschen Urteil ist ihm ein Greuel! Wer aber kann sich dem Willen Lamas widersetzen, der da allmächtig ist? Es wäre das Entsetzlichste des Entsetzlichen und das Schrecklichste des Schrecklichen, ihn gar zornig zu machen! Es ist darum dem Menschen heilsamer, auf dieser Welt, auf der alles sein Ende hat, sich alle Martern anzutun, als in der andern Welt ewig im erschrecklichsten Zornfeuer Lamas zu brennen.‘ 11. Darauf fragte ich den freundlichen Mann, der mit der größten und frömmst aussehenden Gemütsruhe jahrelang zuschauen konnte, wie hundert Büßer auf das unerträglichste nach dem ihnen kundgemachten Willen Lamas ihr Fleisch peinigten und abtöteten, warum denn unter den Büßern kein junges Weib, noch weniger ein Mädchen, ebenso auch gar kein Priester sich vorfinde. Man sähe bloß so mehr bejahrte Menschen, zumeist Mohren, und ganz alte, gewöhnlich sehr häßliche Weiber! Darauf sagte der fromme Priester nichts als: ,Lieber, wißbegieriger Fremdling, jede Erklärung liegt in dem ,Lama will es also!‘ Weiß man das, so ist jedes weitere Fragen überflüssig!‘“ Kapitel 28 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 28. — Die indische Priesterwirtschaft 1. (Roklus:) „Diese Antwort ärgerte mich, einen römischen Bürger, und ich sagte zu ihm: ,Freund, würdest du mir auch dann also antworten, wenn ich an der Spitze von zehnmal hunderttausend Kriegern mit schärfster Miene auf Leben und Tod diese Frage gestellt hätte und dir geboten haben würde, alle diese armen Faune von Büßern augenblicklich ihrer Buße zu entheben?‘ Hier stutzte der fromme Mann ein wenig, sah mich mit einem sehr fragenden Blicke an und schien sehr nachzudenken, was er mir auf diese Frage antworten solle. 2. Ich aber sagte zu ihm mit einem ganz ernsten Gesicht: ,Ja, ja, betrachte mich nur, damit du mich später an der Spitze eines mächtigsten Kriegsheeres desto eher und leichter erkennen wirst, wenn ich die böse und feste Burg eures grausamsten Gottes und seines Oberpriesters angreifen und zerstören werde!‘ Da raffte sich mein vorher gar so freundlicher Seelenhirte zusammen, machte ein grimmiges Gesicht und sagte zu mir: ,Du irrsinniger Sterblicher, eher zerstörest du den Mond denn Lamas festeste Burg! Aber wo steht dein Heer?‘ 3. Sagte ich: ,Das werde ich dir nicht auf die Nase binden! Es bedarf aber nur eines Winkes von mir, und du böser Mensch wirst es dann schon noch früh genug erfahren, wo sich mein Kriegsheer aufgestellt hat! Ich sage dir: Wenn du mir nun über den Lama und über seinen Oberpriester und über euren Verband mit ihm und den Grund dieser schändlichsten Menschenmißhandlung nichts mitteilst der vollsten Wahrheit gemäß, so laß ich dich ergreifen und dich martern mit allem, was mir meine Phantasie eingeben wird, zwanzig Jahre lang, damit auch du es verkosten magst, wie es diesen armen Büßern zumute sein muß unter solchen unerhörten Qualen und Martern!‘ 4. Jetzt sah der fromme Mann, daß mit mir allenfalls kein Scherz zu treiben wäre, und fing an, obwohl sichtlich ungern, mit der Wahrheit herauszukommen, aber wohl mit der Vorbemerkung und Bitte, daß er dann mit mir fortkomme, da er sonst seines Lebens nicht mehr sicher wäre, was ich ihm denn auch zusagte, worauf er gleich also auszukramen anfing: 5. ,Es gibt bei uns wohl eine Schrift, die noch von den Erzvätern dieser Erde herrühren soll. Die Verfertiger derselben sollen nach dem Geheiß des höchsten Gottes, dessen rechten Namen nur der Oberpriester kennt, ein gewisser Kienan, Jared und Henoch sein. Auch vom Nohai und Mihihal sind gedehnte Berichte im großen Weltbuche der Bücher vorhanden; aber wir kennen deren Inhalt nicht und können auch nie einen Blick hineintun, weil darauf die qualvollste Todesstrafe gesetzt ist. 6. Es hat von uns Unterpriestern nie je einer den Lama gesehen! Man kann schon von sehr viel Gnade und Glück reden, so man im Leben nur einmal des Lama Oberpriester zu Gesichte bekam. Vom Lama selbst ist schon gar keine Rede! Der Oberpriester hat Kenntnis von den Lebensverhältnissen aller seiner Untertanen und aller der ihm untergeordneten Fürsten, mit denen er also gebietet wie sonst ein Herr mit seinen Dienern. Sie müssen ihm in allem, was er will, gehorchen, ansonst kostet es ihn bloß ein Wort an seine Völker, die an ihn blindlings und allerfestest glauben und alles Wohl und Wehe einzig und allein nur von ihm erwarten, und diese erheben sich und bringen alle die Fürsten mit der größten Freude von der Welt um, weil sie sich dadurch Lamas höchstes Wohlgefallen aneignen würden. Das wissen die Fürsten recht genau und tun demnach aus eigenem Interesse dem Oberpriester alle erdenklichen Ehren an und opfern ihm jährlich große Summen Goldes und Silbers und bereichern ihn noch obendrauf mit den schönsten Herden. 7. Diktiert er einem oder dem andern eine Leibesbuße, von der auch nicht ein Fürst ausgenommen ist, so können die Fürsten dieselbe entweder mit Gold und mit den kostbarsten Edelsteinen und Perlen lösen, oder sie können bittlich um die Bewilligung einkommen, der zufolge dann jemand anders, wenn er ein ganz frommer Mensch ist und noch nie eine Buße zu verrichten bekam, für einen Fürsten eine Bußwirkung als für den Fürsten gültig übernehmen kann, so er will; denn das ist des frommen Menschen ganz freiem Willen überlassen, wie auch die Bestimmung der Stellvertretungsgebühr, die bei solchen Gelegenheiten nie gar zu gering ausfällt. Denn dergleichen fromme Stellvertreter holen sich schon vorher bei den Bußverkündern des sichern Rates und können die einem Fürsten diktierte schmerzlichste Leibesbuße in eine beliebige leichtere umgestalten, die vom Oberpriester Lamas als für den Fürsten gültig angenommen wird, so er dem Bußsubstituten eine genügend große Summe dafür entrichtet hat, von welcher der jeweilige Substitut (Stellvertreter) zwei Drittel an uns Priester abzuliefern hat. 8. Es ist bei den Bußverhängungen überhaupt diese geheimgehaltene Norm anzunehmen, daß die Bußen höchst selten über die armen Menschen verhängt werden; und werden sie schon verhängt, so gehören sie schon allzeit den allerleichtesten Bußarten an. Große und schwere Bußen werden gewöhnlich nur den Reichen und Wohlhabenden auferlegt, die sich entweder zum Teil oder aber auch ganz von der Bußübung loskaufen können, so sie gerade wollen. Ganz aber kauft sich außer den Fürsten schon selten jemand los, weil so ein voller Loskauf ihn seines ganzen Vermögens berauben würde. Der Geizige verrichtet die Buße dann schon selbst und tut sich eher die größten Martern an, ehe er sein Gold und Silber ausliefern würde. Hat der, dem eine Buße diktiert ward, etwa eine sehr schöne Tochter oder auch einen sehr schönen und wohlgebildeten Sohn, so kann er diese an der Stelle des Goldes und Silbers dem Oberpriester zum Opfer bringen, freilich mit einer kleinen Mitgift und wohlgeschmückt und reichlichst gekleidet; denn dergleichen kann der Oberpriester und seine zahllos vielen Diener auch gut gebrauchen und zu allerlei Dienst verwenden. Denn er besitzt ein ungeheuer großes Ländergebiet für sich zumeist in den Bergen und Höhen, die eine solche Ausdehnung haben, daß ein Mensch jahrelang umherzugehen hätte, um alle die Ländereien gesehen zu haben, die dem Hohenpriester als ein Geschenk vom Lama gehören.‘“ Kapitel 29 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 29. — Die Residenz des Lamaoberpriesters 1. (Roklus:) „,Die Stadt, in der er residiert, hat keinen Namen, ist sehr groß und für die Ewigkeit fest erbaut. Sie steht, umgeben von lauter unübersteigbar höchsten Gebirgen, selbst auf einem hohen Berge, über dessen Felswände wohl niemand zu klettern imstande sein dürfte, wenn er sich auch dem umfangreichen Berge nahen könnte, was aber dadurch zur barsten Unmöglichkeit wird, weil der ganze große Berg, auf dem die namenlose Stadt erbaut steht, in der Hochebene, die eine große Ausdehnung hat, mit einer dreifachen Ringmauer umgeben ist, durch die nirgends ein Tor geht; man kann über die Mauern nur mittels von oben herabgelassener Strickleitern gelangen. 2. Ist man aber auf diese Art auch über die drei gewaltigen Mauern glücklich gekommen, so steht man nun an den kahlen Felswänden des Berges. Man geht dann fleißig einen ganzen und guten halben Tag um den Berg herum und sucht vergeblich einen möglichen Aufgang, den man aber unmöglich findet, weil es äußerlich keinen gibt. Nur die Wächter der dritten Ringmauer kennen das Tor in einen Felsen, zu dem man aber auch nur wieder über eine herabgelassene Strickleiter gelangt. Ist man einmal auf dem Felsvorsprunge oben, der vom Boden gut bei zwölf Manneshöhen absteht, so hat man noch nichts erreicht, wenn die Wächter dieses Vorsprunges, der oben einen Flächenraum von gut zwei Morgen innehat, einem das Tor nicht öffnen und einen mittels eines Fackellichtes durch einen langen, unterirdischen Gang hin auf des Berges Höhe führen. 3. Ist jemand nach einer starken Stunde auf unterirdischen Treppengängen einmal auf der vollen Bergeshöhe angelangt, so kann sich sein Auge nicht satt sehen an den großen Naturherrlichkeiten, die es da erblickt. Der obere Flächenraum ist mehrere Hunderte von Morgen groß und besteht aus den üppigsten Gartenanlagen. In der Mitte der Hochfläche befindet sich auch ein bei zwei Morgen großer See, der zwar nicht sehr tief ist, aber das reinste und wohlschmeckendste Wasser enthält und alle Einwohner der großen und heiligsten Bergstadt mit seinem unentbehrlichsten Elemente bestens versieht. 4. Man geht nun stundenlang auf der hohen Bergfläche umher und bemerkt keine Spur von einer Stadt. Will man in diese kommen, so muß man erst einen ziemlich gedehnten Wald passieren, kommt dann wieder zu einer Ringmauer von großem Umfange, durch die man aber durch Tore und Zugbrücken gelangen kann. Kommt man also nach vielen Mühen und Beschwerden in die große Stadt, so ist da eine Herrlichkeit zu sehen, von der sich kein Sterblicher einen Begriff machen kann. Man kann da alles sehen bis auf den Palast des Oberpriesters. 5. Dieser befindet sich in der Mitte der großen Stadt auf einem noch höheren Felsen, der einen Umfang von gut dreitausend Schritten hat und noch bei dreißig Mannshöhen über die anderen Gebäude der großen Stadt ragt. Man gelangt in diesen heiligsten Palast auch nur durch unterirdische Treppen. Wie es aber darin aussieht, kann ich dir nicht sagen, weil ich erstens selbst nie darin war und mir auch niemand davon je eine Beschreibung gemacht hat; denn außer den Hochdienern des Oberpriesters darf bei Lebensstrafe niemand jemals es wagen, sich auch nur der Eingangspforte zu nahen. 6. Es soll wohl zu öfteren Malen der Oberpriester verkleidet in die Stadt herabkommen, auch in den Gärten Lustwandlungen vornehmen und sich besprechen mit den anderen Priestern als den einzigen Bewohnern dieser Stadt; aber es darf ihn da ja niemand erkennen oder ihn gar als Oberpriester begrüßen. Wer von den Priestern das tun würde, würde sich sehr bedenklichen Unannehmlichkeiten aussetzen. Nur viermal im Jahre ist ein Tag bestimmt, an dem er sich im vollsten Ornate den Bewohnern der Stadt zeigt. Das sind aber dann auch die höchsten Feiertage. Drei Nächte vor- und drei Nächte nachher erbrennt der ganze Berg von zahllosen Lichtern, so daß davon alle die Umgebirge weit und breit wie glühend erscheinen, was stets einen furchtbar schönen Anblick gewährt. 7. Zu dieser Hochebene, in deren Mitte sich der nun beschriebene Berg mit der heiligen Stadt befindet, gelangt man aber auch nicht so leicht, wie du dir's vielleicht vorstellst; denn man muß da zuvor tagereisenlang viele Berge, Täler, Gräben und Schluchten passieren. Am Ende kommt noch ein Engpaß, wie es keinen zweiten irgend in der Welt mehr geben kann! Um endlich in die Hochebene zu gelangen, muß man über Leitern steigen, ohne die es unmöglich wäre, auf die Hochebene zu kommen. Da kannst du mit aller deiner Macht unmöglich vorwärtsdringen; denn diese Naturfestungen sind für keine irdische Kriegsmacht einnehmbar, weder durch Belagerung, noch durch was immer für andere Gewaltmittel. Du kannst zwar die Völker auf eine Zeitlang von ihrem Lamaoberpriester abschneiden, – aber sie von ihm abwendig machen nimmer! Denn dafür sorgen schon seine mächtigen Fürsten, von denen dir ein jeder deine Kriegsmacht verdoppeln kann. Ich rate es dir demnach nicht, dich am großen Indien zu vergreifen; denn es würde dir dabei sehr schlecht ergehen!‘ – Hierauf schwieg er wieder, und ich hatte Zeit, mir meinen schönsten Teil zu denken. Daß der Indiergott abermals ein Mensch ist und sich sehr wohl zu befestigen verstanden hat, das habe ich herausbekommen und wußte nun eben das, was ich hatte wissen wollen.“ Kapitel 30 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 30. — Roklus kritisiert die indische und die jüdische Religionslehre 1. (Roklus:) „Ja, ich hatte früher mich dahin ausgesprochen, daß die Idee des Menschen von einem einigen Gotte, dem von Ewigkeit her schon gleichfort die größte Intelligenz, der klarste Verstand, die höchste Weisheit und der beste und allmächtigste Wille innewohnte, wohl zu den schönsten und des Menschen würdigsten zu zählen wäre. Aber der Begriff von einem also überaus vollkommenen Gottwesen müßte dem Wesen angemessen auch ein höchst reiner sein, fände er im geistigst transzendentalen Hintergrunde schon eine Realität oder auch keine! Aber unter was für allerlei dümmsten und materiellsten Begriffen wird so ein Gottwesen bekennet, und mit welch allerleiartiger List und oft grausamster Gewalt wird dasselbe den andern noch nüchternen Naturmenschen zur Anbetung und tiefsten Verehrung aufgedrungen! 2. Da heißt es, wenn man sich als ein erfahrener Denker dagegen sträubt: Ein Gott muß sein, gleichviel, was er für ein Gesicht macht; ob ein eines Gottes würdiges oder ob ein noch so fratzenhaft dummes, das ist dem stockblinden Menschen im allgemeinen stets gleich gewesen! Kann aber das auch einer gebildeten, reinen Vernunft gleich sein? Ich glaube es nicht; denn eine reine Vernunft basiert auf einer mathematisch richtigen, logischen Ordnung und kann sich bei allem Zwange nimmer vorstellen, daß ein Meister, von dem seine kunstvollsten und geordnetsten Werke zeugen, welche vielen Kenntnisse und gediegensten Erfahrungen er besessen haben muß, um solche großartigsten und geordnetst künstlichen Werke ins Dasein zu rufen, noch um vieles dümmer und stupider gewesen sei als der allerdümmste Fisch im Wasser! 3. Woher aber, sagt man, könnte ich das vermuten, daß eine von Millionen Menschen tiefst verehrte Gottheit gar so entsetzlich dumm sein sollte? Nein, höre, du hoher Freund, dazu gehört wahrlich nicht gar soviel! Ich rede nun ganz offen, wie es mir auch ganz offen aus dem Herzen im Munde liegt. Gehen wir die Gebote der uns bekannten Gottheiten durch, und betrachten wir ihre uns allein sichtbaren, bildlichen Vorstellungen, und wir haben genug! Mehr braucht man darüber gar nicht zu sagen.“ 4. Sagt hier Cyrenius: „Na, gegen das Mosaische der Juden wirst du hoffentlich doch nichts einzuwenden haben?“ 5. Sagt Roklus: „Das ist allerdings noch das beste von allen Geboten, die mir als von Göttern herstammend vorgekommen sind. Die Einheit Gottes hat viel für sich, und die Gesetze, wenn schon nicht erschöpfend, sind möglichst human und haben eine große Ähnlichkeit mit jenen des alten Ägypten; nur hat er ein gar weises Gesetz der alten Ägypter nicht wiedergegeben! Es ist sehr schön und löblich, daß die Gottheit Mosis ein Gesetz den Kindern gibt, wie sich diese gegen ihre Eltern zu benehmen haben; aber die Isis der Ägypter hatte auch ein recht weises Gesetz den Eltern gegeben, wie sich diese gegen ihre Kinder zu benehmen haben sollen, da auch die Kinder Menschen sind und von ihren Erzeugern etwas Gewisses mit allem Rechte zu verlangen haben sollen, das ihnen gebührt; denn sie haben sich nicht selbst in diese Welt hineingezeugt und sind vorher nicht gefragt worden, ob es ihnen wohl recht sein werde, unter oft sehr bitteren Bedingungen in diese Welt gesetzt zu werden. Kurz, die kleinen, schwachen Erstlingsmenschen haben beim Moses wohl ein Gesetz für den Verhalt gegen ihre Alten; aber diese haben keines gegen die Kinder, und so stehen diese rechtlos vor ihren Eltern, gleich den Sklaven gegenüber ihren Herren. Es sind von Moses wohl spätere und nachträgliche Anordnungen auch in dieser Hinsicht gegeben worden; aber im anfänglichen Gesetze, das auf dem Berge von Gott gegeben worden sei, kommt darin nichts vor.“ Kapitel 31 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 31. — Roklus preist die Gottlosigkeit und das Nichtsein 1. (Roklus:) „Ich habe viel mit Juden verkehrt und kenne alle ihre Gesetze vielleicht besser als so mancher von ihnen; denn mir lag daran, sie genauest kennenzulernen. Ein altes Sprichwort sagt zwar: ,Wer sucht, der findet!‘, – aber bei mir hat sich dieser Spruch bisher noch nicht bewahrheiten wollen; denn ich fand stets nur das, was ich nicht gesucht habe. Ich habe die echte und wahre Gottheit gesucht, und das mit vielem Fleiße und mit vielen Aufopferungen von Geldmitteln, Mühen und Strapazen aller Art, und das auch stets nüchternen Geistes und Verstandes, – fand aber nichts, gar nichts als Menschentrugwerk aller Art und Gattung, wo von einer wahren Gottheit nicht ein Sonnenstäubchen groß herausgeschaut hat. Überall fand ich im besten Falle entweder den patriarchalischen Autoritätsglauben, aber stets in einen ganzen Urwald von Mystik eingehüllt, oder im schlimmeren Falle den leichtsinnigsten Aberglauben oder im gar allerschlimmsten Falle den tollsten Glauben aus politisch knechtischem Zwange, unter dessen Ägide (Schutz) es am Ende selbst einem von Natur aus mit den hellsten Anlagen versehenen Geiste nicht mehr möglich wird, sich über dem Schlamme der krassesten Dummheiten zu erhalten. Er wird euch ein Heuchler und ein Scheusal in seinen höchst eigenen Augen werden; denn etwas Scheußlicheres und Elenderes kenne ich nicht gegen die hohe Würde eines Menschengeistes, auf ein von seiten eines mächtigen Tyrannen sanktioniertes Gesetz hin annehmen zu müssen, daß am Tage nur stets der Mond leuchtet und den Tag bewirkt und in der Nacht aber die Sonne; und wer das nicht glaubt, dem werden die Augen ausgestochen, Nase und Ohren abgeschnitten und die Zunge aus dem Munde gerissen. Das ist der erste Grad der Strafe für den Unglauben. 2. Glaubt ein so verstümmelter Mensch dann noch nicht, was ihm zum Glauben vorgestellt wird, so wird der Ungläubige auf ein rauhstes Querholz ganz nackt an Händen und Füßen – sage – angenagelt, darauf wird ihm der Bauch nach kreuz und quer aufgeschlitzt, und es werden dann ausgehungerte Hunde hinzugelassen, die dem Ungläubigen bei noch völlig lebendigem Leibe Gedärme und Eingeweide aus dem Leibe herausreißen und auffressen! Wer das etwa nicht glauben könnte, der reise nach Indien, und er wird nicht nur das, sondern noch tausendfach Ärgeres antreffen, was sich die Menschen selbst antun müssen. Und würde sich jemand weigern, sich selbst die scheußlichste Marter als Büßer anzutun, dem wehe, wehe, wehe, – dem ist der Tod mit tausend Eiden geschworen, natürlich der allergrausamsten und verzweiflungsvollsten Art! Und, Freund, dahinter solle irgendeine höchst weise, höchst gute, gerechteste und allmächtige Gottheit verborgen sein? So ich ein zehnfacher Narr würde, so wäre mir so etwas anzunehmen dennoch unmöglich! 3. Darum höret mir auf mit allem Göttertume! Die Menschen benötigen ewig keines Gottes, wohl aber der wahren philanthropischen Philosophie und einer auf Vernunftprinzipien gegründeten Humanität, und sie werden dadurch selbst ganz vollendet vollkommene Götter. Mit der reinen Vernunft und mit ihrem geweckten Forschungsgeiste werden die scharf sehenden und fein fühlenden Menschen der großen Schöpferin Natur bald recht viele und wichtige Geheimnisse ablauschen und wunderbare Taten zustande bringen, von denen keinem von uns noch je etwas geträumt hat, und die Menschen werden ohne die alten, dummen Götter ganz überaus glücklich untereinander im Handel und Wandel leben, und der physische Tod, hinter dem sie zwar weder ein Elysium, noch weniger irgendeinen allerwahnsinnigsten Tartarus in ihrer reinen Phantasie schauen und erwarten werden, wird ihnen sicher eine viel geringere Angst machen denn so, wo sie nach der Ablegung des Leibes erst die rechte und allerscheußlichste Kalamität für ewig dauernd erwartet. 4. Ich war Ewigkeiten nicht; fühle ich etwa eine Traurigkeit deshalb, daß ich nicht war? Also werde ich um dies tolle Sein sicher noch weniger etwas von einer lästigen Traurigkeit fühlen im Zustande meines abermaligen und völligen Nichtseins. Ich halte das völlige Nichtsein für den glücklichsten Stand eines einmal dagewesenen Menschen; das Sich-daseiend-Fühlen selbst in den glücklichsten Zuständen ist schon an und für sich schlechter, weil mit dem glücklichsten Dasein auch die Furcht mit da ist, entweder in ein unglückliches Dasein gar leicht geraten zu können oder mit dem Tode dereinst den höchst glücklichen Zustand doch offenbarst und sicherst verlieren zu müssen. 5. Das vollkommene Nichtsein hat weder das Glück zu genießen, noch desselben sicher kommenden Verlust schon im voraus zu betrauern. Einen rechten Philosophen meiner Art wird daher kein Tod, den die Natur gibt, schrecken, wohl aber ein Martertod! Denn darum hat die liebe Natur den Menschen ja etwa doch nicht hervorgebracht aus irgendeinem in ihrem Erdhumus erzeugten Stoffe, damit er sich martern lassen solle von seinesgleichen!? Kurz, ich sehe in dem Wirken der Natur sehr viel Weises, obwohl ich gerade auch nicht jede Wirkung der rohen Naturkraft für unbedingt allerweisest und zweckmäßigst halte; aber ich werde darüber nie eine Klage erheben.“ Kapitel 32 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 32. — Die Naturphilosophie des Roklus 1. (Roklus:) „Die rohen und dabei dennoch gewaltigsten Kräfte der Natur können nicht anders als nur höchst roh wirken, und ihr sogestaltiges Wirken ist ein notwendiges; denn ihr tobendes Wirken ruft die Kleinkräfte ins Leben, und diese gestalten sich dann erst zu etwas, wenn sie durch das gewaltigste Wirken der großen Rohkräfte gewisserart ins Leben gerufen werden. Durch gegenseitiges Anziehen und Abstoßen werden die kleinen Kräfte erst gestaltig und fangen an, die angenommenen Formen auszubilden, treten also in ein gefühltes Dasein, das sie so lange behalten, als sie in ihrer Abgesondertheit einer andern, mächtiger auf sie einwirkenden Kraft zu widerstehen vermögen. Hat diese die Kleinkraft überwältigt, so ist es mit der abgesonderten Kleinkraft völlig gar. Es löst sich da sogleich die Form mit ihr auf, und alles wird von der Großkraft wieder verschlungen, wie solches auch das sicher von einem Weisen der Urzeit ausgedachte Bild des Kronos recht treffend zeigt, wie er als Genitor der Götter seine Kinder wieder verschlingt. Die Zeit und die in ihr wirkenden Kräfte sind eben der besagte mythische Urgott Kronos. Die Zeit bringt alles hervor; immerwährend erzeugt sie lachende Fluren und zugleich die dürren Stoppelfelder. Werden und Vergehen, Leben und Tod, Sein und Nichtsein wandeln stets gleichzeitig miteinander einher. Keine Ruhe, keine Rast; eine Woge ruft die Nachbarin ins Dasein, – aber zwischen ihnen gehet auch gleich die Furche, das Grab, einher! Was da trägt den Stempel des Lebens, das trägt auf der Kehrseite auch den Stempel des Todes. 2. Das alles aber ist für den sorglichen Beobachter der Dinge, wie sie kommen und vergehen, eine notwendige Folge von der beständigen Wechselwirkung der verschiedenen Einzel- und Sonderkräfte in der großen Natur. Diese erwecken sich gleichfort gegenseitig und zerstören sich also wieder kämpfend, wie sie sich kämpfend ins Dasein gerufen haben. Ich sehe allenthalben ein fortwährendes Wogenspiel, und die oft fabelhaften Gebilde der in der Hochluft schwebenden Wolken liefern uns einen ganz handgreiflichen Beweis dafür, in welche höchst verschiedenen Formen sich die gegenseitig wirkenden Kräfte hineinzwängen. Bald kommt ein Löwe, bald ein Drache, bald ein Vogel, ein Fisch, ein Hund, ja sehr oft sogar ein Menschenkopf, manchmal sogar ein zerfratzter ganzer Mensch zum Vorschein! Aber wie lange dauern diese oft recht schön ausgebildeten Formen? So lange, als keine stärker auf sie einwirkende Kraft sie vorerst um die schöne Form und endlich gar ums Dasein bringt! 3. Ist es denn aber mit unserer Form und mit unserem Dasein etwa sehr viel anders? Durchaus nicht! Wie sehr verändert sich diese beim Menschen von der Geburt an bis in sein Greisenalter, wenn er ein solches erreicht! Und wo ist der stolze Mensch, der vor tausend Jahren die ganze Erde zu erobern sich vornahm? Dort, wo die Schneeflocke weilt, die mit ihren Millionen Geschwistern die ganze Erde in Eis zu verwandeln bemüht war! Wo ist der Orkan, dem gestern noch die stärksten Zedern im Wege standen, und der ihrem Dasein ein völliges Ende zu machen drohte? Eine mächtigere Gegenkraft hat ihn, wie der Kronos seine Kinder, verschlungen! Nur in unserer auch nur zeitweiligen Erinnerung besteht er sehr mattgeistig noch fort; in der Wirklichkeit aber hat er für die ganze Ewigkeit zu toben aufgehört! 4. Als ich durch Persien reiste, ward ich Zeuge einer höchst merkwürdigen Naturerscheinung. Es war ein glühheißer Tag, so daß wir mit unserer Karawane unter großen, schattigen Bäumen Schutz vor den zu glühend heißen Sonnenstrahlen suchen mußten. Etwa ein paar Stunden vor dem Sonnenuntergange bemerkten wir von Osten her ein starkes, kohlschwarzes Gewölke aufsteigen und die Zugrichtung gegen uns nehmen. Unsere Führer prophezeiten uns einen mächtigen Sturm und rieten uns, den Wald nicht eher zu verlassen, als bis der Sturm vorübergesaust sein werde. Wir taten das, und in einer halben Stunde war der Sturm mit Blitz und Donner über uns. Es krachte und tobte ganz entsetzlich in den Bäumen, und mancher starke Ast hat da sein Dasein eingebüßt, und das arme Laub der Bäume hat gewaltig gelitten. Es fing an zu regnen, aber eben nicht zu reichlich; doch ward es finsterer und finsterer. Als der Regen aber einige Augenblicke anhielt, da fingen unter den stets reichlicher fallenden Regentropfen auch ganz vollkommen ausgebildete Kröten millionenweise aus den Wolken mit dem Regen auf die Erde zu fallen an. Die ins Wasser fielen, die schwammen ganz gut herum, während nur wenige die auf den harten Erdboden fielen, mit dem Leben auf einige Augenblicke davonkamen. Merkwürdig war es, daß wenige Augenblicke nach diesem sonderbaren Sturm, der eine starke Viertelstunde anhielt, als die dem Untergange sich nahende Sonne wieder ihre heißen Strahlen auf den Erdboden schießen ließ, auch unsere Kröten verschwanden und nichts als ein schleimiger Schimmel von ihnen übrigblieb, und das auch nur hier und da. 5. Nun frage ich, von woher diese zahllos vielen Kröten gekommen sind, und wer sie also gebildet hat? Wer anders als die Naturkräfte, die sich wie zufällig in der Art begegnet sind, daß aus ihrem gegenseitigen Anstreben gerade die Kröten entstehen mußten! Diejenigen, die ins Wasser kamen, fanden wahrscheinlich eine ihnen zusagende Nahrung in ihrem Hauptelemente, und es dürften viele erhalten worden sein; aber die da auf den glühheißen Erdboden fielen, trafen ein ihrem Wesen feindliches Element und ihnen sehr entgegenstrebende Kräfte, und die Folge war die völlige Auflösung ihrer für die Kürze ihres Seins noch zu wenig gediegenen Existenz. Die Natur wirkt, wie man aus gar vielen Erscheinungen gar deutlich abnehmen kann, allzeit blind ohne irgendwelche ökonomische Berechnung; sie erzeugt Dinge von einer oder der andern Art stets in einer solchen Unzahl, von der gewöhnlich kaum der hundertste Teil zu einer gediegenen und dauernden Existenz gelangt. Man betrachte nur einen Baum, der im Frühjahre seine Blüten ansetzt! Wer wollte oder könnte die tausendmal tausend Blüten zählen? Man gehe aber nur acht Tage nach der Blütezeit unter dem Baume herum, und man wird da schon eine große Menge herabgefallener Blüten samt den Nährstengelchen am Boden finden; darauf aber geht dann das Herabfallen des zu vielen Ansatzes in einem fort bis zum vollen Reifwerden des am Baume Gebliebenen.“ Kapitel 33 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 33. — Der Gott der Naturphilosophen 1. (Roklus:) „Wäre nun irgendein höchst weiser Gott der Schöpfer des Baumes und seines Fruchtansatzes, so würde er doch sicher ökonomischer zu Werke gehen, weil denn eine weise Ökonomie doch auch in die Sphäre der Weisheit gehört! Aber aus dem oft höchst unwirtschaftlichen anfänglichen Ansatze der Dinge leuchtet ja doch mehr als klar hervor, daß die aus den rohen Naturkräften in ihrem gegenseitigen, sich zumeist auf dieselbe Art stets wiederholenden Kampfe hervorgehenden Dinge in einer Unzahl angesetzt werden, von der dann nur so viele zu Vollendung gelangen, als inwieweit die streitenden Kräfte sich gegenseitig nicht zum Schweigen gebracht haben; denn mit solchem Schweigen hört die wirkende Ursache des Werdens und Erhaltens auf und mit ihr notwendig das hervorgebrachte Werk selbst. Insoweit aber der einmal angefangene Kampf sich noch forterhält und fortwährt, wird auch sein Werk mit ihm fortbestehen, gedeihen und zu einer bestimmten Reife gelangen. 2. Würde eine ihrer selbst und jeder ihrer Handlungen klarst bewußte Gottheit mit aller Weisheit und mit aller der beharrlichsten Willensfestigkeit auch also handeln können? Ich sage: Nein, das müßte ihr noch um vieles unmöglicher sein, als so ich mir einen allerweisesten Herrscher denken sollte, der mit dem größten Fleiß und Kostenaufwand Städte und Paläste erbauete, um sie hernach wieder übern Haufen zusammenzuschmeißen, und der es so treiben würde fort und fort! Würde es da wohl noch irgendeinen noch so blöden Menschen geben auf der Erde, dem es einfiele, ihn weise zu nennen?! Nun soll aber der denkende und vielerfahrene Mensch einen Gott weise nennen, der dasselbe in einem noch viel komplizierteren Maße tut, der Werke von höchster innerer organischer Vollendung zum größten Teile bloß darum ins Dasein ruft, um sie gleich wieder zu verderben und zu vernichten! Nein, das stelle sich vor, wer sich in der großen Beschränktheit seiner Erkenntnisse und Erfahrungen so was in seiner großen Blindheit vorstellen kann; mir ist das unmöglich! 3. Beim höchst weisesten Gotte muß zwei und zwei so gut die Summe vier geben wie beim im Rechnen kundigen Menschen. Sagte ein irgend bestehender Gott aber: ,Du, mein lieber Mensch, bei mir ist zwei und zwei fünf, auch sieben!‘, so würde ich selbst zu solch einem Gotte sagen: ,Entweder bist du ein Narr, oder es beliebt dir, mich für einen zu halten; denn mit solch einer Rechnungskunde wird sich von dir schwer eine ganze Welt erschaffen und erhalten lassen! Eher wird ein Blinder einer der berühmtesten Kunstmaler, als bis du mir mit solcher deiner Weisheit den schlechtesten Pilz dem Erdboden entlockst!‘ Wir Griechen hatten einen Maler namens Apelles, der malte Menschen und Tiere derart naturgetreu, daß die Natur, man konnte sagen, übertroffen war. Nun, dieser berühmte Maler tat gewiß keinen Strich umsonst, sondern hat jeden gar wohl berechnet; wie viele Striche aber macht solch ein weisest sein sollender Gott, bei dem aus ganz besonderen, weisen Gründen zwei und zwei auch sieben sein kann oder gar muß, umsonst! 4. Da steht oft im Frühjahre alles so schön und hoffnungsreich! Die Menschen freuen sich schon auf eine gute Ernte, um ihre Arbeit und Mühe belohnt zu bekommen. Sie danken schon im voraus dem unsichtbaren Wesen, das sie nach ihrem ihnen von Kindheit an eingepflanzten Glauben als den allmächtigen Gott oder auch als mehrere Götter anbeten. Aber gerade ein paar Wochen vor der Ernte kommt ein gewaltigster Sturm und verheert ein ganzes Land derart, daß die guten Menschen nicht so viel von der angehofften Ernte bekommen, als sie hinter einem Nagel verbergen könnten! Das ist eine Erscheinung, die sich auf der Erde, soweit wir sie kennen, alle Jahre sicher in den verschiedensten Ländern regelmäßig bald hier und bald dort wiederholt. 5. Nun eilen die blinden, abergläubischen Schafe von Menschen zu ihren bodenlos habgierigen Priestern und fragen diese, was sie denn doch verschuldet hätten vor Gott oder vor den Göttern, daß diese sie gar so hart heimgesucht hätten! Stehet den Priestern wohlbekannt das Volk so da, daß diese Gesetzgeber an Gottes Statt durchaus nicht gegen die gesetzliche und also von den Göttern geforderte Lebensweise etwas einzuwenden haben, dann nehmen die Priester ein ganz gutmütiges und mitleidiges Gesicht an und vertrösten die armen Schafe, so gut sie's nur können und mögen, ermahnen sie mit gar sanften Worten zur Geduld und erklären ihnen auch so eindringlich als möglich, daß Gott dadurch bloß ihre Geduld, die Stärke ihres Glaubens und die zufriedenheitsvolle Ergebung in seinen Willen, ihretwegen selbst, auf eine Probe des ewigen Lebens nach des Leibes Tode gestellt habe! 6. Den weinenden Juden wird allzeit bei solchen Gelegenheiten der stark mythische Hiob vorgehalten, was eine recht gute Fabel ist; und für die Heiden gibt es in ihren Religionsbüchern auch eine Menge solcher die Traurigkeit der armen Völker niederschlagenden Anekdötchen. Mit solchen Vertröstungen kehren die Völker dann wieder ganz getröstet und gewisserart vergnügt nach Hause zurück und ergeben sich ganz voll der Hoffnung auf bessere Zeiten, und daß sie Gott darum doch nicht werde ganz zugrunde gehen lassen!“ Kapitel 34 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 34. — Roklus vergleicht die Taten der Menschen mit denen Gottes 1. Ich aber frage hier bloß, was die weltlichen Gerichte mit einem Menschen tun würden, der sich mit mehreren Helfershelfern den bösen Spaß erlauben würde, etwa in einer Nacht die gesegneten Felder nur einer kleinen Gegend soviel als möglich zu verheeren? Ich glaube, solch einen mutwilligen Bösewicht würden die Römer wenigstens zehnmal kreuzigen, wenn sie seiner habhaft würden, oder sie würden ihn nach einem etwaigen ärztlichen Befunde in eine Irrenanstalt auf lebenslänglich verbannen. Aber einen Gott betet man darum noch an und hält ihn für endlos weise! Auch nicht übel, wenn man sich dabei nur glücklich fühlt! Denn der Götter höchste Weisheit hat ja das unbesiegbare Vorrecht in der ganzen Schöpfung, die allertollsten Streiche auszuüben; sie kann nach Gutdünken rauben, morden und verderben, und es wird niemandem beifallen, sich auch nur zu denken, daß sie da einen böstollen Streich ausgeführt habe. Nur das getrauen sich die abergläubischen Menschen aber doch zu denken, daß die vorbesprochene Verheerung der Saaten eben nichts Gutes war; denn wäre sie etwas Gutes, so hätten sich die armen, guten Menschen den Gang zu den Stellvertretern der Götter sicher erspart. 2. Was geschieht denn einem Menschen, der einem andern sein Haus anzündet und ihm dadurch nicht nur das Haus, sondern auch alles, was im selben aufbewahrt war, zerstört und also aus einem wohlhabenden Bürger einen Bettler macht? Meines Wissens gehört der Mordbrenner nach dem Gesetze ans Kreuz. Wenn aber der Herr Gott Zeus den verheerenden Blitz in jemandes Haus schleudert und ihm dadurch alles durchs Feuer verheeren läßt, so ist das undenkbar anders als höchst gut und höchst weise! Wehe dem, der das nicht also nähme und eisenfest daran glaubete; den würde der Pontifex maximus dann schon den Zorn des Gottes Zeus auf eine Art fühlen lassen, gegen die das Abbrennen eines Hauses als eine enorme Wohltat anzusehen wäre! Ich aber bin so frei, hier die Frage aufzustellen, und sage: Wenn die Gottes Stelle vertretenden Menschen die häuserabbrennerische Tat als vom Zeus ausgehend für so weise und höchst gut und gerecht ansehen, warum sehen sie dann eine gleiche Tat, von einem Menschen verübt, für so höchst verworfen schlecht an, daß sie es für nötig finden, ihn dafür mit dem martervollsten Tode zu bestrafen? 3. Ich urteile da freilich also und sage: Das wahrhaft Gute und wahrhaft Weise muß, von wem immer verübt, ewig gut und weise bleiben und verdient darum keine Strafe! Weil aber die auf Erden die Götter vertretenden pfiffigen Menschen es geheim bei sich, gleich uns gutmütigen Essäern, wohl wissen, daß es keine Götter, sondern nur eine urrohe allgemeine Naturkraft gibt, deren Wirken ein pur zufälliges ist, das im weiteren Verlaufe und in den verschiedensten Auszweigungen erst in notwendig edlere Formen ausartet, so haben Gottesvertreter mittels ihrer Phantasie die Naturkraft als einen Gott allegorisch personifiziert und den anderen Menschen, die selbst nie etwas dachten, zur Verehrung und Anbetung gewöhnlich bildlich vorgestellt. 4. Der auf solche Art ausgeheckte Gott mußte sich denn auch zu rühren anfangen, und das natürlich so wundertätig als möglich! Hatte das Volk einmal den Gott durch mannigfache Wundertaten wahrgenommen, so mußte es sich auch bald scharfe Gesetze von ihm gefallen lassen. Wehe den Übertretern derselben! Damit die Menschheit in ihrer blinden und dummen Furcht vor dem einmal ungezweifelt angenommenen wundertätigen Gotte aber nicht nach einer leicht verübbaren Sünde in eine völlige Verzweiflung übergehen möchte, so haben die pfiffigen Gottesvertreter an Wiederaussöhnungsmittel mit der beleidigten Gottheit gedacht und haben dafür Opfer und andere peinliche Bußarten erfunden, durch die der Sünder wieder zur Freundschaft seines beleidigten Gottes gelangen kann. Und so gibt's nun schon überall auf der lieben Erde nebst den bürgerlichen Landesgesetzen auch von einem oder dem andern Gotte ausgehende Gesetze, die so gestellt sind, daß sich selbst ein in allem noch so keuscher und tugendvoller Mensch ohne weiteres täglich mindestens zehnmal dagegen versündigen muß, wodurch er sich der Gnade und des Wohlgefallens seines Gottes ein wenig unwürdig gemacht hat. Er muß sich am Abende, noch vor dem Untergange der Sonne, durch vorgeschriebene Mittel reinigen, ansonst er gleich in ein größeres Übel verfallen kann. 5. Ich kann und will das durchaus nicht schlecht nennen; denn es schadet nicht, so die Menschheit ein zartes Gewissen hat, und gewisse Waschungen und Reinhaltungen des Leibes haben noch keinem Menschen je geschadet. Aber mir und meinesgleichen darf man sie nicht als Anordnungen eines Gottes, der nirgends existiert, aufbürden! Ich und meine Gefährten wissen das, was wir wissen, und niemand kann uns nachsagen, daß wir für unser reinstes Wissen jemals Jünger geworben haben. Aber das wird uns etwa doch geheim wenigstens erlaubt sein, daß wir für uns kein X für ein U halten dürfen?! Wir werden nie jemandem zu nahe treten, da wir sämtlich Menschenfreunde sind; aber wir bitten auch uns ungeschoren zu lassen. Wozu keulen die Priester Jerusalems nun in einem fort auf uns Essäer? Sie sollen sein, was sie sind, und wir, was wir sind; denn sie sind vor dem Forum der reinen Vernunft nicht um ein Haar mehr als wir, – wir im Grunde auch nicht mehr denn sie. Wir verfluchen sie aber nicht, sondern bedauern sie nur ihrer groben Blindheit wegen. Wer aber gibt ihnen das Recht, uns zu verfluchen, da wir doch uns selbst das schwere Problem gestellt haben, nie einen Menschen zu richten und zu verderben, sondern nur jedermann zu helfen mit Rat und Tat?! 6. Verüben wir auch falsche Wunder – denn wahre hat es nie gegeben –, so geschieht das darum, um der blinden und blind bleiben wollenden Menschheit desto leichter zu helfen, weil ihr auf einem hellen, rein menschlichen Wege nicht mehr zu helfen ist. Das aber sollte von solchen Priestern, die sich Schriftgelehrte nennen und doch auch wissen müßten, wie sie daran sind, doch auch eingesehen werden! Sie sollten sich mit uns vereinen und mit uns gemeinsam wirken, und in wenigen Jahren schon würde es mit der Menschheit ganz anders aussehen denn jetzt.“ Kapitel 35 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 35. — Roklus zeigt das Herz als Sitz der wahren Gottheit 1. (Roklus:) „Aber diese Gottesstellvertreter in Jerusalem sind erstens dumm wie die Nachteulen am Tage, dabei gefräßig wie die Wölfe und herrsch- und eifersüchtig wie ein roter Hahn, und dabei aber dennoch roh, ungeschlacht und unverträglich wie die Wildschweine! Wer kann da mit solchen Nachbarn in Frieden und Einigkeit leben?! Wer muß bei so bewandten Umständen in seiner gerechten Erbitterung nicht gegen sie zeugen?! Solchen Auswürflingen der Menschheit gegenüber muß man ja dann und wann mit der reinen Wahrheit vor allen Menschen auftreten und diesen wohlmeinend zeigen, mit welchen allerschändlichsten Lumpen sie zu tun haben! Wir nehmen dadurch der Menschheit gewiß nichts anderes weg als ihre alte Blindheit! 2. Daß das den alten, an Herz und Seele versteinerten Schoßkindern Abrahams eben nicht sehr angenehm ist, läßt sich ganz wohl denken; aber wir können da wahrlich nichts dafür, und es wäre nun wohl schon hoch an der Zeit, diesen alten Augiasstall einmal zu reinigen! Diese Kerle verschreien uns als gottlos und nennen uns Lästerer des Allerheiligsten. Wo ist denn ihr Gott, den wir verlästerten, und was ist ihr Allerheiligstes?! Etwa ihr Tempel, der Vorhang in demselben, oder die halbeherne und halbhölzerne Bundeslade mit der Naphthaflamme oder vormals mit einer Rauchsäule, die freilich etwas schwerer herzustellen war als die Naphthaflamme?! Oder sollen etwa die riesigen sogenannten Cherubs das Allerheiligste darstellen, oder das alte Manna in der Lade, der Stab Aarons, oder die alten Ochsenhornposaunen, durch deren Schall Jerichos Mauern eingestürzt sind, die goldene Harfe Davids und seine Krone, oder die gesamte sogenannte heilige Schrift, die die Pharisäer nicht mehr lesen, sondern bloß nur anbeten dürfen?! Kurz, ich möchte der Juden Gott und sein Allerheiligstes denn doch einmal anderswo sehen oder in etwas anderem wahrnehmen als in solch einem antiken Gerümpel, darin nichts anderes ersichtlich und wahrnehmbar ist als eine alte, ägyptisch typische Plumpheit menschlicher Künstlerhände, die von etwas rein Göttlichem aber noch um vieles weiter entfernt ist als das Blaue des Himmels von der Erde! Wenn man aber das verlästert, was an und für sich nichts als eine alte, allerschmählichste Lüge ist, – was Arges tut man denn da?! 3. Oder soll man etwa so einem alten und verrosteten Menschenbetruge gar noch einen Lobredner machen, um der jüdischen Gottheit, die gleich dem römischen Zeus eine barste Null ist, einen angenehmen Dienst zu erweisen?! Nein, so etwas wird ein ehrlicher Essäer wohl nie tun! Wir kennen ein anderes Allerheiligstes, und das ist ein ehrliches und biederes Menschenherz! Darin ist der Sitz der wahren Gottheit! Diese soll ein jeder wahre und ehrliche Mensch in sich, wie auch in seinem Nebenmenschen, anerkennen! Tut er das, so achtet er seine Menschenwürde auch in seinem Nächsten; tut er das aber nicht, so gibt er sich selbst ein ganz erbärmlich schlechtes Zeugnis und würdigt sich unter das allervernunftloseste Tier herab. Ja, es kann einen Gott geben; aber den findet der Mensch nur in der wahren Lebenstiefe seines eigenen Herzens, und dieses wahren Gottes Name heißt ,Liebe‘! Das ist die einzige und wahre Gottheit; außer dieser gibt es ewig keine irgendwo! Wer diese so recht gefunden hat, der hat das Prinzip des Lebens gefunden und wird dann mit diesem noch ein mehreres finden, vielleicht sogar ein ewiges, unverwüstbares Leben! 4. Man sammle in sich durch Liebe die Liebe und mache sie dadurch mächtiger und mächtiger! Durch solch eine konzentrierte Lebenskraft wird man vielleicht ganz leicht und gewiß jenen feindlichen anderen Kräften mit Erfolg die Spitze bieten können und wird sich dadurch als ein Sieger seinen Lebensfortbestand inmitten von tausend feindlich, auf ihn blind einwirkenden Kräften für ewig sichern können, wennschon nicht leiblich, so doch gewisserart geistig, was an und für sich doch ursprünglich eine jede Kraft ist und sein muß; denn das, was wir einmal zu Gesichte bekommen, ist nicht mehr die wirkende Kraft selbst, sondern nur das von ihr Gewirkte. Wenn wir aber die Werke der allgemeinen Naturkraft mit einem aufmerksamen Blicke betrachten, so finden wir gar bald und leicht, daß sich irgend Kräfte, als Teile der allgemeinen Urkraft, unter irgend von selbst aufgefundenen Bedingungen konsolidiert haben müssen, ansonst sie, als stets die gleichen daseiend, es nicht vermöchten, die stets gleichen Wirkungen an das Tageslicht der Welt zu liefern. Gleiche Wirkungen setzen auch die stets gleichen Ursachen voraus. Eine Kraft aber, die sich aus den stets unverändert gleichen Wirkungen als eben auch unverändert daseiend offenbart, muß in sich ein volles Bewußtsein und eine für ihr Wirken ganz genügende und helle Intelligenz haben, durch die sie sich tunlichst mit den ganz gehörigen Waffen versieht, mittels welcher sie allzeit siegreich aus einem Kampfe mit andern, noch roheren Kräften hervorgehen kann und auch wird; denn könnte sie irgend besiegt oder völlig aufgelöst werden, so würde das, was sie durch ihr Wirken hervorgebracht hatte, auch sicher nie und nimmer zum Vorscheine kommen. Nehmen wir nur an, daß die unsichtbare Kraft, aus deren Wirken zum Beispiel die Feige hervorgeht, irgend von andern Kräften aufgelöst werden könnte, so würde auch keine Feige je irgend mehr zum Vorscheine kommen! 5. Wenn wir aber durch solche Beobachtung schon eine zahllose Menge von Kräften in ihren verschiedenen Wirkungen von stets gleicher Art als notwendig unzerstörbar konsolidiert erkennen müssen und auch sehen, wie selbst wir Menschen unserer Form und ursprünglichen Beschaffenheit nach gleichfort regenerieren, so können wir auch als ganz bestimmt annehmen, daß jene Kraft, aus der wir hervorgegangen sind, sich selbst notwendig als ein bleibendes Lebensprinzip für ewig konsolidiert hat. Hat sich aber diese erhalten, so kann sich auch jedes Menschenleben, wenn es sein Lebensprinzip wahrhaft gefunden und mit den rechten Mitteln kultiviert hat, für sich konsolidieren und nachher geistig für immer und ewig fortbestehen. Denn ich meine, daß eine einmal ihrer selbst bewußte und denkende Lebenskraft, wenn sie sich einmal ordentlich selbst gefunden hat, sich und auch ihre Umgebung ganz erkennt, so dürfte es ihr eben gar zu schwer nimmer werden, Mittel zu erfinden, mittels welcher sie einer übermächtigen, aber nur roh und blind wirkenden Kraft für ewig den entschiedensten Trotz bieten kann, wie solches auch die Menschen auf dieser Welt zeigen. Laßt alle Orkane und eine ganze Million Blitze los über die Pyramiden Ägyptens! Werden sie den in ihren innersten Katakomben weilenden Menschen wohl etwas anhaben können? Kurz, schon auf dieser Welt zeigen die Menschen, daß sie sich vor den allerrohest und bösest wirkenden Kräften ganz gut zu schützen verstehen. Wer lehrte sie das? Die Erfahrung, ihre scharfe Vernunft und die Notwendigkeit! 6. Kann das der im allgemeinen noch sehr wenig gebildete Mensch, um wieviel mehr wird er solches als ein konsolidiertes Geistleben vermögen! Also haben wir auf wissenschaftlichem Felde auch eine gegründete Aussicht auf das Fortleben des Geistes des Menschen nach dem Abfalle des Leibes und benötigen dazu weder eines Zeus und ebensowenig eines Lama der Indier und eines Jehova der Juden; die reine Vernunft gibt uns dasselbe im reinsten und hellsten Lichte. 7. Und so, mein hoher Freund, habe ich dir nun die Gründe meines bisherigen Atheistentums klar und deutlich gezeigt und auch, daß meine Gründe sicher nicht aus den Fingerspitzen gesogen sind, sondern auf dem soliden Boden vieler Erfahrungen stehen! Ich wollte mich aber dadurch gar nicht vom Theismus für immer entheben! Zeige mir andere Gründe, und ich bin ein Theist! Wie sieht es nun aus mit diesem wunderbar entstandenen Hause für Markus und seine Familie? Gib mir davon doch nur einige Winke; denn nun kennest du mich ja doch schon ganz!“ Kapitel 36 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 36. — Roklus wird an Raphael verwiesen 1. Cyrenius wußte vor lauter Staunen über des Roklus Erfahrungen und über dessen richtige Beurteilung der Erscheinungen – sowohl im Gebiete der moralisch- politischen Lebensverhältnisse der Völker, ihrer mannigfachen Sitten und Lebensweisen, ihrer Religionskulte, wie auch im noch ausgedehnteren Gebiete der Naturerscheinungen aller Art – nicht, was sich nun darauf mit nur irgendeinem haltbaren Grunde erwidern ließe; denn alle Darstellungen des Roklus basierten auf dem festen Grunde der Erfahrungen, dagegen sich streng genommen nichts einwenden ließ. Das Priestertum kannte der Cyrenius nur zu gut und wußte, auf welchem Grunde es sein altes, finsteres Wesen trieb. Zudem erkannte er im Roklus noch einen guten und höchst uneigennützigen Menschen, der nur darum ein Essäer ward, um durch jedes Mittel, das mit der Humanität und wahren Nächstenliebe gegen alle ohne ihr Verschulden blinden Menschen in keinem Widerspruche steht, der stets und überall leidenden Menschheit zu helfen. Kurz, Cyrenius ward für Roklus stets mehr und mehr eingenommen. 2. Auch alle andern anwesenden Gäste konnten sich nicht genug erstaunen über dieses Essäers Verstandesschärfe und bedauerten nur in einem fort, daß Roklus mit Mir noch keine Bekanntschaft gemacht hatte. Alles war nun schon im höchsten Grade gespannt, was Ich am Ende zu all dem sagen werde. Aber für Mich war es noch immer nicht an der Zeit, Mich mit dem Roklus in eine Art Verhandlung einzulassen, da er denn doch noch so einiges in seinem Herzen barg, was er bei dieser sehr offenen Gelegenheit noch nicht ans Tageslicht stellte; aber für den weiteren Verfolg wäre Cyrenius dem Roklus doch nicht mehr gewachsen gewesen. 3. Ich berief daher geheim den Raphael und gab auch dem Cyrenius den Wink, von nun an dem Roklus den Raphael vorzustellen und ihm zu sagen, daß ein Weiteres nun dieser Jüngling mit ihm abhandeln werde, weil er (Cyrenius) sich für zu schwach und zu erfahrungsarm halte, um für des Roklus allerdings gediegenste Verstandesschärfe solche Gegensätze hervorzubringen, die das Atheistentum des Scharfdenkers zunichte machen würden; aber dieser Jüngling werde ihm, dem Roklus nämlich, schon die allergegründetsten Gegensätze aufzustellen vermögen, dessen er völlig versichert sein könne. 4. Cyrenius wandte sich denn darum nun abermals an den Roklus und tat ihm solches kund. 5. Roklus aber sagte darauf gleich zum Cyrenius: „Liebster, hoher Freund, wenn du als ein weiser Greis von königlichem Abkommen, der so lange schon das Regierungswerk treibt, dich mir mit dem großen Reichtume deiner vielen Erfahrungen und Kenntnisse nicht Rede zu stehen getrauest, was wird dann dieser zarte Jüngling mit mir machen, der offenbar noch nicht zwanzig Jahre zählt? Oder hältst du meine Gründe für zu schwach und gehaltlos, als daß du mir darauf eine Erwiderung gäbest?“ 6. Sagt Cyrenius: „Nein, nein, das durchaus nicht, sondern es verhält sich die Sache genauest also, wie ich sie dir kundgetan habe! Den Jüngling aber verkoste erst, und urteile dann!“ 7. Sagt Roklus: „Nun denn, so wollen wir sehen, auf welchem Platze er den Stein der Weisen gefunden hat!“ 8. Darauf wandte sich Roklus an den schon neben ihm stehenden Raphael: „Nun, so gib denn kund, was du verstehest! Kannst du zunichte machen meine Erfahrungen oder mit Blindheit schlagen meinen Verstand, dann kannst du an mir ein schwaches Schilfrohr finden, das von allerlei Winden nach allen beliebigen Seiten leichtlich gebogen wird; läßt du mich aber, wie ich bin, so wird es dir schwer gelingen, mich umzugestalten aus deinen Erfahrungen heraus! Denn du kannst kaum mehr als Rom gesehen haben und das, was dir auf der Reise hierher alles untergekommen ist! Du warst sicher noch niemals in Ägypten, dem Lande der alten Weisheit, und hast lange nicht aus der Erfahrung kennengelernt, wie viele Arten von Glauben an einen oder mehrere Götter und Göttinnen die verschiedenen Völker haben, und du willst es mit uns zwölf Riesen in den Dingen der Erfahrung aufnehmen? Nun wohl denn, ich habe ja eben auch nichts dawider; wir werden es ja sehen, wie stark behaart etwa deine Zähne sind! Mache dich also auf und widerlege meine rein atheistischen Gründe, und zeige mir den Gott, der sich mit der reinen Vernunft eines Menschen verträgt und mit des Menschen innerstem Lebensprinzip, das offenbar die Liebe ist! Aber mit einem andern Gotte komme uns ja nicht; denn der wird schon von vornhinein verworfen, weil es keinen andern geben kann und auch nie geben wird! Ist ihm das recht, so beginne er, an uns zu fegen!“ Kapitel 37 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 37. — Raphael schildert Gottes Wesen 1. Sagt Raphael: „Lieber Freund, du hast dich ein wenig zu früh gegen mich in einen leeren Eifer gesetzt! Laß mich erst auch ein paar Worte mit dir reden, und es wird sich dann schon zeigen, ob ich dir gewachsen bin! 2. Höre, du hast gleich von vornherein ein förmliches Interdikt dahin an mich erlassen, dir keinen andern Gott aufzubürden als allein einen solchen, den deine Vernunft gutheißt! Und siehe, ich selbst kenne wahrlich auch keinen andern als Den, welchen du mit deiner Vernunft gefunden hast! Der Unterschied zwischen uns beiden ist nur der, daß du dir einen solchen Gott wünschest, den ich wahrhaft persönlich zu kennen die allerhöchste Ehre habe, und habe zugleich auch noch diese hohe Ehre, Sein allzeit bereitwilligster Diener zu sein. 3. Dieser allein wahre Gott ist pur Liebe und aus der Liebe heraus erst die vollste Weisheit und durch diese Weisheit allmächtig. 4. Dieser Gott ist zugleich die höchste Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit und alles Licht und Leben Selbst, und alle Wesen und Dinge auf dieser Erde – die Erde selbst mit allen ihren Geistern und Elementen, der Mond, die Sonne und alle die zahllos vielen anderen Sterne, die nichts anderes als eben auch ungeheure Weltkörper sind, manche um unaussprechbar viele Male größer als diese Erde, die so gut eine Kugel ist, als wie du den Mond und die Sonne nie anders denn als Kugeln gesehen hast, von denen die letzte, die Sonne nämlich, um eine ganze Million Male größer ist denn diese Erde –, alles das sind Werke eines und desselben Gottes, der ganz so beschaffen ist in Seiner ureigentlichsten Wesenheit, als wie Ihn deine wahrlich sehr geläuterte Vernunft sich vorstellt! 5. Er weiß um alle die schlechten und falschen Vorstellungen von Ihm und erweckt auch gleichfort Menschen, die von Ihm einen wahren Begriff bekommen; aber sie werden von den trägen und blinden Menschen gewöhnlich auf dieser Welt nie recht verstanden, und diese bleiben bei ihren alt angewohnten Torheiten. 6. Du meintest freilich, daß ein solch reeller Gott denn doch unmöglich so lange die Greuel der Menschen ansehen und dulden könnte. Ihm, als dem allmächtigen Gebieter, müßte es ja doch wohl möglich sein, all den argen und falschen Quark über den Haufen zu schmeißen. Da hast du im Grunde durchaus nicht unrecht. 7. Ich fühle und denke da geradeso wie du, und es geschieht mir dabei um so schwerer, weil auch ich, als ein schon lange vollkommen konsolidiertes Geistlebenswesen, ganz die Macht habe, durch meinen Willen, wenn es darauf ankäme, in einem Augenblicke alle jene Berge, die dort über dem Meere emporragen, in ein für deine Sinne blankstes Nichts zu verwandeln; denn etwas können und nicht dürfen, ist bitterer gewiß, denn etwas mögen und nicht können! 8. Daß man aber trotz der innehabenden Macht nicht dreinschlagen darf, wenn es einen auch noch so gelüstete, rührt daher, weil es auf dieser Welt für jeden Menschen darauf ankommt – wie du es ganz gut gegen das Ende deiner Besprechung mit dem Cyrenius bemerket hast –, daß sich nämlich ein rechter Mensch selbst finden und als eine konkrete Lebenskraft konsolidieren soll, ansonst er sich gegen die beständige und feindliche Einwirkung der großmächtigen Kräfte unmöglich als ein freies und selbständiges Wesen für ewige Dauer erhalten könnte! Wenn du auch nicht mit eben diesen meinen Worten dich ausgedrückt hast, so hast du aber doch denselben Sinn hineingelegt. 9. Nun wirst du es schon einsehen, daß beim Menschen hier auf dieser Erde, wo er sein innerstes Lebensprinzip selbst, ohne irgendeine fremde, gewaltsame Beihilfe, rein nach seinen Erkenntnissen und ganz nach seinem freiesten Willen, zu konsolidieren hat, sich nicht mit den dicksten Prügeln dreinschlagen läßt. Solange irgendwo die Menschen aus sich eine solche Lebensordnung herausgefunden haben, unter der sowohl eine moralische wie auch physische Existenz denkbar ist, so läßt man sie darin so lange bestehen, als sie nicht in zu große Ausartungen übergehen. Geschieht bei einem Volke aber das, so ist der Herr Himmels und der Erde auch allzeit da und führt das entartete Volk wieder in die rechte Lebensordnung zurück, wie es soeben beim Judenvolke der Fall ist.“ Kapitel 38 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 38. — Zweck der Bußwerke in Indien 1. (Raphael:) „Du warst wohl in Indien und hast so manche Mißbräuche gesehen, namentlich die starken Bußen. Es ist so etwas für den puren Verstandesmenschen eine offenbare Narrheit, verbunden mit wenigstens einer scheinbar grausamen Willkür der dortigen Priesterkaste. Allein dem ist doch nicht ganz also, wie es gerade den Anschein hat. Dieses Volk lebt in einem Lande, das auf der Erde die größte Vegetationsfähigkeit besitzt für Pflanzen sowohl als für Tiere und Menschen. Gehe du in diesem Lande in die Wälder der Berge, und du wirst tagelang umhergehen können, um auf einem noch so alten Baume auch nur ein dürres Zweiglein zu finden, und brichst du von einem Baume einen Zweig ab und legst ihn ganz frei und offen irgend sogar auf sandigen Boden hin, so kannst du nach einem Jahre kommen, und du wirst den Zweig sicher noch ganz grün antreffen, ja sehr oft sogar mit neu ins Erdreich getriebenen Wurzeln. 2. Also ist die Lebensfähigkeit, besonders in den Mittelgebirgsregionen, sowohl bei den Pflanzen wie bei den Tieren eine übergroße. Man kann dort einem Tiere oder auch einem Menschen schon eine bedeutende Wunde beibringen, und es wird diese eben keine so großen Schmerzen verursachen, weil die sie deckende Luft dort schon heilsamer wirkt als hier das heilsamste Pflaster. Versetzt dir hier jemand einen Schlag mit einem Stocke oder mit einer Rute, so wird es dich etliche Tage lang schmerzen; dort kannst du dir tausend Rutenstreiche geben lassen, und du fühlst kaum einen Streich bis zum nächsten. Versuche dir hier einen Nagel ins Fleisch zu stecken, so wirst du schon einen Schmerz fühlen, der unerträglich wird! Du wirst geschwollen werden, eine brennendste Entzündung, ja sogar ein tödlicher Brand kann hinzutreten, oder die Wunde wird zu eitern anfangen und dir unsägliche Schmerzen verursachen; in den vorgenannten Gebieten Indiens gar nicht! Jahrelang kannst du mit einem ins Fleisch gesteckten Nagel umhergehen, so wirst du davon nahe gar keinen Schmerz bald nach dem Hineinstecken mehr wahrnehmen, weil die Luft dort so balsamisch heilsam ist, daß bei Verwundungen nahe gar nie eine Entzündung entstehen kann. Entsteht diese aber nicht, so ist von einem Schmerze, am wenigsten von einem unerträglichen, schon gar keine Rede. 3. Zugleich aber sind dort die Menschen, weil von zu viel Naturlebenselementen beseelt, immer sehr aufgeregt und würden besonders in der Sphäre des Begattungstriebes in Ausartungen übergehen, die ihresgleichen auf der Erde nicht hätten. Die scharfen Bußwerke halten sie am meisten davon ab. Durch die starken Kasteiungen wird ihr Fleisch gewisserart abgetötet, und dazu bewegt sie die ihnen stark eingeprägte Furcht vor dem Feuer der Hölle, das ihnen von den Priestern auf eine so lebendige Weise als nur immer möglich vorgemalt wird, daß es sie schon durch die Beschreibung ordentlich zu brennen anfängt; denn das Feuer fürchtet der Indier am meisten, weil ihm dieses schon hier den größten Schmerz bereitet, den sein Fleisch zu empfinden fähig ist. Durch die scharfen Bußwerke, die Gott der Herr bis jetzt und noch für länger hin bei den Indiern zuläßt und duldet, wird doch die Seele dieser Menschen erhalten in ihrer Menschenlebensform und ist dann fürs ewige Jenseits fähig, in eine höhere Lebensvollendung überzugehen. 4. Du wirst mir dagegen freilich einwenden und sagen: ,Man lasse dies Volk nur recht wissenschaftlich bilden, und es wird dann etwa sicher nicht in alle möglichen Unzuchtsausartungen übergehen!‘ – Tut's nicht, mein schätzbarster Freund, trotz deiner noch so reinen Vernunft! Völkern, bei denen die Phantasie von Natur aus zu geweckt ist, ist die Wissenschaft ein wahres Lebensgift! Nehmen wir an, die phantasiereichen und einbildungskräftigen Indier besäßen die Wissenschaften Griechenlands, Roms und Alexandriens, so wäre die ganze Erde nicht sicher vor ihnen! Ihnen würden allerlei Künste und Wissenschaften nur die Mittel in die Hände liefern, eines der furchtbarsten und entartetsten Völker der Erde zu werden; denn sie würden bald Dinge ans Tageslicht fördern, die alles, was einst Babylon und Ninive und ganz Ägypten, Athen und Rom gemacht haben, im höchsten Grade überbieten würden. Die Berge würden ihrem Mutwillen weichen müssen, Städte würden sie erbauen, die gleich über ganze fruchtbarste Länder reichten, Flüsse und Ströme würden sie eindämmen, auf daß dann ungeheure Seen entstünden. Kurz und gut, die in alle Wissenschaften eingeweihten Indier würden zu einem fürchterlichsten Volke der ganzen Erde, wenn sie jetzt auch ein noch so sanftmütiges Gemüt und Gesicht besitzen!“ Kapitel 39 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 39. — Die Gefahren hoher wissenschaftlicher Bildung 1. (Raphael:) „Übrigens aber wird ein Volk, das eine große Phantasie besitzt, schon auch darum nie zu tief wissenschaftlich gebildet, weil die zu mächtige Einbildungskraft und die daraus hervorgehende Phantasie stets hinderlich dagegen wirken. Es behagt diesen Menschen besser, allerlei läppische Bilder in ihrer Phantasie zu schauen, als logisch richtig über eine oder die andere Erscheinung nachzudenken; übrigens kommen die von dir gesehenen strengen Bußen eben nicht gar so häufig vor, wie du es meinst und man es dir gesagt hat. Denn ein Reicher löst sich auch los, und der Arme wird nur dann dazu berufen, wenn er wirklich ein schon bedeutendes Vergehen wider die bestehenden Gesetze sich hatte zuschulden kommen lassen. Es besteht demnach in Indien bis jetzt noch eine solche patriarchalische Ordnung, gegen die man noch nicht gleich mit Blitz und Feuer aus den Himmeln dreinschlagen kann. Wohl gibt es eine krasseste Masse des tollsten Aberglaubens, dem gesteuert werden sollte; aber da solcher Aberglaube stets eine sicher reichste Frucht bei allen jenen Völkern ist, die eine sehr rege Phantasie besitzen, so kann man dagegen auch nicht sogleich mit den allergewaltigsten Prügeln dreinschlagen! 2. Denn es ist noch immer besser, das Volk im Aberglauben zu belassen, als es in alle die Wissenschaften einzuweihen; denn der Aberglaube heftet den Indier auf seinen Boden, während ihn die Wissenschaft nur zu bald mit Aarsflügeln versehen würde, sich gleich über die ganze Erde verderblich auszubreiten. Ja, wenn es möglich wäre, das gesamte Indiervolk mit einem Schlage in die reinste Wissenschaft ohne ihre Mühe zu versetzen, so würden sie eine Weile staunen darüber, wie sie so lange die große und sinnlose Torheit über sich haben herrschen lassen können. Bald darauf würden sie aber von Zorn und Grimm über ihre Priester derart entbrennen und im gleichen auch über sämtliche andervölkerliche Persönlichkeiten, daß diese alle über die allerschärfsten Klingen springen müßten. Sie würden eine Purifikation vornehmen, über der die ganze Erde ehestens blutrot aussehen müßte. Und was wäre am Ende damit gewonnen? Der dumme Menschenteil würde natürlich niedergemetzelt werden, und aus den wissenschaftlich geweckten Menschen würden lauter blutdurstige Tiger hervorgehen! 3. Daß aber dies also ginge, beweisest du als ein rein vernünftiger Mensch durch deinen großen Ärger über alle die Gottheiten und besonders über ihre sogenannten Stellvertreter. Wenn dir so meine Macht zu eigen wäre! O weh, wie geschwinde würdest du allem Priestertume auf der ganzen Erde ein Ende machen! Aber was hernach mit den anderen Menschen, die mit Haut und Haaren an ihren Priestern hängen und sich von ihnen nach allen Seiten wie die Lämmer von ihren Hirten leiten lassen?! Würdest du sie wohl auch alle durch einen Machtspruch in deine reine Vernunft übersetzen können? Ich sage es dir: Das wäre eine schwere Aufgabe! Denn, so dann ein jeder gleich viel wüßte, so müßte auch ein jeder gleich viel an materiellen Mitteln besitzen, so er nicht verhungern wollte. Denn käme er zu seinem Nachbarn und trüge ihm seine Dienste an und sagete: ,Ich verstehe nun dieses und jenes!‘, so würde der Nachbar sagen: ,Dasselbe verstehe ich auch, habe mich schon lange danach eingerichtet und brauche von niemandem etwas! Ein jeder sorge nun für sich!‘ 4. Wenn ein Vater sagete zu seinen Kindern: ,Tut und lernet dies und jenes!‘, so würden die Kinder sagen: ,Was sollen wir noch tun und lernen? Können und verstehen wir doch alles, was du kannst und verstehst, und tun danach! Was weiteres verlangst du von uns?‘ 5. Würdest du im Alter, wo ein jeder Mensch schwächer und gebrechlicher wird, eines Dieners benötigen und zum nächsten Besten, der dir etwas tun könnte, sagen: ,Siehe, ich bin schwach geworden und benötige deiner Hilfe, die ich dir gut bezahlen will und werde; sterbe ich, so will ich dich als meinen Erben einsetzen!‘, – weißt du, was der Angeredete dem Hilfsbedürftigen sagen würde? Höre, er würde gerade das sagen, was du selbst zu jemandem sagen würdest, so er dich anredete um einen beständigen leiblichen Dienst! Du würdest diesem sagen: ,Freund, ich habe nicht nötig, jemandem einen Knecht und Diener zu machen, denn ich bin selbst so wohlhabend wie du und habe nicht nötig, Dienste zu nehmen, um mir meinen Lebensunterhalt im Schweiße meines Angesichtes zu verdienen! Wer es nötig hat, der plage sich für seinen Nächsten; ich lasse das bleiben!‘ – Siehe, das, was ich dir nun sage, war viele hundert Jahre im alten Ägypten der Fall! Die Menschen wurden alle stockweise, und ein jeder war reich.“ Kapitel 40 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 40. — Entstehung der Sklaverei 1. (Raphael:) „Was für eine Folge hatte das? Sieh und höre: Keiner wollte mehr seines Nächsten Knecht sein, ein jeder arbeitete und lebte am Ende für sich, und für den Nutzen seines Nächsten war um keinen Preis jemand zu haben. Die Menschen sahen aber am Ende doch ein, daß ein solch versorgtes Leben im Grunde doch ein ganz gehörig elendes ist. Und die Ältesten des Volkes sahen diesen Übelstand zunächst ein, denn sie hatten eine Bedienung vor allem vonnöten, und hielten Rat, wie ihnen da zu helfen wäre. Ein Weisester unter ihnen sagte: ,Die Erde ist groß; gehen wir aus und erproben, ob es denn nirgends Leute gibt, die arm sind und uns um einen guten Lohn gerne dieneten!‘ Sie gingen nach Asien und fanden bald, was sie suchten. Die nahen Völklein Asiens aber merkten es bald, was den überreichen Ägyptern abging, zogen weiter in den asiatischen Ländern umher und kauften die Diener an sich, um sie dann noch teurer nach Ägypten zu verkaufen. Und siehe, so entstand die Sklaverei und der Sklavenhandel, der leider heutzutage nahezu schon überall gang und gäbe ist. Kannst du preisen solch eine Frucht der einstigen, überhohen allgemeinen Weisheit der alten Ägypter? 2. Aber die eigentlich alten weisen Ägypter wurden dabei aus der Erfahrung klug und weihten ihre Diener ja um keinen Preis in ihre tiefe Weisheit ein; denn diese würde ja leicht aus ihren Dienern bald reiche Menschen gemacht haben, denen das Dienen und Arbeiten nicht mehr schmecken würde, und sie, die alten Weisen, hätten dann ja abermals niemanden, der sie ganz treu und nach Wunsch bedienete und für sie arbeitete. 3. Hast du aber auch in Indien Sklaven gesehen, das heißt angekaufte? Sicher nicht! Es gibt wohl Sklaven des eigenen Aberglaubens, was auch schlimm ist, aber doch nicht so schlimm wie das Kaufsklaventum! Die verkauften und angekauften Sklaven werden bloß als Lasttiere behandelt und lange ferngehalten von jeglicher Geistesbildung. Ihre Sache ist: blind gehorchen, stumm dulden und überviehisch leiden, im Gegenfalle die willkürliche, größte und vor keinem Weltgerichte verantwortliche Mißhandlung derselben! Sogar die Tötung eines Sklaven, wenn sie von seinem Herrn ausgeht, unterliegt keiner gesetzlichen Ahndung! Nur so dein Nachbar dir einen Sklaven getötet hätte, ist er dir einen Schadenersatz zu erstatten verpflichtet. 4. Und siehe, dieser Jammer an der Menschheit ist und bleibt noch immer als eine Folge jener Zeitepoche Ägyptens, in der die Menschheit allgemein in hohem Grade weise und sehr wohlhabend war und niemand für eine begangene Sünde irgendeine Strafe zu erdulden hatte, weil wahrlich niemand gegen seinen Nachbarn sich zu versündigen auch nur den kleinsten Grund hatte, da ein jeder so viel selbst hatte von allem, was ihm zum Leben nötig war, und seinem Nachbarn jahrelang um nichts zu kommen brauchte! Als dann aber die Sklaverei aufkam, da erfand man Gesetze, laut derer sich ein Sklavenbesitzer gegen seine Sklaven auch bei aller seiner Grausamkeit nie versündigen konnte. Wo aber keine Sünden begangen werden können, für was sollen da die Bußwerke gut sein?!“ Kapitel 41 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 41. — Die egoistische Haushaltung der alten Ägypter und deren Übelstand 1. (Raphael:) „Als aber später durch die Arbeit der Sklaven die Herren des Landes verschieden reich wurden, so daß einige sehr bedeutend reicher wurden denn einige andere, da meldete sich bald der Neid, Zank und Hader, und man fand es dann erst für notwendig, bürgerliche Gesetze zu entwerfen, denen sich ein jeder fügen mußte, selbst der Var (Pharaon = Hirte) nicht ausgenommen. Da fing man dann auch an, die Sklaven dadurch zu kultivieren, daß man ihnen – natürlich sehr verdeckte – Begriffe von der Gottheit beibrachte und sonach für jede einzelne von Gott ausgehende und ersichtliche Wirkung gleich eine allegorische Persönlichkeit hinstellte, die die Sklaven als eine Gottheit zu verehren bekamen. Dadurch wurden die mit der Zeit mächtig gewordenen Sklaven zahmer und sanfter und ertrugen ihr Los mit einer größeren Geduld; denn sie fürchteten die unsichtbaren Machthaber sehr, weil sie durch die geheimen Künste der Ägypter zu einer Art Überzeugung kamen, daß es im Ernste solche Götter gäbe und mit ihnen kein Scherz zu machen sei. 2. Wären, wie schon bemerkt, die Sklaven nicht mächtig geworden – sowohl durch ihre Vermehrung, als durch zweimal jährlich erneute Ankäufe –, so hätten die alten Ägypter sie nie irgendwelche falschen und noch weniger irgendwelche mehr rechten Götter kennen gelehrt; nur die Furcht vor der rohen physischen Gewalt und Kraft der Sklaven zwang die alten, urweisen Ägypter dazu, den Sklaven irgendwelche Begriffe von den Gottheiten beizubringen. 3. Nun denke dir aber selbst die Lage der alten, weisen Ägypter! Sie waren weise und reich; was der eine hatte und verstand, das verstand auch ein jeder andere, hatte auch denselben Reichtum und hatte also durchaus nicht not, bei seinem Nachbarn zu dienen ums Brot; ein jeder besorgte zumeist nur sein Eigentum mit seinen Kindern. Solange die Menschen noch jünger und kräftiger waren, ging es mit solcher weise egoistischen Haushaltung wohl an; als aber die Menschen älter wurden und schwächer und gebrechlicher, da erwachte in ihnen die Sehnsucht nach Bedienung. Aber wer hätte sie bedienen sollen? Du sagst: ,Ihre Kinder!‘ Wäre alles recht; aber in jener Zeit hatte Moses die Gebote Gottes den Menschen noch sehr lange nicht verkündet gehabt. Nach ihren naturweisen Gesetzen aber waren die Kinder ihren Alten gegenüber auch nichts anderes als ein jeder andere freie Mensch. Die Kinder dienten und gehorchten den Eltern nur bis zu ihrer Mannbarwerdung. Nach dieser wurden sie frei und hatten keine Verpflichtung mehr gegen ihre Alten; denn ihre reine Vernunft hatte ihnen solchen weisen Grundsatz aufgestellt, demnach die Kinder als Werke ihrer Alten ihnen ebensowenig verpflichtet seien, als wie da ein Haus gegen seinen Baumeister für irgend etwas verpflichtet sei, außer daß man darin wohne, – das Wie ist Sache des Bauführers und Erbauers. Ist das Haus gut gebaut, so wird sich darin auch gut und angenehm wohnen lassen; ist das Haus aber schlecht und fahrlässig erbaut, so wird es auch zu einer schlechten Wohnung dienen, woran dann nicht das Haus, sondern der Baumeister selbst die Schuld trägt. 4. Nun, die Alten hätten ihre Kinder wohl gerne so erzogen, daß sie ihnen dann durch ihr ganzes Leben gedient hätten; aber die Kinder hatten auch die fünf Sinne bekommen durch den Unterricht ihrer Alten, oft mehr praktisch denn theoretisch, und so wurden sie wie ihre Alten weise Egoisten, und die Alten wurden dadurch genötigt, sich um fremde Diener umzusehen. Diese kamen und dienten; und die reine Vernunft der alten Weisen sagte zu ihnen: ,Wollen wir, daß diese Menschen unsere beständigen Diener bleiben, so dürfen sie von unserer Weisheit nicht das geringste erfahren, sonst würden sie am Ende wie unsere Kinder, die uns auch nicht dienen wollen, weil sie in alle unsere Weisheit eingeweiht sind!‘ 5. Die Sklaven blieben sonach langehin sehr dumm und bekamen keinen andern Unterricht außer den, was sie zu tun hatten als Diener und Knechte. Aber die Sklaven mehrten sich sehr und fingen an, ihre Kraft zu erkennen, die die alten Weisen geheim sehr zu fürchten begannen! Da sagte die reine Vernunft den Weisen: ,Machet bald Menschen aus ihnen, sonst werden sie als große Herden der reißendsten Tiere euch zerreißen!‘ Darauf erst erfand man für die gefürchteten Sklaven das bekannte Göttertum und ließ von den Göttern im Angesichte der Sklaven allerlei Wunder wirken. Dadurch wurden die Sklaven eingeschüchtert und dienten nun den alten Ägyptern als eine eigene Kaste der Menschen mit doppeltem Fleiße freiwillig. Dadurch erst wurde Ägypten im höchsten Grade blühend, lockte viele Fremde an, unter denen sich auch mitunter Neider und Verräter befanden, durch die in den späteren Zeiten große Verlegenheiten bereitet wurden. 6. Siehe, das sind lauter Werke der menschlichen, reinen Vernunft, die mir vorkommt wie ein Mensch, der über einen hohen und steilen Berg herabzulaufen anfängt und den Lauf, wenn er einmal so recht darin ist, nimmer einstellen kann! Die Folge davon kannst du dir leicht vorstellen.“ Kapitel 42 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 42. — Die Staatsordnung der alten Indier 1. (Raphael:) „Da haben die Indier ihre Sache bei weitem klüger eingerichtet! Das Volk bleibt bei seinem an und für sich harmlosen Aberglauben, glaubt aber dabei dennoch an ein allerhöchstes Gottwesen und an dessen weltliche Stellvertreter, die für die Aufrechterhaltung der alten stereotypen Ordnung gleichfort dahin die eifrigste Sorge tragen, daß ja nichts Neues hinzugefügt wird, aber auch nichts hinwegkommen darf, was die alten Bücher enthalten. Und so wird der Indier in tausend Jahren auch noch ganz das sein, was er jetzt ist und schon vor etlichen tausend Jahren war. Das Schlimmste bei ihm sind seine Bußen und das, daß er sich selbst einen Richter zu machen hat. 2. Gegen sich selbst kann er streng sein über alle menschlichen Begriffe, weil dem selbst frei Wollenden kein Unrecht geschieht; aber dafür ist bei den Indiern wieder das Gute, daß es bei ihnen keinen bösen Leumund und keinen Verräter gibt. Niemand verklagt seinen Nächsten, und es gibt unter den vielen Millionen Menschen auch nicht einen schadenfrohen! Darin aber liegt auch der Grund, demzufolge die Indier in ihrer Art und Weise ein so altes Volk geworden sind und noch älter werden. Mit den Zeiten, wenn etwa fremde Völker zu ihnen kommen und ihnen eine andere Religion, andere Sitten und Gebräuche beibringen werden, dann werden sie auch unruhiger und unzufriedener werden, werden sich selbst nicht mehr richten und keine Bußen mehr verrichten; aber dafür werden sie die anderen richten, verfolgen und ihnen die schwersten Bußen auferlegen. Sie werden bald sein wie die Pharisäer zu Jerusalem, die ihren Gläubigen auch die unerträglichsten Lasten aufbürden und jedermann richten; aber über sich dulden sie ja keinen Richter und rühren keine Last und Bürde, auch nicht mit der Spitze des kleinsten Fingers, an! – Findest du das gut oder besser als das, was du bei den harmlosesten Indiern also gefunden hast?“ Kapitel 43 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 43. — Der religiöse Verband Indiens mit China 1. (Raphael:) „Siehe, über Indien, jenseits der höchsten Berge dieser Erde, gibt es noch ein gar großes Kaiserreich, das wenigstens fünfmal so viele Menschen zählt als das römische. Alle jene Menschen haben nahe dieselbe Gotteskunde wie die Indier. Sie leben in der größten Ruhe und Ordnung, sind sehr mäßig, nüchtern, genügsam, arbeitsam, unverdrossen und voll des blindesten Gehorsams gegen ihre Lehrer und Leiter, und ihr Kaiser ist ihr vollkommener Herr und sorgt allerwachsamst dafür, daß ja nirgends irgendein Fremdling in sein großes Land dringen kann. Es ist zu dem Behufe auch sein ganzes Land, wo es mehr flache Begrenzungen hat, mit einer kolossalsten Mauer von den angrenzenden Ländern der Erde abgeschnitten, über die kein feindliches Heer zu dringen vermag. Diese Mauer ist auch gleichwegs mit Türmen versehen, innerhalb welcher eine starke Wache auf der beständigen Lauer ist, und die stark genug ist, jede fremde Annäherung auf das entschiedenste zurückzuweisen. 2. Nur ein Bote des Bramah (Brau ma = hat Recht) aus dem Hochindien hat alle Jahre einmal das zugestandene Recht, über diese Mauer ins Land zu kommen, weil er, der Überbringer des Lobes oder auch des Tadels vom Lama aus, unmittelbar dem Kaiser selbst es zu überbringen hat in einer schweren, goldenen Büchse. Dieser Bote kommt zwar mit großem und glänzendstem Gefolge zur bestimmten Zeit an den bestimmten Platz bis zu der Mauer und fängt an, unten einen großen Lärm zu machen. Darauf wird ein Korb über die hohe Mauer herabgelassen. Der Bote allein nur darf in den Korb steigen, in dem er dann hinaufgezogen wird; sein Gefolge aber muß dann so lange harren, bis der Bote wieder zurückgekommen ist. 3. Der Bote aber wird von der Mauer weg die weite Strecke von etlichen zwanzig Tagereisen in einer Sänfte getragen, aus der er nichts als nur den Himmel sehen kann. Erst in der großen Kaiserstadt, die mehr als ganz Palästina Einwohner hat, wird er auf freien Fuß gestellt und mit allen Ehren zum Kaiser geleitet. Dort übergibt er die goldene Büchse mit ihrem Inhalte und gibt dem Kaiser den Wunsch des großen Lama zu erkennen, worauf er vom Kaiser ansehnlichst beschenkt und in Gnaden entlassen wird. Darauf beginnt sogleich seine Rückreise, die der früheren Herreise stets auf ein Haar gleicht. 4. Bei einer solchen Gottesbotenreise zum Kaiser und vom Kaiser wieder nach Hause strömt stets eine große Menge Menschen an die Straße, auf der der Gottesbote, den natürlich außer den vertrauten Trägern beim Ein- und Aussteigen niemand zu sehen bekommt, mit einer unbeschreiblich großen Zeremonie zum Kaiser getragen wird. 5. Fragst du das Volk, warum es den Gottesboten niemals zu sehen und noch weniger zu sprechen bekommt, so wird dir das Volk, ganz voll der höchsten Demut, zur Antwort geben: ein solches Verlangen wäre schon eine nie verzeihbare Sünde. Es ist der Gnade des großen Gottes schon ohnehin in höchster Überfülle, den heiligen Boten des großen Gottes von ferne hin tragen zu sehen, wodurch ein jeder so etwas Sehende so viel des Segens überkommt, daß er damit gut für noch zehnmal hunderttausend andere Menschen des großen Reiches, von dem sie meinen, daß es gerade in der Mitte der Welt sich befindet, in Überfülle auf zehn Jahre auslangt. Nun, das wird dem harmlosen Volke also beigebracht, und es glaubt steinfest daran. 6. Der Bote selbst weiß von diesem Glauben zwar auch; aber er weiß noch etwas anderes, nämlich, daß er das Land und dessen Einrichtungen bei Strafe mit dem Tode gar nicht sehen darf, um es irgend möglicherweise zu verraten. Denn der Landesverrat ist in diesem Lande das höchste Verbrechen, das selbst wegen einer kaum achtbaren Kleinigkeit gleich auf das schärfste bestraft wird. Das Volk dieses Reiches ist aber bei aller seiner Dummheit dennoch sehr treu, wahrhaft und überaus gehorsam. Kannst du dich ärgern, wenn das Volk von den Leitern in der Dummheit erhalten und gepflegt wird und dabei ganz glücklich ist, wenn auch der Kaiser und seine ersten Diener für sich ganz etwas anderes wissen? Oder ist das alles nicht gleich eurem Essäerorden? Ist dann Gott unweise und ungerecht, wenn Er alles dieses zuläßt und duldet, solange das Volk irgend voll Geduld und Demut verbleibt, und daß Er auch duldet euch wollüstige Essäer? – Rede nun, mein Freund, ob nun du mir etwas einzuwenden hast!“ Kapitel 44 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 44. — Roklus erzählt von den Zaubereien eines indischen Magiers 1. Roklus, dessen Augen stets größer wurden, je länger er den vermeinten Jüngling anhörte, rief in großverwunderlicher Aufregung zum Raphael: „Aber höre, Junge! Du zählst kaum sechzehn Jahre und trittst mir mit Kenntnissen und Erfahrungen entgegen, die ein anderer ehrlicher Mensch sich kaum in sechzig Jahren bei allem Fleiße angeeignet haben würde. Ich will nun nicht davon reden, daß du mich im Ernste zu der Annahme eines wahren Gottes, der geradeso aussieht, wie ihn mein Herz schon lange heimlich sich gewünscht hat, umgewendet hast und ich dir nun gar nichts dagegen einzuwenden habe, sondern lediglich davon, wie und wann du zu solchen Kenntnissen und Erfahrungen gekommen bist. 2. Du kennst ein Reich noch hinter Indien, von dem ich kaum ein paar Male, und zwar nur in Indien, habe faseln hören; denn ein Indier hat mir davon so wunderliche Dinge ganz treuherzig erzählt, daß ich mich dabei des Lachens kaum erwehren konnte. Jetzt erst komme ich durch deinen Mund zu einer richtigeren Vorstellung dieses fabelhaften Reiches, dessen Einwohner etwa die größte Kultur bezüglich der Industrie, Künste und Gewerbe besitzen sollen. Ja, du hast freilich durchgängig recht und scheinst auch in der Magie aller Völker großartigst bewandert; denn sonst hättest du von einer gewissen Allmacht, die dir eigen sei, wohl sicher nimmer eine Erwähnung gemacht! 3. Ich sehe nun, wenn auch noch etwas dunkel, wohl ein, daß die Gottheit aus wahrlich höchst weisen Gründen alles, wie es nun ist, auf der Erde sein und geschehen läßt, da es ihr nur um die Bildung der Seele, nicht aber um die Wohlfahrt der Leiber der Menschen zu tun sein kann! Aber um meine volle Ein- oder Nichteinsicht in dieser Sache handelt sich's jetzt auch gar nicht, auch fällt mit einem Schlage keine alte Zeder des Libanon um, – sondern es handelt sich nun, für mich vom höchsten Interesse seiend, ganz einfach nur einzig und allein darum, wie du zu dem allem gekommen bist! 4. Du brauchst mir nun auch gar nicht mehr zu erzählen, wie des alten Markus neues palastartiges Haus samt Garten und samt dem Hafen und seinen ganz neuen Schiffen entstanden ist; denn du stehst als der zauberische Baumeister ja offenbar vor mir und hast dich als solcher schon verraten, wahrscheinlich absichtlich, um mich zu erproben, ob ich nicht trotz meines geweckten Verstandes zu dumm sei, um solche deine hingeworfenen Worte zu verstehen. 5. Das Feld der Magie ist ein ungeheures und unbegrenztes, und selbst der größte Meister darin ist und bleibt nichts anderes als ein schülerhafter Anfänger. Wir Essäer, unter uns gesagt, verstehen uns gewiß darauf, da wir doch persische und ägyptische Magier in unserem Solde haben, die Wundertaten zu verrichten imstande sind, vor denen unsereinem ganz ordentlich zu schwindeln anfängt, obwohl auch ich selbst in dieser Sphäre nicht als ein Laie dastehe; aber abgesehen von dem habe ich in Indien Magier gesehen, die da Dinge verrichtet haben, gegen die unsere ganze Magie als ein purstes Kinderspiel anzusehen ist! Ich hätte tausend Pfunde Goldes darum gegeben, wenn mich der Königsmagier von Thiba nur einige seiner unübertrefflichen Zaubereien gelehrt hätte; aber er war um kein Geld dazu zu bewegen. 6. Und so kannst du ebenfalls irgend in Geheimnisse eingeweiht sein, von denen mir noch nie etwas geträumt hat, und kannst deine unsichtbaren Helfershelfer und dienstbaren Naturgeister verwenden, wie du sie nur immer willst, und es ist dir also ein leichtes, einen ganzen Berg, und um so leichter ein solches Haus usw. in einem Augenblicke herzustellen. Denn ich habe von dem früher erwähnten Magier zu Thiba gesehen, wie er in einem Augenblicke aus einer vor uns stehenden weitgedehnten Landschaft einen See gebildet hat, aus dem mehrere Inseln emporragten und auf dessen Oberfläche mehrere Schiffe herumschwammen. Mehrere Augenblicke lang war dieser See zu sehen; darauf machte der Magier einen Wink, und die frühere Gegend war wieder unversehrt zu sehen. 7. Freilich hat er uns zu dem Behufe in ein ganz dunkles Kabinett geführt und ließ uns durch ein Fenster die Gegend schauen, die ganz dieselbe war, wie sie außer dem Kabinett frei zu sehen war. Darauf schloß er das Fenster, machte einige Zeichen, öffnete darauf das Fenster abermals, und von der früheren, natürlichen Gegend war keine Spur mehr, sondern wir sahen die vorher beschriebene Seegegend weit und weit ausgedehnt, und das alles so natürlich, wie nur etwas natürlich sein kann. Nur merkte ich dabei ein eigenes Ziehen in den Augen, wovon der Grund offenbar in der großen Überraschung lag. 8. Der Magier sagte dann, daß er uns durch dasselbe eine Fenster noch eine Menge der wunderbarsten Gegenden vorzaubern könnte, – aber so was würde uns viel Goldes kosten; wir ließen uns daher die weitere Neugierde vergehen. Ich fragte ihn, ob er solch eine Gegend auch fixieren könnte, daß sie bliebe. Er bejahte solches und verbarg sich dann plötzlich. Als wir darauf ins Freie kamen, war von der Seegegend keine Spur mehr. 9. Ich frage, wie solches möglich, beantworte mir aber die Frage dahin selbst, daß jener Magier von Thiba offenbar mit den geheimen Kräften der Natur um noch vieles vertrauter war. Wie wäre es sonst möglich gewesen, durch ein und dasselbe Fenster, durch das ich vorher ganz gut die wirkliche Naturgegend geschaut habe, eine Seegegend herzuzaubern und die frühere Naturgegend ganz vergehen zu machen? Er machte dann freilich wieder die Seegegend verschwinden und wieder entstehen die erste Naturgegend; aber er hätte auch für immer die Seegegend können stehen lassen, – was er aber nicht wollte, weil die frühere Gegend schon sehr lange zu einer der fruchtbarsten gehörte und so schöne Äcker, Wiesen und Gärten der Menschheit doch offenbar von größerem Nutzen sind als ein meerähnlicher und unabsehbar weit ausgedehnter See mit etwelchen Inseln und Schiffen. 10. Für dies Zauberstück hätte ich ihm gerne zweihundert Pfunde Goldes gegeben; aber er wollte davon nichts hören und wissen. Sein Haus mußte ganz voll von allerlei der allermächtigsten Naturgeister gewesen sein, ohne deren Beihilfe der Magier die besagte Seegegend nimmer zustande gebracht hätte! 11. Und so hast denn auch du, junger Zauberer, dieses zustande gebracht, dessen plötzliches Auftauchen uns eigentlich hierher gelockt hat! Es ist ein ganz dem zu Thiba von mir und diesen elf Gefährten gesehenen vollkommen ähnliches Zauberstück, dessen Hervorbringungsgeheimnis ich mit viel Gold bezahlen würde; aber ich weiß es, daß dir das so wenig feil ist wie jenem Magier von Thiba. Denn du bist noch jung und wirst dir damit viel Geldes und andere Schätze verdienen. 12. Du siehst auch aus dem nun wohl sicher ein, daß ich dir nicht einmal das Geheimnis entlocken will; aber nur das einzige möchte ich aus deinem Munde erfahren, wie, wo und wann du zu solcher Weisheit und zu solcher magischen Kunst gelangt bist! Du hast mich samt meinen Gefährten zur Annahme eines wahren, höchsten Gottwesens gebracht, und es wird dich demnach auch gar nicht beirren, so du es mir sagst, wenigstens nur das, wo du hinter alles das in so früher Jugend gekommen bist!“ Kapitel 45 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 45. — Raphael erklärt die Zaubereien des indischen Magiers 1. Sagt Raphael: „Du bist doch ein sonderbarer Mensch! Deine vielen Erfahrungen haben dir den Kopf derart verrückt, daß du nun das Falsche vom eigentlich Wahren gar nicht zu unterscheiden verstehst! Hättest du den zu Thiba weilenden Magier nur aufgefordert, daß er dir ohne Kammer und Fenster eine Seegegend hinzaubern solle, so würde er dir das um eine ganze Welt voll Goldes nicht getan haben, weil ihm solches ganz unmöglich gewesen wäre; aber in der bewußten Kammer hätte er dir durch das gewisse Fenster noch mehrere andere Gegenden vorzaubern können! 2. Jener Magier solle nur draußen in der nackten Natur so ein solides Haus sogleich für bleibend, mit allem versehen, herzaubern! Das wird er aber, wie gesagt, schön bleiben lassen! Darum ist das, offen gesagt, ein Gotteswerk, – und jenes nur das eines Menschen, der im Grunde nur ein naturkundiger Maschinist und durchaus kein sogenannter Magier ist. 3. So das aber ein Gotteswerk ist, da ist auch meine Weisheit ein Gleiches! Alles, was du an mir entdeckest, ist aus Gott! Darum frage ja nicht mehr, wie, wo und wann ich zu all dem gekommen bin! 4. Fürs Auge der Menschen können wohl auch die Menschen wunderähnliche Taten zuwege bringen; aber es sind das durchaus keine Wunder, sondern mit ganz natürlichen Mitteln auch ganz natürlich hervorgebrachte Dinge, die nur darum dem Laien als Wunder erscheinen, weil er weder von den Mitteln noch von der Art und Weise, dieselben zu einem bestimmten Zwecke zu gebrauchen, irgendeine Ahnung hat. Sagt man ihm aber die Mittel und ihren Gebrauch mit den daraus entspringenden Erfolgen an, so wird er sogleich dasselbe Wunder zu wirken imstande sein wie derselbe Magier, den er früher für einen Wundertäter gehalten hat.“ 5. Sagt Roklus: „Auch die Gegendherzauberung des Magiers zu Thiba?“ 6. Sagt Raphael: „Allerdings, aber die Mittel dazu sind etwas schwer zu bekommen; denn jener Magier hat ein Mittel selbst erfunden, und das andere auch. Diese beiden gibt er freilich nicht preis, und so ist es dir schon schwer, dasselbe zu bewirken, was dort er bewirkt und sich dadurch das Ansehen eines Hauptmagiers gibt. 7. Verstündest du aber den reinen Kiesstein zu schmelzen und daraus zu bereiten ein reines Glas und endlich dasselbe zu schleifen und zu polieren, wie man Edelsteine schleift und poliert – eine den Indiern ganz wohlbekannte Arbeit –, so würdest du das Wunder bald und ganz klar einsehen, und das um so klarer, wenn du dazu noch so eine Art Apelles wärest, dem es möglich war, das Wasser mit Farben so täuschend zu malen, daß er damit sogar die Vögel täuschte. 8. Dein Magier ist ein berühmter Edelsteinschleifer, kann das Glas aus Kies machen, ebenfalls schleifen und polieren, und ist dazu noch einer der besten Maler von ganz Indien, besonders im Nachzeichnen und Nachmalen der Gegenden im natürlich sehr verjüngten Maßstabe. Er hat sich eine eigene Vorrichtung konstruiert, seine gemalten Gegenden durch solch ein eigens geschliffenes Glas ansehen zu lassen, und es wird dadurch eine derartige Sehtäuschung bewirkt, wie du sie mit deiner Seegegend selbst angeschaut hast. 9. Das ist nun eine ganz verborgene Wissenschaft, die die Phönizier und durch sie auch die Ägypter entdeckt haben, und die sie, sie außerordentlich geheim haltend, zu ihren außerordentlichsten Zaubereien gebraucht haben. In ein paar Jahrtausenden werden alle Völker davon die klarste Einsicht haben; dann wird es aber auch keinen Menschen mehr geben, der, mit der reinen Vernunft begabt, solch eine Erscheinung irgend mehr für ein Wunder, und das gar von der außerordentlichsten Art, halten wird.“ Kapitel 46 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 46. — Das Priestertum als Feind des Lichtes 1. (Raphael:) „Ich sage dir, daß es kommen wird, daß Menschen auf Eisenstraßen so schnell, wie da fliegt ein abgeschossener Pfeil, dahinfahren werden und werden reden mit der Zunge des Blitzes von einem Ende der Welt bis zum andern, und werden in der Luft herumfliegen wie die Vögel, weithin über Meere, Länder, – und doch wird sie niemand für Magier und noch weniger für Götter halten! Wohl wird sich die allzeit bestehende Priesterschaft stets alle Mühe geben, beim Volke solch eine Aufklärung zu verhindern; aber es wird ihre Mühe auch allzeit eine völlig vergebliche sein! 2. Je mehr sie sich vornehmen wird, das Volk in die Nacht und alle Finsternis zu führen, desto mehr wird sie dadurch die allzeit daseienden Lichtgeister wecken zur desto größeren Gegentätigkeit, und es wird dadurch stets ein größeres und intensiveres Licht unters Volk ausgebreitet werden, bis am Ende die Priesterschaften selbst werden genötigt sein, in den für sie äußerst sauren Apfel des Lichtes zu beißen und Apostel des Lichtes zu werden; aber es wird dazu viel Kampfes benötigen. 3. Es wird kommen, daß die Magier höchst verfolgt werden, und der Keim zu diesen Verfolgungen besteht bereits schon zum Teil im Pharisäertume, das den Magiern sehr ungeneigt ist, und zum größten Teile aber bei euch Essäern, die ihr euch nun von aller Welt die Zauberkünste zusammenkaufet. Ihr sehet nun schon mit heimlich sehr eifersüchtigen Augen auf jeden Wundertäter, besonders wenn er etwa irgendein Wunder bewerkstelligt, das ihr schon zu eurem volkstäuschenden Erwerbe in eure Mauern eingereiht und eingeschlossen habt. 4. Es ist aber Gott dem Herrn nun also gefällig, nach und nach nicht die Priester, sondern ganz unscheinbare Menschen ganz außerordentliche Erfindungen machen zu lassen, durch die die Menschen in einen außerordentlichen Kulturzustand versetzt werden. 5. Dagegen werden die Priesterschaften freilich überlaut und gar mit Feuer und Schwert zu eifern anfangen, aber es wird ihnen das alles nichts nützen; denn je heftiger sie dagegen zu kämpfen beginnen werden, desto nackter werden sie ihre selbst- und herrschsüchtigen, bösen Begierden vor die Augen des Volkes stellen und sich dadurch jedes Glaubens und Vertrauens verlustig machen. 6. Denn bei dem man einmal nur gemerkt hat, daß er jemanden hat betrügen wollen, auf den wird man künftighin auch kein Vertrauen setzen, ja sogar dann nicht, wenn er mit einer ganz reellen und wahren Sache zum Vorscheine käme; denn man fürchtet dabei irgendeine, auf böser Lauer im Hintergrunde steckende, schlechte Absicht. Daher wird es mit einer Priesterschaft, die durch ihren argen Eifer sich einmal zu sehr entblödet hat, nicht nur teilweise, sondern ganz aus sein. 7. Solches aber hat Gott der Herr aus Seiner Ordnung schon für immer also eingerichtet, daß alles Schlechte und Falsche sich allzeit selbst zerstört; und je mehr dieses nach einer Alleinherrschaft zu streben anfängt, desto eher wird es sich selbst zerstören. 8. Es gleicht alles Argtun der Menschen dieser Erde einer losen Maschine, die um so eher ganz unbrauchbar wird, je unausgesetzter und emsiger sie gebraucht wird. Auch des Menschen Leib nützt sich selbst ab und zerstört sich um so eher, je leidenschaftlicher er in seinem habgierigen Bestreben tätig wird. 9. Es ist daher für einen wahren Lebensphilosophen nimmer ein Grund, darum an keinen wahren Gott zu glauben, weil er alle die Priesterschaften Arges wirken und Dinge begehen sieht, darob sich seine Vernunft ganz umkehren möchte. Denn alles das läßt der Herr also zu: erstens, daß dabei die wahre, reine Vernunft desto geweckter werde zur wahren Tätigkeit, und zweitens, daß sich das Arge dadurch desto eher selbst zerstöre und gänzlich zugrunde richte. 10. Am Tage sucht niemand ein Licht und achtet nicht einmal den wahren Wert desselben; denn es drückt ihn ja nirgends die Bürde der Nacht. Am Tage läßt sich gut wandeln, weil man da jedem Graben, jedem Steine auf der Straße und jedem Abgrunde ausweichen kann, da man alles das schon von weitem sehen kann. Aber in einer stockfinstern Nacht ist das ganz anders; da kann man nur mühsam und höchst vorsichtig vorwärts kommen! 11. Wie willkommen ist dem Wandler da auch nur ein kleines Lichtflämmchen, das ihm den Pfad zur Not nur auf einige Schritte weit erleuchtet, und mit welcher Sehnsucht wird der lichtfreundliche Wanderer in der Wüste dem kommenden Morgen entgegenharren! 12. Und siehe, gerade also ergeht es den geistigen Lichtfreunden in der Mitte einer geistigen Nacht, die zum größten Teile die schnöde Hab- und Herrschgier der Priester unter die oft zu leichtgläubigen Menschen gebracht hat; aber je finsterer es wird, desto mehr wird auch stets der Lichtmangel wahrgenommen und desto höher geschätzt der volle Wert des geistigen Lichtes. 13. Menschen, die einmal durch die Erziehung schon von der Wiege an völlig verfinstert sind, die merken den geistigen Lichtmangel freilich nicht und fühlen sich ganz behaglich unter den blinden Tröstungen ihrer Priester, die ihnen stets eine Menge erbaulicher Geschichten zwar schon lange verstorbener, aber nach den Satzungen der Priester dereinst fromm und treu gelebt habender Menschen zu erzählen verstehen, und das mit der möglichst frischesten Färbung. Das beruhigt die total Blinden ganz und gar; sie weinen dabei oft vor lauter Rührung und werden ganz gemütlich gestimmt, was natürlich dem Priester niemals einen Schaden bringt. 14. Solche Menschen, wie gesagt, verspüren den Druck ihrer geistigen Nacht ebensowenig, wie da ein Stockblindgeborener von dem Drucke einer noch so finstern Nacht je etwas verspürt hat; ihm geht nie eine Sonne auf noch unter! Aber ganz anders drückt die Nacht den, der fortwährend im Lichte des ewigen Wahrheitstages zu wandeln gewohnt war und dann als ein bester Sänger mit den Wölfen mitzuheulen anfangen muß, wenn er seine gesunde Haut erhalten will! 15. Stelle dir eine Lage vor, wo einige wenige Sehende sich unter einer Gemeinde befänden, in der jeder ein Blinder ist! Es finge nun aber einer der Sehenden an, eine Beschreibung von der großen Herrlichkeit des Lichtes zu machen und von seinem herrlichsten Farbenspiele. Die Blinden würden ihm aber sogleich zu schweigen gebieten und ihn einen frechen und böswilligen Lügner schelten, während er von der hellsten Wahrheit doch mehr als handgreiflich überzeugt wäre! – Sage mir oder denke dir es, wie's da den Sehenden nach und nach zumute werden müßte, und besonders, so die Sehenden die besten Mittel besäßen, die meisten Blinden der ganzen Gemeinde sehend zu machen, so diese es nur wollten! Wie würde es dir da mit deiner reinen Vernunft zumute werden?“ Kapitel 47 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 47. — Die Früchte der Nacht und die Früchte des geistigen Lichtes 1. Sagt Roklus: „Das wäre ein allerverzweifeltster Zustand, für einen sehenden Arzt auch noch dazu! Da wäre es ja tausend Male besser, schon gar nicht zu bestehen, denn als Sehender unter den Blinden, die voll Mißtrauens, Eigendünkels und Hochmutes sind, zu leben! Aber du hast recht, lieber wohl- und hochweiser Junge! Es ist in der Welt einmal so und nicht anders; daher ist es meines Erachtens besser, die Blinden zu verlassen und jeden Zusammenstoß mit ihnen soviel als möglich zu vermeiden. Werden sie dadurch jedes sehenden Führers bar, so müssen sie alle endlich über kurz oder auch der Zeit nach etwas länger an den Rand eines Abgrundes gelangen, der sie alle unvermeidbar verschlingen wird. Ihr Ende ist zwar ein trauriges, aber ein sicheres, und niemand kann sie bewahren vor demselben!“ 2. Sagt Raphael: „Nun hast du einmal ganz gut geurteilt, und siehe, also handelt der Herr mit den Menschen auch gleichfort aus Seiner Ordnung heraus! Wann immer irgendeine Menschengemeinde oder auch ein ganzes Volk frei- und böswillig der Wahrheit und dem Lichte aus den Himmeln feind wird, so läßt der Herr es dann auch zu, daß solch ein Volk in die vollkommenste Lebensnacht übergeht. In dieser begeht es dann bald eine schreiende Unklugheit um die andere und offenbart dadurch allen nur ein wenig Sehenden die eigene böse Blindheit und Lüge in allem Wollen, Streben und Handeln. Solch ein unheilbares Volk muß dann ja endlich an den Rand eines Abgrundes kommen, der es ohne alle Gnade und Erbarmung verschlingen muß. Die Sehenden aber werden sich auszubreiten und mit ihrem Lichte zu segnen anfangen, den Erdboden geistig und körperlich. 3. Aber der Herr läßt ein Volk, solange es nur einen ganz leisen Schimmer des wahren Lichtes unter sich hat, sicher nicht an den Rand des Abgrundes gelangen, weil im Schimmer doch noch eine warnende Ahnung vor dem Verderben wohnt. 4. Aber wo bei einem Volke einmal ein förmlicher Haß gegen das Licht der Wahrheit eingetreten ist und das Volk und seine Priester einmal die Sehenden auf jede mögliche Weise anzufeinden und zu verfolgen anfangen, wie es nun, ich sage es dir, soeben schon seit langem bei den Juden der Fall ist, da hat dann auch des Herrn Geduld ein Ende, und solch ein Volk entgeht seinem Untergange nimmer. 5. Da ist es dann, daß der Herr aus den Himmeln Selbst zur Erde kommt und ein Gericht hält über die bösblinden Frevler, wie es nun auch soeben auf der Erde, und zwar im schönsten Lande der Juden, dem einstigen Volke Gottes, der Fall ist! 6. Der Herr aber wird nun noch die wenigen Treuen und Sehenden um Sich versammeln und ihnen geben ein vollstes Licht aus den Himmeln; aber neben diesem Lichte wird alles Lichtlose nicht bestehen können, sondern getrieben werden an den vollsten Rand des unvermeidlichen Abgrundes. Da nützet dir vor den Sehenden kein falsches Wunder mehr, sondern nur ein solches, das ganz wahrhaftigst aus der Kraft Gottes hervorgeht, die Er in eines jeden Wahrheit sehenden Menschen Herz gelegt hat. 7. Denn wie der falsche und der blinde Glaube, der eigentlich ein Aberglaube ist, sich nur zu bald erweist durch allerlei Lüge und Trugwerke und durch eine stets steigende Lieblosigkeit, also erweist sich ein wahrer, lebendiger Glaube durch die vollste Wahrheit in allen Dingen ohne irgendeinen Rückhalt und durch eine stets steigende Liebe unter den Menschen und zu Gott und aus solcher Wahrheit und Liebe in der Gotteskraft und Macht, die Gott in eines jeden wahrsehenden Menschen Herz gelegt hat. 8. Was nützet dem Menschen dann alle seine geheime Kunst und Wissenschaft, wenn sogar am Ende die sehenden Sperlinge von den Dächern herab es dem falschen Propheten vor aller Welt zurufen: ,Du bist ein stets eigennütziger, arger Betrüger und machst deine Wunder so und so vor den Blinden! Aber die wahren, sehenden Kinder Gottes täuschest du nimmer; denn diese vermögen etwas anderes aus der Gotteskraft in ihren Herzen, welche da ist der Geist der ewigen Liebe, und durchschauen dein elend Machwerk und deine schnöde Absicht auf das allergenaueste. Packe daher zusammen deine alten Trugmittel und werde ein sehender Mensch in der wahren Kraft Gottes, – oder wir Sperlinge werden dich noch des bißchen Schimmers, den du besitzest, berauben!‘ – Sage! Könntest du den Sperlingen darum gram werden? Wohl ist dem Betrüger sicher nichts ärgerlicher, als so man ihm mit dem Vollichte der Wahrheit entgegentritt; aber anerkennen muß er sie am Ende dennoch auf Gnade oder Ungnade! 9. Da sieh an das unverkennbare Wunderwerk, hervorgegangen aus der wahren Kraft Gottes! – Du bist ein Essäer und dazu ein Hauptmagier dieses Ordens. Du machst Tote lebendig, den Mond ziehst du den geistig blinden Staunenden nahezu gerade vor ihre Nasen herab, machst Bäume und Gras und Wasser, Felsen und Mauern reden. Was möchtest du dazu sagen, so diese Sperlinge von Menschen aller Rassen und Klassen es dir nun ganz laut zu erklären anfingen, wie du und deine Helfershelfer, wenn euch eure Dienstzeit ins Kloster ruft, eure Toten erwecket und eure Bäume, Gras, Wasser, Felsen und Mauern reden machet, und brächten dir dann einen Toten her und forderten dich auf, ihn ins Leben zurückzurufen? Was würde deine reine Vernunft und dein scharfer Verstand dazu sagen?“ Kapitel 48 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 48. — Roklus verteidigt das Essäertum und seine Trugwunder 1. Sagt Roklus: „Ich müßte es mir sicher ohne alle Widerrede gefallen lassen; denn Wahrheit bleibt Wahrheit, ob sie mir schadet oder nützt! Ich weiß aber nun, was du mir damit so ganz eigentlich etwa sagen willst, und das dürfte allenfalls wohl darin bestehen, daß auch unser Orden etwas Schlechtes sei und endlich seinem Untergange so bald anheimfallen wird, als wie bald das reine Gotteslicht aus den Himmeln der Menschen Herzen durchleuchtet haben wird. Freund, das ist zwar eine Wahrheit, gegen die sich nichts einwenden läßt – denn wenn alle Menschen oder wenigstens nur ein großer Teil derselben in alle unsere Geheimnisse von Gott aus eingeweiht werden, so hat unser Handwerk freilich wohl für immer ein Ende erreicht –; aber man wird uns wenigstens nie nachsagen können, daß wir solches alles mit auch nur einem Funken irgendeines selbstsüchtigen, bösen Willens getan haben, da uns in dieser höchst trüben Zeit nichts als nur wenigstens das irdische allseitige Wohl der Menschen am Herzen lag und unser Kloster an und für sich nichts anderes ist als eine Liebe- und Freundschaftsbezeigungsanstalt. Wir wählten dazu auch nicht ein schlechtes Mittel! 2. Freilich, wohl könnte man sagen: Jeder Betrug ist schon ein schlechtes Mittel! Aber da erwidere ich auch einem Gotte ganz entschieden und sage: Ja, ein Betrug ist sicher stets ein schlechtes Mittel, wenn ich mit demselben nur im geringsten irgendeine böse Absicht verbinde aus was immer für einem selbstsüchtigen Grunde! Wenn ich aber sehe, daß der Mensch auf keine andere Weise zu heilen ist als nur durch einen offenbaren Betrug, und ich dann auch aus purer Liebe zum leidenden Bruder dieses einzige Mittel ergreife und dem Menschen damit unfehlbar helfe, so ist und bleibt selbst der allerdickste Betrug kein schlechtes, sondern nur ein höchst gutes und gerechtes Mittel, gegen das kein Gott mir etwas einzuwenden imstande sein kann. Ich will dir zur Bekräftigung dessen nur ein Beispiel aus meiner essäischen Lebenserfahrung mitteilen, und du wirst mir recht geben müssen, und wärest du selbst ein zehnfacher Gott. 3. Es kam zu mir ein weinender Mann, dem sein liebes, junges und äußerst braves Weib in einer Art krank wurde, von welcher Krankheit sie nur durch ein einziges, mir wohlbekanntes Mittel einzig und allein und mathematisch sicher geheilt werden konnte. Jedes andere Heilmittel hätte offenbar den Tod gebracht und den Gatten zum unglücklichsten Menschen der Welt gemacht. Das Weib aber hatte gegen das bekannte Mittel eine solche Antipathie, daß es lieber zehnmal sterben wollte, als sich dieses Heilmittels für seine sichere Heilung zu bedienen. Da half alles Zureden nichts, und der Mann verfiel dabei aus einer Verzweiflung in die andere. Ich aber, um einen guten Einfall bei solchen Gelegenheiten noch nie verlegen gewesen, sagte sogleich ganz ernst und entschieden vor dem Manne zum Weibe: ,Oh, sei du da ganz ruhig, da weiß ich noch um hundert andere Mittel, die solche Krankheiten noch um vieles eher und sicherer heilen denn das benannte!‘ Mit dem aber hatte ich schon im Grunde gelogen wie ein Bär; denn ich wußte wahrlich um alle Schätze der Erde für sie kein anderes. Diese wahre Kardinallüge war demnach schon ein erster Betrug zum Besten der Kranken. 4. Der zweite und somit noch größere bestand darauf notwendig darin, daß ich dem bekannten Mittel einen andern Namen gab, etwas Gleichgültiges daruntermengte und ihm dadurch die Gestalt, Farbe und in etwas auch den Geschmack veränderte, und es auch auf einen sehr namhaften Betrag stellte. Drei Pfunde Goldes änderten die Sache ganz gewaltig. Das Weib nahm mit vielen Freuden die Arznei ein und ward darauf in etlichen Stunden nicht nur vollkommen gerettet, sondern sogleich frisch, heiter und auch vollkommen gesund! Ich selbst habe mich über diese gute Prellerei kaum des Lachens enthalten können, und es erfuhr darauf bis zur Stunde weder das Weib noch der Mann von solchem meinem für beide heilsamen Betruge auch nur eine Silbe! 5. Nun frage ich dich, ob dieser Betrug an und für sich gut oder schlecht war? – Du schweigst und kannst mir da nichts einwenden! Ich werde dir aber noch ein anderes Beispiel auftischen und dich darüber dann um dein Urteil angehen. 6. Siehe, vor einem Jahre geschah es, daß einem höchst achtbaren und überaus wohlhabenden Elternpaare seine einzige, dreizehnjährige Tochter an einem bösen Aussatze verstarb. Ich bekam zufällig davon Kunde und eilte jählings in das Haus der großen Trauer. Vater und Mutter waren untröstlich um solchen Verlust. Ich besah mir das vollkommen tot daliegende Mädchen genau und fand, daß es eine große Ähnlichkeit hatte mit einem Mädchen in unserer großen Menschenhege- und -pflegeanstalt, und dachte mir: ,Diesem trauernden Paare kann und soll geholfen werden!‘ 7. Ich berief sogleich den Vater zu mir und sagte zu ihm: ,Traure nicht! Ich bin ein wahrer Essäer und sage dir, daß ich diese Schlafende wieder beleben kann durch mein Arkanum im Kloster! Laß sie hineinbringen mit allem, was sie je besaß, und mache mir eine genaueste Beschreibung ihres ganzen Charakters, ihrer Sympathien und Antipathien, kurz, von allem, was sie je umgeben hat, und ich stehe dir dafür, daß ich diese deine nun tote Tochter dir längstens binnen zwei Monaten in deine Arme zurückbringen werde!‘ 8. Daß bei meinem Ernste sich die beiden Eltern dazu nicht lange besannen, versteht sich von selbst, da sie mich schon im voraus jedes Betruges für rein unfähig hielten. Was sonach je des Mädchens war von der Wiege an bis zu ihrem Tode, mußte mit ins Kloster gebracht werden. Da ich in meiner Dienstzeit sehr oft in dies Haus kam und das Mädchen sehr gut kannte, und da das schon früher erwähnte Hegemädchen der Verstorbenen sehr ähnlich sah und zugleich sehr viel Kapazität (Aufnahmefähigkeit) besaß, so war da eine Auswechslung sehr leicht möglich. Nach der abgelaufenen Zeit von ein paar Monden war das Hegemädchen schon ganz die wiedererweckte Tochter der beiden gläubig auf deren Wiederkunft harrenden Eltern. 9. Ich selbst nahm die Überbringung der Erweckten ins elterliche Haus vor. Als mich die beiden Eltern schon von weitem ersahen und wohl erkannten, so liefen sie mir mit vor Freude aufgehobenen Händen entgegen, und die Pseudotochter tat auf mein Geheiß und früheren Unterricht, wie sie sich zu benehmen habe, dasselbe. Da hättest du Zeuge von der Glückseligkeit der beiden Eltern sein sollen, und du hättest samt mir mitgeweint vor Freuden! 10. Durch diesen sicher höchst feinen, aber dabei dennoch kolossalen Betrug sind drei Menschen vollkommen glücklich geworden; die zwei Trauernden, Vater und Mutter, haben ihre verlorene Tochter ungezweifelt wieder, und das sonst höchst arme Mädchen ist zu einem Paare Wohltäter gekommen, wie sie sein Herz nur je wünschen konnte. Und was habe ich davon gehabt? Ich sage es dir, so wahr, als ich hier stehe: Nichts als das angenehme Bewußtsein, drei Menschen ganz glücklich gemacht zu haben! 11. Nun frage ich dich, ob dieser Betrug auch schlecht zu nennen ist! Ja, ich selbst heiße jeden Betrug schlecht, der von einem Menschen aus Selbst- und schnöder Gewinnsucht gegen seine harmlosen Mitmenschen unternommen wird; aber so ich nur dann zu einem recht feinen Betruge meine Zuflucht nehme, wenn ich die vollste Überzeugung habe, daß irgendein sehr unglücklicher Mensch auf gar keine andere Weise zu heilen ist, da ist ein noch so dicker Betrug etwas sehr Gutes und kann von keinem vernünftigen und weisen Gotte als schlecht bezeichnet werden, und man muß dem erfinderischen Menschengeiste noch obendrauf höchst dankbar sein, der in unserem Orden allerlei Mittel ersann, die leidende Menschheit glücklich und gesund zu machen! 12. Oder hatte nicht auch euer Gott nach eurer Schrift sich gegen den alten und blinden Vater Isaak eines offenbaren Betrugs bedient, um seinem Volke in Jakob einen besseren Stammvater zu geben, als da war der erstgeborene, rauhe Esau? Ich pflichte dir wohl bei in dem, daß jeder böse Trug, wenn er einmal den Kulminationspunkt erreicht hat, sich selbst zugrunde richten muß, aber ein Betrug zum Guten für die Menschheit sicher durch sich selbst nie, – nur durch irgendeinen mutwillig bösen Verräter, ja! Aber da ist dann doch offenbar der unseren guten Trug verratende Wahrheitsfreund um tausend Male schlechter als der schlechteste Volksbetrüger unseres Ordens! – Widerlege mich, wenn du es vermagst! Ich bin bereit, mit dir jeden Kampf in dieser Hinsicht zu bestehen.“ Kapitel 49 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 49. — Der Unterschied zwischen Lebensklugheit und Betrug 1. Sagt Raphael: „Lieber Freund, ich muß dir offen gestehen, daß mit dir wahrlich etwas schwer zu reden ist; denn du gehst einmal von dem Grundsatze aus, daß ein jedes Mittel nur durch die Absicht und den Zweck geheiligt wird, und ich kann dir dazu unmöglich etwas anderes sagen, als daß du bei allem guten Willen und bei aller deiner Verstandesschärfe auf dem Holzwege bist, und daß du von allem von mir dir Gesagten mit aller deiner noch so reinen Vernunft noch durchaus nahe nichts eingesehen hast! 2. Du siehst nur die irdischen Vorteile und das irdische Glück der Menschen, weil du von den geistigen Verhältnissen eigentlich noch gar keine Ahnung hast. 3. Man kann einen Menschen auf dieser Welt wohl ganz glücklich machen durch allerlei Täuschungen; aber man hat ihm dadurch für seine Seele und seinen Geist gar nichts Gutes, sondern nur zu oft im Ernste etwas sehr Schlechtes erwiesen. 4. Du hast mir ein paar Beispiele aus deinem Leben erzählt, wo ich beim ersten eben nichts einzuwenden habe; denn die Behandlung der Kranken war im Grunde kein Betrug, sondern nur eine Lebensklugheit. 5. Als Betrug gilt vor Gott jede verdeckte Handlung und Verlockung der Menschen, durch die sie notwendig in einen physischen und moralischen Schaden geraten müssen. Wenn du aber eine Rede, eine Anlockung oder eine Handlung nur darum verdeckst, um deinem Bruder, der gar oft mit allerlei Schwächen behaftet ist, und dem man auf einem geraden Wege schwer oder auch gar nicht beikommen kann, auf diese Weise unfehlbar physisch und moralisch zu helfen, da ist das nur eine gute und sehr anempfehlenswerte Lebensklugheit und durchaus kein Betrug. 6. Wenn du immer mit einer Handlung, Rede oder Verlockung eine wahrhaft edle Absicht vereinigst, da hast du nichts denn eine Lebensklugheit ausgeübt, für die dir der Lohn aus den Himmeln nicht unterm Wege verbleiben wird. Und in diese Kategorie gehört dein erstes Beispiel; denn durch solche deine Klugheit hast du durchaus nichts anderes erreichen wollen als das, was du für die Kranke als vollkommen gut und nützlich erkannt hast. 7. Aber dein zweites Beispiel, obwohl es auch einen gleichscheinend gutmütigen Charakter hat, ist von einer ganz andern Art. Damit ist auf lange Zukunftszeiten der Menschheit für die wundertätige Kraft dieses eures Klosters ein falscher Beweis geliefert worden, durch den bei der allgemeinen Blindheit der Menschen sich diese Anstalt alle Goldquellen der ganzen Erde eröffnen und in einer nicht zu langen Zeit zu fabelhaften Reichtümern gelangen muß. 8. Was macht aber der irdische Reichtum, und was erzeugt er stets? Er macht die Menschen hoffärtig und herrschgierig und erzeugt Hartherzigkeit, Lieblosigkeit und stinkendsten Hochmut und dadurch Verachtung, Haß und Verfolgung der Nebenmenschen. 9. Du hast dich doch schon zum Cyrenius gehörig unlöblich über alle die Priesterschaften expektoriert (geäußert) und gezeigt, wie sie als Stellvertreter eines Gottes die arme Menschheit nicht selten auf eine allerunmenschlichste Art plagen, für sich arbeiten lassen, selbst nichts als nur den allerkrassesten Müßiggang pflegen, aber dafür die laie Menschheit mit geistigen und leiblichen Foltern zwingen, für sie zu leben, zu arbeiten und zu sterben! Du hast solche Lebensverhältnisse gehörig beleuchtet und ihre Schändlichkeit ans helle Tageslicht gestellt. 10. Ich aber sage dir ganz unverhohlen, daß alle die jetzt allenthalben noch bestehenden Priesterschaften auf viel reineren Füßen stehen denn euer Kloster; denn ihr Fundament war feste und reine göttliche Wahrheit aus den Himmeln und ward von den Menschen doch so verkehrt, daß du nun nahe nichts anderes mehr erschauen kannst als Lüge und allerlei Betrug. Was kann denn dann erst aus eurem Institute werden, das nun prinzipiell schon auf nichts als auf lauter Lüge und Trug erbauet ist?! 11. Meinst du wohl, daß eure Nachfolger sich stets ganz strikte an eure nunmaligen aufgestellten Normen halten werden? Schon in fünfzig Jahren wird darin alles ein ganz anderes Gesicht erhalten! Die Betrügereien und allerlei Zauberkünste werden noch vermehrt und verfeinert werden. Ihr werdet euch auch an die Wiederbelebung alter Personen wagen, wovon manche mehr, die andern weniger gelingen werden. 12. Ihr werdet auf den Verrat eurer Geheimnisse die grausamsten und unerbittlichsten Strafen setzen; ja, ihr werdet sogar eine Frage, wie ein und das andere eurer Wunderwerke möglich sei, als strafbar erklären! Euer Ausspruch wird sein: ,Du, Volk, hast um nichts zu fragen; nur ein ungezweifelter Glaube ist deine Sache! Fehlt dir etwas, so komme, und es wird dir geholfen gegen ein vorschriftsmäßig entrichtetes Opfer! Alles Weitere hat dich ewig nicht zu kümmern!‘ 13. Dadurch aber werden wißbegierige Gemüter geheim erbittert werden, allerlei Forschungen anstellen und von außen her hinter eure Geheimnisse dringen. Das wird euch mit geheimer Wut erfüllen, und Rache von der fürchterlichsten Art wird den Frevlern an eurem Heiligtume geschworen und womöglich auch ohne Schonung in die vollste Ausführung gebracht.“ Kapitel 50 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 50. — Die Gefahren der Trugwunder des Essäerordens 1. (Raphael:) „Du hast dich aufgehalten über die Bußwerke der Indier! In fünfzig Jahren schon werdet ihr noch zehnfach ärgere einführen; denn habt ihr möglicherweise es nur dahin gebracht, daß des Volkes größte Anzahl fest an euch hängt in seinem Glauben, zu dem es durch eure Pseudowunder gar leicht zu bringen ist, dann mag da kommen, was nur immer wolle, und das Volk bequemt sich bald und ohne alle Widerrede dazu. Denn es kann euch in seiner Dummheit für nichts anderes als für Knechte der Götter auf der Erde halten, die mit allerlei geheimen, göttlichen Allmachtskräften ausgerüstet sind, gegen die kein irdischer Wille und keine weltliche Menschengewalt etwas auszurichten vermag. 2. Durch solche Wunder könnet ihr das Volk ganz sicher in die vollste Zügelgewalt bekommen. Ist aber das einmal geschehen, so dürft ihr zu einem oder zu dem andern Menschen sagen: ,Du arger Sünder! Was du Arges gedacht, gewollt und auch schon nahezu getan hast, wir, ja wir sehen schon die bösen Gedanken und Begierden in deinem Herzen keimen, die du erst im künftigen Jahre dir bewußt denken und dir dadurch den vollen Fluch und Zorn der Götter über dein loses Haupt ziehen wirst! Wir vermahnen dich, daß du dich aller argen Gedanken und Wünsche für die Zukunft entschlagest und zur diesmaligen Besänftigung der Götter fürs erste ein dir möglichst größtes Opfer zu unseren Füßen niederlegest und danebst noch volle drei Jahre hindurch dich täglich über den nackten Rücken mit einem Stricke nahe blutig kasteiest! Wehe dir für ewig, wenn du diese Buße nicht in den pünktlichsten Vollzug bringst!‘ 3. Der arme Mensch, der eigentlich nie einen argen Gedanken, noch weniger je einen bösen Willen in sich hatte aufkommen lassen, wird euch ganz ohne Widerrede glauben, daß er ein großer und aller Verdammung würdiger Sünder sei und sich allem dem willigst unterziehen müsse, was ihr als allmächtige und allwissende Gottesknechte ihm aufgebürdet habt. – Ich aber frage dich nach dem Urteile deiner reinen Vernunft, ob dieser Endzweck, den ihr am Ende doch erreichen müsset, gut und gerecht ist, und ob da auch das Mittel durch den sicher folgenden Endzweck geheiligt wird!“ 4. Sagt Roklus: „Ja, diese Absicht aber haben wir alle noch nie gehabt, sondern stets nur eine nützende für die arme, leidende Menschheit, – und so sehe ich noch immer nicht so recht ein, wie mein Mittel, das in der falschen Wiederbelebung des verstorbenen Mädchens bestand, schlecht sein kann! Denn von dem, was du meinst, das wir dadurch erreichen müßten – und am Ende unser ganzes Streben, wenn nun noch so verdeckt, dahinaus geht, solches zu erreichen, – davon kann ich mir bei aller meiner noch so reinen Vernunft durchaus keine Vorstellung machen! Denn man muß ja doch irgendeinen Willen für etwas Schlechtes haben, so man es erreichen will. Bei uns allen ist meines Wissens schnurgerade das allerblankste Gegenteil! Woher sollte das Schlechteste des Schlechten in unser Institut kommen?“ 5. Sagt Raphael: „Freund, nimm du den reinsten Weizen und streue ihn auf einen noch so reinen Acker, und wenn er aufgehen wird, so wirst du immer noch des Unkrautes in die schwere Menge unter demselben antreffen! Nun du und deine Gefährten aber nichts als nur allerlei Unkrautsamen in die Erde streuet, wie wollet ihr da Weizen ernten? 6. Zu allen Zeiten und in allen Landen der Erde ist ursprünglich von Gott aus den Menschen die allerreinste Wahrheit gepredigt worden durch den Mund der vom Geiste Gottes durchdrungenen Propheten. Sieh nun nach etwa ein paar tausend Erdenjahren diese Wahrheiten an! Was sind sie? Zum allergrößten Teile Unkraut, Menschensatzungen, Lügen und bergdicke Betrügereien aller Art! Ihr aber habt euer Institut auf nichts denn Lüge gegründet und meinet dadurch, Wahrheit in den Herzen der Menschen zu wecken? Wohin mit der Welt?! 7. Was nützt es dir denn, ein großes und tiefes Loch in die Erde auf einer offenen Straße zu schlagen und nicht die entfernteste Absicht dabei zu haben, daß da je ein Mensch hineinfallen solle?! So dann aber zur Nachtzeit die Menschen diese Straße wandeln werden, sage, werden sie nicht ebenso in dieses Loches Abgrund stürzen und darin zugrunde gehen, als so ihr das Loch eben in der Absicht in die Erde gemacht hättet, daß eben die Menschen da hineinfallen und zugrunde gehen sollen?! 8. Oder es kommt zu dir ein Kranker, dessen Krankheit du bei aller deiner noch so reinen Vernunft verkennst, und du gibst ihm dann ein Mittel, das für seinen Zustand gerade ein Gift ist! Er geht daran zugrunde. Kann das Mittel da gut genannt werden, wenn du als Arzt dabei auch die beste Absicht gehabt hast?! 9. Die auf der Straße, da es sehr morastig ist, ein Loch oder einen tiefen Abzugsgraben machten, ohne eine darüber führende Brücke mit guten Geländern zu versehen, hatten auch eine gute Absicht sogar, nämlich die Straße trockenzulegen; aber ihre Kurzsichtigkeit gewährte ihnen nicht so viel Voraussicht, dernach sie doch unfehlbar einsehen mußten, daß solch ein Loch oder ein Graben jenen, die zur Nachtzeit diesen Weg macheten, sehr gefährlich werden müßte. 10. Das Mittel der Straßentrockenlegung war sonach auch bei der besten Absicht ein schlechtes, weil die Gutabsichtler gar nicht berechnet hatten, wie das Loch oder der Graben zur Nachtzeit den Reisenden doch offenbar allergefährlichst werden mußte. Ah, hätten die Wegverbesserer den Sumpf mit Steinen und Holz ausgefüllt und die Straße also ausgetrocknet, oder über den Graben wenigstens eine gute und feste Brücke gemacht, dann wäre das Mittel samt der Absicht gut. Weil sie aber nur dachten: ,Nun, am Tage wird das Loch oder den Graben wohl ohnehin ein jeder Reisende früh genug bemerken und ihm ausweichen, – zur Nachtzeit aber soll so niemand reisen!‘, also war das Mittel schlecht und kann durch eine gut sein sollende Absicht nicht geheiligt werden! 11. Und ebenso ist euer Falschwunderinstitut zum Heile der Menschheit ein kernschlechtes Mittel, weil ihr bei seiner Errichtung gar nicht berechnet habt, welche gar nicht auszusprechenden Nachteile daraus für die Menschheit erwachsen müssen. Was nützt dir die falsche Belebung der Tochter deines Freundes, so er durch jemanden, dem er vollen Glauben schenken könnte, erführe, daß seine eigene Tochter ganz gut begraben wurde und er ein total fremdes Kind als seine sein sollende neubelebte Tochter in seine Obsorge erhielt? Meinst du wohl, daß dein Freund mit solch einem Betruge sich auch fürderhin zufriedenstellen wird? Oder kannst du es dir nicht vorstellen, daß ein derartiger Verrat auf euer ganzes Institut ein ganz absonderlich verheerendes Licht werfen und es um allen Glauben und um alles Vertrauen bringen würde?! 12. Überdenke du dir solch eines Verrates beiderseitige Folgen, und du wirst es dann schon zu begreifen anfangen, ob schlechte Mittel wohl, im Ernste betrachtet, durch eine unberechnete, total blinde gute Absicht und durch die Erreichung eines doch bloß nur scheinguten Zweckes als gut und geheiligt angesehen werden können vor dem Forum des heiligen Richteramtes der wahren und allein gerechten Weisheit Gottes und Seiner lichtvollen Geister! 13. Oder heißt das nicht die wahrhaftige Kraft des Gottesgeistes, mit dem nicht selten Menschen auf dieser Erde erfüllt wurden, schwächen oder gar zunichte machen wollen, teils aus einer ganz falschen Ehrsucht und teils aus Neid und großer Eifersucht und aus Furcht vor der Erwerbsverkürzung oder gar voller Zugrunderichtung desselben?! Wie muß es einem ganz pikfesten Essäer zumute sein, wenn er hier dieses offene Wunder, das am hellen Tage vor aller Menschen Augen bewirkt wurde, so recht in den Augenschein nimmt und sich am Ende selbst vollwahr im geheimen denken muß: ,Sieh, so etwas zu bewirken wirst du für ewighin unfähig sein! Wie nehmen sich da der Essäer Wunderwerke gegen dieses aus!‘?!“ Kapitel 51 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 51. — Die wahren und die falschen Wundertäter 1. Sagt Roklus: „Für uns Denker ist da freilich wohl ein unendlicher Abstand zu entdecken, aber für den Laien ist bald etwas gut! Wenn ein Wundertäter aus seiner inneren Geisteskraft uns nur nicht vor dem Volke herausfordert und demselben unsere ganz natürliche Magie entdeckt, so können meines Erachtens wir Naturmagier neben dem wahren Magier aus seiner innern Gottgeisteskraft recht gut bestehen und er neben uns, wenn ihn etwa nicht die Eifersucht plagt!“ 2. Sagt Raphael: „So, sonst hast du kein Leiden in deinen Eingeweiden?! Meinst du denn, daß der wahre Wundertäter aus der in ihm wohnenden Gotteskraft auch auf eine weltliche Ehre und auf einen irdischen Erwerb schaut?! Gibt es denn für den Menschen keine höhere und endlichere Bestimmung als die weltliche, möglich beste Leibesversorgung und die Personsehre im Angesichte dieser materiellen Erde? Höre und fühle! 3. Ein jeder Mensch hat eine unsterbliche Seele und in der Seele einen noch unsterblicheren Geist. Auf daß aber die Seele als ein aus der Materie sich entwickelnder Geist mit dem Urgeiste Gottes, der ,Liebe‘ heißt, vollends eins werde, muß die Seele selbsttätig dahin all ihr Streben richten, fürs erste sich der Materie und ihren wie immer aussehenden Anforderungen zu entziehen und all ihr Trachten, Tun und Treiben allein nach dem rein Geistigen zu richten, und fürs zweite fortwährend allein dafür besorgt sein, eins zu werden mit dem in ihr ruhenden Geiste der reinen Liebe Gottes, indem Gott Selbst in Seinem Urgrundwesen die allerpurste Liebe ist. 4. Wie aber kann ein Mensch es denn erfahren, daß seine Seele eins geworden ist mit dem wahren Geiste Gottes in ihr? – Das erfährt er aus sich überaus leicht! Wenn du in dir keinen Hochmut, keinen unnötigen Ehrgeiz, keine Ruhmsucht, keinen Neid, keine Hab- und Glanzsucht, keine Eigenliebe, aber dafür desto mehr Liebe zum Nächsten und zu Gott lebendig und wahr fühlen wirst und es dir eine wahre, dich tief rührende Herzensfreude machen wird, dein ganzes Hab und Gut im Notfalle an arme und sehr notleidende Brüder und Schwestern verteilt zu haben, ja, wenn du ein ordentliches Leid in deinem Herzen fühlen wirst, irgend einem Armen nicht helfen zu können, wenn dir Gott alles und die ganze Erde mit allen ihren Schätzen und Schätzen nichts sein werden, dann ist deine Seele schon völlig eins mit dem Geiste Gottes in ihr, hat das vollkommene, ewige Leben erreicht, ist weise und wo nötig durch ihr pures Wollen wundertatkräftig! 5. Um die Menschenseelen aber dazu zu bestimmen, ist von Gott aus so mancher frommen, in sich und mit Gott eins gewordenen Seele eben die göttliche Wundertatkraft verliehen in einem besonders hohen Grade, damit sie ein Zeuge sei für die Schwachen und Kleingläubigen, dafür, wozu von Gott aus die Menschen bestimmt sind, wie sie zu leben haben und wie zu handeln, um solche Bestimmung in sich selbst zur vollsten Wahrheit zu bringen. 6. Und es tut ein wahrer Wundertäter sicher kein Wunder, um sich von der dummen und blinden Welt anstaunen zu lassen oder gar etwas zu gewinnen, worauf nur die materielle Welt einen Wert legt, sondern um seinen Nebenmenschen den wahren Lebensweg zu zeigen, ihnen Mut und Vertrauen zu geben zum Kampfe mit der Welt in ihren bösen Leidenschaften, ihnen zu zeigen des Lebens wahren Grund, Wert und Zweck und sie auf diese Weise auf einem ganz kurzen Wege dahin zu bringen, wozu sie alle von Gott aus berufen sind, nämlich zum wahren, ewigen Leben und zu dessen höchster Glückseligkeit. 7. Frage du nun dich und dein ganzes Institut, ob ihr auch eure falschen Wunder je in dieser Absicht verrichtet habt! Ihr seid wohl weltkluge und gerade eben nicht von Hause aus böse Menschen; aber ihr seid bei eurem Jagen nach den Gütern dieser Welt selbst ganz blind in der innern Lebenssphäre geworden. Die Welt und ihre Glückseligkeit ist euch alles! Um diese so vollkommen als möglich zu erreichen, ist vor allem notwendig, sich durch taugliche und sicher wirksame Mittel ein möglich größtes Ansehen zu verschaffen. Mit dem Schwerte in der Hand geht es nicht immer am besten; aber damit, sich durch allerlei Zauberkünste irgendein gottähnliches Ansehen zu verschaffen, geht es eben nicht schwer, weil alle Menschen von Natur aus viel mehr wunder- als kriegssüchtig sind. Es gehört dann nur noch dazu, daß mit Hilfe solcher falschen Wunder für die Schaulustigen irgendein materieller, wenn auch nur scheinbarer Nutzen heraussieht, und das Spiel ist gewonnen. 8. Eure Tendenz ist demnach keine andere als folgende, die ich dir nun zum besten geben will: ,Wir uns in aller Welt umgesehen habende Menschen haben die Erfahrung gemacht, daß der Mensch über dieses Erdenleben hinaus gar kein Leben mehr hat und haben kann. Weil man aber schon einmal auf der Welt leben muß, so suche man wenigstens so gut als möglich zu leben. Um das zu können, erfinde man etwas, wodurch man sich dem Volke unentbehrlich und scheinbar mit der leichtesten Art und Mühe von der Welt nützlich machen kann. Dann wird das Volk selbst für uns alle schwere Arbeit verrichten, wir werden dabei sehr gut leben, und das uns ganz versorgende Volk wird dabei der Meinung sein, Gott dadurch einen wohlgefälligen Dienst zu erweisen, so es für uns alles und alles tut! Wir präsentieren uns aber dafür dem Volke infolge unserer Wunderleistungsfähigkeit als fortwährende und unverwüstbare Stellvertreter der Götter auf Erden, und wir werden dafür auch leben wie die Götter. Aber nur ewig keinen Verräter! Können wir uns nur fünfzig Jahre ohne einen Verrat erhalten, so werden Fürsten samt ihren Völkern vor lauter Demut vor uns im Staube kriechen. 9. Um die Sache aber so wirkungsreich als möglich zu machen, dürfen wir im Anfange keine Kosten scheuen, um alles also einzurichten, wie es am effektvollsten nur immer gedacht werden kann. Dann müssen wir vor dem Volke uns stets als die liebe- und teilnahmevollsten und von den Göttern wahrhaft begeisterten Menschen darstellen, und wir werden von den Völkern auf den Händen getragen werden! Die alten Religionsstifter waren zwar klug in dem, daß sie sich ein Volk zurichteten, wie sie es am besten brauchen konnten; aber wir erfahrungsreichsten Essäer wollen eine Religion aufstellen, zu der am Ende alle Völker samt ihren Herrschern werden kommen müssen! Denn wie es nahe überall anderwärts zugeht, das wissen wir und werden künftig noch ein mehreres erfahren und wissen, und wir werden unser gelungenstes Institut stets verbessern und mit allem und jedem, was uns dienlich ist, im höchsten Grade bereichern und es so für alle Zeiten der Zeiten als völlig unzerstörbar allen unseren Feinden gegenüberstellen!‘ 10. Nun, wenn die wahren Wundertäter aus dem Geiste Gottes sich etwa auch noch mit euch vereinen möchten, so wäre euer menschenbetrügerisches Institut freilich etwas völlig Unbesiegbares, und ihr würdet bald über alle Weltschätze dieser Erde zu gebieten haben; aber die wahren Wundertäter sind, wie sie waren und auch fürder stets also bleiben werden, immer die größten Feinde alles Betruges und aller Lüge gewesen und werden sich demnach mit euch nie vereinen, sondern euch überall entlarven und den Völkern zeigen alle Einrichtungen eures von euch aus betrachtet gar löblichen Institutes! Dadurch werden eure gar so schön grün aussehenden Hoffnungen nur zu bald welk werden und vor niemandem irgendeinen Wert mehr haben. Wirst du da dann auch noch behaupten, daß euer Falschwunderinstitut sich neben den Rechtwundertätern aus Gott so ganz gemütlich und einträchtlich vertragen könnte? Sieh, ich allein wäre ganz wohl imstande, euer Institut mit einer einzigen Wundertat schon derart zu entkräften, daß fürder sicher kein Mensch mehr zu euch irgendeine hilfesuchende Zuflucht nehmen würde! – Glaubst du mir das, oder glaubst du mir es nicht?“ Kapitel 52 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 52. — Des Roklus Zweifel an Raphaels Macht 1. Sagt Roklus: „Wenn du auch so tat- wie wortmächtig bist, da könnte dir so etwas allerdings möglich sein; aber bis jetzt habe ich bei allen Menschen noch die Erfahrung gemacht, daß die wortkräftigsten Weisen auch stets die tatschwächsten waren. Ich gestehe es dir demnach offen, daß ich vor deiner etwas hochtrabend gehaltenen Tatmacht eben keine gar zu absonderliche Furcht habe! Möglich ist jedoch gar vieles, wennschon nicht allzeit wahrscheinlich! 2. Gehe hin zu dem Elternpaare und sage es ihnen, daß die neu vom Tode erweckte Tochter nicht die wahre, sondern nur eine wegen der großen Ähnlichkeit unterschobene ist, und du wirst es sehen, ob du einen Glauben finden wirst! Ja, man wird dir wohl die Türe weisen, aber glauben wird man es dir nimmer, und wäre es dir auch möglich, mit einer zweiten, noch ähnlicheren Kopie zustande zu kommen. Denn mit der Erweckung der wirklichen Tochter dürfte es dir denn doch etwa nicht gelingen wollen; denn fürs erste dürfte es dir wohl kaum bekannt sein, wo sie begraben ist, und fürs zweite dürfte ihr Körper von den Würmern schon so ziemlich zernagt sein. 3. Dies wäre meiner Meinung nach noch das einzige Mittel, die beiden Eltern wenigstens auf eine Zeitlang stutzen zu machen; im äußersten Falle würde das gute Elternpaar die wirklich wiedererweckte Tochter wegen der großen Ähnlichkeit als eine Ziehtochter annehmen. Doch lassen wir nun all dieses nichtssagende Wortwechseln und wenden uns zu etwas anderem! 4. Du bist auch von dieser Gesellschaft einer? Was ist denn so ganz eigentlich der Zweck eures Hierseins? Erteilet hier etwa der Oberstatthalter, wie es schon zu öfteren Malen der Fall war, dem Volke öffentliche Audienzen, nimmt Bitten an und vernimmt allerlei Beschwerden vom Volke und seinen Vertretern, oder hält er etwa hier eine Art Gericht oder einen Kriegsrat? Denn ich bemerke hier ja Menschen von allen Enden und Orten der mir bekannten Erde. Sogar die schwärzesten, von mir früher noch nie so schwarz gesehenen Mohren sind hier äußerst reichlich vertreten; Perser, Armenier, Taurer, Griechen, Römer und Ägypter fehlen nicht! 5. Ich würde darum aus Bescheidenheit und gebührendster Hochachtung vor dem weisen und greisen Cyrenius wohl diese Frage nie ans Tageslicht gebracht haben; aber weil wir nun schon gut bei zwei Stunden miteinander Worte gewechselt haben, so faßte ich Mut und habe nun vor dir die Frage laut werden lassen! Sage mir etwas darüber, wenn es dir genehm ist, und sage mir auch etwas von dem, wie denn doch so ganz eigentlich dieses Haus samt Garten, Hafen und Schiffen entstanden ist! Ich weiß wohl noch, was du mir in dieser Hinsicht schon gesagt hast; aber mit der puren Gottesgeisteskraft im Menschen kann es denn ja doch nicht so ganz sein! Diese Kraft kann dem Menschen wohl die allertauglichsten Mittel zur Hervorbringung eines solchen Werkes anzeigen; aber ohne dieselben aus der Purluft wird sich das wohl etwa nicht zustande bringen lassen! Geh, lieber, weiser, junger Freund, sage mir doch aufrichtig, was du irgend davon weißt!“ 6. Saget Raphael: „Gedulde dich nur noch ein wenig; denn wir sind noch mit der früheren Verhandlung nicht ganz am Ende, und warum hier diese Völker versammelt sind, darf ich vor der Zeit nicht aus der Schule schwätzen! Du wirst späterhin schon noch mehreres erfahren; vorderhand aber bleiben wir nur schön bei dem: ob ich selbst nicht imstande wäre, eurem Institute einen ganz mörderischen Rippenstoß zu versetzen, ohne mir eine zweite Kopie der falschwundersam erweckten Tochter von irgendwoher zu verschaffen! Du zweifelst daran, und dennoch könnte ich dir augenblicklich eine Überzeugung verschaffen, vor der dir die Haare zu Berge steigen würden! – Was würdest du dann sagen?“ Kapitel 53 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 53. — Roklus rechtfertigt die Gründung des Essäerordens 1. Sagt Roklus etwas betroffen: „Freund, kein wie immer geartetes Verbrechen macht erbangen mein Gewissen! Ich lebte stets streng gesetzlich; was sollte mir die Haare gen Berg steigen machen? Ist aber unser Institut schon so ein Greuel in den den Menschen nie sichtbaren Augen eines Gottes, dessen Dasein ich nun freilich nicht mehr leugnen kann nach all dem von dir Vernommenen, so sollte der allwissende, allsehende und allmächtige, höchst urweise Gott denn ja doch irgendein Mittel haben, durch das Er die Errichtung von derlei Instituten gar leicht verhindern könnte! Wir und eigentlich unsere Vorfahren aber haben weder vor noch bei und nach der Errichtung dieses Institutes von gar keiner Seite her irgendein Hemmnis verspürt; auch der Staat, dem doch der Plan offen vorgelegt ward, hat mit aller Bereitwilligkeit die Errichtung dieses ihm allernützlichst scheinenden Institutes bewilligt und seine Verschwiegenheit für alle Zeiten uns treulichst zugesagt und auch versprochen, uns nötigenfalls mit den Waffen zu schützen und zu schirmen. Das Volk, zu dessen sichtlichem Wohle das Institut errichtet ward, hat auch keine Einsprache erhoben. Von keiner Seite also, weder von der göttlichen noch von der staatlichen und bürgerlichen, ist bei der Errichtung irgendeine Widersprache geschehen, und es war somit rein unmöglich, sich mit der Errichtung dieses Institutes gegen jemandes Willen zu versündigen, und wir Glieder dieses Institutes können daher jedermann und auch einem Gotte mit einem ganz ruhigen Gewissen unter die Augen treten, und ich wüßte daher wahrlich nicht, womit du mir die Haare rechtlichermaßen gen Berg treiben solltest! 2. Du hast zwar nach deinen Worten eine besondere Macht inne, bist am Ende selbst eben derjenige, der dies Wunder verübt hat, kannst vielleicht auch so bloß durch Wort und Willen Tote erwecken, wie nun in unsere Stadt die Sage von einem Nazaräer gekommen ist, der solches vor aller Welt Augen etwa gar wohl vermöchte, was ich auch gar nicht in einem zu hohen Grade bezweifle; denn die Menschen sind inwendig Geister von sehr verschiedenen Größen, und da erfindet bald einer entweder aus sich oder durch einen Zufall etwas, wovon Millionen vor ihm und Millionen mit und nach ihm gar keine Ahnung haben, und er übt es aus und setzt dadurch oft den halben Erdkreis ins größte Erstaunen. Und da ist ja eben wieder unser Institut mit keinem Golde zu bezahlen, das eben solche Erfinder aufsucht und sich alle Mühe gibt, sie für sich zu gewinnen und ihre vereinzelten Erfindungen zu einem Gemeingute der Menschen zu machen! 3. Wir Essäer werden nie einen Menschen von außerordentlicher Art verfolgen oder ihm auf seinen Wegen Hemmschuhe anlegen, sondern wir leisten ihm noch allen möglichen Vorschub und suchen ihn womöglich für uns zu gewinnen, was uns schon mehrfach gelungen ist. Daß es ihm dann bei uns nicht schlecht geht, dafür steht das ganze Institut wie ein Mann! Siehe, so denken wir, so stehen und so auch handeln wir, ohne Hinblick auf irgendeine Belohnung weder diesseits noch jenseits! Wir tun das, was wir nach einem allgemeinen Rate als gut erkennen, seiner selbst wegen! Vor welch einem Richter sollen wir wohl noch erbeben? 4. Bist du am Ende gar jener wunderbare Nazaräer selbst? Auch gut, und eigentlich noch besser; denn da lernen wir den Mann oder Jüngling am Ende doch selbst kennen, von dem wir schon so vieles und überaus Außerordentliches vernommen haben! Nur etwas zu jung siehst du mir für den Nazaräer aus, der nach der Beschreibung mindestens dreißig Jahre haben soll! Aber es macht das nichts, du brauchst der berühmte Nazaräer auch gar nicht zu sein; denn du besitzest ja auch einen sehr regen und strebsamen Geist, bist weit und breit herum gewesen und hast dir allerlei Erfahrungen sammeln können. Warum solltest du dadurch nicht auch zu Fähigkeiten gelangen können, von deren Größe ich gar keinen Dunst haben kann? Oh, ich bin da nicht im geringsten etwa eifersüchtig auf dich! Auch leugne ich nicht, daß es neben unseren Scheinwundern auch wahre geben könnte; denn es müssen den Scheinwundern allzeit wahre vorangegangen sein, ansonsten die falschen von den Menschen nicht leichtlich je hätten erfunden werden können. Aber nur das eine lasse ich dir durchaus nicht gelten, daß wir mit Willen durch unsere Scheinwunder je etwas eigentlich anerkannt Böses haben erreichen wollen. 5. Freilich, wohl wußten wir nicht, daß durch solch trügliche Wunder die moralische Seelensphäre der Menschen total zugrunde gerichtet werden muß, was für den Menschen ein großes Übel ist; aber wir waren ja samt und sämtlich Atheisten und konnten ja keine andere Lebensglückssphäre der Menschen vor uns haben als die irdische, da wir an ein Leben nach dem Leibestode nicht glaubten, wenigstens an ein seiner selbst bewußtes nicht! Was uns aber von dem Dasein eines Gottwesens abgelenkt und zum vollkommensten Atheismus geführt hatte, habe ich dir bereits auf die möglich vernünftigst anschauliche Weise PER LONGUM ET LATUM [des langen und breiten] dargestellt und glaube nun, vor dir, und wenn du auch Gott Selbst wärest, so rein als möglich dazustehen. 6. Einen irgend geheim gehaltenen kranken Gewissenspunkt gibt es nicht in meinen Eingeweiden, und so stehe ich dir hier ganz mutig entgegen! Den Tod fürchte ich nicht, obwohl ich wahrlich kein Freund von Schmerzen und Leiden bin. Mit was sonst könntest du einem Manne, der auch von sich sagen kann: ,SI TOTUS ILLABATUR ORBIS, IMPAVIDUM FERIENT RUINAE!‘ [Wenn auch der ganze Weltkreis einstürzt, so werden doch die Trümmer den Unerschrockenen tragen!], vor Angst die Haare gen Berg treiben? Bleiben wir nun lieber gute Freunde und unterstützen wir uns in allem Guten und Wahren, was sicher allen Menschen sowieso frommen muß, und wir werden dann meines Erachtens gar nicht nötig haben, uns gegenseitig die Haare gen Berg zu treiben! Übrigens aber magst du tun, was du willst, so wird die Welt im allgemeinen dennoch nie besser werden, als sie nun ist und auch allzeit also war! 7. Am liebsten aber wäre es mir nun schon, mit meinen Gefährten mich wieder zu entfernen! Denn ich bemerkte soeben mehrere Pharisäer hier, und – vergib es mir, Freund! – mit diesen komme ich sehr ungern irgendwo zusammen, weil diese jedem Fortschritte EX DIAMETRO (schnurstracks) entgegen sind. Ich schenke dir alle weiteren Erklärungen und Mühen! Ich weiß nun, woran ich bin, und wie ich mich geistig zu richten habe, um zu erreichen das ewige Leben aus Gott; mehr benötige ich nicht vorderhand, und die weitere Erklärung dieses Hauswunders erlasse ich dir auch, obschon ich sie gerne fundamentalisch vernommen hätte! Aber die mehreren Pharisäer, sogar der echt stierbeinige Oberste aus Cäsarea Philippi auch hier?! Oh, da werden wir bald unsichtbar werden!“ 8. Sagt Raphael: „Oh, wegen dieser könnet ihr schon bleiben; denn diese sind so wenig mehr Pharisäer, als wie du einer bist! Wer immer hier wandelt, ist ein reiner Mensch bis auf einen, der unterdessen der Schrift wegen geduldet wird. Also die hier seienden Pharisäer hast du nicht mehr zu scheuen! Aber du willst von dem wundervollen Nazaräer etwas gehört haben? Erzähle mir etwas davon, und ich will abgehen von dem, dir die Haare gen Berg zu treiben! – Willst du das?“ 9. Sagt Roklus: „Warum nicht? Viel weiß ich zwar nicht; aber was ich weiß, hat Kopf, Hand und Fuß und verdient allen Glauben. Nur eine ganz kleine Geduld bitte ich mir zu meiner Fassung aus!“ Kapitel 54 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 54. — Des Roklus Erfahrungen und Ansichten über den Nazaräer 1. Nach einer kurzen Pause Zeit sagt Roklus zum Raphael: „Liebster, junger, wahrhaft weiser Freund! Ich bin nun da völlig beisammen, um dir zu erzählen, was ich aber auch erst seit kurzem von einigen Handelsleuten aus Nazareth und Kapernaum vernommen habe, denen ich unbedingt wahrlich in bezug auf die Fakta allen Glauben geschenkt habe, weil das Männer sind, denen man glauben kann. Mehr aber weiß ich natürlich auch um keine Silbe, als was ich eben von diesen meinen Geschäftsverwandten als treu und wahr vernommen habe, – und so wolle du mich vernehmen! 2. Im Städtchen Nazareth, am oberen Jordan gelegen, nicht im Flecken gleichen Namens im Gebirge, lebte ein Zimmermann und hatte mit seinem zweiten Weibe einen Sohn gezeugt, den er ,Jesus‘ benamsete. Dieser war bis zu seinem dreißigsten Jahre auch ein Zimmermann und stets ein stiller, viel denkender, aber wenig redender Mensch. Er war sonst ein äußerst gesitteter Mann; man hörte ihn nie zanken und sah ihn auch nie huldigen weder irgendeiner reizenden Venus und ebensowenig dem Bacchus. 3. Eine stete und bescheidenste Nüchternheit war seines Lebens vorherrschender Charakterzug. Daneben war er stets sehr demütig und barmherzig gegen die Armen und verlangte für seine stets ausgezeichnete Zimmermannsarbeit einen nur ganz kleinen Lohn, den er stets höchst gewissenhaft an seine Eltern abführte. Mit dem Tage aber, als er genau dreißig Jahre alt wurde, legte er alles Werkzeug zur Seite und rührte weder Axt noch Säge mehr an. 4. Seine Brüder und seine etwa noch lebende Mutter, alle vollkommen ehrliche Leute, fragten ihn um den Grund, und er soll ihnen folgende höchst mystisch klingende Antwort gegeben haben: ,Es ist die Stunde gekommen, von der an ich den Willen meines Vaters im Himmel erfüllen muß, darum ich denn auch in diese Welt gekommen bin!‘ 5. Darauf verließ er bald das elterliche Haus, zog in die kleine Wüste unweit des Ausflusses des Jordans aus dem See, an dem wir uns soeben befinden, nahm dort Jünger an und lehrte Gott und den Nächsten lieben und warnte sie vor dem alten Sauerteige der Pharisäer, ein Etwas, das mir den Mann sehr wert machte, obschon ich noch nicht das Glück hatte, mit ihm irgend persönlich zusammenzukommen; denn ein Gegner der Pharisäer ist stets unser Freund und kann von uns jede Unterstützung haben. 6. Mit solcher seiner höchst achtbaren Lehre verbinde er etwa eine fabelhafte magische Willenskraft und verübe Wundertaten, von denen es bis jetzt noch keinem Sterblichen etwas geträumt hat. Er soll zum Beispiel jeden Toten ohne alle irdischen Mittel bloß nur durch Wort und Willen wieder ins Leben zurückrufen; so unglaublich und fabelhaft dieses auch immerhin klinge, so sei es dennoch vollkommen wahr! Kurz, er gehe von einem Orte zum andern, lehre die Menschen sich und Gott erkennen auf eine ganz faßliche Weise, und jeder Schritt und Tritt sei von Wundern der außerordentlichsten Art begleitet! 7. Seine etwa schon sehr zahlreichen und stets mit ihm ziehenden Jünger halten ihn für einen Gott, da ein wirklicher Gott mit allen seinen wunderbaren Eigenschaften unmöglich mehr zu leisten imstande wäre. Lassen wir aber das; denn ein Gott, wie wir ihn unter allerlei Formen und Gestalten uns vorstellen, ist ja ohnehin nichts als eine lockerste Ausgeburt einer menschlichen Phantasie mit lauter angedichteten Fähigkeiten, die nichts sind gleichwie ihr nichtiger Träger, der erdichtete Gott nämlich! 8. Wenn es sich aber mit dem Wundermanne aus Nazareth also verhält, woran ich durchaus nicht zweifle, da sehe ich gar nicht ein, warum man ihn nicht für einen Gott halten könnte oder sollte! Ich denke mir da also: Dieser Mensch, durch seine Naturanlage sicher befähigter als je irgendein anderer auf der ganzen Erde, hat durch seinen Lebenseifer das Zentrum seines Liebelebens in sich gefunden, hat dann dieses Zentrum allersorgfältigst gepflegt, genährt, gestärkt und ausgebildet. 9. Mit diesem wahren Leben, das ihn als vollends herangebildet ganz durchdringt, setzt er sich in Verbindung mit der allgemeinen Lebenskraft der Natur, und es muß sein Wille dann nicht nur sein eigenes Lebensorgan leiten, sondern alle Organe in der gesamten Natur, weil er durch sein Leben die Leitfäden alles andern Teillebens in den Wesen in sich vereint und dadurch nach seinem Belieben mit allen Wesen schalten und walten kann. 10. Ich hatte dir schon zuvor als noch ein vollkommener Atheist die Bemerkung fallen lassen, daß und wie es ein Mensch nur durch das Auffinden des Lebensprinzips in sich zu einem wirklichen Gotte und zum ewigen Leben bringen kann, vielleicht schon mehrere in der Vorzeit es dahin gebracht haben, in der Folge noch mehrere es dahin bringen werden; und da haben wir den Mann aus Nazareth, der keine Fabel ist, und der meine Behauptung vollkommen rechtfertigt! An den habe ich denn auch gedacht, als ich dir die Bemerkung gemacht habe. Ich gäbe was darum, wenn ich ihn irgendwo auffinden könnte! Ich würde selbst sein Jünger und würde, wenn sich mit ihm alles also verhält, wie ich es vernommen habe durch einige meiner Kollegen, ihn sogar ohne alles weitere Bedenken für einen wahren Gott halten und ihn aus allen meinen Lebenskräften lieben und anbeten, und wenn du mir auch tausend jüdische Jehovas und hunderttausend ägyptische Zeuse entgegenhieltest! 11. Ich sage es dir: Alle Jehovas und alle Zeuse, die ägyptischen, griechischen und römischen, und alle Athmas und Lamas der Indier sind Nullen gegen den einzigen Nazaräer, der ein wahrer Wundermann ist, und den wir Essäer gar nicht fürchten, indem sogar etliche von uns sich unter seinen Jüngern befinden und uns schon mehrere Male brieflich benachrichtigten, wie der Mann ist, was er lehrt, und was alles er tut! Ja, wenn der Mann etwa zufällig hier wäre, dann würde ich dich gar nicht fragen, wie dieses Wunderhaus entstanden ist; denn da würde ich zu dir sagen: ,Siehe, das ist ein wahres Gotteswerk!‘ 12. Einem Gotte ist es möglich, auch eine neue Welt hierher zu erschaffen; denn er hat die Zentrallebensfäden in sich, mit denen er alle Wesen und alle Elemente der ganzen Natur vollkommen in seiner Gewalt haben muß. Er darf nur irgend etwas fest wollen, und es muß sich gestalten nach seiner allerklarsten und vollendetsten Intelligenz. Archimedes, ein großer Weiser, der mit gar manchen Kräften vertraut war, sagte: ,Einen festen Punkt über der Erde gebt mir, und ich hebe euch die ganze Welt aus ihren Angeln!‘ Das war ein keckes zwar, aber immerhin ein großes Wort; er hätte aber mit seinen Schraubenhebeln schon zu tun gehabt, die ganze Erde aus ihren Angeln zu heben. 13. Der Nazaräer aber bedarf keiner materiellen Schraubenhebel, sondern eines Willenszuges, und die ganze Welt samt uns liegt in Atome aufgelöst vor uns, das heißt, insoweit wir uns für uns nach der Auflösung auch noch ein Dasein denken können! 14. Der Nazaräer hat erst den rechten Hebel gefunden und bedarf keines festen Punktes außerhalb der Erde, sondern bloß nur seines Willens, und alle sichtbare Natur hat zu sein aufgehört! Und siehe, dieser Nazaräer gehört gewissermaßen auch unserem Institute an, das heißt dem Institute der wahren, uneigennützigen Nächstenliebe, und wir haben darum keinen größeren und noch wahreren Wundertäter zu fürchten, da wir überzeugt sind, daß es mit ihm auf dieser Erde wohl niemand aufnehmen wird. 15. Oder hättest du etwa Lust, es mit ihm aufzunehmen, der du mir die Haare gen Berg treiben wolltest? Siehe, mein liebster und sonst sehr schätzenswerter Junge, nur immer schön bescheiden! Du kannst sehr vieles wohl vermögen, aber alles noch hübsch lange nicht; aber der Nazaräer vermag gar alles! Mit dem würdest du sehr hart Kirschen essen, du mein Lieber du! Ich werde aber mit dem Nazaräer schon noch selbst irgendwo zusammenstoßen und werde ihm dich vorstellen; gib aber dann ja acht, wie du vor ihm bestehen wirst! – Na, kennst du nun den Wundermann aus Nazareth?“ 16. Sagt Raphael: „Na, sollte ich ihn nicht kennen? Stehe doch schon eine höchst geraume Zeit in seinen Diensten!“ Kapitel 55 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 55. — Die von Roklus geforderte Wundertat Raphaels 1. Sagt Roklus lachend: „O du Hauptwindmacher! Wenn du noch nie eine Unwahrheit geredet hast, so hast du das jetzt getan! Läßt sich der junge Schlingel von mir den herrlichen Nazaräer zuvor so recht klar beschreiben und sagt nun, daß er schon eine geraume Zeit in seinen Diensten stehe. Nicht übel, gar nicht übel! Früher weiß er noch so gut wie nichts von ihm, und nun ist er sein Diener sogar! Nein, jetzt aber fordere ich dich auf, mir das zu beweisen, sonst mache ich dir deine blonden Locken gen Berg stehen! Hast du mich verstanden?! Also nur her mit dem Beweise!“ 2. Sagt Raphael: „Ja, mein Freund, mit dieser deiner Aufforderung machst du mir nicht bange, und ich werde dir alles zu tun imstande sein, was du nur immer verlangst, vorausgesetzt, daß du etwas Vernünftiges und denkbar Mögliches verlangst; denn für etwas Dummes und Unmögliches besitze ich keine Kraft und keine Macht. Stelle mir somit rasch die Beweisaufgabe, und ich werde sie auch ebenso rasch in den Vollzug setzen!“ 3. Hier sah Roklus dem Raphael scharf ins Gesicht und sagte: „Nun wohl, du mein lieber, junger Freund, da habe ich einen bei fünf Pfunde schweren Stein vom Boden gehoben. Es ist ein brauner Granit, der mit keinem mir bekannten Metalle irgendeine Verwandtschaft hat. Mache aus ihm Gold, aber im gleichen Gewichte!“ 4. Sagt Raphael: „Kurzsichtiger Mensch, wenn daraus Gold wird, so wird der Klumpen wohl dreimal schwerer werden! Das Gewicht kann daher nicht dasselbe bleiben, wenn an der Form und Größe nichts abgeändert werden darf! Was willst du nun, das da verändert würde?“ 5. Sagt Roklus: „So lassen wir Form und Gestalt, und das Gewicht verändere sich zum Vorteile des Wunders!“ 6. Sagt Raphael: „So halte nun fest den Stein, daß er dir als ein über dreimal schwerer gewordener Goldklumpen nicht aus der Hand falle; denn die urplötzliche Gewichtserhöhung ist stets nahe so fühlbar, als so dir ein etwa zehn Pfunde schwerer Stein aus der Luft auf die Hände fiele! Du könntest sonach ganz leicht mit dem ganzen Goldklumpen umfallen!“ 7. Sagt Roklus: „Dieses Unglück wird mich wahrscheinlich nicht treffen!“ 8. Dieses sagte Roklus nur aus einer Art Zweifel am Gelingen des Beweises. Aber im selben Augenblicke will Raphael den Stein in Gold verkehren. Der Stein wird auch im Momente ganz Gold und wirft durch die plötzliche Gewichtsvermehrung den Roklus zu Boden, und zwar auf eine ganz heftige Weise, so daß sich Roklus sehr wehe tat und sich kaum wieder zum Aufstehen zusammenraffte. 9. Als er (Roklus) wieder auf den Beinen sich befand, fing er an, des Raphael Mutwillen zu tadeln, und sagte: „Höre, du wunderbarer, mutwilliger Junge, zehn solche Goldklumpen sind nicht wert, daß man sich ihnen zuliebe einen solchen Schmerz solle gefallen lassen! Hättest du mir denn nicht sagen können: ,Jetzt geschieht die Verwandlung!‘? Ich habe mich ja am Kopfe und mit den Händen am Boden so stark angestoßen, als wäre ich von einem hohen Baume herabgefallen! Mich schmerzt der Kopf noch ganz gewaltig! O du mutwilliger Wunderjunge, heile mich nun auch zum größeren Beweise für die Wahrheit deiner Aussage von meinem sehr heftigen Kopfschmerze!“ 10. Hier blies Raphael den Roklus an, und im Augenblicke fühlte Roklus keinen Funken Schmerzes mehr, und Raphael sagte zu ihm: „Klaube nun auch den Goldklumpen vom Boden auf und besieh ihn, ob er nicht ganz gediegen Gold ist!“ 11. Roklus tat das, rief aber zugleich auch seine elf Gefährten herbei und sagte: „Da sehet her und urteilet selbst!“ Kapitel 56 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 56. — Der Essäer Mutmaßungen über die Person Raphaels 1. Alle kamen und sagten: „Freund, das ist reinstes Gold, und der ganze Klumpen dürfte einen kaum schätzbar hohen Wert haben! Und das hat dieser unbeschreibbar schönste Junge bloß durch seinen Willen bewirkt, daß aus dem braunen Kornsteine nun ein ebenso großer Goldklumpen wurde? Das kann kein Magier! Das ist sonach ein reines Wunder, nur einem Gotte möglich, – was wir alle bisher zwar für eine Fabel hielten, aber dieses Faktum sagt uns offenbar etwas anderes. Der herrlichste Junge ist ein Gott und sonst nichts mehreres und nichts wenigeres! Der muß von uns ja angebetet werden, und wir müssen ihm opfern, was wir nur können, auf daß er uns nicht gram werde und uns ja gar verlasse!“ 2. Sagt Roklus: „Er behauptet von sich, nur ein Jünger und Diener des stets berühmter werdenden Nazaräers zu sein. Er ist sonach kein Gott; aber desto klarer tritt hier die unbestreitbare Gottheit des Nazaräers in den Vordergrund! Auch habt ihr die Heftigkeit meines Falles zuvor gesehen, der mir sehr heftige Kopfschmerzen erzeugte, und mit einem ganz leisen Hauche aus des Jungen Munde waren sie buchstäblich weggeblasen. Also ist der Jüngling seiner eigenen Aussage zufolge nur ein Jünger und Diener des Nazaräers, verdient zwar alle unsere Achtung, jedoch keine Anbetung und kein Opfer! Da er aber nun ungezweifelt das ist, so lasset uns nun allein nach dem Nazaräer forschen; haben wir den, so haben wir alles!“ 3. Sagen die Gefährten: „Am Ende ist aber eben dieser Junge der Nazaräer selbst?“ 4. Sagt Roklus: „Nein, nein, das ist er nicht! Fürs erste fehlt ihm das Alter; dreißig Jahre, – wo denket ihr hin?! Der Junge hat kaum sechzehn! Und fürs zweite kommt des Jungen höchsteigenes Geständnis! Der mutwillige Junge ist zwar etwas schlimm, aber von einer Lüge ist bei ihm keine Spur, dafür stehe ich euch, – Keine Spur von einer Lüge bei ihm; denn insoweit habe ich ihn wohl kennen gelernt! Wahrhaft ist er ohne weiteres, aber mitunter auch etwas schlimm, was wir seiner Jugend recht gerne nachsehen wollen, zumal er ein gar so schöner Junge ist, wie ich in meinem Leben noch keinen gesehen habe! Man sollte gerade glauben, daß er ein verkleidetes schönstes Mädchen sei; aber er sieht mir zuweilen doch viel zu ernst aus, daher ich ihn denn auch trotz seiner allerweiblichsten Schönheit dennoch für etwas Männliches halten muß. Auch ist er für ein Mädchen viel zu weise; denn die noch so schönen Mädchen sind stets etwas dumm und mögen sich nie und nimmer zur Weisheit eines Mannes erheben. Aber in diesem steckt eine ganz kuriose Weisheit, mit der es unsereiner nicht aufnehmen kann. Das alles aber beweist auch, daß er nicht der Nazaräer selbst, sondern ein rechter Diener desselben ist. Er führe uns irgend zum Nazaräer!“ 5. Hierauf wendet sich Roklus wieder an den Raphael und sagt: „Höre, du liebster, obschon ein wenig mutwilliger Diener des Nazaräers! Wir beide sind miteinander fertig, und ich und meine Gefährten ersuchen dich nun nur bloß um das, uns anzuzeigen, wo wir den allerberühmtesten Nazaräer finden und treffen können!“ 6. Sagt Raphael: „Ja, jetzt kann und darf ich es dir schon etwas weitwendig sagen, daß der allerberühmteste Nazaräer sich eben hier befindet! Die rechte Person kannst du dir mit deiner Verstandesschärfe schon selbst heraussuchen aus den etlichen hundert Gästen! Sieh, hättest du nicht einen gar so scharfen Verstand, so hätte ich dir die Person des Nazaräers auch angezeigt; aber deine Verstandesschärfe hindert mich daran! Darum gehe und suche recht und du wirst wohl das Rechte finden!“ 7. Sagt Roklus: „Nur zugestichelt, – macht nichts; mein Verstand ist dennoch nicht zu verachten! Was er nicht finden mag und kann, das wird mein Herz finden; denn das gehört doch auch nicht gerade zu den letzten auf dieser Welt. Sorge dich nicht um mich, mein junger, hochweisester Freund, ich werde nicht lange suchen und alsbald das Rechte finden und haben!“ Kapitel 57 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 57. — Des Roklus Rede über die Wichtigkeit eines ausgebildeten Verstandes 1. Hier ermahnt Raphael den Roklus, zuvor den kostbaren Goldklumpen zu versorgen, mit dem er (Raphael) ihm (dem Roklus) ein Geschenk mache. 2. Sagt Roklus etwas erbost: „Freund, wenn ich im Suchen des höchsten Gutes der Menschen begriffen bin, da lasse ich den gefährlichsten Unflat dieser Welt ruhen! Verstanden, du nun schon etwas naseweis werden wollender junger Freund?! Ich kann dir die vollwahrste Versicherung geben, daß ich diesen Kothaufen auch mit keinem Finger mehr anrühren werde, und du kannst ihn zu deinem Privatvergnügen wieder in das verkehren, was er früher war! 3. Glaubst denn du, daß ich nach Gold giere, weil ich ein Grieche und ein Essäer bin? Oh, da irrst du dich gewaltig! Fürs erste besitze ich als ein irdisches Erbgut daheim hundertmal so viel des gelben Erdkotes, als dieser ungeschickte Klumpen da ist, und kann darum diesen neugebackenen schon entbehren, und fürs zweite ist mein Herz noch nie daran gehängt; denn hätte ich je nach den Erdengütern gegeizet, so wäre ich wohl nie zu meiner Verstandesschärfe gelangt, die, wennschon nicht das Allerhöchste selbst zu begreifen vermögend, doch ein Stückchen Weges dazu ist und auch darum allein schon einen tausendmal größeren Wert hat denn hunderttausend solcher Goldklumpen. 4. Wohl weiß ich nun, daß der Mensch beim Erforschen der höchsten geistigen Lebensdinge mit dem puren Verstande, wenn dieser auch noch so rein und scharf ist, nie auslangen wird; aber in völliger Ermangelung dieses Seelenlichtes wird der Mensch noch schwerer zu den höher und tiefer liegenden Wahrheiten des Lebens gelangen! Ein recht gebildeter Verstand des Menschen ist meiner Ansicht nach immerhin ein ganz tüchtiges Stück Weges zu der ewigen und unvergänglichen Lebenswahrheitsfülle aus Gott und ist, von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, sicher auch schon von einem sehr hohen Werte, und es ist daher durchaus nicht recht, daß du, junger Freund, gar so kneipisch von meiner Verstandesschärfe sprichst! 5. Siehe, in der abgebrannten Stadt irren noch gar viele Menschen herum, über deren Verstandesschärfe du dich sicher nimmer beklagen würdest; warum kommen sie denn nicht hierher, diese Schafe und Lämmer, um zu suchen des Lebens tiefere Wahrheiten? Sie sahen alle hierher und mochten dies neue Wunderhaus wohl auch entdeckt haben; aber denen ist das eins! 6. Was kann einem Menschen, der des Denkens rein unfähig ist, irgendein Interesse ablocken? Ich sage: Gar nichts, außer daß sein etwa hungriger Magen einem ihn sättigenden Bissen gar emsigst nachrennen wird! Stelle du diesen stets hungrigen Menschenlasttieren ein Gericht Speisen auf und wirke neben ihnen die großartigsten Wunder, – und diese Verstandeslosen werden fressen und nicht im geringsten achten deiner Wunderwerke! Und haben sie ihre Magen gefüllt, so werden sie träge und schläfrig und werden wieder nicht achten auf deine Wunder! So etwas fällt nur dem gebildeten Verstande auf, und er fängt an, zu denken und allerlei Vergleiche zu machen, und ruhet nimmer, bis er nicht zu irgendeiner Erklärung des Wunders vorgedrungen ist! 7. Wenn aber unwiderlegbar sich die Sache also verhält, warum machst du denn immerfort gegen meine Verstandesschärfe spitzige Bemerkungen? Sieh, da bist du trotz aller deiner Wunderkraft rein auf dem allerholprigsten Holzwege von der Welt! 8. Wenn ich einen Gott wahrhaft erkennen will, so muß ich dabei, und zwar zuerst, auch denken und dann erst fühlen! Was soll mir aber ein besseres und geistiges Gefühl im Herzen erwecken, wenn ich als ein verstandesloser Ochse dastehe?! Du verwiesest mich, den göttlichen Nazaräer nur mit meiner Verstandesschärfe zu suchen und zu finden; ich werde es aber auch tun, um dir zu zeigen, daß ein rechter Verstand auch zu etwas gut ist! Kurz und gut und vortrefflich, ich bin dir recht vielen Dank schuldig und habe dich recht sehr lieb – denn du hast mich einen wahren Gott kennen gelehrt und hast mir darum einen unermeßlichen Schatz, den ganze Goldberge nicht aufwiegen, gegeben –; aber daß du noch stets gegen meinen Verstand etwas zu sticheln hast, das gefällt mir nicht von dir! 9. Denn das muß mir sogar eines Gottes höchste Weisheit gutheißend zuerkennen, daß der Verstand dem Menschen wegen der Erkenntnis seiner selbst und hauptsächlich wegen der daraus hervorgehenden Erkenntnis Gottes so notwendig ist, wie ihm die Augen zum Sehen notwendig sind! Ich weiß es wohl, daß ein Mensch mit seinem noch so geweckten Verstande gar endlos vieles nicht begreifen kann und wird, was die göttliche, höchste Weisheit alles verordnet hat, was sie entstehen ließ, und was da immer ist und geschieht; aber ohne eine gewisse Verstandesschärfe, die da zu prüfen und zu unterscheiden vermögend ist, begreift der Mensch gleichweg ewig nichts! 10. Man sagt, daß nur der Glaube die Leuchte des Menschen sei! O du lieber Himmel, was ist denn ein Glaube ohne Verstand? Er ist die Wiegenweisheit der unmündigen Kinder, die nach dem Monde langen etwa in der Meinung, daß er ein rundes Stück Honigbrotes sei! Und es gibt wirklich erwachsene Menschen auf dieser lieben Erde, die den Mond für einen in der Luft herumschwimmenden Laib Brotes halten, der allmonatlich von den Paradiesvögeln aufgezehrt wird, aber dann gleich wieder von neuem zu wachsen beginnt! Ja, Freund, sage, was ist dir, mir und einem Gotte mit solchem Glauben wohl geholfen? Ist es denn nicht besser und des Menschen- und eines Gottesgeistes im Menschen würdiger, nachzudenken und mit der Zeit zu finden, daß der Mond denn doch irgend etwas anderes sein muß denn ein Brotlaib zum Essen für die Paradiesvögel? 11. Mein Grundsatz ist: Alles prüfen und davon das Gute und das einer Wahrheit wenigstens am nächsten Kommende behalten auf so lange, bis man darüber nicht ein besseres und stärkeres Licht von irgendwoher erhalten hat. Ist doch in einer stockfinstern Nacht ein leuchtend Würmchen besser denn gar kein Licht; und also ist das Lichtfünklein der Seele – Verstand genannt – ja doch auch besser denn ein aller noch so fernen Wahrscheinlichkeit barer stockfinsterster Aberglaube! 12. Ich setze aber den Fall, daß ich eine mir vorerzählte vollste Wahrheit glauben soll, ohne mich aber doch nur im geringsten überzeugen zu können, daß das wirklich eine Wahrheit sei, weil dazu der Verstand und dazu gehörige Erfahrungen mangeln. Was ist auch solch ein Glaube anderes als ein blindester Aberglaube? Denn was kann mir die geglaubte Wahrheit nützen, wenn ich sie nicht verstehe, ja mich gar nicht überzeugen kann, daß sie eine Wahrheit ist? Zu was wäre das Gold wohl gut, wenn es der Menschenverstand nicht unterscheiden könnte von einem andern, gemeinen und wertlosen Metalle? Wenn der Mensch sonach etwas glaubt, so muß er es doch mit einigem Verstande glauben, sonst müssen bei ihm ja Lüge und Wahrheit völlig eins sein! 13. Wenn du mir sagst: ,Weit hinter jenen blauen Bergen ist eine Stadt, die aus lauter allerkostbarsten Edelsteinen erbaut ist, und die darin wohnenden Menschen sind lauter Riesen!‘, so werde ich, wenn ich blind und dumm genug bin, dir das aufs Wort glauben und werde mich darin sogar begründen; so aber dann ein anderer kommt und zu mir sagt: ‚Du, hinter jenen blauen Bergen gibt es gar keine Stadt, und noch weniger irgend riesenhaft große Menschen!‘, was werde ich als ein verstandesloser, dummer Finsterling tun? Ich werde bei dem ersten bleiben, obwohl es eine schreiendste Lüge ist, und werde mit frechem Hohne die Wahrheit des zweiten von mir weisen! Kann aber das einem höchst weisen Gotte einerlei sein? 14. Wenn der Nazaräer ein Gott ist voll der höchsten Weisheit, was ich nun nicht mehr bezweifle, weil ich das mit meinem Verstande erkenne, so wäre es ja nachgerade dumm von ihm, so er die Menschen lehrete, zu erkennen die Lüge und ihr Falsches und dafür anzunehmen das Licht der Wahrheit und deren Gutes ohne irgendeine Verstandesschärfe! 15. Du siehst, daß du hierin gegen mich nicht aufkommst, auch mit tausend gewirkten Wundern nicht; daher wolle mir in der Folge nicht mehr witzeln über meinen Verstand, sondern laß ihn als das gelten, was er ist, und zeige mir darum nur, wo sich etwa nun der göttliche Nazaräer befindet, auf daß ich vor ihm geziemend meine Knie beuge und ihn auch anbete!“ Kapitel 58 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 58. — Der Liebe Einfluß auf den Verstand 1. Sagt Raphael: „Aber Freund, du hältst dich gewisserart über etwas auf, das nur du mir unterschiebst; wie kannst du von mir denken, daß ich ein Gegner des richtigen Verstandes der Menschen sei?! So ich dir sage, daß du mit deiner Verstandesschärfe nun hier den Nazaräer ausfindig machen sollst, so wollte ich dir damit nur andeuten, daß da auch ein noch so heller Verstand bei weitem nicht ausreicht, sondern vor allem muß da das Gemüt, also die Liebe, das Such- und Erkennungsgeschäft Dessen übernehmen, der Selbst die höchste und reinste Liebe ist! Der Verstand darf da freilich nicht fehlen; aber voraus muß die Liebe sein! Ohne die richtet da der pure Verstand für sich nichts aus! 2. An der Person des Nazaräers ist lange nicht alles gelegen, wie an dem nicht, daß du Ihn in deinem Magierenthusiasmus zu einem Gotte machst, sondern alles liegt da an dem, was dein Herz dazu sagt! 3. Hättest du den rechten Grad Wärme dazu und dafür, so hättest du den Nazaräer schon erkannt und hättest nicht nötig, mich zu fragen nach Ihm; denn die Liebe findet die Liebe bald und leicht. Aber es war bei dir bis jetzt noch immer der kalte, wennschon ganz nüchterne Verstand vorherrschend, und so mußt du noch immer nach Dem fragen, der dir so nahe ist! Meinst du, daß ich damit dem blinden Aberglauben, den ihr Essäer nun gerade am meisten kultivieret, ein Wort reden will? Oh, wie grob irrest du dich da an mir! 4. Wenn ich sage, daß da der pure Weltverstand nicht hinreichet, so ist ja damit so viel gesagt, als daß zu dem Weltverstande, selbst in seiner reinsten Sphäre, noch eine viel höherstehende, rein geistige Erkenntnis hinzutreten muß, um das Allerhöchste erkennen zu können. Wenn ich dir aber doch mit Händen zu greifen das andeuten wollte, wie kannst du als ein Helldenker mir den Vorwurf machen, daß ich ein Gegner des Verstandes sei und für eine höhere Erkenntnis nur die wahren Esel und Ochsen als befähigt ansehe?! Merkst du nicht, wie weit fehl wieder dein purer Weltverstand vom Ziele geschossen hat?! 5. Siehe, in allen wichtigen bürgerlichen Lebensverhältnissen haben die Menschen mitunter recht weise Gesetze erfunden und sie auch sanktioniert; darunter gibt es aber auch welche, die ein sehr grausames Gesicht haben, wie zum Beispiel die meisten Strafgesetze. 6. Irgendein Individuum hat sich an einem Gesetze, zum größten Teile aus Unkenntnis solch eines Gesetzes, vergangen. Der Arm des Gerichtes ergreift ihn und führt ihn vor den strengen Stuhl des alle Gesetze wohl kennenden Richters. Wenn dieser dann nach dem puren Weltverstande urteilt, so wird er ohne alle Gnade den Inquisiten (Angeklagten) nach dem CODEX POENITENTIARUM (Strafgesetzbuch)) zum Tode verurteilen. 7. Hat der Richter aber nebst seinem geweckten Welt- und Gesetzverstande auch ein liebewarm fühlendes Herz, so wird dieses dem kalten Weltverstande folgende Einsprache machen und sagen: Das Gesetz, vielleicht mehr aus tyrannisch herrscherischer Leidenschaft gar so rücksichtslos gestellt, kann hier doch nicht eine völlige Anwendung finden!? Denn eine erweisbare völlige Unkenntnis irgendeines bestehenden Gesetzes muß hier berücksichtigt werden! 8. Denn wenn ein Mensch auf dem Dache steht und einen andern Menschen unten am Boden liegend ersieht, mit bösem Willen auf ihn herabspringt, um ihn zu töten oder ihm mindestens einen großen Leibesschaden zu bewirken, so ist ein solcher Mensch mit aller Schärfe zu bestrafen für seinen argen Mutwillen. So aber ein Mensch bloß nur aus Unvorsichtigkeit vom Dache fällt, aber dabei auch einen unten am Boden liegenden oder zufällig vorübergehenden Menschen tödlich verletzt, so ist er an solcher Kalamität ja doch völlig unschuldig, und eines Richters Sache ist es da, wohl zu unterscheiden, welche Umstände da der Hebel waren, durch die ein Mensch zu einem Übeltäter gemacht ward! 9. Wenn ein Fremdling, unserer Schrift, Sprache und unserer Gesetze völlig unkundig, sich gleich beim Eintritt in unsere Länder bald und leicht an einem unserer Gesetze vergeht, so haben wir ihn wohl anzuhalten und ihn mit unseren Gesetzen durch einen Dolmetsch bekannt zu machen. Erst wenn er sich dann abermals an den ihm bekanntgemachten Gesetzen vergeht, so kann er dann auch schon füglich dafür bestraft werden. Es ist da unfein zu sagen, Unkenntnis eines Gesetzes, das einmal in einem Lande als sanktioniert besteht, entschuldige niemanden; denn wie soll jemand ein Gesetz beachten, von dem er erwiesenermaßen noch nie etwas vernommen hat?! 10. Siehe und urteile nun selbst: Welcher der beiden Richter hat da nach Recht und Wahrheit geurteilt, – der erste, der bloß den Gesetzesbuchstaben mit seinem kalten Verstande zur Richtschnur nahm, oder der zweite, der im Herzen als Mensch ein gerechtes Erbarmen mit dem Sünder trug und dadurch des Gesetzes Mängel und Dummheit ans Tageslicht förderte?“ 11. Sagt Roklus: „Offenbar der zweite!“ 12. Sagt Raphael: „Gut! Was aber erhöhte des zweiten Richters Einsicht und Verstandesschärfe?“ 13. Sagt Roklus: „Offenbar die Liebe in seinem Herzen, die ihn zur Erbarmung mit dem Sünder weckte! Er wollte den Sünder nicht verdammen, darum er denn auch alles schärfer zu prüfen begann und dadurch auf eine Menge Umstände kam, die dem Sünder zugute kamen.“ 14. Sagt Raphael: „Gut und richtig gesprochen! Was folgt aber daraus nun für jeden Menschen anderes, als daß ein durch allerlei Wissenschaften und Erfahrungen schon sehr geweckter Verstand in allen Dingen, Verhältnissen und Richtungen erst dann den rechten Scharfblick erhält, wenn er von der Liebe im Herzen erwärmt und von der stets heller auflodernden Liebesflamme auch stets heller erleuchtet wird. Machte ich da denn einen Verstandeswidersacher, so ich dich nur durch gewisse Winke darauf aufmerksam machte, wie deinem scharfen Verstande noch die eigentliche Schärfe sehr bedeutend abgeht und du sie mit der wahren Liebe zu Dem erhöhen sollest, den du nun erst suchst und früher nicht gesucht hast gar so sehr, als wie du jetzt vorgegeben hast?!“ Kapitel 59 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 59. — Raphael enthüllt des Roklus innerste Gedanken über den Herrn 1. (Raphael:) „Es ist wohl wahr, daß du von dem berühmten Nazaräer so manches vernommen hast, was dir unglaublich schien, und du gerne mit Ihm eine Zusammenkunft, wenn es ohne viele Mühe sein könnte, gehabt hättest; aber gerade gesucht hast du das nicht und dachtest dir: ,Wir haben ohnehin einige Brüder gegen ihn abgesandt, und diese werden uns schon berichten, was er lehrt und tut!‘ Aber die etlichen sind dann von euch völlig geschieden und sind Seine Jünger geworden und haben euch gar keine Nachricht über Ihn hinterbracht, und es machte euch das hie und da bangen, und erst dadurch seid ihr dann von Tag zu Tag neugieriger geworden, den Nazaräer persönlich kennen zu lernen. 2. Allein, Freund, solche pure Neugier ist noch lange keine Liebe! Denn gestehe es nur selber, ob nun deine Liebe zum Nazaräer nicht so ungefähr der gleicht, wie ein besiegter Kämpfer sich seinem Sieger aus purer, in sich erkannter Schwäche allerfreundlichst ergibt, damit dieser ja keine weiteren Kraftbeweise an ihm in Vollzug setzen soll! Du hast eigentlich vor dem Nazaräer geheim eine ganz besondere Furcht und tust nur also, als wenn du gar so sehnlichst mit Ihm zusammenkommen möchtest; aber ich sehe in deinem Gemüte einen ganz andern Wind ziehen. Und weißt du, wie der Wind, in Worte gekleidet, spricht? Höre, ich werde ihn dir verdolmetschen! 3. Der Wind lautet also: ,O du ganz verzweifelter Nazaräer! Gerade jetzt hat er auftauchen müssen! Unseres feinen Institutes Sache war nun schon im besten Gange! Jetzt muß der Plunder gerade den Nazaräer dahergebracht haben, der – wer kann's wie er?! – nun Wunder verrichtet, gegen die alle unsere Werke rein Asche sind und durch ihn noch am ehesten verdächtigt und wertlos werden können. Der ist uns erst als eine wahre Laus in unser Pelzwerk gekommen, die nicht mehr hinauszubringen sein wird. Nun aber heißt es zum bösesten Spiele auch sogleich eine allerbeste Miene machen. Es werde alles darangesetzt, daß er uns ja nicht feind werde. Denn wird er uns feind, so ist's auf einmal aus mit unserem ganzen Institute. Was nachher! Wohin, und was anfangen? Zu besiegen ist der nimmer; somit heißt es hier klug zu Werke gehen und ja sogar von weitester Ferne nichts Unfreundliches gegen ihn merken lassen, sondern ihn stets mit der größten Aufmerksamkeit behandeln und sich ihm so liebreich und dienstfertig wie nur immer möglich erweisen, so wird er als ein sein sollend guter Mensch gegen uns sicher nie ein Schwert erheben und wird uns zum wenigsten ungeschoren lassen!‘ 4. Siehe, Freund, das und noch so manches enthält euer innerer Lebenswind, gegen den du mir wohl kaum etwas anderes einwenden kannst, als nur alles von mir nun Gesagte für eine Lüge zu erklären, was aber auch nicht gehen wird, weil ich dir da sogleich mit von deiner Hand geschriebenen Dokumenten entgegentreten würde, deren sehr schlüpfriger Inhalt hier wahrlich sehr viel Aufsehen machen würde. Und das wäre eben das Stückchen, das dir deine schon ziemlich grauen Haare gen Berg treiben könnte! Hatte ich nun recht, so ich zu dir sagte, daß du also nur versuchen sollest, mit solch deinem scharfen Verstande den berühmten Nazaräer zu suchen? Was sagst du nun zu allem dem?“ 5. Sagt Roklus ganz betroffen: „Ja, lieber Freund, wenn du auch meine innersten Gefühle lesen kannst, dann hat mit dir jede weitere Besprechung aufgehört, und ich muß nun allen Ernstes vor dir, Junge, niederknien und dich für alles um Vergebung bitten, was ich nur immer dir entgegengesprochen habe!“ 6. Sagt Raphael: „Siehe, auch das mußte aus dir, und du bist jetzt erst fähig, dem Nazaräer vorgestellt zu werden, und so folge mir nun!“ 7. Sagt Roklus mit sehr stark verlegen klingenden Worten: „Ja, Freund, es ist das alles sehr schön und sehr erhaben! Ja, ja, darin liegt eine – wie sage ich nur gleich? – ja, ja, es liegt darin eine große Würde und eine gar unmenschlich große Ehre, dem mächtigsten und erhabensten Menschen der ganzen Erde vorgestellt zu werden! Ja ja, das ist es! Aber wenn so ein vollends göttlicher Mensch zu allen seinen unergründlichen Wundertatkräften auch die sonderbare Fähigkeit besitzt, unsereinen durch und durch zu schauen und einem Menschen, wie ich einer bin, gleich seinen ganzen Lebenslauf vor aller Welt herzuerzählen, – weißt du, da ist dann die nähere Bekanntschaft mit solch einem Gottmenschen durchaus nichts Angenehmes mehr! Und ich möchte nun schon lieber von hier laufen, als mich noch länger allhier aufhalten! Zudem ist es schon so hübsch nahe gegen den Abend gekommen, und wir alle haben noch für heute so manche Geschäfte daheim zu verrichten, – und du wirst uns daher schon für entschuldigt halten, wenn ich nun deinen mir sonst sehr werten Antrag ablehne, das heißt, so es eben nicht gerade sein muß, daß wir mit dem Berühmtesten aller Berühmtesten bekannt werden. Natürlich, so du aber das als etwas Gutes und Notwendiges für uns ersiehst und verlangst, so versteht es sich von selbst, daß wir uns gegen dich als unsern geistig größten Wohltäter sicher nicht widersetzlich erweisen werden; aber aufrichtig gesagt, es ist mir nun wirklich nicht sehr angenehm, einer gar so ungeheuren menschlichen Macht- und Weisheitsgröße gerade ganz knapp unters Gesicht gestellt zu werden, weil man sich daneben gar zu sehr als ein purstes Nichts zu fühlen anfängt! Man wird zu einem tausendfachen Nichts, während der Gegenpart mit seinem unerforschbaren Alles-in-Allem sich in solcher seiner Allheit nur stets mehr und mehr potenziert. So ein Nichtigkeitsgefühl schmerzt und tut dem Herzen wehe; daher habe ich denn nun auch keine so ganz absonderliche Freude mehr, dem berühmten Nazaräer vors Gesicht gestellt zu werden.“ 8. Sagt Raphael: „So ihr Den nicht kennen lernet, so verwirket ihr eurer Seelen ewiges Leben! Zudem hast du ehedem doch selbst ganz gut bemerket, daß du, um alles zu haben, nur den Nazaräer allein zu haben brauchst! Nun ist dazu noch die Gelegenheit, aber nur noch bis gen Morgen vorhanden; am frühesten Morgen ist unabänderlich Seine Abreise von hier festgesetzt. Wohin weiß außer Ihm gar niemand! Daher habt ihr ja nichts zu versäumen, so ihr leben wollt für ewig!“ 9. Sagt Roklus: „Nun, so führe uns denn hin zu ihm! Umbringen wird er uns bei solchen Umständen ja etwa doch nicht?!“ 10. Sagt Raphael: „Das wahre Leben euch geben, ja das wird Er, – aber von diesem eurem nunmaligen Scheinleben euch kein Härchen krümmen! Darum folge mir, wie ich dir schon früher den Antrag gemacht habe!“ Kapitel 60 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 60. — Vom Wesen der Liebe 1. Nun erst entschloß sich Roklus, dem Raphael zu Mir hin zu folgen und mutig die etlichen dreißig Schritte zurückzulegen. Da Ich aber noch beim Cyrenius so wie früher am Tische saß und Mich mit ihm über so manche Regierungsmaßnahmen besprach und Raphael den Roklus in der Richtung zum Cyrenius hin führte, so sagte dieser (Roklus) nach zurückgelegten etwa zwanzig Schritten: „Ja, nun führst du mich ja eben wieder zum Oberstatthalter hin, mit dem ich schon früher alles abgemacht habe?! Der mir nun zu wohlbekannte Cyrenius wird etwa doch nicht der gesuchte Nazaräer sein?“ 2. Sagt Raphael: „Das sicher nicht; aber der fest neben ihm zur Rechten sitzende, ganz schlicht aussehende Mann ist es! Du kennst Ihn nun und kannst nun schon selbst dich zu Ihm hinbegeben!“ 3. Sagt Roklus: „Wäre leicht, – nur etliche zehn Schritte mehr, und ich stehe knapp bei ihm! Aber was soll ich dann sagen, wie soll ich ihn anreden?“ 4. Sagt Raphael: „Aber mit deinem Verstande, mit deinen Kenntnissen und Erfahrungen da noch sich in einem Wirrsale befinden?! Das wird am Ende mir selbst ein wenig unklar! Gehe hin und sage: ,Herr und Meister, hier vor Dir steht ein Hungriger und Durstiger, sättige seine Seele!‘, so wirst du darauf schon gleich eine geziemende Antwort erhalten!“ 5. Roklus tat das mit vielem inneren Bangen, und Ich wandte Mich mit einem ernst- freundlichen Blicke zu ihm und sagte: „Freund, von Tyrus und Sidon bis nach Cäsarea Philippi und von da bis hierher ist offenbar näher als von hier bis nach Hinterindien, wo die morgenländischsten Sihiniten über Indias höchste Gebirge weit hinaus eine mächtige Mauer gezogen haben! Du suchtest dort die Wahrheit – und wieder nicht die Wahrheit; denn hättest du die Wahrheit auch gefunden, so hättest du die Wahrheit dennoch nicht erkannt! Hättest du sie aber erkannt, so wäre sie dir gar nicht angenehm gewesen; denn ist die Wahrheit nicht völlig geeint mit Liebe, so gleicht sie dem Sonnenlichte im Norden. Es erleuchtet auch die Erde; aber da das Licht ohne Wärme ist, so belebt es nicht den Boden und alles ist wie im Tode erstarrt! 6. Ein Richter sucht nach dem Gesetze auch die volle Wahrheit. Es wird der Verbrecher mit allen Mitteln zum Geständnisse der vollen Wahrheit genötigt, und es werden Zeugen unter den strengsten Eid genommen. Es stellt sich am Ende die volle Wahrheit heraus; aber zu wessen Frommen und Nutzen? Es ist das auch eine Wahrheit ohne Liebe, also ein Licht ohne Wärme, und gehet aus aufs Töten! Und siehe, eine solche Wahrheit hast denn auch du gesucht und sie großenteils auch gefunden, – freilich nicht zu deiner inneren Belebung, sondern zur Tötung deines Geistes, welcher da ist die Liebe in eines jeden Menschen Herzen. 7. Weil aber dein Geist durch die Masse der starren und materiellen Wahrheit wie zu Tode erdrückt war, so mußtest du ja notwendig jede Spur vom Dasein eines Gottes verlieren, da Gott auch nur pur Liebe ist in Seinem Urgrunde und nur durch die Liebe wieder begriffen werden kann! 8. Du wußtest zwar so dunkel ahnend wohl, daß die Liebe das Grundelement aller Wesen und Dinge ist; aber was die Liebe in sich ist, das wußtest du nicht und konntest das auch nicht wissen, weil davon dein Gefühl und deine Sinne der Seele nie angeregt worden sind. 9. Dein Wissen von dem Wesen der Liebe glich dem, das du von dem Wesen der Sterne hast. Sie leuchten, aber ihr Licht erzeugt keine Wärme, und du kannst es unmöglich durch irgend etwas nur deinem Verstande Bekanntes erfahren, ob ihr Licht etwa auch von einem Feuer herrühre. 10. Bei der Sonne aber fühlst du die Wärme und urteilst, daß dieselbe ein Feuer sein müsse, und das ein unberechenbar mächtiges, weil es von einer dir nicht ganz unbekannten, überaus großen Ferne die Erde noch so sehr bedeutend zu erwärmen vermag. 11. Vom Monde behauptest du das blanke Gegenteil, weil du von diesem Gestirne noch nie irgendeine Wärme empfunden hast. Von den anderen Sternen behauptest du schon gar nichts, da du von ihrem Einflusse noch nie etwas anderes als nur ihr spärliches Licht empfunden hast. 12. Weil du aber von den dir klein scheinenden Sternen gar so wenig für dein Wahrnehmungsvermögen bekommen hast, so bist du auch nie aus einer Region deines Lebens gewisserart aufgefordert worden, darüber nachzudenken, was etwa doch die Sterne sind, und ob ihr Leuchten ein Feuer ist oder nicht, oder ob sie Körper oder nur bloß so irgend wärme- und gewichtlose Lichtpunkte sind. 13. Um von einer Sache aber zu irgendeiner Vorstellung zu kommen, muß man ja doch über dieselbe notwendig einmal nachzudenken anfangen. Um aber über eine Sache mit einem gewissen Eifer nachdenken zu können, muß sie als dessen wert erachtet werden; der Wert aber hängt stets von der Liebe ab, die man zu einer Sache gefaßt hat.“ Kapitel 61 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 61. — Die Erkenntniskraft der Liebe. Die Unzulänglichkeit des Verstandes und der Vernunft 1. (Der Herr:) „Die Liebe aber ist abermal eine Folge der Erregung des inneren Lebens, auf das eine Sache eingewirkt hat. 2. Das innere Leben ist Liebe, also ein Feuer mit aller Wärme. Wird dieses Feuer von der Einwirkung einer Sache, die selbst Feuer in sich hat, genährt gleichwie das Feuer auf dem Herde durch die Hinzulage von gutem Brennholze, so wird es lebhafter zu brennen anfangen, und es wird stets lebenswärmer und reger für die selbst brennbare Sache. Die Flammen werden dichter, ihr Licht heller, und die Seele wird bald viel Licht über eine früher ihr ganz unbekannte Sache erhalten. Dadurch aber wird die Liebe zu der Sache stets größer und größer, und man wird von der Sache nicht mehr ablassen, bis sie einem durch und durch bekannt wird und man vollends im klaren sein wird, was man an ihr hat, und was alles in ihr enthalten ist. Das geschieht aber nur, wenn die Liebe zu der Sache stets größer und intensiver wird. 3. Wenn aber das Leben von einer Sache gar nicht angeregt wird, so bleibt es kalt und kümmert sich um die ganze an und in sich noch so denkwürdige Sache nicht im geringsten, gleichwie da auch die Flamme nach jenen Holzscheiten nicht leckt, die ihr zu ferne liegen. 4. Der Mensch muß sonach von etwas angeregt werden, um über dasselbe in lebenswarme Gedanken zu geraten. Durch die kalte Wahrheit, die ein Leuchten der fernen Sterne ist, kann das innere Leben nie erregt werden, weil seine innere Wärme dabei keine Erhöhung, sondern nur eine Erniederung findet. 5. Du aber hast bis jetzt alles mit dem eiskalten Verstande gesucht, und der Hebel zu deinem Suchen war deine ebenso kalte Vernunft, die nichts als wahr annahm, was sich nicht irgend mit einem Sinne wahrnehmen ließ. 6. So suchtest du Gott mit der Rechentafel in der Hand, mühtest dich das A zu finden, fandest aber nicht einmal die Grundlinien zu diesem vielsagenden Buchstaben. Du suchtest auf Nordens Schnee- und Eisflächen Pflanzen, fandst aber nichts, obschon des Schnees Leuchten dich beinahe blind machte. 7. Ich meine hier unter den Schnee- und Eisflächen den kalt urteilenden Verstand und die noch kälter rechnende Vernunft, die keiner inneren geistigen Anschauung fähig sein kann, weil sie als grobmateriell unmöglich sich hat können erregen lassen von etwas rein Geistigem. 8. Es fiel dir manches auf, wie zum Beispiel die Wiederkehr der stets gleichen Formen in der dir schöpferisch vorkommenden Natur. Du dachtest an eine permanente Konsolidierung (ständige Verstärkung) einer ihrer selbst bewußten und potenziert intelligenten Lebenskraft, die, als alles durchdringen und ergreifen könnend, aus den Rohkräften dann die stets gleichen Formen wieder hervorzaubert. Die ganze Erde, Mond, Sonne und auch die Sterne betrachtetest du als einen Tempel, worin am Ende nun schon lauter unsichtbare Magier hausen. Indien gab dir dazu noch so manche scheinbare Bestätigung, und du wardst dann aus dem Grunde ein Haupteinrichter eurer Zauberkammer zu Essäa. 9. Aber da du das alles mit dem kalten Verstande tatest und dein Gemüt dabei nie erwachen ließest, so fandst du auch den Grund des Lebens nicht, so nahe du demselben mit deiner Vernunft auch gekommen bist, und versenktest dich wieder in die kalte und tote Materie, suchtest in derselben dein Heil und wolltest darin auch das Heil aller andern Menschen begründet erschauen. 10. Deine Sache ging schon jetzt eine geraume Zeit mit entschiedenen Erfolgen vorwärts; denn du warst und bist noch ein Haupt dieses Instituts, das ganz geeignet ist, die laie Menschheit in den finstersten Aberglauben und die bessere und denkende aber in den größten und allerdicksten Materialismus zu versenken. Du zerstörtest wohl schon gar manchen lebendigen Götzentempel, aber stelltest nichts Besseres an dessen Stelle. In dir war der Tod, und du fandst an ihm sogar einen willkommenen Gast; denn das Nichtsein ging bei dir über alle Lebensgrößen himmelhoch hinaus. 11. Warum aber ist mit dir all das also geworden? Weil du nie in deinem Herzen irgendeine Liebe hast erkeimen lassen! Du hattest das innere Lebensfeuer in dir nicht bis auch nur zu einer mäßigen Flamme angefacht! So du aber sogar die Außenflächen deines Herzens noch nie in eine größere Tätigkeit versetzt hast, wie hättest du dann erst die inneren und sogar allerinnersten Lebenselemente des geistigen Herzensteiles in irgendeine Erregung versetzen können, aus der heraus bald das ganze Herz in der Flamme des wahren Lebens schneller gepocht und dein Bewußtsein erleuchtet hätte zur klaren Erkenntnis deiner selbst und zur daraus hervorgehenden Erkenntnis Gottes?!“ Kapitel 62 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 62. — Die Liebe und ihr Erkenntnislicht 1. (Der Herr:) „Du wirst daraus nun wohl entnehmen können, daß der Mensch mit seiner puren Vernunft und mit seinem noch so klaren und scharfen Verstande von all dem, was geistig ist, nichts fassen kann. Er kann nicht begreifen das Leben und dessen Grund-Endzweck; denn die Vernunft und der Verstand haben ihren Grundsitz im Gehirne und im Blute, das das Gehirn in einer gewissen tätigen Spannung erhält, wodurch dieses die Fähigkeit beibehält, die Eindrücke und Bilder der materiellen Außenwelt aufzunehmen, sie zu vergleichen in ihren Formen und Wirkungen und sich endlich daraus einen Kreis von allerlei Schlüssen zu bilden. 2. Aber alles das sind Dinge und Abbilder der Materie, in der des Kopfes Sinne nimmer etwas Geistiges zu entdecken imstande sind. Weil aber das Leben doch nur etwas Geistiges sein kann, so kann es auch nur in und durch sich selbst begriffen werden. 3. Es müssen im Menschen sonach noch andere Sinne vorhanden sein, durch die er auch das geistige Lebenselement in sich erfühlen und erschauen und also nach und nach auch begreifen kann in allen seinen Tiefen, Verbindungen und Beziehungen. 4. Welches sind aber solche inneren Sinne? – Siehe und höre! Da gibt es eigentlich nur einen einzigen Sinn, und der heißet Liebe, die da wohnt im Herzen. Dieser Sinn muß vor allem gestärkt, gebildet und geläutert werden, und alles, was der Mensch tut, was er will, was er denkt, und was er urteilt, muß von der lebensheißen Lichtflamme aus dem Feuer der reinen Liebe erleuchtet und durchleuchtet sein, damit da alle Geister erwachen am Morgen des im Menschenherzen werdenden Lebenstages. 5. Werden alle Lebensgeister in den Gedanken, Worten, Taten und Werken wach, so werden sie sich zu regen anfangen, und der des innern geistigen Lichtes volle Mensch wird bald und leicht ihrer gewahr, weil sie schon in dem ersten Beginne ihrer Regungen sich unter allerlei Formen zu äußern beginnen. Diese Formen aber sind keine zufälligen und leeren, sondern alle entsprechen irgendeiner sehbaren geistigen Tätigkeit aus der Sphäre der Ordnung aus Gott. 6. Solches aber kann der Mensch mit seinem Verstande und mit seiner eitlen Vernunft nimmer erschauen, sondern nur mit den lebensflammenden Augen seines Geistes, der die Liebe ist. 7. Darum kannst du das als eine feste Norm annehmen und der nach sagen: Kein äußerer Weltverstand kann es je ergründen und erschauen, was im Menschen ist; das kann allein nur der Geist im Menschen. Und also kann auch niemand Gott erkennen als nur der erweckte und vollauf tätig gewordene Geist Gottes im Menschenherzen, der gleich wie Gott Selbst die reinste Liebe ist und ein ewiger Sabbat im Menschenherzen. 8. Siehe, diesen alleredelsten Teil in deinem Herzen hast du noch nie gepflegt und hattest auch keine Ahnung von seinem Werte, und es ist darum sehr begreiflich, wie du ein festester Gottesleugner geworden bist und alles deines Suchens ungeachtet der ewigen, alles erschaffen habenden, alles durchdringenden und erhaltenden Gottheit nimmer auf die Spur kommen konntest! 9. Nun aber wird es auch nicht gar so leicht sein, daß du die Gottheit in ihrem wahren Sein und Walten so ganz aus dem Fundamente erkennen werdest, weil dein Gehirn mit all seinen Gebilden schon zu verhärtet ist. Du müßtest nur ein gar gewaltiges Liebefeuer in deinem Herzen anfachen, dein Essäertum ganz aufgeben und dich demütigen in allen deinen Lebenssphären und – verbindungen und müßtest total ein ganz neuer Mensch werden; denn alle deine bisherigen Lebenstheorien und Lebensanschauungen sind der inneren und einzigen Wahrheit nach grundirrig und falsch, so daß du mit denen niemals auch nur in den Vorhof des innersten Gottlebens in dir gelangen wirst! 10. Aber es ist an dir noch nicht alles verloren, ja du könntest sogar noch Großes erreichen; aber du müßtest da aus deinem freiesten Willen heraus als selbsttätig und ganz selbst wollend ein neuer Mensch werden und aus deiner innern Überzeugung nach deinen Kräften dazu beitragen, daß eures Institutes loses Treiben ein Ende nehme, ansonst es dir unmöglich würde, je zum wahren Leben deines innern Geistmenschen zu gelangen. Denn das innerste Leben im Menschen ist die höchste Wahrheit, in die du ganz überzugehen hast; diese aber kann nicht, nie und nimmer gedeihen, wenn sie durch die Tätigkeit der Lüge und des dicksten Betruges genährt werden soll. 11. Jeder Schritt und Tritt von dir muß von der höchsten und tiefsten Wahrheit im Denken, Wollen, Reden und Handeln begleitet sein, wenn das wahre, innerste Leben in dir selbst zur lichtesten Wahrheit werden soll; ist aber das nicht der Fall vom Alpha bis zum Omega, so, merke es wohl, ist das innerste Leben in dir selbst eine barste Lüge! 12. Nun weißt du so ungefähr, wie es mit deiner reinen Vernunft und mit deinem scharfen Verstande steht! An dir liegt nun die freie Wahl, ob du erreichen willst das ewige Leben oder den ewigen Tod! Ich aber bin Der, der Ich bin! Ich kann dir geben das ewige Leben, aber dir auch belassen den ewigen Tod! 13. Von dem aber, was Ich dir nun gesagt habe, wird nicht ein Häkchen je nachgelassen werden! Diese Erde und dieser sichtbare Himmel werden vergehen in dieser Gestalt, Form und Wesenheit, – diese Meine Worte jedoch ewig nimmer! Tue nun, was du willst! Ich bin noch da eine kurze Zeit!“ Kapitel 63 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 63. — Roklus und seine Gefährten beraten sich 1. Roklus und alle seine elf Gefährten fangen sich ganz gewaltig hinter den Ohren zu kratzen an und wissen nicht, was sie Mir nun erwidern sollen. 2. Roklus geht hin und bespricht sich mit ihnen folgendermaßen, sagend: „Das habe ich mir also schon zum voraus gedacht, als mich der Junge zum Nazaräer hinbeschied, daß er sich da vor allem auf die Zunichtemachung unseres Völkerwohlinstitutes hinwerfen wird; dieses scheint den wundertätigen Nazaräer vor allem am meisten zu genieren! Aber gar zu leicht wird er uns immerhin nicht in das Bockshorn treiben mit allen seinen theosophischen Phrasen! 3. Es scheint wohl recht viel Wahres in seinen Worten zu liegen; aber unser wohleingerichtetes Institut wird er dennoch nicht leicht zu Falle bringen! Doch will ich euch aber mit dem nichts vorschreiben; ihr könnet tun, was ihr wollet, – denn ihr seid Herren der Sache so gut wie ich!“ 4. Sagt ein anderer, der auch mittlerweile aus Cäsarea Philippi herübergekommen war: „Freund Roklus, ich habe vom Anfange bis nun die ganze Verhandlung mit dem aufmerksamsten Gemüte angehört und alles genau beobachtet, was da alles vor sich gegangen ist, und muß dir nun offen gestehen, daß du mit deinen Behauptungen sehr unrecht hast, und es ist zum Rasendwerden mit dir deiner geistigen Blindheit wegen! Du redest offen also, und heimlich denkst du aber ganz anders! Dem Jüngling gegenüber vergötterst du den berühmten Nazaräer, und bei dir selbst hältst du ihn für einen Magier der ältesten und geheimsten Schule Ägyptens! Wir wissen nun doch, auf welchen Füßen alle Magie und die Aussprüche beinahe aller uns bekannten Orakel stehen! 5. Denke wohl nach, ob du um eine Zauberart weißt, mittels der man in einem Augenblick einen Granitstein ins reinste Gold umgestalten kann! Dieses Wunder allein hebt ja alle die unseren auf, die auf nichts anderem als auf einem allerpursten Betrug basiert sind! Betrachte danebst dieses neue Prachthaus, den Garten mit seiner weiten Ringmauer, den Hafen mit seinen Schiffen, sieh an die Menge der herrlichsten Fruchtbäume im Garten, die Rebengewinde voll der köstlichsten Trauben! Vor vier Stunden war dieser Fleck noch eine Wüste und ist als solche um dieselbe Zeit von mir betreten worden, weil ich am See etwas zu tun hatte. Betrachte du nun diese Wüste! Welch eine Üppigkeit, welch ein Segen! 6. Kann das ein Mensch durch irgendeine Art der uns doch durch und durch bekannten Magie bewerkstelligen? Ich sage dir: da hört alles uns bisher Bekannte auf; unser sämtliches Wissen ist Lüge und Trug, es tauget zu nichts mehr! Wollen wir fürder neben diesen Gottmenschen bestehen, so müssen wir alleroffenkundigst das tun, was der Nazaräer dir mit aller Freundlichkeit angeraten hat! 7. Ich gehöre zwar nicht zu eurem geheimen Rate und bin erst vor ein paar Stunden zu euch gekommen; aber das kann ich euch aus dem von mir treu Beobachteten sagen, daß wir mit unserem noblen Lug- und Truginstitut allerreinst verlesen sind! Es wäre hier die größte Torheit, unter solchen Umständen dem Gott aus Nazareth einen gewissen Trotz zu bieten! 8. Zudem sehen wir ja doch alle mit den offensten Augen von der Welt, daß alle die römischen Großwürden- und Machtträger seine intimsten Freunde sind! Er braucht ja nur zu sagen: ,Schaffet mir dieses Institut weg!‘, und wir sind vernagelt für alle Zeiten der Zeiten! Was aber nachher mit uns?! Ich bin daher der hier sogar sehr maßgeblichen Meinung, daß wir das annehmen und befolgen sollen, was der Gottmensch aus Nazareth dir in aller Freundlichkeit angeraten hat! 9. Übrigens ist das eine recht schlechte Vermutung von dir – ich sage es dir ganz offen und ohne irgendeine Scheu ins Gesicht –, daß du den mit Händen zu greifenden Gottmenschen vor uns ansinnen wolltest, als würde er dich nur darum also zugerichtet haben, weil er unser Institut etwa als eine hindernde Wegschranke für seiner Unternehmung Sache ansähe! Das ist ja doch lächerlich über lächerlich! Dem wird unser lumpiges Institut ein Hemmschuh auf seinen Wegen sein?! 10. Ich sage es dir und euch allen: So wenig wir den Mond in seinem Aufgange zu stören imstande sind, wenn wir gegen ihn noch so gewaltig blasen und schreien, ebensowenig wird unser luftiges Institut den Wegen dieses allmächtigen Gottmenschen ein Hindernis sein! Er braucht ja nicht einmal hinzublasen, sondern bloß nur so ein wenig zu wollen, und alle unsere Dinge, wie Gebäude, Mauern, Katakomben und alle unsere Zauberapparate sind zu Luft geworden! Was nachher mit uns? Daher ist jetzt die höchste Zeit, daß ihr euch eines Bessern besinnet! 11. Gehe daher hin zu ihm und sage – aber treu und wahr –, daß du und wir alle das fest wollen, was er dir angeraten hat! Denn verlieren können wir bei diesem Tausche unmöglich etwas, so wir dann unser Institut ganz so einrichten, wie es ihm genehm ist. Dadurch wird er dann Herr und Meister unseres Institutes, und wir wollen und werden seine allergetreuesten Jünger sein. – Seid ihr damit nicht einverstanden?“ 12. Sagen die meisten: „Ganz vollkommen, – wenn nur er uns zu seinen Jüngern annehmen möchte!“ 13. Sagt der gute Redner, der Ruban hieß: „Das wird er, dafür bürgt mir sein gar überaus menschenfreundliches Gesicht! – Was meinst denn du, noch immer etwas recht Dummes ausbrüten wollender Roklus?“ Kapitel 64 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 64. — Ruban spricht bei seinen Gefährten für den Herrn 1. Sagt Roklus: „Ja, ja, du hast recht, auch ich bin der Meinung! Aber wenn er solches uns etwa nur unter der Bedingung tun würde, daß wir am Ende alle unsere offenbaren Lügen dem Volke offenbaren sollen und demselben ersetzen so manchen irdischen Schaden, den wir ihm durch unsern Zauberbetrug verursacht haben?! Wer aus euch Lust und Liebe hat, in diese Nuß zu beißen, der beiße; ich habe vorderhand noch sehr wenig Lust dazu, mich darauf vom Volke ordentlich zerreißen zu lassen! Es ist das eine sehr kitzliche Sache! 2. Ich will aber vorerst vernehmen, was er von uns in dieser Hinsicht so ganz eigentlich verlangen wird! Und so will ich denn noch einmal zu ihm hingehen und sehen und hören, was er in dieser Hinsicht an uns alles für ein Verlangen stellen wird; denn von einer Entblödung vor dem Volke kann als von uns ausgehend gar keine Rede sein!“ 3. Sagt Ruban: „Solches wird er von uns sicher nicht verlangen; denn er selbst wird es besser wissen denn wir alle! Es leidet nichts einen grellen Sprung; eines muß aus dem andern hervorgehen in der ganzen uns bekannten Natur! Daß wir manchmal Sprünge gemacht haben mit unseren Trugmitteln, ist nicht als Folge anzunehmen, daß auch er also handeln werde mit uns! Gehe daher nur hin und tue ganz offen das, was ich dir nun angeraten habe.“ 4. Sagt Roklus: „Ja, ich tue es aber nur, weil ich es tun will, nicht weil ihr andern es wollt, und weil du, Ruban, es mir angeraten hast!“ 5. Sagt Ruban: „Das ist mir gleich, aus welchen Beweggründen du etwas tust, wenn du nur das Rechte tust! Aber weißt du, erster Unterdirektor und Leiter der auswärtigen Angelegenheiten des Institutes, das ist noch immer deine alte, hochmütig klingende Weise zu reden und zu handeln, daß du beim besten Rate, den dir ein anderer erteilt hat, sagst: ,Oh, das habe ich schon lange eingesehen, mit mir beraten und werde es nun darum auch tun, weil ich selbst es also will!‘ Ob für immer der göttliche Nazaräer damit auch zufrieden sein wird, weiß ich kaum; denn er scheint ein Hauptfeind auch schon bloß nur des Scheines von einem Hochmute zu sein! Ich habe mich, verstehst du, offen gesagt, mit meiner Vernunft und mit der besonderen Schärfe meines Verstandes noch nie gebrüstet; aber das Gute habe ich in meinem Gemüte, daß ich mich bei einem Menschen schnell auskenne, wie er in seiner Sinnes- und Denkungsweise beschaffen ist. 6. Und so kenne ich mich nun auch mit dem göttlichen Nazaräer insoweit schon ganz prächtig aus, wie er in seinem Wollen und Begehren beschaffen ist. Demut scheint er allem vorzuziehen, ohne die wahrlich weder an eine Liebe und noch weniger an eine volle Wahrheit zu denken ist. Wir aber stehen ja auf einem Standpunkte, wo von uns aus ein jeder Blick, Tritt, ein jedes Wort und eine jede Handlung unseren Nebenmenschen gegenüber ein allerdichtester Betrug und eine allerabgefeimteste Lüge ist und nach unseren Ordensregeln auch sein muß, weil unser Wahlspruch dahin lautet, daß alle Welt darum von uns aus betrogen und belogen werden soll, weil sie selbst es also will. 7. Das ist aber nicht auch ein Grundsatz des göttlichen Nazaräers. Bei ihm heißt es sicher nur: ,Die vollkommenste und reinste Wahrheit und ihre Gerechtigkeit um jeden Preis, auch um den des Bestandes der ganzen Welt!‘ Darum nimm dich zusammen; denn du stehest vor einem Richter, dessen Sehkraft auch bis zu deinen innersten Gedanken langt! Daher nimm dich in allem zusammen, sonst ist es um gar sehr vieles gefehlt!“ 8. Sagt Roklus: „Ja, weil du, mein guter Bruder Ruban, dich denn gar so gut auskennest, so gehe du an meiner Statt zum Nazaräer hin und mache alles nach deinem Gutdünken mit ihm ab, und uns allen wird dann auch alles recht sein müssen; denn gegen einen so gewaltigen Strom läßt sich nicht schwimmen! Gehe und tue du das, und ich werde dir sogar obendrauf noch sehr dankbar sein!“ 9. Sagt Ruban: „Warum nicht? Wenn ihr alle mich dazu bevollmächtiget, will ich euch den Gefallen recht gerne erweisen, – ja um vieles lieber, als noch länger mit ein abgeschmackter Volksbetrüger sein!“ 10. Sagen alle zwölf: „Ja, wir bevollmächtigen dich dazu, und es wird uns ganz vollkommen recht sein, was du mit dem Nazaräer ausmachen wirst; denn unser Roklus ist wohl ein ganz vortrefflichster Direktor unserer auswärtigen Lug- und Trugangelegenheiten und ist ein feiner Politiker; aber die lichten Sphären der Wahrheit sind seine Sache nie gewesen, er würde sich sehr ungeschickt darin bewegen. Es ist darum besser, daß du an seiner Statt hingehest und mit dem göttlichen Nazaräer alles gut und zweckmäßig abmachest!“ Kapitel 65 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 65. — Rubans Rede an den Herrn 1. Auf diese erteilte Vollmacht bewegt sich nun Ruban zu Mir hin und sagt, als er vollends bei Mir anlangt: „Herr und Meister voll der wahren Gotteskraft! Da der Roklus aus Dir sicher nicht unbekannten Gründen sich nicht zu Dir hierhergetraut hat, wie auch keiner von seinen elf Gefährten, so haben sie mich bevollmächtiget, mit Dir, Du Allerwahrhaftigster, alles in bezug unseres stark unlöblichen Institutes abzumachen. Es wird dann alles sicher geschehen, was Du nur immer wollen wirst, und wir möchten sogar Dir das ganze Institut zu Deiner Verfügung stellen und sämtlich Deine Jünger werden! Sprich nun denn ein gnädig Wort Deines uns allen sicher heiligen Willens aus, und wir werden strenge danach handeln! Willst Du das Institut aber ganz aufgehoben haben, so äußere Dich auch darüber; denn wir alle sind auch darin übereingekommen, daß das Institut gänzlich aufgehoben wird, wenn Du es verlangst!“ 2. Sage Ich: „Du bist eine ehrliche Seele, darum dein Haus auch von den Flammen verschont blieb! Aber siehe, so Ich euer Institut aufgehoben haben wollte, da könnte Ich es mit ihm ebenso machen, wie mit jenem bedeutenden Felsen im See, an dem schon so manches Schiff im Sturme zerschellt wurde! Siehst du den Fels noch?“ 3. Sagt Ruban: „Ja, Herr, ich sehe ihn und kenne ihn leider nur zu gut; denn ich wäre an seinen Wänden einmal selbst beinahe verunglückt!“ 4. Sage Ich: „Er werde zunichte und hinfort keinem Schiffer mehr Gefahr bringend!“ 5. In dem Augenblick war der Fels, der im ganzen über zehntausend Kubikklafter festen Inhalt hatte, bis in den Grund des Sees derart aufgelöst, daß von ihm nicht nur keine Spur übrigblieb, sondern auch an der großen Stelle keine Wassertrübung bemerkbar war. Wohl aber bemerkten alle mit übergroßem Staunen an der Stelle einen starken Wellenschlag, welcher natürlich daher entstand, weil das früher den großen Felsen umgebende Wasser in den hohlen Raum zusammenstürzte und von nun an eine kontinuierliche Wassermasse bildete. 6. Als unser Ruban solches ersah, da ward er voll Angst und sagte mit bebender Stimme: „Es ist schon gerade also, wie ich's zu Roklus gesagt habe! Da hört alle Magie auf, und es tritt die nackte Wahrheit an ihre Stelle! Was Du, o Herr und Meister, nun mit dem bösen Felsen gemacht hast, das könntest du wohl etwa auch ebenso leicht mit der ganzen Erde tun, und um so sicherer mit unserem schlechten Institute! Daher kann ich nun nichts anderes sagen als: Herr und Meister, Dein Wille geschehe! Denn Du bist kein Mensch, sondern Gottes Geist wohnt in aller Fülle in Dir! Sei uns allen armen Sündern gnädig und sehr barmherzig! Du allein bist alles in allem, und Du allein vermagst alles, Dir ist nichts unmöglich!“ Kapitel 66 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 66. — Des Herrn Rat und Rede an die Essäer 1. (Ruban:) „Aber was sollen wir mit unserem Lug- und Truginstitut machen?“ 2. Sage Ich: „Es erfüllen mit Liebe und Wahrheit und glauben an Meinen Namen und befolgen Meine Lehre! Denn werdet ihr vollernstlich das tun, so werdet ihr nicht mehr mit Trug und Lüge, sondern mit aller Wahrheit und echten Liebe der Welt zu nützen imstande sein; aber alle die Werkzeuge der Trugmagie müssen von euch verworfen werden. Ist aber eines und das andere darunter, das, in sich besserer Art – als Elektrophoren (Elektrizitätserzeuger) und andere derartige Maschinen –, sich als naturnützlich erweist, so treibet damit keinen verkehrten, sondern einen wahren und der Natur der Sache angemessenen Gebrauch und belehret das Volk, was es ist, und wie die Maschine irgend wirkt der Natur nach, wie sie gebaut ist, so werdet ihr damit wahrhaft viel Gutes zu bewirken imstande sein! 3. Nie aber achtet auf das Urteil der Welt; denn die Welt ist und bleibt arg und böse, und Lüge, Trug und Hochmut sind ihre Hauptelemente! 4. Ich sage es euch, daß ihr in Meinem Namen werdet Berge versetzen können und noch Größeres tun, als Ich Selbst nun tue; aber nie soll der Gedanke in euch aufsteigen, als hättet ihr etwas getan aus eurer Kraft und Macht; denn deren gibt es nicht auf dieser Welt! Nur durch die Kraft des Geistes Gottes werden euch alle Dinge, die den Menschen zum Nutzen gereichen können, möglich sein! 5. Alle Kraft wird einem wahrhaft gottergebenen Gemüte eigen sein, und das so lange, als sich jemand dabei nicht übernehmen wird. Wird aber jemand dafür eine Ehre und einen Lohn nehmen aus Eigennutz, so wird er aber auch im selben Augenblicke die gottesgeistige Eigenschaft in sich völlig verlieren! 6. Vor nichts aber fliehet mehr als vor dem Reichtume der Welt und seinen Verehrern; denn schlechter ist kein Mensch auf der ganzen Erde als einer, der nach irdischen Schätzen giert und geizt; denn der verflucht in der Tat die Liebe und alle Wahrheit des Herzens, die da kommt aus Gott. 7. Wenn solche zu euch kommen, so weiset ihnen die Türe und zeiget es ihnen, daß Gottes Wort und dessen Kraft nimmer den ungebärdigen Erdschweinen solle zum eitlen Fraße vorgeworfen werden! Ihr sollet ihnen zwar darum nicht fluchen und sie auch nicht verwünschen, denn aller Zorn und alle Rache ist des Geistes Gottes! – aber sie werden dadurch zur Genüge gestraft werden, so sie von eurer Türe und Freundschaft ernstlich hintangewiesen werden! 8. Wenn solche zu euch kommen werden in einem sie heimgesucht habenden Unglücke, so erhöret sie nicht; denn eine Hilfe wird nicht besser machen ihr Herz, – im Gegenteil: sie werden hernach noch vorsichtiger und klüger handeln für ihre Goldsäcke; euch aber werden sie verlachen und verspotten und eure Hilfe für eine leere Windbeutelei erklären und werden euch ausschreien als faule Maulmacher und Betrüger! Das aber sei ferne; denn Gottes Kraft aus euch soll nur denen allein zugute kommen in Worten wie in Handlungen, die sich in aller Demut ihrer Herzen derer würdig gemacht haben! 9. Auf daß ihr aber wisset, was alles ihr künftighin in Meinem Namen zu kennen und zu tun haben sollet, so gehet hin zu jenem Jünglinge; der wird euch ein Buch geben, darin ihr alles Nötige finden werdet! – Nun aber soll noch Roklus zu Mir kommen; denn Ich habe mit ihm noch so manches zu besprechen! Gehe hin und hinterbringe ihm solchen Meinen Willen!“ 10. Roklus machte zwar ein sehr saures Gesicht, als ihm Ruban den von Mir ausgesprochenen Wunsch hinterbrachte. Aber er ging dennoch, kam zu Mir und verbeugte sich tiefst vor Mir. 11. Ich aber sah ihn freundlichst an und sagte zu ihm in einem fragenden Tone: „Nun, du Mein scharfverständiger Freund, wie denkst du nun von Mir? Was findet an Mir dein scharfer Verstand, und was fühlt daneben dein Herz? Hast du doch früher dem Jungen gestanden, als du Mich noch suchtest, daß Ich ein rechter Gott sei, daß du Mich auch ohne alle persönliche Bekanntschaft liebest und den Lebensdrang in dir stets lebendiger wahrnehmest, vor Mir deine Knie zu beugen und Mich sogar im Ernste als einen wahren Gott anzubeten! 12. Nun kennst du Mich persönlich und wirst auch keinen Zweifel haben, daß Ich der berühmte Nazaräer – wie du dich ausgesprochen hast – der vollsten Wahrheit nach bin. Aber noch hast du deine Knie vor Mir nicht gebeugt – was Ich von dir auch nie verlangt haben würde –, und dein Herz scheint noch sehr wenig Liebe zu Mir zu empfinden. Warum hast du, großer Freund der Wahrheit, denn also geredet zu dem Jungen, das da nicht wahr ist?“ Kapitel 67 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 67. — Roklus sucht vor dem Herrn seine Unwahrhaftigkeit zu rechtfertigen 1. Sagt Roklus: „Erhabenster der Erhabensten! Solange ich an keinen Gott glauben konnte, war das eine abgemachte Geschichte, der bisher noch alle verständige Welt gehuldiget hat, und diese Geschichte, die eigentlich für sich gar keine Geschichte ist, durch die aber die meiste Weltgeschichte gemacht wird, heißt Politik, Staatsklugheit. Diese fordert, daß man einem Menschen, den man nicht genau kennt, nicht sogleich alles auf die Nase bindet, was man innerlich vorhat. Man braucht aber durchaus nichts Böses vorzuhaben mit jemandem, mit dem man sich in irgendeine Verbindung stellt, und es ist da doch stets geraten, mit der reinen Wahrheit im Hintergrunde zu verbleiben, weil es sich nach vielen Erfahrungen nur schon zu oft erwiesen hat, daß man mit der nackten Wahrheit bei den Menschen mehr Unheil als irgendein Heil angerichtet hat. 2. Man muß den Menschen zuvor stets auf allerlei Seitenwegen erst so ganz durch und durch kennen lernen – was keine leichte Aufgabe und Arbeit ist –, bevor man ihn in alle Wahrheit leitet; denn sonst kann man ja nicht wissen, wo bei ihm die Seite ist, an der er zugänglich ist für die Wahrheit! Denn kein Mensch ist, besonders in bezug auf sich selbst, ein besonderer Freund der lichtvollen Wahrheit. Ein um ihn herum verbreitetes Dunkel ist ihm bei weitem lieber, und darin liegt denn auch der Grund, warum ich beim Jünglinge mit meiner innern Wahrheit ein wenig hinter dem Zaune gehalten habe. Im übrigen ist es aber ja eine bekannte Sache in aller Welt, daß die Kinder durch allerlei Unwahrheiten erst zur Wahrheit hingeleitet werden, und das ist auch eine Klugheit der Eltern; denn würden diese ihren Kindern gleich die Wahrheit zu verkünden anfangen, so würden sie aus den Kleinen wenig Gutes und Gesittetes ziehen. 3. Es ist wahr, daß ich mich dem Jungen anders zeigte, als ich war; aber ich verursachte ihm dadurch keinen Schaden und konnte ihm keinen verursachen, weil ich dazu nie einen Willen gefaßt habe, und somit glaube ich dadurch nichts Schlechtes begangen zu haben. Habe aber ich dadurch gesündigt, so sündigen auch alle Eltern gegen ihre Kinder, die ihnen mit einem gewissen Ernste sogar fest beteuernd sagen, daß es auf den weiten und hohen Bergen gewisse Bäume gebe, auf denen die Kinder gleich den Pflaumen blühen und wachsen. Dort beständen gewisse Sammler dieser Früchte und trügen sie dann zum Verkaufe in alle Welt. Dann und wann kämen diese Früchte auch auf Bächen und Flüssen, die in jenen hohen Bergen entspringen, einhergeschwommen, wo sie dann auch aufgefangen würden. 4. Das ist ja etwa doch eine mörderische Lüge, wie man sie sich nimmer großartiger und dümmer vorstellen kann; aber die Eltern haben dabei sicher den besten Willen, durch solche rein aus der Luft gegriffenen Dichtungen ihre Kleinen vor allen unkeuschen Gedanken zu bewahren und sie also frisch und gesund an Leib und Seele dem männlichen Alter zuzuführen, und das wird doch hoffentlich nichts Unrechtes sein?! Und so bin ich denn auch der Meinung, daß eine Lüge, der nicht nur keine Spur von einer schlechten Absicht, sondern oft nur, nach unserer menschlichen Erkenntnisfähigkeit, eine ganz allerbeste Tendenz zugrunde liegt, eher als eine Tugend denn als irgendeine Sünde anzusehen ist! 5. Und so ist unser Institut im Grunde zwar voll Lügen und Truges; aber bis jetzt haben wir noch durchaus keine böse und eigentlich herrschsüchtige Absicht damit vereinigt, das heißt, insoweit wir mit unseren Erkenntnissen ausreichten. Was sich aber daraus in den späteren Zeiten alles entwickeln kann, dafür fehlt uns die prophetische Berechnungsweise, und wir können dafür keine Bürgschaft leisten, weil unsere Nachkommen ebenso freiwillige Menschen sein werden, wie wir es nun sind. 6. Ich behaupte sogar, daß im Anfange alle Stifter irgendeiner Religion, in der alle bessere Gesittung eines wie des andern Volkes zugrunde gelegt ist, es mit ihrem Volke ganz gut und ehrlich gemeint haben; aber die späteren Nachkommen, und besonders die unberufenen, sich selbst geschaffen habenden Priester, die lächerlich schlechten Stellvertreter der Götter auf dieser Erde, haben die nie recht verstandenen Lehrsätze falsch zu erklären angefangen, haben zu ihrem selbst- und herrschsüchtigen Besten neue hinzugefügt und sie unter dem Titel ,Götterwille‘, ,Götterwort‘ scharf sanktioniert, haben damit die arme Menschheit oft auf das gräßlichste geplagt, wie uns sogar jetzt noch gar viele Beispiele nur zu handgreiflich überzeugen! 7. Besehen wir nur die mir gar wohl bekannten Geschichten aus dem Tempel zu Jerusalem und gleich daneben die Tempelgeschichten Roms, und wir haben der Beweise zur Übergenüge, wohin es mit Moses und wie noch weiter es mit aller Urweisheit Ägyptens gekommen ist! Und – ich will keinen bösen Propheten machen –, ich getraue es mir aber, vor dir zu behaupten, daß deine reinste und göttlichste Lehre, deren Hauptpunkte der Junge wunderbar schnell schon an meine Gefährten übergeben hat, und soviel ich von ihr Herrliches gehört habe, schon in einigen Jahrhunderten ein ganz anderes Gesicht haben wird! 8. Aus deinen Jüngern werden Sendlinge und Ausbreiter solcher deiner göttlichen Lehre. Diese werden nicht überall hinkommen können; sie werden wieder Jünger wählen und werden sie zu Lehrern und mitunter zu geistigen Vorstehern deiner Lehre machen, und damit ist der Grund zum Priestertume und mit dem zum allerartigen Aberglauben gelegt, wofür ich tausend auf eins wetten könnte! 9. Wenn aber da mit der Zeit überall also, warum sollte da gerade unser Institut eine Ausnahme machen? Überall walten Menschen. Wenn nun ein wahrer Gott an ihrer Spitze lehrend und leitend stehet, werden sie wohl in der Ordnung bleiben; stellt er sie aber auf die notwendige Freiheitsprobe, so werden sie gleich wieder mit einem goldenen Kalbe fertig werden gleich den alten Israeliten in der Wüste, als sich Moses von ihnen auf den Sinai begab, zu holen die Gebote des Allerhöchsten!“ Kapitel 68 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 68. — Das Priestertum als stärkstes Hindernis für die Ausbreitung der Lehre des Herrn 1. (Roklus:) „Du, als ein vollkommenster, von allen göttlichen Geistern vollsterfüllter Prophet und begabt mit aller Macht und Kraft wie noch nie ein Mensch auf der Erde, wirst das sicher auch zum voraus sehen! Aber wer kann darum? Es ist nun einmal also, war schon stets also und wird auch also bleiben, und wir werden die Sache nicht ändern! 2. Solange den Menschen ihr Fleisch und ihr freier Wille belassen wird, so lange werden sie im allgemeinen auch das bleiben, was sie sind, und werden sich einrichten mit allerlei nach den klimatischen Landesverhältnissen. Je weiter von uns weg, desto schlimmer, wie ich das auf meinen vielen Reisen nur zu häufig in die vollste Erfahrung gebracht habe! Je weiter ich von diesem nun einzigen geistigen Lichtpunkte mich entfernt hatte, desto blinder und dümmer fand ich auch die Menschen schon früher in meinem Atheistentume, und es würde mir das noch auffallender sicher allenthalben begegnet sein, wenn ich um alles das gewußt hätte, um was ich nun weiß. 3. Es ist zwar sehr wahr, daß es keine Finsternis geben kann, die durch ein entsprechendes Licht nicht augenblicklich zunichte gemacht werden könnte. In der Natur ist es einmal ganz sicher also. Ob aber das geistige Licht die geistige Nacht auch so plötzlich vertreiben kann, das ist natürlich eine ganz andere Frage! In einer gewissen Hinsicht war meine Geistesnacht sicher nicht unbedeutend zu nennen, und der Junge hatte sie mit wenigen Lichtworten verscheucht; allein er hatte an mir aber auch einen Menschen, der in so mancher wissenschaftlichen Sphäre nicht zu den gar Letzten zu zählen ist, und der gar viele Erfahrungen in der Welt durchgemacht hat. 4. Man stelle sich ein in den absurdesten und finstersten Aberglauben versunkenes Volk vor! Bei dem werden etliche Worte von noch so großer Helle und selbst mehrere noch so auffallende Zeichen kaum irgendeine Lichtwirkung hervorbringen! Ein solches Volk wird dann noch finsterer, zornig und wird sich eben in Gegenwart des Lichtes als ein größter Feind desselben erweisen, worauf es dann erst recht finster bei einem solchen bestialen Volke wird. 5. Wir brauchen da gar nicht weit zu greifen. Richten wir unsere Blicke nur nach dem Tempel zu Jerusalem und betrachten da das in- und auswärtige Pharisäertum, und wir haben der geistigen Nacht so viel vor uns, daß wir uns darüber allerhöchlichst werden erstaunen müssen! Versuche aber zu denen mit einem rechten innern Geistlichte zu kommen nur ungefähr also, wie früher der Junge mir gekommen ist, und er ist binnen kurzem ein Kind des Todes! 6. Was haben diese wahren Knechte und Diener der allerdicksten Nacht schon alles gegen unser Institut unternommen! Wären wir nicht in jeder Beziehung so gestellt, und könnten sie uns von irgendeiner Seite zu, so wären wir schon lange nicht mehr! Es sollte jetzt ein Moses und Aaron aufstehen und die Wahrheit also lehren, wie sie dieselbe zu ihrer Zeit gelehrt haben, und sie werden sogleich ergriffen und mit Steinen beworfen werden, oder man wird ihnen als Widersachern das verfluchte Wasser zu trinken geben, und ganz sicher das echte; denn sie haben zweierlei, nämlich ein echtes, das den sichern und unvermeidlichen Tod nach sich zieht, und ein unechtes, das niemandem etwas schaden kann, weil es gar kein Gift in sich enthält. 7. Wenn sie denn einem Sünder gegen sich oder vielmehr gegen ihr Tempelwesen irgend aus einer geheimen Ursache wohlwollen, so geben sie ihm das unechte verfluchte Wasser zu trinken. Wer ihnen aber zu gewaltig irgend entgegenträte, der kann sich bei der nächsten und besten Gelegenheit den Durst schon mit dem echten Fluchwasser löschen für alle ewige Zeiten. Daß die Pharisäer aber das tun zu Jerusalem, wie auch in den andern Orten, ist nun doch schon unter allen Menschen von nur einiger Bildung eine so bekannte Sache, daß sie nahezu niemanden mehr in ein Erstaunen setzt. Aber ich frage, wie dann ein rechtes Wahrheitslicht solch eine pharisäische Nacht erhellen kann? 8. Wie es aber unter und mit den Pharisäern steht, so stehet es überall, wo sich irgendein Priestertum befindet. Wenn irgend alle Menschen ein wahres Licht annehmen, weil sie dessen Wohltat bald und leicht erkennen, so wird sich das Priestertum dennoch mit allen Mitteln und Kräften gegen dieselbe stemmen und sie nicht annehmen, weil es vor lauter Hochmut und Herrschsucht so dumm und blind ist, daß es die Wohltat des reinen Wahrheitslichtes gar nicht zu erkennen imstande ist. 9. Solange aber das Priestertum von Gott wie auch von den weltlichen Regierungen aus geduldet wird, ist es mit allem geistigen Lichte nahe so gut wie nichts! Denn diese allzeit höchst selbstsüchtige und herrschgierige Menschenart wird stets bemüht sein, alles höhere Licht zu verdächtigen und den eigenen alten Unflat als reines Gold anzupreisen und den ihnen unterstehenden Menschen aufzudringen. 10. Daher ist es meine in dieser Hinsicht sogar maßgebliche Ansicht, daß man vor allem alles, was nur einen Dunst von einem Priestertume hat, vollends wegschaffen, also den alten Augiasstall ausmisten und alsdann erst die wahre Sonne des Geistes über alle Völker zugleich aufgehen lassen muß; sonst erstirbt jeder noch so gute Same, bevor er noch irgend nur so halbwegs feste Wurzeln im Erdreiche des Lebens hat fassen können. 11. Ich erkenne in dir, du erhabenster Meister, die volle Gotteskraft, ohne die es dir völlig unmöglich sein müßte, Werke zu verrichten, die nur einem Gotte möglich sein können, weil in ihm alle die zahllosesten Spezialkräfte sich vereinen und ihren ewigen Urstützpunkt haben, von dem aus sie allein nur einer Wirkung fähig sind. Und weil ich das in dir gefunden habe, so ist es wohl auch sicher, daß ich dich gar sehr unbegrenzt achte und liebe, was du mit deines Geistes Augen in meinem Herzen und Gehirne noch klarer erschauen wirst als jener Junge dort. 12. Aber das sage ich dennoch ohne irgendeine Scheu, daß diese deine Mühe und sicher große Aufopferung so gut wie rein vergeblich ist und den Menschen wenig Segnungen bringen wird, solange nur irgendeines Priesters Fuß den Boden der Erde betreten wird! Du müßtest denn nur mit deiner Allmacht alle Menschen und so auch die sämtlichen Priester auf der ganzen Erde plötzlich also umwandeln wie jenen alten Fels im Meere, dann könnte es vielleicht einmal ganz löblich auf der Erde werden! Es ist nur ewig schade für deine Mühe und Arbeit! Würdest du noch zimmern mit Säge und Axt, so würden dich die Pharisäer sicher unangefochten lassen; aber so werden sie dich trotz aller deiner von mir unbezweifelten Göttlichkeit hassen und auf allen deinen Wegen wütend und zornglühend verfolgen! Auch werden sie die herrlichste Saat, die du nun säest, mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zu verderben trachten. 13. Denn das Pharisäervolk kennt irdisch kaum wer besser denn gerade ich, der ich wegen unseres Institutes am meisten mit ihnen zu kämpfen hatte! Sie sind zwar nun von uns aus total geschlagen und besiegt und können mit aller ihrer Wut gegen uns nichts mehr ausrichten; denn unsere Ringmauern sind stärker als die um ihren Tempel, und alle Kranken weit und breit suchen nun ihr Heil bei uns, weil wir die Menschheit mit reellen Heilmitteln wieder gesund machen, während die Templer durch nichtige Sprüche und mystische Zeichen und mit allerlei Reliquien – von Gott weiß woher – heilen, aber die Kranken dabei gar keine Wirkung von irgendeiner Besserung verspüren. 14. Das ist nun mein nacktes Bekenntnis vor dir, o Herr und Meister; du aber wirst nun tun, was dir gefällig ist, – nur stoße unser Institut nicht früher um als den Tempel zu Jerusalem! Das ist nun meine inständigste Bitte an dich; am liebsten aber wäre es uns allen, so du ganz nach deiner Weisheit unser Oberster und Leiter werden möchtest!“ Kapitel 69 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 69. — Der wahre Lebensweg 1. Sage Ich: „Mein Wort habt ihr und Meine Lehre; tut und handelt danach, dann bin Ich euer Meister und Oberster! 2. Es bedarf da Meiner Person gar nicht in den Mauern eures Klosters, sondern allein nur Meines Wortes und Meines Namens – aber nicht etwa nur trocken geschrieben und ausgesprochen mit kaltem, gleichgültigem Munde, sondern in der Tat voll Glaubens und voll Liebe zu Gott und zum Nächsten –, dann werde Ich sein mitten unter euch, und was ihr da wollen werdet in Meinem Namen, das wird auch geschehen, und ihr werdet also noch Größeres tun denn Ich. 3. Was Ich tue, das tue Ich vor euren Augen, um von Mir Selbst ein gültiges Zeugnis abzulegen, auf daß ihr Menschen daraus erkennen möchtet, daß Ich Ebenderselbe bin von Ewigkeit ausgehend vom Vater, von dem alle Weisen und Patriarchen geweissagt haben. 4. Ihr sollet und werdet zeugen von Mir aller Kreatur, die blind und taub ist, und werdet zu dem Behufe ein mehreres benötigen denn Ich Selbst nun vor euch, die ihr doch scharfsehend und wohlhörig seid! 5. Aber eure Trugwunder müssen aus eurem Institute gänzlich ausgewiesen werden; denn aller Trug ist mehr oder minder eine Eingebung des Satans und kann daher nie zu irgend etwas führen, das man wahrhaft gut nennen könnte! Solange man aber irgendein Trugmittel in einem Heilinstitute gebraucht, da kann daneben in Meinem Namen keine Wundertat zum Gelingen gebracht werden! 6. Wollt ihr aber wirken in Meinem Namen, so muß Ich auch in aller Fülle der Wahrheit ganz in euch sein durch die Liebe und durch den lebendigsten Glauben. 7. Seid ihr aber das, so möget ihr zu jenem Berge sagen: ,Hebe dich und stürze dich ins Meer!‘, – und es wird geschehen nach eurem Willen! Aber wohl gemerkt, ohne Mich vermöget ihr nichts! 8. Ich aber werde bei euch sein immer fort und fort, solange ihr getreust Mein Wort, Meine Liebe und den lebendigsten Glauben an Mich bewahren und einhergehen werdet ohne Falsch in eurer Seele! – Sage, ob du Mich nun wohl verstanden hast!“ 9. Sagt Roklus: „Nicht ganz, um vor dir ein vollends aufrichtiges Geständnis abzulegen; denn ich vernahm etwas von einer Eingebung des Satans! Das ist derselbe böseste Geist, der nach der jüdischen Lehre der stets unsichtbare Urheber alles Bösen und Verderblichen auf der Erde sein soll. Ich habe das bisher als eine Allegorie (sinnbildliche Darstellung) der Juden betrachtet und kann mich nun auf einmal nicht zur Genüge erstaunen, diesen Namen nun aus deinem Munde zu vernehmen! 10. Wahrlich, ich halte dich für den weisesten aller Menschen und glaube nun auch fest, daß es einen allweisesten und allmächtigen Gott gibt, von dem alles, was der endlose Raum faßt, erschaffen ist, und daß du nun ein Hauptträger des Gottesgeistes bist; aber daß du mir nun mit der alten jüdischen Fabel vom Satan und am Ende gar noch mit allerlei Teufeln und etwa auch mit der jüdischen Hölle kommst, das nimmt mich sehr wunder. Ist denn der Satan im Ernste etwas oder irgendein Teufel oder die Hölle? Darüber bitte ich mir wahrlich eine nähere Erklärung aus!“ Kapitel 70 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 70. — Das Wesen Satans und der Materie 1. Sage Ich: „Wie alles dies dir nun noch Unverständliche zu verstehen ist, wirst du finden in dem Buche, das dir der Junge durch Ruban gegeben hat; im übrigen dürften dir die Gegensätze, als da sind Geist und Materie, Leben und Tod, Liebe und Haß, Wahrheit und Lüge, doch schon einen kleinen Fingerzeig geben, daß alles das irgendeinen Entstehungsgrund haben muß, ansonst es nimmer in irgendeine fühlbare Erscheinlichkeit kommen könnte! 2. Wenn das Böse nicht irgendeinen Entstehungsgrund hätte, woher sollte es dann wohl kommen in den Sinn der Menschen? Du wirst daraus etwa doch bei deiner geübten Denkkraft wahrzunehmen anfangen, daß sich alles – wie: Wahrheit und Lüge und dergleichen Gegensätze mehr – dem höchsten und besten Gottwesen nicht in die Schuhe schieben läßt! 3. Oder kannst du das annehmen, daß Gott, als die höchste, tiefste Wahrheit Selbst, dem Menschen einen lügenhaften Sinn ins Herz gelegt hat, auf daß er dann sündige wider die Ordnung Gottes und unflätig würde in allen seinen Reden und Handlungen? Oh, das sei ferne! Gott schuf den Menschen geistig nach Seinem Ebenmaße, also rein, wahrhaft und gut. 4. Da der geistige Mensch aber auch zu seiner ferneren Existenz bedinglich den Weg des Fleisches durchzumachen bekam, so mußte er dieses aus der Materie der Erde entlehnen nach der Anordnung des allerhöchsten Geistes Gottes; und in das Fleisch ist für den Geist des Menschen ein denselben probendes Gegengewicht gelegt und heißet Versuchung! 5. Diese rastet aber nicht nur im Fleische des Menschen, sondern in aller Materie; und weil die Materie das nicht ist, als was sie dir erscheint, so ist sie dem sich selbst probenden Menschen gegenüber Lüge und Trug, also ein Scheingeist, der da ist und nicht ist. Er ist da, weil die verlockende Materie da ist fürs Fleisch des Menschen; er ist aber auch nicht da, weil die Materie nicht ist, was sie zu sein scheint. 6. Und sieh und fasse es recht! Dieser Truggeist, als durch und durch Lüge in sich selbst, ist eben der Geist aller Welt der Materie und eben das, was da ,Satan‘ oder ,aller Teufel Oberster‘ heißt. Die ,Teufel‘ aber sind die Spezialbösgeister aus dem dir nun gezeigten allgemeinen Bösgeiste. 7. Ein Mensch, der sonach allerlei Materie mit der Liebe erfaßt und sich darin tätig begründet, der sündigt wider die Ordnung Gottes, die ihm nur darum die Materie zeitweilig unter sein Dasein legte, daß er mit ihr kämpfe und sich zur Unsterblichkeit kräftige mit dem Gebrauche des ganz frei gestellten Willens. Und die Folge der Sünde ist der Tod oder das Zunichtewerden alles dessen, was sich des Menschen Seele aus der Materie angeeignet hat, weil alle Materie, wie Ich dir's gezeigt habe, in dem, als was sie erscheint, nichts ist. 8. Liebst du demnach die Welt und ihr Getriebe und willst dich bereichern mit ihren Schätzen, so gleichest du einem Narren, dem ernstlich eine wohlgeschmückte Braut vorgestellt ist, die er aber nicht will und nach ihr auch kein Verlangen trägt; wohl aber wirft er sich mit aller Glut eines blindesten Fanatikers auf den Schatten der Braut und koset denselben über alle Maßen! So aber dann die Braut den Narren verlassen wird, so wird etwa ja auch ihr Schatten mit ihr ziehen! Was aber wird dann dem Narren übrigbleiben? Offenbar nichts! 9. Wie wird dann wehklagen der Narr, daß er verloren hat, was er so sehr liebte! Aber da wird man zu ihm sagen: ,Blinder Tor, warum erfaßtest du denn nicht die volle Wahrheit anstatt deren Schatten, der doch offenbar nichts war?!‘ Was kann der Schatten auch irgend anderes sein als ein Lichtmangel, den eine jede dichte Form geben muß nach irgendeiner dem Lichte gegenüberstehenden Seite, weil der Lichtstrahl nicht durch den festen und dichten Körper dringen kann? 10. Was aber dein Schatten ist zu dir, so du irgend im Lichte stehest oder gehest, dasselbe ist alle Materie und ihre Schätze gegenüber dem Geiste! Sie ist ein notwendiger Trug und in sich selbst eine Lüge, weil sie das nicht ist, als was sie den Sinnen des Leibes erscheint. 11. In dem aber liegt eben ein Gericht der Lüge und des Truges, daß sie vor den Augen des Geistes als etwas Vergängliches und nur als ein äußeres, entsprechendes Schattenbild einer innern, tiefen Wahrheit sich offenbaren muß, während sie nach der blinden Weltliebe der Seele lieber das in einer Realität verbliebe, was sie zu sein scheint.“ Kapitel 71 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 71. — Das jenseitige Schicksal der materiell gewordenen Seele 1. (Der Herr:) „Wenn aber also, was nützt es dann der Seele, so sie für den Fleischmenschen gewönne alle materiellen Schätze der Erde und sich also versenkte in das Fleisch und seine gemeine, tierische Gier, in ihrer geistigen Sphäre aber dann Schaden litte und verlöre des wahren Lebens Realität?! Woher wird sie dann jenseits etwas nehmen, daß sie dann als ein mit dem Nichts der Materie selbst gewordenes Nichts nun ein wahres Etwas werde?! 2. Ja, Freund, wer da hat, dem ist jede Gabe ein Gewinn, daß er dann allzeit noch mehr hat! Aber ganz anders verhält es sich mit dem, das an und für sich nichts ist und nichts hat! Wie soll man denn dem etwas geben können, das sich zuvor von der Lüge hat gefangen und zunichte machen lassen?! 3. Oder kannst du in ein Gefäß eine Flüssigkeit hineintun, das bloß in deiner Idee und sonst nirgends da ist, oder – wenn auch ein Gefäß da ist – aber so viele Löcher nach allen Seiten hat, daß man sie kaum zählen könnte? Wird es wohl auch nur einen Tropfen behalten? 4. Ach, wäre die Materie für sich also, wie sie ist, eine bleibende und unwandelbare Realität – was aber unmöglich ist –, so wäre sie als das, was sie ist, eine Wahrheit, und der sie gewönne und besäße, wäre dann im Besitze einer Wahrheit; und würde die Seele übergehen in die Materie, so würde sie zu einer wahren und bleibenden Realität! 5. Weil aber die Materie nur ein Gericht des Geistigen ist, welches nicht bleiben kann und darf, sondern nur so lange, als das geistige Urelement sich im selben ansammelt, erkennt und dann bei einiger entsprechenden Kraftgewinnung die Materie um sich auflöst und sie ins entsprechende Geistige verkehrt, so muß ja eine weltliche und materiell gewordene Seele am Ende das Los der Materie teilen. 6. Wird die Materie aufgelöst, so geschieht das auch der Seele. Sie wird, wenigstens zum größten Teile, in die substantiellen, psychoätherischen Urkraftatome aufgelöst, und es bleibt dabei der eigentlichen Seele nach dem Abfalle des Fleisches nichts als etwa ein oder der andere licht- und oft nahe völlig lebenslose tierskelettartige Grundtypus übrig, der mit dem Wesen eines Menschen keine leiseste Ähnlichkeit hat. 7. Eine solche Seele befindet sich dann in einem Zustande, den die mit dem geistigen Sehvermögen begabten Urerzväter She oul a (Hölle = Durst nach Leben) nannten und auch sehr wahr und richtig bezeichneten. 8. Demnach ist aber auch die ganze Erde und kurz alles, was du mit deinen materiellen Sinnen nur immer wahrzunehmen imstande bist, eine wahre Sheoula. Es ist das der Seele, die ein Geist ist oder vielmehr werden soll, Tod; denn wer immer als das, was er war, zu sein aufgehört hat, der ist auch als das, was er war, völlig tot. 9. Eine Seele ist dann nach dem Abfalle des Leibes auch tot, so sie aus vorbeschriebenen Gründen ihr Menschwesliches nahezu total verloren hat und von ihr höchstens ein Tierskelett übrigblieb. Für dich undenkliche Zeitenläufe werden wieder verstreichen müssen, bis solch eine sich in alle Materie versenkt habende Seele zu einem menschähnlichen Wesen wird, und wie lange wird es hergehen, bis aus solch einer Seele erst völlig ein Mensch wird! 10. Du denkst nun freilich, daß bei Gott solches alles auch in einem Augenblicke möglich sein muß. Ich aber sage dir darauf, daß bei Gott freilich wohl alle Dinge möglich sind. Wenn Gott Puppen und Automaten haben will, so ist dazu ein Augenblick hinreichend, um damit den ganzen sichtbaren Raum voll anzufüllen! 11. Aber alle diese Wesen werden keinen eigenen und freien Willen haben und kein eigenes, für sich dastehendes, selbsttätiges Leben. Sie werden sich regen und bewegen nur nach dem sie durchströmenden Willen Gottes. Ihre Sehe wird die Sehe Gottes und ihre Gedanken werden die Gedanken Gottes sein. Solche Geschöpfe werden sein gleich wie die einzelnen Glieder deines Leibes, die sich ohne dein Erkennen und Wollen durchaus nicht für sich bewegen und tätig sein können. 12. Verhält es sich aber nicht ganz anders mit deinen Kindern, die auch aus deinem Fleische und Blute hervorgegangen sind? Diese warten nicht mehr auf deinen Willen; sie haben ein völlig eigenes Leben, Erkennen und Wollen. Sie werden dir wohl folgen und werden Lehre und Gebote von dir annehmen, aber dennoch nicht nach deinem, sondern stets nur nach ihrem höchst eigenen Willen, ohne den du sie so wenig in irgend etwas belehren könntest als irgendein gemeißeltes Bild oder einen Stein! 13. Und siehe, Geschöpfe mit freiem Erkennen und Wollen, die sich selbst zu bestimmen und zu vervollkommnen haben, um dadurch denn auch für ewig freie und sich selbst bestimmende Wesen zu bleiben, müssen von Gott aus auch also geschaffen sein, daß ihnen solches zu erreichen möglich wird! 14. Von Gott aus darf da nur gewisserart der Same, versehen mit allen erdenklichen Lebensfähigkeiten, wie in einer Hülse eingeschlossen, geschaffen werden; die weitere, freiere Lebensentwicklung und die Ausbildung desselben muß dem Samen selbst überlassen werden. Er muß das ihn auch nach außen umströmende Leben aus Gott selbst an sich zu ziehen anfangen und daraus ein eigenes, für sich dastehendes Leben bilden. 15. Und sieh, so etwas geht nicht so schnell, wie du es meinst, weil das Embryoleben in sich nicht so mächtig und tatkräftig sein kann wie das von Ewigkeiten her allervollendetste Leben in Gott! 16. Und weil eine jede noch so verdorbene Seele immer die gleiche Bestimmung hat, so kann ihr auch jenseits zu ihrem Lebensheile nicht möglich auf eine andere Art geholfen werden, als sie sich mit wenigen, ihr noch zu Gebote stehenden Mitteln selbst helfen kann und nach der ewigen Ordnung Gottes auch selbst helfen muß. 17. Ich habe dir nun hoffentlich klar und deutlich zur Genüge erklärt, was so ganz eigentlich Satan und was die Hölle und was der eigentliche ewige Tod ist, und du wirst nun wohl kaum mehr eine Frage übrig haben über etwas, das dir nicht klar wäre zur Genüge. Sollte dir aber noch etwas unklar sein, so frage; denn sieh, die Sonne neigt sich dem Untergange zu, und wir werden dann ein Abendmahl einnehmen!“ Kapitel 72 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 72. — Die Erklärung des Wortes SHEOULA (Hölle). Vom Hellsehen 1. Sagt Roklus: „Herr und Meister, ich habe nun gesehen, daß deine Weisheit und allergediegenste Einsicht in allen Dingen von einer nie ergründbaren Tiefe ist, und ich muß hier offen bekennen, daß du als ein purer Mensch solches unmöglich wissen und einsehen könntest, so du deinem Geiste nach an aller Schöpfung nicht den größten Anteil genommen hättest, – und mir ist nun gar sehr vieles licht und überhelle geworden, was ich mir je vorher auch nie hätte denken können! Aber da du schon so gütig warst, mir so außerordentliche Dinge zu erklären, so ersuche ich dich, mir den Ausdruck ,Sheoula‘ und, sage, den ewigen Tod noch ein wenig näher zu erörtern; denn darin bin ich noch nicht völlig im klaren. Das heißt, ich verstehe die Sache so zur Not wohl; aber daß ich behaupten könnte, daß ich darin schon so ganz zu Hause sei, da würde ich mich selbst anlügen! Erkläre mir demnach diese erwähnten zwei Dinge ein wenig näher!“ 2. Sage Ich: „Nun so höre! She', auch shei oder shea heißt: ,es dürstet‘; oul auch voul: ,der in sich selbst verlassene Mensch‘, man könnte sagen: ,Tiermensch‘ (Ochse); a: ,nach der Konsistenz dessen, was da ausmacht die innere Weisheit und Erkenntnis‘. 3. Daß unter dem Buchstaben a aber solches zu verstehen ist, bezeiget die Form der alten ägyptischen Pyramiden, die eine großmaßstäbige Nachbildung der Gehirnpyramiden sind, und deren Bestimmung es war, den Menschen zu Weisheitsschulhäusern zu dienen, wovon noch heutzutage ihr Name und ihre innere Einrichtung Zeugenschaft geben. Denn Pira mi dai heißt doch offenbar: ,Gib mir Weisheit!‘ Und die innere Einrichtung war auch also bestellt, daß der Mensch, darin von der Außenwelt ganz abgeschlossen, in sein Inneres hat zu schauen anfangen müssen und finden sein innerstes Lebenslicht. Darum war es in den weiten inneren Gängen einer solchen Pyramide stets kohlpech- und rabenfinster, und es ward nicht eher helle, als bis der Mensch mit seinem innern Lebenslichte alles zu beleuchten anfing. 4. Dieses klingt dir freilich etwas seltsam; allein es ist alles das dennoch also! Denn so einem Menschen die innere Gemütssehe geöffnet wird, da gibt es für ihn auf der Erde keine Nacht und keine Finsternis mehr. Einen sozusagen handgreiflichen Beweis liefern alle die sehr sensitiven und in einer Entzückung sich befindlichen Menschen. Diese sehen mit vollkommen geschlossenen Augen um sehr vieles mehr als sonst tausend Menschen mit den allerbesten, gesündesten und schärfsten Augen; denn diese sehen durch die noch so feste und undurchsichtigste Materie, sie schauen leicht durch die ganze Erde hindurch, und selbst die Sterne sind nicht so weit, daß sie, die recht verzückten (magnetischen) Menschen, sie nicht klein zu durchschauen vermöchten. 5. Wie aber Menschen in den seligen Zustand der Verzückung kommen können – und das am Ende, wann und wie oft sie wollen –, das ward eben innerhalb der Pyramiden gelehrt und hauptsächlich sehr tätig geübt. 6. Weil denn die Pyramiden dazu dienten, so gab man ihnen auch den sehr richtigen und alles bezeichnenden Namen SHE' OUL A. Davon nahm der alte Hebräer sein abgekürztes SHEOL', der Grieche sein SCHOLE, der Römer seine SCHOLA, und der Perser und Indier sein SCHEHOL. [Meine Bemerkung: Sicher auch der deutsche seine "Schule". Jakob Lorber.] 7. Weil denn aber die alten Weisen in ihren verzückten Gesichten gar gut wußten, in welch einen sehr bedauerlichen Zustand die sehr materiellen, die Welt und sich selbst über die Maßen liebenden Seelen jenseits nach dem Abfalle des Leibes gelangen, so nannten sie eben solch einen bedauerlichen Zustand auch She oul a, Hölle! 8. Daß ein solcher Zustand gegenüber dem Lebenszustande eines wahren Weisen in der Ordnung Gottes mit dem Ausdrucke ,Tod‘ bezeichnet ward, ist doch sicher ganz der Wahrheit gemäß. Und weil das eine ewig stets und notwendig gleiche und bleibende Eigenschaft alles dessen ist, was da ,Welt‘ und ,Materie‘ heißt, so wird es auch klar sein, warum man solches den ,ewigen Tod‘ genannt hat! 9. Solange denn eine Seele hier oder jenseits in solch einem Zustande verbleibt, ist sie auch offenbar im Zustande des ewigen Todes, von dem sich loszuwinden sicher eine höchst schwierige Lebensaufgabe ist! Manche Seele dürfte wohl ein Weltenalter zu tun haben, bis sie aus sich selbst wieder zu etwas kommen dürfte! – Sage Mir nun, ob du nun im klaren bist!“ 10. Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alles, nun ist mir auch das wahrhaft völlig klar; aber nun noch eine kleine Frage, und diese besteht darin, wie sich nämlich ein Mensch in den verzückten, allsehenden Zustand versetzen kann! Wenn ich das noch wüßte, wenn nur die Wege dazu, so würde ich alles Erdenkliche aufbieten, um mich selbst auch von Zeit zu Zeit in einen solchen sicher höchst beseligenden Zustand zu versetzen! Herr und Meister über alle Dinge, habe die Güte und gib mir auch darin einige gute Winke!“ 11. Sage Ich: „Die Schulen Ägyptens sind eingegangen und bestehen in der Art und Weise schon gar lange nicht mehr; denn zu Mosis Zeiten hat es darin sehr zu hapern angefangen. Schon damals fing man an, nur einen äußerlichen Unterricht zu erteilen, und ein Plato und ein Sokrates waren so ziemlich schon die letzten, die von der innern Lebensschule noch einen leisen Begriff hatten. 12. Ich aber bin ja nun darum in das Fleisch dieser Welt gekommen, um euch Menschen eine noch bessere Lebensvorschrift zu geben, nach der ein jeder sich in die höchste Lebensweisheit versetzen kann. Und diese Vorschrift lautet ganz kurz: ,Liebe Gott aus allen deinen Kräften über alles und deinen Nächsten wie dich selbst!‘ Wer das übt und vollauf tut, der ist Mir gleich und wird auch eben dadurch in alle Weisheit und ihre Kraft und Macht geleitet werden! 13. Denn wer voll Liebe zu Gott ist, in dem ist auch Gott mit Seiner unendlichen und unbegrenzten Liebe und mit deren höchstem Lichte gegenwärtig. Die Seele und ihr Geist schwelgen dann in allem Weisheitslichte aus Gott, und sie muß dann ja auch alles das schauen und erkennen, was das Licht Gottes sieht und erkennt. Und weil alle die ewigste Allmacht und Allkraft Gottes eben in Seiner unbegrenzten und unendlichen Liebe besteht, so darf die Seele in solcher göttlichen Liebe ja nur wollen mit dem Willen der in ihr herrschenden Liebe des Geistes Gottes, und es muß geschehen, was die Seele will! – Das ist so klar und wahr, als nur irgend etwas klar und wahr in dieser Welt sein kann. 14. Aber solches nur zu wissen und noch so lebendig zu glauben, genügt bei weitem noch lange nicht, sondern man muß das vollauf tun in allen noch so schwierigen Lebensverhältnissen und muß sich darin zu jeder Zeit üben; denn nur eine unausgesetzte fleißige Übung macht aus dem Jünger erst einen Meister!“ Kapitel 73 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 73. — Wie man Gott über alles liebt. Die wahre, gottgefällige Arbeit des Mensehen 1. Sagt Roklus: „Herr und Meister, wie kann ich aber dahin kommen, Gott, den unsichtbaren, ewigen Geist, aus allen Lebenskräften über alles zu lieben? Denn es kommt mir vor, als wäre das Herz eines Menschen zu klein und zu unfähig, den unendlichen und ewigen Geist Gottes, von dem man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann, über alle die Maßen zu lieben. 2. Mit der Nächstenliebe ist es ein leichtes; aber mit der Liebe zu Gott, so in das Allerendloseste hin, hat es doch sicher für uns sehr kleine Menschen eine höchst hinkende Bewandtnis! Wie ist sonach das anzustellen, daß man Gott über alles lieben kann?“ 3. Sage Ich: „Leichteres gibt es wohl nicht in der ganzen Welt! Man betrachte die Werke Gottes, Seine Güte und Weisheit und halte gewissenhaft Seine Gebote, liebe seinen armen Nächsten wie sich selbst, und man liebt dadurch auch schon Gott über alles! 4. Kannst du dir aber von Gott keinen dich ergreifenden Begriff machen, so sieh nun Mich an, und du hast dann auch jene für ewig gültige und bleibende Form vor dir, unter der allein du dir deinen Gott und Schöpfer vorstellen kannst! Denn Gott ist auch ein Mensch, aber der in und aus Sich ewig vollendetste! Siehst du Mich, so siehst du auch alles! – Hast du Mich nun auch darin wohl verstanden?“ 5. Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge, nun habe ich alles, und ich will Dein Diener sein! Aber nun laß mich in Frieden ziehen! Denn länger zu weilen bei Dir bin ich nicht wert.“ 6. Sage Ich: „Wer den inneren Frieden hat, der kann ziehen, wohin er nur immer will, so ziehet er in Frieden! Du hast den inneren Frieden aber nun erreicht, und so du ziehest wohin, so ziehest du im Frieden. Doch nun kannst du mit deinen Gefährten wohl noch verziehen (bleiben) eine Weile hier, allwo du mit den Deinen noch so manches vernehmen wirst zu euer aller Belehrung! 7. Es ist nun zwar schon stark an der Neige des Tages, und die Sonne, die den Tag hindurch ungetrübt der Erde geleuchtet hat, hat bereits den Saum der Berge erreicht und wird in einigen Augenblicken nicht mehr zu sehen sein, und wir alle können es sagen, daß dieser Tag gut zugebracht ward. Wir haben tüchtig gearbeitet und mehr verrichtet in Stunden, als was pure Menschenhände in Jahren zustande gebracht hätten. Wer aber arbeitet, der soll auch essen und stärken seine Glieder! Ihr habet auch gearbeitet und sollt darum auch essen mit uns! Darum auch möget ihr hier verbleiben und halten mit uns ein Abendmahl!“ 8. Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge! Was wohl habe ich mit meinen Gefährten allhier nun getan, das man als eine Arbeit bezeichnen könnte? Reden und Meinungen und Erfahrungen austauschen ist alles, was wir hier, als sonst ganz müßig stehend, gemacht haben, – und das wird etwa doch keine Arbeit zu nennen sein?“ 9. Sage Ich: „Wo und wann immer ein Mensch wahrhaft für das Heil seiner Seele gearbeitet hat, dort und dann hat er auch am meisten und wahrhaft und am alleruneigennützigsten gearbeitet; denn eine rechte Tätigkeit zum Wohle und Heile der eigenen Seele schließt ja ohnehin alle andere selbstsüchtige Tätigkeit ganz vollständig aus, weil die Selbstsucht und Eigenliebe die Liebe zu Gott und zum Nächsten völlig ausschließt. 10. Wer irdisch für seinen Leib sorgt, der sucht die Schätze dieser Welt, wühlt in der Materie und vergräbt seine Seele also ins Gericht und in den Tod. Wenn ein solcher Mensch auch den ganzen Tag hindurch auf dem Felde mit Pflug und Haue gearbeitet hat mit solchem Eifer, daß er am Abend im eigenen Schweiße ganz ordentlich gebadet war, so war er dem gegenüber, was Ich Arbeit nenne, dennoch ein Tagedieb, ein fauler Knecht für das Feld des Reiches Gottes. 11. Denn wer für den wahren, von Gott ihm gestellten Zweck nicht arbeitet im Geiste nach Recht und Gebühr in der Ordnung Gottes, der arbeitet sicher auch zum zeitlichen und ewigen Wohle seines Nächsten nicht, und Gott zu suchen und näher zu erkennen findet er nicht der Mühe wert. Wer aber Gott zu finden und wahrhaft zu erkennen sich keine Mühe gibt, der gibt sich noch weniger eine rechte Mühe zum Wohle seines Nächsten, und so er schon für ihn etwas tut, da tut er das nur seiner selbst willen, damit der Nächste irgend fähig werde, ihm mehrfach dafür zu nützen, als was er ihm bloß einfach Gutes getan hat. 12. Du hast aber nun Gott gesucht und dich selbst – und Gott und dich gefunden; und siehe, das war eine rechte Tätigkeit von dir, und Ich sage es dir, daß du nun in den etlichen Stunden mehr getan hast als sonst durch dein ganzes Leben! Und darum kannst du nun auch schon hier verweilen, dir nehmen eine rechte Ruhe und mit uns halten ein Abendmahl!“ Kapitel 74 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 74. — Fragen über Krankheiten und deren Heilung 1. Sagt Roklus: „Herr und Meister über alle Dinge! Jedes Wort aus Deinem Munde ist mehr denn reinstes Gold, und eine Wahrheit erhebt die andere! Auch ist keines Deiner Licht- und Lebensworte bei mir auf unfruchtbaren Boden gefallen, und ich fühle es nun in mir, daß daraus sicher die segensreichsten Früchte für die Scheunen des wahren Lebens erwachsen werden; aber da ich nun schon einmal die Gnade habe, mit Dir zu reden, so möchte ich denn auch in der Hinsicht eine Aufklärung von Dir haben, ob wir in der Folge die Kranken durch unsere natürlichen Heilmittel von ihren Krankheiten heilen sollen oder bloß nur im möglich festesten Vertrauen auf Deinen Namen? Denn mir kam nun der Gedanke, daß es etwa nicht allzeit Deinem göttlichen Willen gemäß wäre, gerade jeden Kranken zu heilen. Denn es gibt darunter ja welche, denen Deine göttliche Liebe und Weisheit eine leibliche Krankheit oder auch irgendeine Seelenkrankheit zukommen ließ zur Besserung eben ihrer Seele. 2. Es ist eine nur zu bekannte Sache, daß oft die leiblich gesündesten Menschen eben nicht die sittlich tugendhaftesten sind. Ja, die leibliche Gesundheit macht den Menschen gar oft mutwillig, weltsüchtig und genußgierig, während Kranke, besonders die an einem chronischen Übel Leidenden, gewöhnlich geduldig, sanft und ergeben in den göttlichen Willen dahinsiechen; man hört sie selten klagen, sie sind voll Demut und haben kein neidisches Herz. Würde sich ihr guter Seelencharakter etwa nicht ändern, wenn man sie auf einmal ganz kerngesund machte? 3. Dann kommt aber noch eins: Sicher ist es jedem Menschen einmal bestimmt, dem Leibe nach zu sterben, – und wäre dieses nicht der Fall, so müßten Menschen von Adams Zeiten her noch leiblich leben. Wenn wir aber alles, alt und jung, was als krank, auch todeskrank, uns unterkommt, alsogleich wieder völlig gesund machen, und uns selbst auch gegenseitig, so dürfte nach und nach das Sterben auf dieser Welt im Ernste etwas selten werden, besonders, so durch Deine Lehre mit der Zeit etwa auch die Kriege überflüssig würden! 4. Heilen wir jemanden nicht, der bei uns Hilfe gesucht hat, so werden wir als harte und mitleidslose Menschen gescholten werden; läßt Du es aber einmal nicht zu, daß jemand, der schon zu öfteren Malen von uns geheilt ward, etwa zum zehnten Male wieder geheilt wird, trotz unseres Willens und unserer Bestrebung, so wird entweder die Kraft Deines Namens oder unser eigenes Vertrauen auf denselben verdächtigt und lückenhaft, und des Volkes Glaube wird Schiffbruch leiden! Denn dahin bringen wir die einmal in der Materie lebenden Menschen nicht, daß sie zur Gewinnung eines höheren Lebens im großen Jenseits dies irdische Leben so gering zu achten beginnen möchten, in Erkrankungsfällen nichts mehr für selbes zu tun. 5. Selbst der Greis von hundert Jahren und darüber wird nach der Arznei zur Verlängerung seines Lebens sogar dann noch greifen, so er auch wüßte, daß die Ablegung seines morschen Leibes mit der möglich höchsten Anmut verbunden wäre. Daß der Menschen Gier, gesund und so lang als möglich, selbst in oft ganz schlechten Verhältnissen, auf dieser räudigen Welt zu leben, eine unersättliche ist, das lehrt uns im allgemeinen eine mehr als tausendjährige Erfahrung; und werden das die Menschen allgemeiner wissen, daß bei ihnen allein durch die Gewalt Deines Namens jedes Übel geheilt werden kann, ja daß im Notfalle sogar Verstorbene ins Leben zurückgerufen werden können, da werden wir eine Belagerung durch das Volk um die andere zu bestehen haben! 6. Es wäre meines Erachtens für uns und auch für wen anders immer in dieser Hinsicht eine nähere Instruktion wohl durchaus nicht zu den überflüssigen zu zählen! Oder hast Du für jene Menschen, die völlig in Deiner Ordnung leben werden, etwa von jetzt an den alten Fleischestod ganz aufgehoben, so daß von jetzt an die Menschen mit schon verklärten Leibern gleich fortan leben werden, der Fleischestod aber nur ein Anteil der Sünder wider Deine Lehre und wider Deine Gesetze bleiben wird? 7. Herr und Meister über alle Dinge! Sieh, der untergegangenen Sonne Strahlen vergolden noch sehr mächtig den Abendhimmel, und des Mondes Sichel und der Abendstern wetteifern ordentlich, das Licht der untergegangenen Tagesmutter zu ersetzen. Es ist so überherrlich der Anblick Deiner leuchtenden Werke, o Herr; aber noch ums endlose herrlicher ist das Gefühl des innern Lichtes, das aus Deinem Munde unsere finsteren Lebenswinkel erhellet! Da es somit noch Zeit ist, so erkläre mir noch vor dem Abendmahle das, was ich mir selbst nimmer zu erklären imstande bin!“ Kapitel 75 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 75. — Schmerz, Krankheit und Tod 1. Sage Ich: „Mein Freund, da forschest du nach etwas, was zu wissen eigentlich weder dir noch jemand anderm irgend not tut, weil das ganz allein Meine Sache ist, was soviel sagen will als: Es ist das die Sache des ewigen Vaters im Himmel, also eine Ordnung, von der in Hinsicht des Fleisches sogar Ich Selbst keine Ausnahme machen darf, machen kann und werde! 2. Was das Fleisch angezogen hat, wird dasselbe auch wieder ausziehen müssen, ob nun mit oder ohne Schmerz, das ist eine ganz gleichgültige Sache; denn nach der Trennung hat aller diesweltliche Schmerz aufgehört. Denn die Luft, die des Menschen Seele einatmen wird in der andern Welt, wird eine ganz andere als die Luft dieser materiellen Welt hier sein. Wo es keinen Tod mehr gibt, da gibt es auch keinen eigentlichen Schmerz, weil des Fleisches Schmerz stets nur eine Folge einer teilweisen Losschälung der Seele vom Fleische ist. 3. Es ist aber damit gar nicht gesagt, als wäre eine Seele in ihrem reinen Zustande etwa ohne Gefühl und Empfindung – denn ohne das wäre sie ja offenbar tot; aber sie wird in der ihrem Wesen entsprechenden Welt nur nichts finden, das sie drängte, drückte, kneipte und preßte und dadurch ein schmerzliches Gefühl erzeugte, und so wird sie auch keinen Schmerz je wahrnehmen. 4. Oder ist ein ganz kerngesunder Mensch selbst in seinem Fleische fürs Gefühl des Schmerzes unempfänglich, weil er noch nie das Unglück hatte, krank zu sein, und noch nie von jemandem einen Schlag oder Stich erhielt?! Es mangelte bei ihm also nur ein schmerzerzeugender Grund. 5. Der Hauptgrund zu einem Schmerze, den stets nur die Seele, nie aber das Fleisch empfindet, liegt also im Drucke, den irgendein zu träg und somit auch zu schwer gewordenes Fleisch auf irgendeinen Lebensteil der Seele ausübt. 6. Es ist daher zeitweilig jede Krankheit zu heilen, wenn man die Fleischmasse zu erleichtern versteht; aber fürs Alter des Fleisches gibt es keine Erleichterung mehr, obwohl ein in guter Ordnung lebender Mensch noch bis in ein sehr hohes Alter im ganzen wenig von einem Schmerze zu erzählen wissen wird. Sein Fleisch wird bis zur letzten Stunde noch ganz fügsam und geschmeidig verbleiben, und die Seele wird sich nach und nach ganz sachte ihrem Fleische entwinden können in der eigentlichen, besten und wahren Ordnung. Sie wird zwar auch nicht wünschen, gerade selbst im höchsten Erdalter sich vom Fleische zu trennen; wenn aber an sie der ihr wohl vernehmbare, beseligendste Ruf aus den Himmeln ergehen wird: ,Komme du aus deinem Kerker ins freieste, ewige, wahre Leben!‘, so wird sie aber auch keine Sekunde Zeit Säumens machen, zu verlassen ihr morsches Erdhaus und hinauszutreten in die Lichtgefilde des wahren, ewigen Lebens. 7. Nun, dieses werdet ihr mit keinem Kräutersafte und auch nicht durch die Macht Meines Namens je zu verhindern imstande sein, weil das nicht Meines Geistes Wille sein kann. Mit der Kraft Meines Namens aber werdet ihr nur nach Meinem in euren Herzen sich klarst zu erkennen gebenden Willen und nie wider denselben wahrhaft Wunder zu wirken imstande sein. Daher müsset ihr auch vor allem Meinen Willen, der ein wahrer Wille Gottes ist, vollkommen zu dem euren machen, und es wird euch dann unmöglich etwas mißlingen, das ihr aus Mir und somit aus Meiner ewigen Ordnung heraus wollen werdet. 8. Es kann daher davon keine Rede sein, als könnte etwa jemand, der euch verliehenen Heilkraft wegen, in und durch Meinen Namen niemals sterben. Wohl sollet ihr die Heilung niemandem vorenthalten, wo euch mein Geist sagen wird im Herzen: ,Dem werde geholfen!‘; wird aber der Geist sagen: ,Den lasse in der Plage seines Fleisches, auf daß seine Seele satt bekomme, zu frönen den Gelüsten des Fleisches!‘, so lasset den und heilet ihn nicht von seinem Fleischübel – denn er soll es erdulden zum Heile seiner Seele! 9. Und also sieh du nun, daß deine Besorgnis eine etwas eitle war! Gehe also ein in Meine rechte Ordnung, und es wird dir dann schon alles klar werden! Hast du etwa noch einen Anstand, so rede, bevor unser Wirt aus der neuen Küche mit dem Mahle kommen wird!“ Kapitel 76 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 76. — Die Freiheit des menschlichen Willens 1. Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alle Dinge, wenn wir nur das als Wunder effektuieren können, was Du allein willst, und zwar alles in Deiner ganzen urweltlich-natürlichen, ewigen Ordnung, da ist uns ja unser eigener freier Wille rein zu nichts, und mit den hie und da doch sehr nötigen Wundern als den besten und wirksamsten Beweisen für die Macht und Kraft Deines Namens wird es dann gar sehr mager auf der Erde auszusehen anfangen! 2. Deines Willens Wunder geschehen Tag für Tag ohnehin, ob wir mit wollen oder nicht, und unser Wille ist gegen den Deinen allzeit gleich einer barsten hohlen Nuß. Die Sonne, der Mond und die Sterne gehen auf und unter ohne unsern Willen; und ebenalso grünet die Erde und bringt ihre Früchte; und die Wolken ziehen, und die Winde spielen mit den Wogen des Meeres; und es wird Winter und Sommer, und die Zeiten vergehen und kommen nimmer wieder, ganz ohne unsern Willen! Ob wir nun das mit wollen oder nicht, so ist das einerlei! Aber wie sieht es dann mit den oft auch notwendigen besonderen Wundern aus?“ 3. Sage Ich: „Ja, lieber Roklus, mit dir ist noch immer ein wenig schwer zurechtzukommen, weil in deinem Gemüte noch zu viele irdische An- und Rücksichten walten! 4. Siehe, wer seine Hände an den Pflug legt und dabei nach rückwärts schaut, der ist noch nicht geschickt zum Reiche Gottes! Meinst denn du, daß Gott in Seinem hellsten Denken und Wollen etwa auch so einförmig und eintönig ist wie das starre Eis des Nordens? 5. O Mensch, erkenne erst Gott recht und Seinen allmächtigen Willen, und du wirst dann schon auch erkennen, ob ein Mensch, dessen Herz voll des Geistes aus Gott ist, nichts anderes mehr wollen und tun kann, als bloß nur so ganz stumm und geduldig mit dem ewigen Willen Gottes einen Tag um den andern werden und vergehen zu lassen und ganz glückselig zuzusehen, wie die verschiedenen Kräuter wachsen und blühen und dann wieder verdorren! 6. Wenn es Gott mit den Menschen nur um das zu tun gewesen wäre, so hätte Er ihnen nie einen eigenen Willen zu geben vonnöten gehabt, sondern Er hätte sie bloß nur den Meerespolypen gleich, wenn auch in Menschenform, wie die Pilze aus der Erde herauswachsen lassen können mit im Erdboden haftenden Saug- und Nährwurzeln; diese hätten dann gleich Tag und Nacht können zusehen, wie die Sterne nach dem Willen Gottes wenigstens dem Anscheine nach auf- und untergehen, und wie schön das Gras um sie herum wächst! Eine freie, ortsveränderliche Bewegung wäre ihnen gar nicht nötig; denn einen eigenen Willen hätten sie ja ohnehin nicht, und den stets gleichen und stereotpyen Willen Gottes könnten sie als Statuen noch um vieles besser durch sich gehen und walten lassen als irgendein noch so frommer und gottergebener Mensch mit seinem Willen! 7. Denn einem Menschen, der denn doch immer noch einen eigenen Willen und eine freie Bewegung hat, kann es ja doch noch bei aller seiner Ästhetik einmal in den Sinn kommen, einige Schritte über einen schönen Grasboden zu machen; und wie unvermeidlich muß er da das nach dem Willen und nach der ewigen Ordnung Gottes aufrecht gewachsene und stehende Gras zu Boden drücken und danebst noch so mancher Blattmilbe das Lebenslicht vor der Zeit ausblasen! – Merkst du nun schon so ein wenig das Alberne deiner Besorgnis? 8. Nun aber denke dir erst, daß der freiwillige Mensch zu seiner physischen Nahrung nicht nur allerlei herrliche, mit Fruchtsamen wohlversehene Früchte mit seinen Zähnen zermalmt und sie dann als Speise für seinen Leib ohne alle Gnade und Schonung verschlingt, sondern sich sogar über allerlei Tiere hermacht, sie tötet und endlich auch ihr gebratenes Fleisch mit einer wahren Gier verzehrt. Hie und da sucht er sich große Plätze aus, auf denen zuvor viele Jahrtausende hindurch das schönste Gras, andere heilsame Kräuter, Gesträuche und Bäume in der schönsten und allerungestörtesten Ordnung Gottes gewachsen sind, und baut dann tote Häuser und Städte darauf. Ja, Freund, kann das nach der von dir gedachten Ordnung Gottes wohl recht sein? 9. Oder, so du dir deine mit der Zeit zu lang gewachsenen Nägel, Bart und Haare abkürzest, handelst du da nicht wider die Ordnung Gottes, nach dessen stereotypem Willen Nägel, Bart und Haare gleich wieder fortwachsen und nicht so kurz bleiben wollen, als ihr ihnen mit der Schere das Maß vorgeschrieben habt? 10. So es Gott denn durchaus nicht wollte, daß irgendein frei denkendes und frei wollendes Wesen wider die Stereotypie Seines Schöpfungswillens handelte und zerstörende Eingriffe wider die bestehende, stets unwandelbar gleiche Ordnung im großen wie im kleinen machte, würde Er wohl weise gehandelt haben, sich Wesen zu erschaffen, die schon ihrer Existenz wegen genötigt sind, allerlei zerstörende Eingriffe in die Urschöpfungsordnung, die doch auch ein Werk desselben allmächtigen und höchst weisen Gottes ist, zu machen?! 11. Wenn aber Gott, der Herr und Schöpfer aller Dinge und Wesen, es zuläßt, daß die lebenden Wesen, und zwar namentlich die frei denkenden Menschen, die mit einem freien Willen begabt sind, Ihm die Wälder zerstören, Bäume umhauen, Hütten und Häuser daraus bauen und den größten Teil davon verbrennen, Ihm das schöne Gras zertreten, abmähen und als Heu den Kühen, Ochsen, Eseln, Schafen und Ziegen verfüttern, und auch niemandem auf die Hand schlägt bei zahllos vielen anderen Eingriffen in Seine stereotype Ordnung, um wieviel weniger wird Er dort Sich mit Seinem allmächtigen Willen entgegenstemmen, wo es sich darum handelt, des Menschen kleinste Willensfreiheit zur größten göttlichen heranzuziehen! 12. Hast du denn nicht gesehen, wie zuvor der Junge, der im Grunde auch nur ein Geschöpf Gottes ist, den Stein wider die Stereotypie des urgöttlichen Willens in Gold umwandelte? Hat ihn jemand darum zur Rede gestellt, weil er einen so gewaltigen Eingriff in die Grundordnung Gottes gemacht hat? Im Gegenteil, es hat nur der göttliche Wille, vereint mit dem des Jungen, solches zuwege gebracht! 13. Wenn du die leichten Gebote Gottes hältst und Gott wahrhaft über alles liebst, so wirst du ja doch offenbar stets einiger mit dem Erkennen und Wollen Gottes. Du wirst sonach weiser und weiser und im gleichen Maße auch mächtiger und einsichtsvoller im Wollen. Dein inneres Licht aus Gott wird zu einer Allsehe erhoben werden, mittels der du im sonst noch Lebensdunkeln nicht nur fühlen, sondern schauen wirst die wirkenden Lebenskräfte und durch die Inhabung des freiesten Willens Gottes sie auch wirst bestimmen können, so oder so tätig zu werden. Eben dadurch aber, daß du die zahllos vielen, von Gott stets ausgehenden Kräfte speziell und individuell erkennst und erschaust, kannst du als ein Besitzer des göttlichen Willens sie ergreifen und sie auch bestimmen und verbinden zu irgendeinem weisen Tatzwecke, und sie werden sofort auch ebenalso tätig sein, als so Gott sie unmittelbar Selbst zu irgendeiner Tätigkeit bestimmt hätte. 14. Denn alle die durch die ganze Unendlichkeit von Gott ausströmenden Kräfte sind gleich wie zahllos viele Arme eines und desselben allmächtigen Gottes und können ja unmöglich irgend anders tätig werden und sein als allein nur durch die Anregung des göttlichen Willens, weil sie im Grunde nichts als pure Ausstrahlungen des göttlichen Willens sind. 15. Wenn der Mensch denn seine winzigste Willensfreiheit mit der endlos großen göttlichen vereint, sage Mir, ob es da nur denkbar möglich ist, einen puren stummen Zuschauer des pur göttlichen Willens zu machen, oder ob der also groß frei-willig gewordene Mensch mit solch einer Willensfreiheit aus Gott nicht so manches zustande zu bringen vermögend sein wird!“ Kapitel 77 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 77. — Vom rechten und vom unrechten Eifer 1. Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister über alle Wesen und Dinge, jetzt, durch diese Deine gnädigste Erklärung hat freilich bei mir alles ein anderes Licht bekommen, und es ist mir nun so manches früher unentwirrbare Rätsel völlig aufgelöst! Ja, nun fange ich auch so ein wenig an zu begreifen, was so ganz eigentlich ein Mensch ist, und was er in dieser Welt zu suchen und zu erreichen hat und nach Deinem Worte auch erreichen kann und eigentlich erreichen muß! Ja, nun ist es dann ein freilich höchst beseligend Leichtes, Deine Gebote zu halten und buchstäblich zu erfüllen Deinen Willen; denn jetzt sieht man und kann es sogar mit Händen greifen, was man von Dir aus notwendig erhalten muß! Denn so ich einen Ort noch so weit vor mir sehe und in der geradesten Richtung auf den Ort los- und zuwandle, so muß ich ihn endlich doch einmal erreichen! 2. Ich kann aber nun nichts anderes tun als vor allem für solche Deine Mühe mit mir Dir danken aus allen meinen Lebenskräften und Dir versichern, daß ich Dein allergewissenhaftester Jünger sein und bleiben werde. Ich gebe Dir auch die vollste Versicherung, daß ich alles aufbieten werde, um unser Institut von allen den alten Welt- und Lügenschlacken zu reinigen, und es soll in der Folge nichts mehr im selben vorgenommen werden als allein das nur, was sich mit Deiner Lehre, o Herr und Meister, vereinbaren läßt! 3. Schon jetzt fühle ich eine früher nie empfundene Kraft in mir, vor der im festen Vertrauen auf Dich alle Berge weichen und durch die alle Toten aus ihren Gräbern erstehen müßten! Was wird darauf erst dann folgen, so mein künftiges Leben ganz Dein Wille sein wird, und zu welcher Kraft wird unser Institut sich erheben, wenn alle Glieder desselben eines Sinnes und eines Willens sein werden?! 4. Darum nun keines Säumens mehr! Auf, und alle Hände in die Tätigkeit für dies neue Werk aus Gott gelegt! Wer da Säumens macht, begeht eine gröbste Sünde an dem Heile der gesamten Menschheit der ganzen Erde!“ 5. Sage Ich: „Dein Eifer ist nun schon recht, und du wirst das, was du dir nun vornahmst, auch durchsetzen; aber dieser dein gegenwärtiger Eifer ist noch sehr ähnlich einem Strohfeuer, das auch gleich in gar gewaltiger Flamme auflodert, daß man meinen sollte: wenn das so fortgeht, so brennt in wenigen Augenblicken schon gleich der ganze Erdboden! Aber in wenigen Augenblicken ist es mit dem großen Strohfeuer zu Ende, und man merkt es nachher kaum noch, wo der lockere, große Strohhaufen abgebrannt ward! 6. Der rechte Eifer steigert sich wie das Licht und die Wärme der aufgehenden Sonne. Würde das Licht und die Wärme der Sonne gleich mit einer afrikanischen Mittagsglut auftauchen am Morgen, so würde sie sehr verheerend wirken auf alle Pflanzen und Tiere, was ein jeder gute und erfahrene Landwirt schon aus den sogenannten Sonnenblicken ersehen kann. 7. Einen Sonnenblick aber nennt man, wenn bei einem Gewitter das Firmament dicht mit Regenwolken bedeckt ist und es bereits auch regnet; auf einmal aber, so bereits die Erde und ihre Früchte etwas abgekühlt sind, zerreißen die Wolken infolge irgendeiner Luftströmung, und der Sonne Licht und Wärme fällt plötzlich auf die Pflanzen und Bäume und auf allerlei zartes Getier, und sieh, der dadurch angerichtete Schaden ist dann größer, als so es eine Stunde lang so ganz tüchtig gehagelt hätte! – Ich führte dir dieses Beispiel nur darum vor, um dir so recht praktisch zu zeigen, wie ein gewisserart oft unzeitiger Eifer viel mehr verdirbt als irgend gut macht. 8. Daher wolle du in eurem Institute nun auch nicht alle alten und sehr morsch gewordenen Bäume gerade mit einem Hiebe aushauen, sondern mit einem redlichen Eifer ganz wie unvermerkt so nach und nach, und du wirst also erst den wahren Segen in deinem Institute verbreiten! Aber mit einem Schlage, mein Freund, geht das nicht! Dazu gehören noch mancherlei Besprechungen unter euch selbst und darauf erfolgte Erweisungen der neuen Wunderwerke in Meinem Namen! Und wenn so erst alle, nicht du allein, in dies neue Licht eingeführt wurden, dann erst läßt sich alles Alte mit dem besten Erfolge ausjäten. 9. Wenn ein recht weiser Landmann es merkt, daß da Unkraut mit dem reinen Weizen aufgehet, so läßt er das angehen bis zur Ernte. Beim Schnitte erst läßt er sondern das Unkraut von dem Weizen, und es bleibet ihm dadurch gesund der Weizen, und das Unkraut wird getrocknet und verbrannt auf dem Acker, und der Boden wird damit gedünget. Siehe, das nenne Ich Selbst weise und der Wahrheit gemäß gehandelt! 10. Glaube du es Mir, daß Ich mit ganz Jerusalem und seinen Pharisäern ebensoschnell fertig würde wie zuvor mit jenem Felsen im Meere; aber dieser Eifer würde Mir schlechte Früchte tragen! Dadurch würden dann alle, die erführen, daß Ich durch Meine göttliche Allmacht solch eine Verheerung angerichtet habe, wohl Mir zufallen, aber auf dem Wege der innern Überzeugung sicher nicht, sondern auf dem Wege des Selbstgerichtes. Aus Furcht und Zagen würde sich keiner mehr zu rühren getrauen; ein jeder würde maschinenartig das tun, was Ich von ihm verlangte! 11. Wäre aber dann das eine Bildung des freien Willens als des Hauptgutes jeder Menschenseele und ein Erheben desselben zur höchsten Potenz des göttlichen, allerfreiesten Willens, in dem allein nur eine allerhöchste Lebensseligkeit besteht und bestehen kann?!“ Kapitel 78 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 78. — Die Ausbildung des freien Willens. Die Nachteile des übertriebenen Eifers 1. (Der Herr:) „Daß aber des Lebens allerhöchste Seligkeit eben im Besitze der allerungebundensten Willensfreiheit und ihrer stets erfolgvollsten, tatsächlichen Wirksamkeit besteht, davon geben alle die Selbstsüchtler und herrschgierigen Menschen schon auf dieser Erde den allerstärksten Beweis! 2. Um nur ein bißchen so etwas Machthabendes zu sein, gibt ja so mancher gerne sein Hab und Gut her! Wer haßt etwa Krone, Thron und Zepter, besonders wenn er sich selbst hinaufschwingen kann!? 3. Aber warum denn haben diese drei effektiven Herrscher in sich einen so unaussprechlichen Wert in den Augen der Menschen? Die Antwort liegt ganz nahe und ganz in der Natur der Sache. Weil der, welcher auf dem Throne sitzt, von seinem Willen unter Millionen von Menschen den allerfreiesten und in der Welt wirksamsten Gebrauch machen darf und kann! 4. Nach dem aber, der auf dem Throne sitzt, wird dann schon ein jeder gar überaus glücklich, wenn er von dem Herrscher nur mit irgendeinem Amte betraut wird, in welchem er dann auch, wenngleich nur im Namen des Herrschers, einen kleineren Herrscher spielen und etwas mehr seinem freiheitsdurstigen Willen Luft lassen kann. Er unterdrückt zwar auf das kräftigste seinen grundfreien Willen und macht dafür vollends des Herrschers Willen zu dem seinigen, wenn er bei sich mit demselben auch oft gar nicht einverstanden ist; aber das alles tut er, um nur so ein bißchen auch mitherrschen zu können und zu irgendeiner effektiven Geltung zu bringen seinen Willen. Denn bei besonders Hochstandsstaatsbeamten gibt es ja doch immer hie und da Gelegenheiten, vom ganz eigenen, freien Willen Gebrauch zu machen, und das ist dem Menschen schon auf dieser Erde eine allerhöchste Seligkeit. 5. Was kann sie aber im Vergleiche zu jener Seligkeit sein, die aus der Einigung des hier immer höchst beschränkten Menschenwillens mit dem Willen Gottes für die ganze Unendlichkeit und Ewigkeit hervorgehen wird und hervorgehen muß?! 6. Aber bevor solches erfolgen kann, wirst du selbst einsehen, daß dazu eine ganz allerernstlichste Hauptbildung eben des menschlichen Willens durch alle Lebensstadien allerweisest geführt werden muß, ansonst es sicher höchst gefährlich wäre, des Menschen freien Willen mit einer effektiven Machtvollkommenheit auszustatten! 7. Um aber den Willen der Menschen dafür fähig zu machen, muß man dahin wirken, daß der Mensch völlig freiwillig sich auf die Wege des Lichtes begebe und auf denselben so lange mit aller Liebe und weltlicher Selbstverleugnung sich fortbewege, bis er das rechte Ziel durch seine eigene Tätigkeit und vollkommene Selbstbestimmung erreicht hat. 8. Dazu aber dient weder ein äußerer noch ein innerer Zwang, von denen ein jeder ein Gericht ist, durch das nie ein Menschengeist in seinem Willen frei werden kann. Solange er aber das nicht kann, da kann auch von der Vereinigung seines Willens mit dem allerfreiesten Willen in Gott ewig keine Rede sein! 9. Es sind daher die Menschen nur durch einen allerweisesten Unterricht vorerst zur wahren Erkenntnis ihrer selbst und des einig wahren Gottwesens zu führen, und das mit aller möglichen Güte, Geduld und größten Sanftmut; nur hartnäckig widerspenstige Charaktere, bei denen im Hintergrunde ein in sich nahe ganz zweckloser böser Mutwille und eine wahrhaft teuflische Schadenfreude steckt, sind durch ein weltliches äußeres Strafgericht zu Paaren zu treiben, aber ja nicht so bald durch einen sie strafenden Wunderakt. 10. Denn es muß dabei stets darauf die nie aus den Augen und Herzen zu lassende Rücksicht genommen werden, daß der zu Bestrafende auch ein Mensch ist, der ebenfalls zum rechten Gebrauche seines freien Willens geführt werden soll, und daß leichtlich ein arglistiger und rachgieriger Dämon sein Fleisch so und so beherrsche und also aus dem sonst vielleicht ganz harmlosen Menschen ein wahres Scheusal zeihe! 11. Daher muß ein jeder übertriebene Eifer selbst in der besten Sache so lange hintangehalten werden, bis er jene bescheidene Reife erlangt hat, die alles mit einer ruhigen und liebevollen Überlegung und klugen Berechnung unaufhaltsam und beharrlich ins Werk zu setzen trachtet mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln, und zwar mit steter Berücksichtigung jenes lebendigen Gegenstandes in allen seinen Stadien und Verhältnissen, den sie zu behandeln hat. 12. Daß Mir euer Institut, wie es nun noch ist, sicher nicht gefallen kann, das wirst du nun wohl aus allen Lebenswurzeln heraus einsehen! Aber stünde es noch auf hundert schlechteren Prinzipien, als es nun steht, so wäre es ebenso unklug, es plötzlich zu verdächtigen und zu vernichten, als so man nun Jerusalem oder das vielfach arge heidnische Rom in einem Nu von der Erde schaffete. 13. Trachte du demnach von nun an nur dahin, daß so nach und nach, wie sich die Sache gewisserart von selbst gibt, alles Falsche aus eurem Institute entfernt werde, so wird nach und nach das Institut und das ihm anhängende Volk gebessert sein der vollen Wahrheit nach! Würdest aber du nun mit deinen Gefährten gleich das Oberste zuunterst und das Unterste zuoberst kehren wollen, so würden dich die gar vielen Institutsgenossen für wahnsinnig und aberwitzig erklären und dich auf jede mögliche Weise dem Institute, das sie für höchst zweckmäßig eingerichtet betrachten, unschädlich zu machen trachten, und dir würde dadurch alle Gelegenheit benommen, nur so ganz sachte und unbemerkt alles Falsche aus dem Institute zu entfernen und an seine Stelle die vollste Wahrheit zu stellen.“ Kapitel 79 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 79. — Andeutungen des Herrn über Sein letztes Abendmahl und Seinen Kreuzestod 1. (Der Herr:) „Du hast an Mir hier ja selbst das sprechendste Beispiel! Du kennst nun Mich, Meine Lehre und die wahre Lebenstendenz derselben. Du kennst auch Meine Macht, mittels welcher Ich diese ganze Erde ebenso schnell und so leicht ins Nichts umgestalten könnte wie zuvor jenen dir wohlbekannten alten Felsen im Meere! Aber da müßte Ich Mir am Ende ja Selbst zurufen: ,So Du nichts statt einer Welt voll Deiner Herzenskinder haben wolltest, denen Du ihre Natur und Beschaffenheit gabst, so hättest Du ja lieber gleich anfangs gar keine Erde ins Dasein rufen sollen!‘ Aber die Erde und die Menschen sind nun einmal da, und es heißt dann, alles mit aller Liebe und Geduld erhalten und leiten nach der Weisheit aus Gott, damit da von allem, was diese Erde trägt und in sich selbst enthält, auch nicht ein Sonnenstäubchen groß verloren gehe! 2. Ja, Ich sage es dir: die Mir allerwiderwärtigsten und sicher schlechtesten Menschen auf der ganzen Erde sind offenbar die Pharisäer und Schriftgelehrten zu und in Jerusalem; aber bevor Ich sie richte und ans Kreuz hängen lasse, eher noch will Ich dasselbe von ihnen an Mir Selbst tun lassen!“ 3. Da springt Roklus ordentlich auf und sagt: „Nein, nein, Herr und Meister! Das hieße die Geduld viel zu weit ausdehnen! Wegen der Handvoll Lumpen zu Jerusalem – wenn sie auch alle zu nichts aufgelöst würden – wird das Reich Gottes weder auf dieser Erde und noch weniger jenseits je irgendeinen Schiffbruch erleiden; daher hinweg mit der schwarzen Drachenbrut, und Du bleibest!“ 4. Sage Ich: „Wie du diese Sache nun verstehst, also redest du auch! Doch nach etwa drei Jahren, von nun an, wird dich dein eigener Geist eines andern und Bessern belehren; darum lassen wir nun das und bereiten uns zum Abendmahle vor! Dieser Tisch wird etwas verlängert werden, und ihr, nun mit Ruban dreizehn an der Zahl, werdet daran schon ganz gut Platz finden und ein Bild eines künftigen Abendmahles darstellen, das mit Meinem letzten auf dieser Erde eine entsprechende Ähnlichkeit haben soll!“ 5. Sagt Roklus: „Herr und Meister! Du wirst nun auf einmal mystisch und rätselhaft; woher und warum das?“ 6. Sage Ich: „Freunde, Ich hätte euch noch gar vieles zu sagen; aber ihr könntet es nun noch nicht ertragen! Wenn aber nach jenem letzten Abendmahle der Heilige Geist in eure Herzen fahren wird, so wird er euch in alle Fülle der lebendigsten Wahrheit leiten, und du wirst dann erst ganz verstehen, was Ich nun zu dir geredet habe. – Aber nun kommt Markus schon mit den Schüsseln; daher ordnen wir uns zum fröhlichen Abendmahle! Euer Tisch ist bereits fertig und gedeckt.“ 7. Mit diesen Meinen Worten macht Roklus eine tiefe Verbeugung vor Mir, geht dann zu seinen Freunden und Gefährten hin und sagt: „Vom Fortgehen nun ist keine Rede, wir müssen zuvor das Abendmahl, das soeben aufgetragen wird, und zwar am Herrentische dort, mitmachen! Der Herr und Meister will es also haben, und da findet kein Ablehnen statt! Darum kommt nun schnell mit mir und nehmet mit mir Platz am freien Tischteile dort, wo die Herren bereits schon lange sitzen!“ 8. Sagt Ruban: „Oh, das wird sich eben nicht gar zu absonderlich gut für uns ausnehmen! Wir Nichtse neben dem Großherrn aller Herren der Erde!“ 9. Sagt Roklus: „Nehme sich die Sache aus, wie sie wolle! Der Herr und Meister über alle Dinge will es einmal also, und wir haben nichts anderes dabei zu tun, als zu gehorchen, und das mit dem freudigsten Herzen von der Welt! Daher gehen wir, auf daß da niemand auf uns warte! Zugleich aber habe ich auch schon im Ernste einen recht tüchtigen Hunger und freue mich so recht von Herzen auf ein recht reichliches und sehr wohlbereitetes Mahl! Auch ganze Krüge und große Becher voll Weines sehe ich mit den Speisen auf die Tische setzen, und der holde Junge scheint besonders für unsern Tisch recht viel Sorge zu tragen; daher gehen wir nur schnell hin!“ Kapitel 80 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 80. — Raphael als Vielesser 1. Auf diese Anrede des Roklus begeben sich nun alle hin zum für sie bestimmten Tische, machen vor der hohen Gesellschaft eine dreimalige Verbeugung, und Raphael weist sogleich einem jeden seinen Platz an und setzt sich am Ende als vierzehnter zu ihnen an den neuen Tisch. Roklus ersieht vor sich eben jene Speise, die ihm unter allen für sein Leben die liebste war; es war ein gebratenes Lamm mit der Beispeise, bestehend in den allerbesten und vollkommen reifsten Pomeranzen. Er konnte sich da nicht genug verwundern, wie möglich man in der Küche gar so genau seinen Geschmack hatte erraten können. Aber er ermahnte sich bald und bedachte sich, in welcher Gesellschaft er sich befinde, und das erklärte ihm alles. Ebenso bekam ein jeder der dreizehn Gäste gerade das, was er seine Lieblingsspeise mit allem Fug und Recht nannte; nur Raphael hatte vor sich auf einer großen Schüssel acht große und sehr wohlzubereitete Fische, mit denen er, wie bekannt, nicht viel Säumens machte, was den dreizehn sehr auffiel. 2. Und der Roklus konnte sich nicht enthalten, den vermeinten Jüngling ganz freundlich zwar, aber dabei doch sehr verwundert zu fragen, wie es ihm denn wohl möglich wäre, acht so große Fische so hastig und so schnell zu verzehren, und ob er nun noch etwas essen könnte. 3. Und Raphael erwiderte auch ganz freundlich lächelnd: „Oh, nur her noch mit zehnmal soviel, und ich werde mit ihnen ganz leicht und ohne alle Anstrengung fertig werden; aber ich bin nun auch mit diesen ganz gut und vollkommen gesättigt!“ 4. Sagt Roklus: „Dein Magen muß in deiner Kindheit überschoppt worden sein, sonst könnte ich mir das unmöglich erklären! Kannst du mir vielleicht auch mein Lamm verzehren helfen? Denn sieh, ich habe da mit einem achten Teile mehr als übergenug!“ 5. Sagt Raphael: „Nur her damit, ich werde mit sieben Achteln ganz leicht fertig!“ 6. Roklus, der nur einen hintern Fußkeil zum Verzehren nahm, gab alles andere dem Raphael, und dieser war mit Fleisch und Knochen in einem Augenblicke fertig. 7. Das nun war dem Roklus denn doch ein wenig zu bunt, und er sagte ganz verdutzten Angesichtes: „Nein, du mein sonst allerholdester und allerweisester Junge, das geht bei dir durchaus nicht mit natürlichen Dingen zu! Ich wollte vom Verzehren des Fleisches im Grunde gar nichts sagen; aber daß du über einen Wolf auch mit Knochen, die doch sonst kein Mensch genießt, so schnell fertig warst, – weißt du, das geht bei mir nun schon ins Dunkelblaue über, und du mußt mir jetzt diese Sache schon näher erklären!“ 8. Sagt Raphael: „Nun, so gib mir einen Stein, und du sollst da auch dein Wunder sehen! 9. Roklus hob schnell einen recht tüchtigen Stein vom Boden und gab ihn dem Raphael. 10. Dieser aber sagte: „Sieh nun her, ich werde auch diesen Stein verzehren wie ein allerbestes Stück Brot!“ 11. Hierauf nahm Raphael den Stein, führte ihn zum Munde, und wie der Stein mit dem Munde Raphaels in Berührung kam, verschwand er auch aus dem irdischen Dasein! 12. Als Roklus und seine Gefährten solches sahen, entsetzten sie sich, und Roklus sagte: „Nein, junger Freund, mit dir ist nicht gut Gast sein; denn am Ende könntest du dich auch über deine Mitgäste hermachen! Erlaube du mir die ganz zarte Bemerkung, durch die ich dir nichts anderes kundtun will als das: Willst du auch uns fressen, so tue das lieber geschwinde, auf daß wir auf unsern Untergang nicht lange ängstlich zu harren haben! Nein, ich wollte von den acht Fischen größter Gattung, die Galiläas Meer in sich faßt, nichts sagen, auch von meinen sieben Achteln Lamm samt Knochen nichts, obwohl das schon – erlaube es mir – eine ganz entsetzliche Freßabnormität ist; aber das Verzehren des wenigstens bei zehn Pfund schweren Steines ist ein Etwas, das uns alle mit völlig gerechtem Entsetzen gefangennehmen muß! Wo soll diese Geschichte denn am Ende hinaus? Uns zwar geht das wenig oder gar nichts an; aber, obschon du im Namen aller Götter alle Berge der Erde verschlingen kannst, wir wollen gerade dennoch nicht Zeugen von deiner ungeheuren Gefräßigkeit sein! Verstanden, mein lieber junger Vielfraß?“ Kapitel 81 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 81. — Raphaels Person und Wesen im Unterschiede zum Erdenmenschen 1. Sagt Raphael: „Mein Freund, du mußt also reden, weil du mich nicht kennst; würdest du mich kennen, so würdest du das alles so natürlich finden, als wie natürlich du es findest, daß du nur deinem Hunger nach kaum einen achten Teil des Lammes verzehrt hast! 2. Ich bin wohl auch ein Mensch wie du, und es fehlt mir vorderhand kein Sinn und kein Glied auch dem Leibe nach; aber mein Leib ist ein ganz anderer als der deine; deiner ist noch sterblich, der meine nicht! Du kannst als Seele und Geist deinen Leib nicht ausziehen, wann du willst, ihn auflösen und im Nu verwandeln in dein geistiges Element; ich aber kann und vermag das wohl. Ich bin so ganz eigentlich pur Geist, trotz dieses meines Scheinleibes; du aber bist noch nahezu pur Fleisch und wirst noch sehr zu tun bekommen für dich selbst, bis du dich als eine reife und freie Seele in deinem Fleische zu fühlen anfangen wirst. 3. Hast du etwas gegessen, so braucht es eine Zeit, bis das Gegessene zum Blute und Fleische in deinem Leibe wird, und du weißt es nicht und nimmer, wie solche Verwandlung in dir zugeht. Du kennst deines Leibes organischen Bau nicht dem allerkleinsten Teile nach; mir aber ist jedes Atom meines und auch deines Leibes derart allerhellst bekannt, daß es in der ganzen Welt nichts Helleres geben kann! Denn ich muß mir diesen meinen nunmaligen Leib von Atom zu Atom, von Nerv zu Nerv, von Fiber zu Fiber und von Glied zu Glied selbst bilden und erhalten; du aber weißt es von Anbeginn an nicht, aus was dein Leib besteht, und wer ihn gleich fort und fort bildet und erhält. 4. Dein Leib ist ein gezeugter, geborener und wider dein Erkennen und wider deinen Willen gewachsener, – der meine ein erschaffener nach meinem Erkennen und Wollen! Dein Daseinsbewußtsein ist noch ein Schlaf, und dein Wissen, Erkennen und Wollen ist ein Träumen in deinem Daseinsschlafe; ich aber befinde mich im hellsten und allerwachesten Leben des vollkommensten ewigen Lebenstages. Ich weiß, was ich rede und tue und kenne davon den wahren und tiefsten Grund, – und du weißt nicht einmal wie, durch was und warum allerlei Gedanken in dir entstehen! Und so denn weiß ich auch, warum ich, solange ich unter den Sterblichen wandle, um ein bedeutendes mehr Speisen zu mir nehmen kann und muß als du und alle deine Gefährten zusammen. Ja, ich kann dir den Grund davon jetzt noch gar nicht klarmachen, weil du solchen mit deinen gegenwärtigen Kenntnissen gar nicht fassen würdest; aber es wird später schon eine Zeit kommen, in der du alles das gar gut fassen und begreifen wirst, was ich dir nun nur so hingeworfen habe. 5. Aber daß du mir zumutest, ich möchte wegen meiner zu großen Freßgier mich am Ende gar auch an euch gleich einer Hyäne oder gleich einem Wolfe vergreifen, das ist ein wenig läppisch von dir! Ich meine, daß meine geistige Bildung und meine für euch ersichtliche Weisheit euch doch eines Bessern belehren sollte! Ich kann nicht nur einen Stein also verzehren, wie ihr euch nun überzeugt habt; das Manöver könnte ich auch mit ganzen Bergen und Weltkörpern ausführen, wozu ich eine hinreichende Macht besäße! Allein, wäre ich unweise und würde die Macht haben, die mir eigen ist, dann würde ich handeln nach irgendeiner blinden Leidenschaft, und ihr wäret an meiner Seite dann freilich eures Daseins und Lebens nicht sicher! Aber die urewige Weisheit Gottes, aus der eigentlich mein ganzes Wesen gebildet ist, gebietet mir vor allem die Erhaltung aller durch die Kraft und Allmacht Gottes erschaffenen Dinge, von denen ewig kein Atom verlorengehen darf, auch nicht verlorengehen kann, weil Gottes Wille und Sein allsehend Lichtauge gleichfort den ganzen ewigen und unendlichen Raum vom Größten bis zum Kleinsten klein durchdringt und durchwirkt; und so ist deine Furcht vor meiner von euch vermeinten Freßgier eine völlig eitle! – Hast du, Roklus, diese Worte wohl in ein wenig nur verstanden?“ 6. Sagt Roklus: „Von einem eigentlichen Verstehen kann da keine Rede sein; aber so viel entnehme ich daraus, daß wir an deiner Seite für unsere Existenz gerade nichts zu befürchten haben, und das ist schon sehr viel für uns vorderhand! Aber wohin verschlingst du denn solche Massen? Hast du denn so eine Art Straußenmagen, der meines Wissens etwa auch die härtesten Steine verdaut? Sogar die härtesten Metalle sollen für ihn eine ordentliche Lieblingskost sein! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, – du bist und bleibst einmal ein wundersames Wesen! 7. Die Juden reden von gewissen urgeschaffenen Himmelsboten (Engeln), wir Griechen und Römer haben unsere Genien und die sogenannten Halbgötter; vielleicht bist du so ein verkappter Engel oder zum mindesten so ein Genius oder Halbgott?! Es ist mir für einen Erdenmenschen auch dein ganzes Aussehen zu zart und subtil; denn es könnte keine noch so keusche Vestalin [altrömische Priesterin der Vesta.] bezüglich der körperlichen Zartheit und Schönheit mit dir einen Vergleich aushalten. Du bist mir schon früher sehr aufgefallen, und ich irrte mich nicht, so ich dich geheim gleichfort für eine Art zauberisches Phantom hielt! Es kam mir immer vor, als wärest du einerseits denn doch etwas, anderseits aber doch sonst nichts als nur so ein redendes Lichtbild eines allerhöchsten Gottwesens, das dir nur für eine bestimmte Zeit Form, Bestand und die nötige Weisheit und Macht verleiht. Bist du ihm aber nicht mehr nötig, dann ist es aber auch vollkommen aus mit dir! – So wenigstens habe ich in mir gedacht, gefühlt und empfunden.“ 8. Sagt Raphael: „Bis aufs vollkommene Aussein mit mir bist du der Wahrheit so ziemlich nahe gekommen! Nur mit dem völligen Aussein mit mir hat es einen unendlich starken Haken; denn siehe, dir nicht begreifbar lange früher, als je noch eine Welt im endlosesten Raume zu schweben und zu leuchten begann, war ich schon ein ganz vollendeter Diener des allerhöchsten Geistes Gottes! Das bin ich noch und werde es auch für ewig bleiben, wenn vielleicht etwas verändert nach dem Maße des Herrn, dem nach nun wohl alle noch so vollendeten Geister streben und fortan streben werden. Aber darum werde ich dennoch stets das verbleiben, was ich bin, nur in einem noch vollendeteren Maße, aus welchem Grunde ich mich denn nun auch in diese Vorschule des materiellen Lebens begeben habe durch die Gnade des Herrn. Aber für jetzt bleibe ich noch, wer, wie und was ich bin! – Hast du mich jetzt schon ein wenig besser verstanden? 9. Sagt Roklus, ganz große Augen machend: „Ah so, nun ja, wie ich's mir gedacht habe! Du bist also – wie man sagt – nur ein AD INTERIM (einstweilen) scheinverkörperter Geist, und zwar aus den Himmeln, hier, um dem Herrn der Herrlichkeit zeitweilig zu dienen und in Vollzug zu bringen Seinen Willen?! Ja, so, aha, aha, ja, da ist freilich wohl ein ungeheurer Unterschied zwischen uns, und es läßt sich mit dir so ganz eigentlich kein irdisch Wort mehr reden!“ 10. Fragt Raphael schnell: „Und warum denn nicht?“ 11. Spricht Roklus, nun ein ganz ernstes Gesicht machend: „Ich mute es deiner sicher unbegrenzten Weisheit zu, daß du den Grund auch ohne meine wenig sagende Erklärung noch besser einsehen wirst als ich; aber weil ihr geheimnisvollen Geistwesen von uns armseligen, sterblichen Menschen denn schon stets eine Entäußerung verlanget, so muß ich dir's sagen, – ob du auch ohnehin schon ein jedes Wort zum voraus weißt, das ich aussprechen werde! Und so wolle mich vernehmen: 12. Es gibt auch auf dieser Erde gewisse Verhältnisse und Stände, die nebeneinander sich nie löblich ausnehmen. So ist zum Beispiel ein Maulwurfshügel neben dem hohen Ararat sicher ein sehr lächerlich mißliches Verhältnis, ein Schweinestall neben dem Kaiserpalaste in Rom, ein Fliegenhaus neben einer ägyptischen Pyramide, eine Mücke neben einem Elefanten, ein Tropfen Wassers neben dem großen Weltmeere! Aber diese erwähnten Verhältnisse nehmen sich noch um vieles besser aus als das Verhältnis zwischen uns und dir; auch ein nächtlich schimmerndes Leuchtwürmchen neben der Sonne nähme sich noch offenbar besser und behaglicher aus! Was ist meine Rede vor dir? Ein allerdümmstes Dreschen eines vollkommen leersten Strohes; denn das, was ich dir nun sage, hast du schon vor einer ganzen Ewigkeit von Wort zu Wort gewußt! Aber ich rede hier nicht deinet-, sondern meinet- und meiner Gefährten wegen, auf daß sie es laut erfahren, wie ich in dieser unserer Stellung nun denke! Gleiches taugt zum Gleichen: der gemeine Mensch zum gemeinen Menschen und der Hohe und Mächtige zum Hohen und Mächtigen. 13. Die Waage gibt uns hier das richtigste Maß. Ein Sonnenstäubchen hat sicher auch noch irgendein Gewicht, ansonst es mit der Zeit nicht zur Erde fiele. Aber müßte da nicht sogar ein wirklicher Ochse zum Lachen kommen, so jemand vor seinen Augen ein Sonnenstäubchen gegenüber von zehntausend Pfunden auf die Waage legte, um zu sehen, um wieviel das Stäubchen leichter ist als das große Gewicht von zehntausend Pfunden?! Und also ist es, daß du zu unserer Gesellschaft ebensowenig taugst wie wir zu der deinigen. 14. Du bist nach der Juden Schrift einer der Größten im Himmel, und wir stehen auf dieser Erde noch kaum am Rande des Wiegenlebens, und es geht uns noch ganz entsetzlich viel ab, bis wir nur auf dieser Erde das geistige Mannesalter erreichen werden! Wir bitten dich darum, daß du uns verlassest, weil wir uns nun an deiner Seite zu sehr für nichts ansehen müssen! Du kannst bei uns sicher nichts gewinnen und wir bei dir im Verhältnisse, was du bist und zu leisten imstande bist, auch soviel als nichts!“ Kapitel 82 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 82. — Das Wunderwirken Raphaels 1. Sagt Raphael: „Daß ich in eurer Gesellschaft bin, ist nicht mein, sondern des Herrn Wille, und dem müssen wir ebensogut gehorchen wie ihr und alle erschaffenen Wesen, welcher Art und Gattung sie auch sein mögen. Ein kleiner Unterschied besteht nur darin, daß wir dem Willen des Herrn nicht als Blinde, sondern als Sehende gehorchen, während alle andere Kreatur dem Willen des Herrn ganz blindlings gehorchen muß. 2. Und zwischen mir und euch aber besteht der Unterschied, daß ich als ein ebenfalls mit freiestem Willen begabter Geist den Willen des Herrn ganz wie zu meinem höchst eigenen gemacht habe; ihr aber habt bisher noch kaum erkannt, daß es einen Herrn gibt. Von der Erkenntnis Seines Willens kann nun doch noch keine Rede sein; denn diesen werdet ihr erst aus jener Schrift näher kennenlernen, die ich selbst euch früher nach dem Willen des Herrn zusammengeschrieben und euch übergeben habe. 3. Habt ihr daraus den Willen des Herrn vollends erkannt, ihn in eure Herzen aufgenommen, und werdet ihr dann nur allein nach diesem neuen Willen in euch tätig sein, so wird zwischen euch und mir aber dann auch gar kein Unterschied sein; im Gegenteil, ihr werdet nur noch Größeres zu leisten imstande sein, weil ihr den Weg des Fleisches schon durchgemacht habt, während solcher mir noch einmal durchzumachen bevorsteht, wenn auch ich meine nunmalige pure Gottesdienerschaft mit der Gotteskindschaft umgetauscht haben will. Ich wollte nun lieber schon das sein, was ihr seid; aber es kommt da allein auf den Willen des Herrn an, wie, was und wann Er es will! 4. Ich aber verlange das nicht, obwohl ich es wünsche; denn ich bin auch also für mich im höchsten Grade glücklich und kann nichts als ,Heilig, heilig, heilig!‘ singen Dem, der nun Mensch mit Fleisch geworden ist, um alle Menschen dieser Erde und alle Bewohner der Himmel umzugestalten zu Seinen Kindern, – das heißt, so die Bewohner der Himmel solches wollen und den Herrn darum bitten in ihrem Herzen! Denn auch in den Himmeln schlagen zahllose Herzen Gott dem Herrn voll der heißesten Liebe entgegen und finden auch stets die Gewährung ihrer Bitten. 5. Das aber merke dir vor allem ja höchst wohl: Je mehr des erkannten reingöttlichen Willens du in dein Herz als unablässige Richtschnur deines Lebens – in dein Herz, wohlverstanden – aufgenommen hast, desto wunderbar mächtiger werden die Wirkungen deines Willens aus Gott sein! 6. Das Wissen, Erkennen und das Loben des erkannten göttlichen Willens nützt dir gar nichts; denn es ist das alles ein leerer Beifall alles des großartigen und wunderbaren Geschehens vor deinen Augen. Du erkennst daran das Gute, Schöne und Erhabene und weißt es recht gut, daß es von dem Erkennen und Wollen des Künstlers ausgeht. Setzen wir aber den Fall, du hättest auch die Kenntnisse davon, aber natürlich bei weitem den Willen des Künstlers nicht dazu, – würdest du mittels des Erkennens allein wohl etwas leisten? Oder du hättest zwar wohl so ungefähr des Künstlers Willen, aber seine Einsicht und durch Mühe und Fleiß errungene Fertigkeit nicht, würdest du da auch etwas zu leisten imstande sein? 7. Ich sage dir: Da muß ein wahrstes Erkennen, ein von Gott ausgehender fester Wille und eine große Fertigkeit in der Anwendung desselben vorhanden sein! Sodann kannst du freilich zu einem oder dem andern Berge sagen: ,Hebe dich und stürze dich ins Meer, da es am allertiefsten ist!‘, – und es wird unfehlbar geschehen, was du gewollt hast! 8. Aber mit dem Erkennen und mit dem festen Wollen allein ist nichts oder nur sehr wenig ausgerichtet! Die Fertigkeit in der Anwendung des Willens Gottes im eigenen Herzen erlangt man aber einzig durch die Macht der reinen Liebe zu Gott und dadurch zum Nächsten; denn solche allein rechte Liebe schafft in der Seele den lebendigen Glauben und ein unerschütterlich allerfestestes Vertrauen, ohne das auch der Allergeläutertste nichts oder nur wenig vermag. Kapitel 83 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 83. — Lebensvollendung und Wunderkraft durch Gottes- und Nächstenliebe. Wahre und falsche Propheten 1. (Raphael:) „Ich setze hier den beispielsweisen Fall, du wolltest einem Blinden das Augenlicht wiedergeben durch die Kraft des göttlichen Willens in dir, möchtest aber danebst doch so nur ein wenig am Gelingen zweifeln, so ist das schon überaus gefehlt; denn darauf wird der Blinde nicht zu seinem Augenlichte gelangen. Wenn du dich aber in der Liebe zu Gott allermächtigst erregst, so wird dieses höchste Liebe- und Lebensfeuer nicht nur deine Seele selbst allermächtigst beleben, sondern es wird geistig weit über deine Formsphäre hinausdringen mit einer unwiderstehlichen Allgewalt und wird dort ganz konzentriert wirken, wo dein Gotteswille natürlich mit aller Weisheit und Klugheit etwas ergriffen hat. Wird da dann der Blinde von deinem Gotteswillen ergriffen und sogleich in den Brennpunkt der allmächtigsten Liebe Gottes, deren deine Seele voll ist, gestellt, so muß er ja auch augenblicklich als vollkommen sehend dastehen; denn im höchsten Liebe- und Lebenslichte und -feuer aus Gott muß jeder Tod weichen, auch der eines lichtabgestorbenen Auges, das natürlich ohne Licht so gut tot ist wie der ganze Leib ohne Odem und Pulsschlag. Dadurch ist dann auch die Erweckung eines Verstorbenen augenblicklich ermöglicht; denn wenn der dein Herz erfüllende göttliche Wille und dessen Weisheit einer Wiedererweckung irgendeines Verstorbenen nicht entgegen sind, so brauchst du den Toten nur unter den Brennpunkt deiner Liebe zu Gott dem Herrn zu stellen, und er lebt vollkommen wieder! 2. Das aber braucht für euch Menschen eine starke Mühe und ausharrliche Übung; denn man muß das Herz wohl im höchsten Grade also beugsam machen, auf daß es sich in jedem Augenblicke beliebig ins höchste Vollmaß der Liebe zu Gott stürzen kann. Kann es das, dann ist der Mensch als Mensch auch vollendet, und es muß da geschehen, was es, aus Gott heraus, will! Willst du also ausgerüstet eine Welt erschaffen, so muß sie da sein nach deinem Gotteswillen und nach der Macht der göttlichen Liebe, deren Vollmaß dein Herz in ein höchstes Lebensfeuer und deine Außenlebenssphäre in ein höchstes, weithin leuchtendes und wirkendes Lebenslicht versetzt. Was da dein aus Gott weises Erkennen deinem Willen vorzeichnet, das wird aus der Substanz deines mächtigst ausströmenden Liebelebenslichtes auch gleich in die von dir zuvor durchdachte und wohlerkannte Form sich fügen, und in wenigen Augenblicken hast du dann sogestaltig eine ganze Welt vor dir, die du dann sogar fixieren und erhalten kannst, so du im reinsten Vollbesitze des göttlichen Willens und der göttlichen Liebe bist. 3. Natürlich aber kannst du schon gleich uranfänglich zum Vollbesitze des göttlichen Willens in dir nicht gelangen, so du zuvor nicht Gott in dein Herz durch die reine, wahre, alles andere ausscheidende Liebe in aller Fülle aufgenommen hast; denn ist Gott nicht völlig in dir, so kann Er auch nicht völlig in dir wollen. 4. Gott über alles aus allen Lebenskräften lieben aber ist eben nicht so leicht, wie du es dir vorstellst! Dazu gehört vor allem ein nach den Mosaischen Gesetzen vollkommen reiner Lebenswandel. Wo dieser durch allerlei unordentliche Lebensfehler (Sünden) zerstört wurde, da litten notwendig alle die zum Leben erforderlichen Kräfte, die dadurch vermateriesiert und somit wie völlig totgemacht wurden. 5. Ein auf solche Weise lebensverkrüppelter Mensch kann dann Gott unmöglich aus allen seinen ordentlichen Lebenskräften über alles lieben, weil solche oft schon mehr denn zu zwei Drittel tot sind. Ein solcher Mensch muß dann durch eine oft mehrere Jahre lange allereifrigste Selbstverleugnung aller seiner alten Leidenschaften und Gewohnheiten die erstorbenen Lebenskräfte in sich neu beleben und so erst nach und nach in die höchst möglichste Liebe zu Gott übergehen, was natürlich für einen schon sehr verweltlichten Menschen keine leichte Aufgabe ist! 6. Denn wenn schon ein ganz gesunder Mensch beim Besteigen eines hohen Gebirges sich sehr abmüht und ihm die Sache sehr beschwerlich vorkommen muß, um wieviel mehr einem Gichtbrüchigen, der noch kaum die Fähigkeit besitzt, sich in der Ebene auf Krücken fortzuschleppen! Wenn es aber ein gichtiger Mensch dennoch sehr ernst wollte, einen hohen Berg zu ersteigen, so müßte er sich vor allem nach einem sehr gesunden und starken Führer umsehen, der ihm gehörig unter die Arme greifen könnte; der Gichtbrüchige würde die Besteigung des hohen Berges sicher dann mit vielem Nutzen durchmachen. 7. Er würde zwar dabei in einen starken Schweiß geraten, und das, je höher, desto stärker; aber dadurch würde er seine alten Glieder vom Gichtstoffe befreien und die abgestorbenen Teile wieder beleben und so am Ende die höchste Spitze des Berges, freilich nach einer mehrtägigen, mühevollen Reise, schon völlig gesund erklimmen. Aber welch ein fabelhafter Entschluß für einen Gichtbrüchigen gehörete dazu, sich zum Beispiel nach der höchsten Kuppe des Ararat zu begeben! Dieses aber wäre immer noch leichter als für einen recht verweltlichten Menschen die Besteigung des geistigen Gebirges, das da heißet: vollkommene Demut und gänzliche Selbstverleugnung! 8. Du machst da freilich große Augen und sagst bei dir selbst: ,Na, na, bei diesen Aussichten werden wohl nur die allerwenigsten Menschen die Spitze der wahren Lebensvollendung auf dieser Erde erreichen, und mit den Wunderwerken wird es fortan seine geweisten Wege haben!‘ Ja, ja, da sollst du eben nicht ganz unrecht haben; aber es sind in dieser Zeit höchst lebenstüchtige Führer bei der Hand, mit deren Hilfe es nun keine gar zu übermäßig starke Aufgabe ist, als ein Seelengichtbrüchiger sich auf des geistigen Ararat höchste Lebensspitze, allertüchtigst unterstützt, führen und geleiten zu lassen. 9. Jetzt ist es für jedermann, der nur irgend eines guten Willens ist, ein leichtes, sich in alle Lebensvollendung hineinzuarbeiten; denn es hat dem Herrn wohlgefallen, in dieser Zeit nicht nur gar lebenskräftige Führer aus den Himmeln auf diese Erde zu berufen, um durch sie die Menschen vorbereiten, führen und leiten zu lassen, sondern Er nahm Selbst Fleisch an und kam, euch gichtbrüchige Menschen zu heilen und euch zu zeigen Seinen reinst göttlichen Willen, euch zu lehren, Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben. 10. Von nun an kann es für niemand mehr ein Zweifel sein, zu erkennen den ganz reinen Willen Gottes und auch zu erfahren, wie man Gott über alles zu lieben hat, und wie man zu solcher Liebe sein Herz erheben kann. Jetzt werden die Wege reinst gezeigt, und wer sie wandeln will, kann nun unmöglich irregehen. Aber in den späteren Jahren und Jahrhunderten wird es dann schon wieder schwerer werden, sich mit dem ganz allerreinsten Willen des Herrn zu befreunden; denn es werden neben den rechten Propheten auch viele falsche Propheten aufstehen, werden in eurer bisherigen Weise Wunder tun und dadurch gar vielen ganz falsche Begriffe von Gott und Seinem reinsten Willen sogar mit Zwang beibringen. Da wird dann eine große Trübsal unter den Menschen dieser Erde entstehen, und keiner wird dem andern zu einem verläßlichen Führer dienen können, weil der eine sagen und lehren wird: ,Siehe, hier ist die Wahrheit!‘ und ein anderer: ,Siehe, da oder dort ist sie!‘ Aber alle, die also schreien werden, werden nicht sein in der Wahrheit, sondern im Falschen über und über! 11. Es wird aber der Herr dessenungeachtet noch immer von Zeit zu Zeit Knechte erwecken, die jenen, die eines guten Willens sind, den reinen Willen Gottes zeigen werden also, wie wir ihn nun euch zeigen. Wohl denen, die sich völlig danach richten werden; denn sie werden dadurch eben das erreichen, was ihr nun gar überleicht erreichen könnet! Nur mit der Wundertätigkeit wird es da etwas spärlich aussehen; denn des Herrn Geist wird die Seinen lehren, damit vorsichtig zu sein, um dadurch nicht ein ganzes Heer von pur falschen Propheten gegen sich zu hetzen und dann mit dem Schwerte mit der Hölle kämpfen zu müssen. 12. Die wahren Wahrheitspropheten wird der Herr stets ganz in aller Stille erwecken, und sie werden wie ganz stille Wasser in der Welt nie einen Lärm noch irgendein fühlbares Geräusch machen; die aber irgendein Geräusch und einen Lärm machen werden, in denen wird die Wahrheit und das Wort des Geistes nicht sein. 13. Die von Gott erweckten echten Propheten werden in aller Stille wohl auch sehr wohl imstande sein, Wunder zu wirken; aber es wird davon die Welt nichts merken, sondern allein dann und wann die wahren Freunde Gottes zu ihrem eigenen stillen Troste. 14. Nun geschehen Wunder der verstockten Juden und Heiden wegen, auf daß dann am Ende ja niemand sagen kann, als seien bei der Offenbarung dieser nun ganz neuen Lehre keine Beglaubigungszeichen aus den Himmeln geschehen. In jenen späteren Zeiten aber werden die Menschen mehr nach der vollen Wahrheit fragen und nicht so sehr mehr nach den wunderbaren Beglaubigungszeichen, von denen die Weisen sagen werden, daß sie ihnen nicht das Weiße für schwarz malen können und die Wahrheit auch ohne die Wunderzeichen Wahrheit bleibet. 15. Du mußt nun aus diesem Gesagten entnehmen, daß ich trotz meiner Vielesserei dennoch kein zu fürchtendes Wesen bin, und daß zwischen uns eben kein so großer Unterschied obwaltet, als du ihn dir ehedem vorgestellt hast, sondern daß wir nun schon auf einer so ziemlich gleichen Stufe stehen, ja, daß du als nun schon ein Mensch im Fleische eine sehr bedeutende Stufe vor mir hast! Sage mir nun, ob ich neben dir mich noch also ausnehme wie ein Elefant in der Gesellschaft einer Mücke! Soll ich noch, als dir widrig, euch verlassen, oder soll ich als dreizehnter wohl noch etwa verbleiben als Lehrer unter euch?“ Kapitel 84 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 84. — Die Bedeutung der Gotteskindschaft auf dieser Erde 1. Sagt Roklus, der nun den Raphael wieder ganz außerordentlich liebgewonnen hatte: „Oh, bleiben, bleiben! Denn jetzt kannst du eine Welt vor uns verzehren, unsere Liebe wird darum nicht geringer zu dir und unsere Furcht nicht größer vor dir; denn nun wissen wir, wer du bist, und was wir an dir haben. 2. Aber nun etwas anderes! Zwar weiß ich, daß du es ohnehin wissen wirst, was ich dir nun sagen werde; aber meine Gefährten wissen es nicht, und dererwegen allein trage ich dir die Sache laut vor, auf daß auch sie es erfahren, was ich von dir haben möchte! – Sage es mir, ob es dir denn durchaus nicht tunlich wäre, so auch du ein Mitglied unseres Institutes würdest, auf so lange wenigstens, bis wir zu jener Lebensvollendung gelangeten, die uns jene Stufe gäbe, deren wir zum wahren Heile der Menschheit gar so nötig hätten!“ 3. Sagt Raphael: „Das kann vorderhand nicht sein, dieweil ich nun noch anderwärtige Verpflichtungen dem Herrn und den Menschen gegenüber habe! Aber in irgendeinem Notfalle werde ich stets wie gerufen unter euch sein. Übrigens habt ihr die Verheißung des Herrn, zu wirken in Seinem Namen, – und der allein ist mächtiger als zahllose Myriaden meinesgleichen! An diesen Namen, der da heißet: Jesus = Gottes Kraft, haltet euch, und es müssen Berge weichen vor euch und Stürme und Orkane verstummen, vorausgesetzt, daß euer Lebenswandel ein derartiger ist, daß ihr dieses Namens würdig seid! Denn dies ist Gottes wahrhaftester Name in Seiner Liebe von Ewigkeit, vor dem sich alles beuget im Himmel, auf Erden und unter der Erde! 4. Ich meine hier nicht etwa: unter dem Boden dieser materiellen Erde, die im ganzen eine Kugel wie ein anderer Planet ist, und unter der, also uns gerade entgegen, es geradeso Länder, Berge, Seen und Meere gibt wie hier; auch meine ich nicht das Innere der Erde, das da ist ein großartiger tierisch gearteter Organismus zur Entwicklung des für einen ganzen Weltkörper nötigen Naturlebens; sondern mit dem Ausdruck ,unter der Erde‘ bezeichne ich den lebensmoralischen Zustand aller instinktmäßig Vernünftigen auf den zahllos vielen anderen Weltkörpern, auf denen es auch Menschen gibt; aber sie haben gegen euch Menschen dieser Erde eine nur sehr beschränkte Bestimmung. 5. Sie gehören auch zum ganzen endlos Großen und stellen gleichsam die Glieder einer Kette dar; aber ihr seid die Angeln, die ihr als wahre Kinder Gottes bestimmt seid, mit Gott und mit uns zu tragen die ganze, unendliche Schöpfung Gottes vom Kleinsten bis zum Größten! Und darum ich euch auf oder über dieser Erde gleich nach uns bisherigen Bewohnern der Himmel Gottes setze! 6. So ihr nun auch das ordentlich verstehet, so habt ihr denn auch um so mehr zu achten auf den Namen des Allerhöchsten von Ewigkeit, indem ihr daraus nun gar wohl entnehmen könnet, daß Gott euer Vater und ihr Seine Kinder seid; und wäret ihr das nicht, würde Er wohl zu euch herab aus den Himmeln gekommen sein und euch Selbst erziehen zu Seinen ewig größten Absichten, die Er schon von Ewigkeiten für euch, Seine Kinder, vorgesehen und vorbedacht hat?! 7. Darum aber sollet ihr nun alle frohlocken über alle die Maßen, daß Er als der Vater von Ewigkeit Selbst zu euch gekommen ist, um euch ganz dazu zu machen, wozu Er euch schon von Ewigkeit her berufen und bestimmt hat! 8. So ihr aber unbestreitbar Seine Kinder seid und Er zu euch gekommen ist, ohne von euch Unmündigen berufen worden zu sein, so wird Er von nun an wohl noch eher und sicherer zu euch kommen, wann immer ihr Ihn in der vollen Liebe eurer Herzen rufen werdet und sagen: ,Abba, lieber Vater, komme, wir haben Deiner not!‘ Ihr habt also die Verheißung aber aus dem Munde und Herzen des Vaters Selbst bekommen, und ich brauche darum und also auch keine zweite zu machen. Denn es wird schon diese eine für ewig wahr verbleiben, und ihr könnet daher mich für euer Institut ganz leicht entbehren; denn wo der Herr Selbst wirket, da sind Seine Himmelsboten gar wohl entbehrlich. 9. Übrigens aber, so ihr mich dann und wann so als Freund unter euch haben wollet, so brauchet ihr mich nur zu rufen, und ich werde sofort bei euch sein, wenn ihr in der Liebe und Ordnung des Herrn verbleibet. Würdet ihr aber je aus irgend schmutzigen, irdischen Rücksichten die Ordnung des Vaters verlassen, dann natürlich würde ich auch auf ein tausendmaliges Rufen nicht zu euch kommen, und selbst des Vaters allmächtiger Name würde sich als leer und wirkungslos erweisen. Habt ihr nun noch etwas auf dem Herzen, so traget es vor, und es soll euch Rat geschaffet werden!“ Kapitel 85 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 85. — Die Übergänge im Reiche der Naturgeister 1. In dem Moment, als Raphael dem Roklus die weitere Konzession erteilt, wie danebst auch seinen Gefährten, ihn, so sie noch etwas auf dem Herzen hätten, noch weiterhin zu befragen, erhebt sich plötzlich ein starker Wind von der Seeseite her und versucht seine Kraft besonders an den nahe am Meere stehenden Prachtzelten des noch unter uns weilenden Ouran. Auch vernimmt man das Geschrei einer Menge von Kranichen, die wüst und in großer Verwirrung in der Luft herumfliegen. 2. Die neuen Schiffe im neuen Hafen fangen auch ganz gewaltig zu knarren an; denn der Wind wird beim sonst heitersten Wetter stets heftiger und heftiger, so daß Cyrenius zu Mir sagt: „Herr, der Sturm nimmt von Minute zu Minute zu, und wenn das so fortgeht, so werden wohl auch wir genötigt sein, unsern Standpunkt zu ändern! Die wüst durcheinanderfliegenden Kraniche bedeuten auch nichts Erfreuliches! Die Tiere müssen durch irgend etwas sehr erschreckt worden sein, ansonst sie nicht ihre nächtliche Ruhestätte verlassen hätten! Nein, nein, es wird bald nicht mehr auszuhalten sein! Der Wind wird immer mächtiger und für das Gefühl auch ganz empfindlich kalt! Sollen wir uns etwa doch in die Gemächer des neuen Hauses begeben?“ 3. Sage Ich: „Solange Ich bei euch bin, habt ihr weder einen Wind, noch seine Kühle und auch kein schreiend Getier zu fürchten! In der Luft, wie in der Erde und im Wasser gibt es ja eine Menge von ungegorenen Naturgeistern; diese haben ihre Perioden und Zeiten, sich nach ihrer Art tätig zu erweisen, auf daß sie dadurch in eine neue und höhere Tätigkeitssphäre zu treten imstande sind. 4. Solche naturgeistigen Übergangsperioden sehen dann stets etwas naturstürmisch aus; das ist alles ebenso notwendig zur Erhaltung und Fortpflanzung des Ganzen, wie dir das Atmen zur Erhaltung deines leiblichen Naturlebens im höchsten Grade notwendig ist. Bist du schnell gegangen und hast dadurch deines Fleisches und Blutes Geister in eine größere Erregung gebracht, so vereinen sich dann diese und betreten dadurch schon eine höhere Seinsstufe; aber dafür werden die unteren Tätigkeitsstufen gewisserart arbeiterleer, und würden sie nicht schon im nächsten Moment durch neue Arbeiter besetzt werden, so würdest du alsbald wie ganz ohnmächtig dahinsinken und im schnell fortschreitenden und sich auch sehr schnell vermehrenden Untätigkeitszustande der unteren Naturlebensstufen auch ehest das ganze Leibesleben verlieren. 5. Siehe, durch des Tages Licht und Hitze sind zahllose Myriaden von den aus der Materie erlösten Naturgeistern in der Pflanzen- und in der Tierwelt in eine höhere Seinsstufe übergegangen, und bei sehr hohen Temperaturen des Tages oft mehr, als da aus der groben Materie der unterststufigen Naturgeister frei gemacht werden konnten! Und du wirst es gleich merken, wie dabei alles so träge, so lebensunlustig und die Pflanzenwelt welk und oft ganz dürre wird. Der Grund davon liegt darin, daß da viel mehr der Naturlebensgeister in eine höhere Lebensstufe übergegangen sind, als von unten her ihre Stellen haben in den tätigen Besitz nehmen können. 6. Es geht die Sache ungefähr also wie bei einem Strome, der nichts als eine fließende Wasseransammlung von vielen tausend kleinen Quellen ist. Könntest du also die fünfhunderttausend Quellen des Euphrat versiegen machen, so würdest du sein Bett ganz leer und in kurzer Zeit völlig ausgetrocknet haben. Es treibt da wahrlich ein Keil den andern, und erst im vollendeten Menschen haben alle von unterst aufsteigenden Naturlebensgeister ihre Endbestimmung erreicht, das heißt, was da betrifft des Menschen Seele und Geist; aber das Fleisch ist und bleibt noch lange Materie und zerfällt am Ende in allerlei Lebensformen, die endlich wieder aufsteigen bis dahin, wo ihnen das Ziel gesetzt ist. 7. Wenn du das nun so ein wenig überdenkest und beherzigest, so wird dich dieser nun so ziemlich heftig ziehende Wind durchaus nicht wundernehmen, und auch das Geschrei der Kraniche nicht, die als Vögel auf einer höheren Intelligenzstufe stehen und am ersten wahrnehmen, wenn von unten her zu wenig der prinzipiellen Naturlebensgeister in sie aufsteigen. 8. Des Tages sehr bedeutende Hitze hat gar viele Naturlebensgeister nach höher hinauf befördert, und es ist von unten her im allgemeinen ein bedeutender und fühlbarer Mangel eingetreten, und zwar gerade in dieser Gegend der Erde; dafür ist aber im Nordosten der Erde eben durch den heutigen und auch schon gestrigen und vorgestrigen Tag ein wahres Superplus der Naturgeister von ganz allerunterst her frei geworden aus der Materie. Am Entstehungs- und Freiwerdungsorte haben sie keine Unterkunft zu gewärtigen und ziehen oder ergießen sich hernach in jene Gegenden, die an ihnen einen bedeutenden Mangel verspüren. Die Wandervögel, und namentlich die Kraniche, besitzen in dieser Beziehung ein außerordentlich gefühlvolles und äußerst empfindsames Leben, nehmen am ersten unter allen Tieren sowohl die Überfülle wie auch den Mangel an benannten untersten Naturgeistern wahr, werden unruhig, fliegen auf, und ein jedes sucht in der Luft Schichten, in denen es ein Plus des Abgängigen findet, das es sich dann durch ein fleißiges Einatmen aneignet und durchs Geschrei kundgibt, daß es das Mangelnde gefunden; dies Geschrei der Kraniche ist demnach sowohl ein Zeichen des Behagens, aber freilich auch des Mißbehagens. 9. Dieser Wind zieht nun gerade von Nordosten her und ist durch und durch vollauf gesättigt von jenen hierorts schon sehr in Abgang gekommenen ersten und untersten Naturgeistern, die die Apotheker den Sauer- oder Salzstoff nennen. Seine Kühle ist darum vorderhand niemandem schädlich, weil sie nur belebend wirkt und unsere schon sehr schlaff gewordenen Glieder stärkt und gar lieblich erfrischt. Dieser Wind aber dauert bei einer Stunde lang und wird sich sodann legen, und ihr alle werdet heiter und munter sein, und der Wein und das Brot wird euch schmecken.“ Kapitel 86 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 86. — Vom Wesen des Diamanten und des Rubin (Thummim und Urim) 1. Cyrenius war mit dieser Erklärung vollkommen zufrieden und fragte Mich nun bezüglich der Neger, die ihm seit einer Stunde aus dem Gesichte gekommen waren, und die er auch nicht an irgendeinem Tische hatte nachtmahlen sehen. 2. Sagte Ich: „Diese sind, mit allem Nötigen versehen, schon vor mehr denn einer Stunde von hier abgereist und werden nun schon gute drei Stunden Weges von hier entfernt sein! Ich ließ solches der Essäer wegen geschehen, weil diese vor allen gar so wundertatsüchtig sind und sich gleich welche in ihr Institut bestellt hätten, wodurch das Gute, was Ich mit diesem Institute vorhabe, bedeutend hätte vereitelt werden können. An die Stelle eines oder des andern Negers, mit dem wenigstens der sehr weltläufige Roklus bald angebunden haben würde, habe Ich den Raphael hingestellt, der den Scharfverständigen sicher zu beschäftigen verstand und ihn noch gleichfort beschäftiget zu seinem Besten und zum Besten des bekannten Instituts und zum Besten der leidenden Menschheit.“ 3. Sagt Cyrenius: „Ach, ist mir doch recht leid um Oubratouvishar; denn das war wirklich ein Ausbund von einer menschlichen Naturweisheit! Ich möchte nur dabei sein und sehen den Justus Platonicus, wenn der Oubratouvishar in Memphis zu ihm kommen und ihm sicher genau kundgeben wird, was alles er hier erlebt hat!“ 4. Sage Ich: „Na, da würdest du alles das, was hier in den etlichen Stunden des Hierseins der Neger sich zugetragen hat, und was da gesprochen wurde, auf ein Haar richtig und genau wiedererzählen hören! Denn diese Art Menschen haben fürs erste ein sehr starkes Gedächtnis, und fürs zweite – was eine große Hauptsache ist – kennen sie die Lüge nicht und haben keinen Hinterhalt; daher werden sie dem Obersten von Memphis auch nichts verhehlen. Im übrigen hast du immerhin ein schönstes und kostbarstes Angedenken von ihnen, nämlich den großen Diamanten, der einen unschätzbaren Wert hat für diese Welt. 5. Aber da Ich schon des Steines erwähnt habe, so muß Ich dir auch etwas von der besonderen Eigenschaft dieses Steines kundgeben. Weil der Stein eine überaus spiegelglatte Oberfläche hat, so entwickelt sich auf seiner Oberfläche auch gleichfort eine Art elektromagnetisches Feuer, oder für dich nun verständlicher gesagt: es spielen um seine überglatten Flächen gleichfort eine Menge Naturgeister der edelsten Art. Sie drängen sich haufenweise hin und umlagern ihn nach allen Seiten und erzeugen durch ihre beständige Tätigkeit auch ein gewisses, besonderes Leuchten seiner Flächen, was diesem Steine denn auch in den Augen der Menschen einen besonderen Wert verleiht. 6. Einen nahezu gleichen Wert hat aber auch der Urim (Rubin), der auch eine Abart des Diamanten ist; nur ist der Diamant ein schwer trennbares, trugloses Bündel von einer Äone Weisheitsnaturgeistern, daher auch seine überaus große Härte, – während der Urim ein Bündel von Naturliebegeistern ist, daher er auch rot ist, etwas weniger Härte hat und um seine Flächen, besonders wenn er sehr gut und sehr fein geglättet ist, sich stets eine große Menge von Naturliebegeistern scharen, was denn auch diesem Steine einen ganz besonderen Lichtglanz verschafft, der nicht selten sogar in einer stockfinsteren Nacht noch, einer matten Glut gleich, sogar dem fleischlichen Auge ersichtlich ist. 7. Wenn du nun die erwähnten zwei Steingattungen an die Brust hängst, so setzest du dadurch eine Menge Naturliebe- und Naturweisheitsgeister mechanisch in die nächste Verbindung mit deiner seelischen Außenlebenssphäre; diese Geister werden da von deinem seelischen Lebensdufte angeregt, werden sehr tätig und erzeugen dadurch in deiner Seele ein größeres Licht, in welchem Lichte der Naturgeister Spezialintelligenzen denn auch in der Seele einen spiegelartigen Reflex erzeugen, wodurch die Seele momentan in ein höheres und tieferes Wissen übergehen muß und auf diese Art hellersehend wird denn sonst in ihrem diesirdischen Normalzustande. 8. Aus dem Grunde hat denn auch schon Moses durch seinen Bruder Aaron dem Oberpriester die Thummim- und Urim-Tafeln auf der Brust zu tragen anbefohlen, und zwar zur Zeit seiner Amtshaltung, allwann er dann auch zu weissagen imstande war. 9. Aber von nun an wird anstatt der erwähnten Tafeln die wahre Liebe zu Gott und ihre Weisheit dasselbe bewirken, und das in einem viel höheren und lebendigeren Maße; aber ungeachtet alles dessen habe Ich dir bloß nur die besondere Eigenschaft dieser erwähnten beiden Edelsteingattungen deines Wissens wegen kundgegeben.“ Kapitel 87 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 87. — Vom Gold- und Edelsteinschmuck der Herrscher 1. (Der Herr:) „Es könnte eine solche Eigenschaft und Wirkung auch bei anderen Körpern erzielt werden, so sie zu einer außerordentlichen Glätte könnten gebracht werden; da aber solches bei den andern Körpern wegen ihrer zu geringen Härte nicht wohl tunlich ist, so können dafür nur der Thummim und Urim verwendet werden. Die alten Ägypter wußten gar wohl darum und verwendeten diese beiden Steingattungen auch zu dem Zwecke. Es trugen darum die alten Weisen und Pharaonen stets solche Steine auf ihrer Brust und in einem Goldreif auch auf ihrem Haupte. 2. Wer demnach zu jenen Zeiten solche Steine trug, wurde vom Volke stets als ein Patriarch und als ein Weiser gehalten. Es hatte sonach damals ein königlicher Schmuck einen echten und wahren Grund. In dieser Zeit ist er aber nichts Weiteres als ein eitles Aushängeschild des irdischen Reichtums, des Hochmutes, so auch der Prachtliebe, der Selbstsucht und der über alles verdammlichen Herrschsucht. Wohl sind noch die Kaiser, die Könige und Fürsten und Heerführer mit diesen alten Weisheitsinsignien geschmückt; aber wo ist der alte, wahre Grund?! – Darum ist das, was dereinst bei den Alten eine Haupttugend war, nun zu einem Hauptlaster geworden! 3. So war in den alten Zeiten auch das Herrschen eine Haupttugend; denn fürs erste waren in einem Lande eben nie zuviel wahrhaft weise und erfahrungsreiche Menschen vorhanden, und es hatte der, dem man die Last der gesamten Volksleitung übertrug, stets einen sauren Standpunkt und mußte stets der Lehrer und Ratgeber von Tausenden sein! 4. Niemand riß sich um solch eine Stellung. Das Volk, von der Notwendigkeit eines weisen Leiters überzeugt, erbaute ihm die herrlichste Wohnung und schmückte die Gemächer mit allerlei Edelsteinen, mit Gold, Perlen und kostbaren Muscheln, und versah den Leiter mit allem, was er zum angenehmen Leben nur immer vonnöten hatte, und jedes Wort war dem Volke ein Gesetz. Darauf gründet sich noch heutigentags das große Ansehen der Herrscher, – doch mit dem großen Unterschied: 5. Damals brauchte der Herrscher keine Waffen; sein Wort war schon alles in allem. Was er riet, und was er haben wollte, ward mit vereinten Kräften ins Werk gesetzt, und alles mit großer Liebe und Freude. Wer irgendeinen Schatz fand oder sonst etwas besonders Kunstvolles erzeugte, das brachte er dem Leiter des Volkes. Denn es war bei den Alten die weise Sitte, also zu urteilen: ,Was irgend dienlich ist, des Leiters Weisheit zu erhöhen, muß ihm gegeben werden; denn des Leiters Weisheit ist der Völker Ordnung und Glück!‘ 6. Aber nun ist das alles zu Grabe gegangen, und an die Stelle der alten Tugend ist nun eine wahre Sünde der Sünden der Menschheit gekommen. Wo sind die Patriarchen? O Babel, du große Welthure, du hast verpestet die Erde! Aber darum bin Ich nun gekommen, um die Menschen vom alten Erbübel zu erlösen, zu legen einen Fluch auf alle die Kostbarkeiten der Erde und zu segnen die Herzen, die eines guten Willens sind. 7. Von nun an wird sein Mein Wort ein erster Edelstein dem Menschen und wahres und reinstes Gold Meine Lehre und ein wahrer, lebendiger Palast und ein Tempel ein jedes Menschenherz, das da erfüllt sein wird mit der reinen Liebe zu Gott, und aus dieser heraus zum Nächsten, und der wird sein ein wahrer König in Meinem Reiche, dessen Herz am liebeerfülltesten sein wird! 8. Darum: Kein klingend Metall und kein geglätteter Diamant wird euch mehr dienen als Krone des Lebens, sondern Mein Wort und ein Handeln nach dem Worte! Denn von nun an soll keine Materie für eure Herzen mehr einen Wert haben, sondern allein Mein Wort und die freie, selbstwillige Handlung nach Meinem Worte. 9. Wohl sollen die Kaiser und Könige sich nebst dem schmücken mit dem alten Schmucke; aber wollen sie weise und mächtig sein, so müssen sie dennoch keinen Wert darauf legen, sondern allein auf Mein Wort! Die das nicht tun werden, die werden auch bald von vielen Feinden umlagert sein! 10. Wer aber schon einen Wert legt auf die Edelsteine und aufs Gold, der lege ihn auf die besonderen, in ihrer Natur begründeten Eigenschaften, die eine wahre Realität sind, nie aber auf den eingebildeten Wert, der eine Lüge ist! 11. Wenn ein Fürst sein Wohngemach mit blankem und wohlgeglättetem Golde durch und durch darum austäfeln ließe, um im selben durch die Einwirkung der reineren Naturgeister, die am Golde, das dem Lichte entstammt, und namentlich an seiner hellen Glanzfläche sich stets in größter Anzahl ansammeln, in einen prophetisch hellsehenden Zustand zu geraten, in dem er so manches in seinem schweren Völkerleitungsgeschäfte ersehen könnte, was ihm sonst kein noch so feiner Spion hinterbringen kann, so täte er wohl daran; denn das reine Gold hat solche Einwirkung als ganz entschieden gewiß, und es liegt der Wert dieses Metalles auch einzig und allein nur darin. 12. Aber freilich müßte dann solch eine Einrichtung auf eine reine und einsichtige Erkenntnis, nie aber aufs bloße Hörensagen, also völlig abergläubisch, gegründet sein; denn darum hat der Mensch den Verstand bekommen von Gott aus, daß er alles zuvor prüfen soll und wohl erkennen den wahren Grund, und dann erst behalten das Gute und Zweckdienliche in stets fürs Einzelne wie fürs Allgemeine bester Absicht. Wer das tut, der handelt in Meiner Ordnung recht und wird in keinem seiner Handlungszweige auf irgendwelche Abwege geraten. 13. Aber so jemand, bloß aufs Hörensagen und auf den blinden Glauben, der ein eigentlicher Aberglaube ist, gestützt, eine solche Einrichtung trifft und würde davon auch einige Wirkungen verspüren, weiß aber nicht, woher sie rühren, welchen Wirkungskreis sie naturgemäß haben, bis wieweit sich dieser erstreckt und er notwendig seine Grenzen hat, – so wird ein solcher Mensch, der vermöge seiner ersten Grundlebensbildung auch gar leicht die Empfänglichkeit für derlei subtile Einwirkungen besitzt, leicht seine törichten, materiellen Phantasien und Einbildungen aller Art und Gattung als Wirkungen naturgeistiger Eindrücke ansehen und dadurch sich zu einem gräßlich falschen Propheten erheben und ganz viel Arges anrichten, besonders so er gar als ein machthabender Fürst die Gewaltmittel in seinen Händen hat; und da sind dann auch tausend der finstersten Abwege möglich.“ Kapitel 88 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 88. — Glaube und Verstand 1. (Der Herr:) „Darum soll ein rechter Jünger Meiner Lehre niemals etwas leichtfertig ohne eine vorangegangene genaue Prüfung annehmen. Erst wenn er von allem, was darin vorkommt, sich eine gründliche Einsicht und Überzeugung verschafft hat, soll er dann das Gute und Wahre als lebenswahr annehmen und darauf klug und weise danach handeln; und er wird dadurch ganz sicher zu jenen Resultaten gelangen, die man mit allem Fug und Recht als aus den Himmeln herab gesegnet anpreisen kann. 2. Ich bin doch der Herr und der Meister von Ewigkeit, und ihr erkennet Mich als solchen nun vollkommen. Ich könnte zu euch nun sagen dies und jenes, krumm oder gerade, weiß oder schwarz, und ihr würdet es Mir glauben, da ihr nun lebensinnerlichst überzeugt seid, wer Ich bin. Da wäre sonach ein sogenannter Autoritätsglaube sicher am rechten Platze!? Aber wer von euch kann sagen, daß Ich solchen von jemandem verlange oder je verlangt habe?! Ja, Ich verlange Glauben, aber keinen blinden und keinen toten, sondern einen vollauf lebendigen! Ich lehre euch Wahrheiten, von denen der Welt nie etwas in den Sinn gekommen ist; aber Ich sage dabei nicht: ,Glaubst du das?‘, sondern: ,Hast du das wohl verstanden?‘ Und so du sagst: ,Herr, dies und jenes ist mir dabei noch unklar!‘, da erkläre Ich dir die Sache durch alle Mir zu Gebote stehenden Mittel so lange, bis du es vom tiefsten Grunde aus völlig begriffen hast, und gehe dann erst wieder um einen Schritt weiter. 3. Ich könnte jedem wohl gleich anfänglich eine solche Erklärung geben, daß er eine von Mir neu vorgetragene Lehre alsogleich vollauf begreifen müßte; aber Ich kenne auch, was und wieviel er auf einmal zu ertragen fähig ist, und gebe auf einmal nur so viel, als es jemand von euch zu ertragen imstande ist, und lasse dem Samen Zeit, zu keimen und Wurzeln zu fassen, und binde Mich Selbst darauf, nicht eher etwas Neues zu bringen, als bis das eine auf den Grund begriffen worden ist. Ich lasse euch Zeit zur Prüfung des Vorgetragenen und Gezeigten! 4. Ich Selbst sage zu euch: ,Prüfet alles und behaltet das Gute und somit auch Wahre!‘ Tue Ich Selbst aber das, um wieviel mehr ihr, die ihr der Menschen Gedanken nimmer zu durchschauen vermöget gleich Mir! 5. Verlanget ja von niemandem einen blinden Glauben, sondern zeiget jedem den Grund! Und sollte er nicht fähig sein, solchen zu erfassen mit seinem Verstande, so lasset es euch der Mühe nicht gereuen, ihn von Stufe zu Stufe hineinzuleiten mit aller Liebe und Geduld, bis er fähig wird, eure gute Lehre vom Grunde aus zu begreifen; denn mit einem finstern Verstande soll niemand euer Jünger sein in Meinem Namen! Denn Ich gebe euch ein helles Licht und Leben, und ihr sollet darum keine Apostel der Finsternis und des Todes sein! 6. Wer da sucht, der soll es finden; wer da bittet und fragt, dem werde eine rechte Antwort gegeben, und wer da pocht an die verschlossene Pforte, dem werde sie völlig aufgetan! 7. Es gibt nichts Undienlicheres als eine halbe Antwort auf eine gestellte Frage; da ist gar keine Antwort geben besser um vieles! Und es gibt nichts Unpraktischeres als eine halbe Erklärung über eine Sache, von deren genauer Erkenntnis oft eine große Lebenswichtigkeit abhängt. 8. Daher soll derjenige, der ein Lehrer sein will, dasjenige überaus gründlich erkennen in allen Wurzel- und Urkeimstiefen, was er seinen Bruder lehren möchte, da ansonst ein Blinder den andern führt, und kommen sie an einen Graben, so fallen dann beide, Führer und Führling, hinein.“ Kapitel 89 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 89. — Die Gefahren des Goldes 1. (Der Herr:) „Du kennst nun den wahren Wert des Goldes und der Edelsteine; gebrauche sie auch in der Art und Weise, wie Ich sie dir nun angezeigt habe, so wirst du ganz in Meiner Ordnung stehen wie ein Patriarch der Urzeit! 2. Auch die Patriarchen der Urzeit kannten das Gold und gebrauchten es echt und gerecht; die aber anfingen, es nach dem eingebildeten Werte zu gebrauchen, die kamen auch ehest in ein großes Unglück. Denn aus dem eingebildeten Werte des Goldes, der Perlen und der Edelsteine erstanden erst die Diebe und die Straßenräuber, und ein König ward des andern Feind, sobald er in Erfahrung gebracht hatte, daß sein Nachbar etwa gar zuviel des gelben Metalles aufgehäuft hatte. 3. Also nur die Narrheit der Menschen erzeugt gegenseitige Verfolgungen! Aus ihr entstehen am Ende alle erdenklichen Laster, als da sind: Neid, Geiz, Habsucht, Stolz, Hochmut, Herrschgier, Fraß, Völlerei, Unzucht und allerlei Hurerei, – und am Ende Totschlag, Mord und alle Grausamkeiten, die sich die Menschen gegenseitig bereiten. Und was schuldet hauptsächlich daran? Zuallermeist die gänzliche Verkennung des Goldes und der vielen Edelsteine und Perlen! Die Menschen haben sich nach dem Maße des Goldbesitzes voneinander zu unterscheiden angefangen! Der Stärkere brachte viel zusammen, und der Schwächere ging leer aus. Der nun am Golde Reiche hatte einesteils wohl bald eine bedeutende Anzahl interessierter Freunde, und der Arme wurde alsbald zum wenigsten ein halber Dieb, dem man nicht trauen darf, angesehen und daher verachtet! Was Wunder, so er bei solch einem Fingerzeig ehestens ein wirklicher Dieb ward?! 4. Ich aber will diese ärgerliche Sache nun nicht weiter verfolgen, da du, Mein Freund Cyrenius, dir alles Weitere von selbst ganz und gar leicht denken kannst! Aber das setze Ich noch hinzu: Wollt ihr mit der Zeit frei sein von allerlei Feinden, Dieben, Räubern und Mördern, so schätzet das Gold und alle die Edelsteine nach ihrem eigenschaftlichen Werte, und ihr werdet dadurch die Anzahl eurer Feinde um ein sehr bedeutendes vermindern; denn durch eure Weisheit werden dann viele selbst weise werden und Gottes Ordnung in allen Dingen erkennen! Und werden sie das, so werden sie auch edle und liebe Menschen werden, vor denen ihr euch nicht zu fürchten haben werdet. 5. Aber wenn ihr, oder zum mindesten eure Nachkommen, dem Golde, dem Silber und den Edelsteinen wieder den eingebildeten Wert werdet beizulegen anfangen, so werdet ihr wieder in die alten Feindschaftsverhältnisse treten, in denen ihr euch jetzt befindet. Ich sage es dir: Unter gewissen, wahren Verhältnissen ist alles gut auf der Erde und bringet Segen durch den wahren Gebrauch für Leib, Seele und Geist, und es ist dem Reinen alles rein, und für den, der selbst ein Licht geworden ist, kann es keine Nacht mehr geben; aber durch einen dummen, verkehrten und also ordnungswidrigen Gebrauch muß am Ende selbst das Beste schlecht werden und statt Segen und Heil – Fluch und Unheil bringen! 6. Du weißt, daß das Wasser die mannigfachsten und allerbesten Eigenschaften besitzt und zum physischen Leben der Menschen, Tiere und Pflanzen das allerunentbehrlichste Element ist; aber so der Mensch sich eine Wohnung wollte errichten in der Tiefe des Meeres, um darin zu hausen mit den Fischen, so wird er in solcher Wohnung schnell den Tod seines Leibes finden. – Also ist das Feuer gleich dem Wasser ein notwendigstes Element zum Leben; wer sich aber in ein Feuer stürzete in der Meinung, darin eine noch größere Masse des Lebens sich anzueignen, der wird bald als Asche keinen Funken Naturlebens mehr besitzen! 7. Und so geht es mit allen Dingen durch die Bank hindurch! Ja, selbst die giftigsten Pflanzen und Tiere haben ihren großen Segen für diese Erde; denn sie saugen den bösen Giftstoff aus der Luft an sich; ihre Natur ist also eingerichtet, daß ihnen das Gift, das in den ganz ungegorenen Naturlebensgeistern besteht, keinen Naturlebensschaden bringen kann.“ Kapitel 90 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 90. — Die Hauptaufgabe des Menschen: ein vollkommenes Ebenbild Gottes zu werden 1. (Der Herr:) „Lasset darum diese Dinge in ihren für die Erde nützenden Bezirken unangefochten; trachtet vor allem, vollkommene Menschen zu werden, – ja, werdet so vollkommen, wie da euer Vater vollkommen ist, so wird euch alles Gift der Pflanzen und der Tiere nichts anhaben können! 2. Werdet, wozu ihr berufen seid, doch einmal wieder das, was die Erzväter waren, denen alle Kreatur gehorchte; werdet durch die Beachtung Meiner Lehre Herren der Schöpfungen eures Vaters in Seiner Ordnung, in welcher Hinsicht euch die Neger einen kleinen Beweis lieferten, und es wird bei so bewandten Umständen keine Feindschaft mehr bestehen, weder unter euch noch zwischen euch und den euch untergeordneten Kreaturen! Aber so ihr aus solcher Ordnung tretet, so werdet ihr euch den alten Fluch und Unfrieden wieder müssen gefallen lassen. 3. In dieser Zeit wird zwar Mein Reich auf dieser Erde viel Gewalt bedürfen, und die es sich nicht mit Gewalt aneignen, werden es nicht in ihren Besitz bekommen. Später wird es jedoch leichter gehen; aber ohne einen gewissen Kampf, wenigstens mit sich selbst, wird sich Mein Reich schon auf dieser Erde nicht gewinnen lassen. Denn so schon das diesirdische Leben nur ein Kampf ist, um wieviel mehr das wahre, geistige Leben aus dem Jenseits, besonders wenn es als ein erwünschter Bürger schon in dieser Welt sich äußern soll. Aber der Kampf wird dennoch für jeden, der Gott wahrhaft liebt, durchwegs ein leichter sein! Denn dies sei einem jeden Meiner wahren Freunde gesagt, daß Mein Joch sanft und Meine Bürde leicht ist! 4. Daß du und ihr alle das alles ganz wohl werdet verstanden haben, das sehe Ich und sage zu euch darum denn nun auch, daß ihr bereits mit allem wohl versehen seid, was ihr zur Weiterverbreitung Meines Wortes und Meines Willens benötiget. Nach der Weissagung des Propheten Jesajas ist hier nun alles erfüllet worden in den etlichen Tagen, und so wäre nun hier ein Tagewerk vollendet. 5. Wer dies alles erkennt und es treu beachtet, der wird unfehlbar des Lebens Vollendung erreichen und wird den Tod nimmer fühlen, noch irgend auf was immer für eine Art wahrnehmen; denn wer schon im Leibe sich das ewige Leben des Geistes erweckt hat, der wird im Abfalle des Fleisches nichts als eine ihn über alles beseligende Befreiung im höchst klaren Bewußtsein seines vollkommensten Seins vollwahr und allerrichtigst wahrnehmen, und sein Sehkreis wird erweitert werden ins Unendliche hin. 6. Aber den Unvollendeten wird es im Scheidungsmomente wohl etwas anders ergehen! Sie werden fürs erste in ihrem Fleische große Schmerzen zu ertragen bekommen, die sich natürlich zumeist bis zu jenem Momente steigern, den man den Trennungsmoment nennt. Nebst diesen unvermeidlichen Schmerzen des Fleisches aber werden auch in der Seele Furcht, Angst und am Ende sogar eine Art Verzweiflung sich kundgeben und die Seele noch mehr peinigen denn die noch so brennenden Schmerzen des Fleisches. Und wird die Seele frei von ihrem Fleische, so wird sie jenseits nicht selten viele Jahre nach der Zeitrechnung dieser Welt zu tun haben, um nur zu einem einigermaßen menschlichen Bewußtsein zu gelangen; von einer völligen Vergeistigung aber wird vielleicht in Äonen von dieser Erde Jahren keine Rede sein. 7. Daher werdet ihr an euren Brüdern Groß-Gutes tun, so ihr euch mit ihnen auch dieselbe Mühe und Geduld nehmet, die Ich Mir Selbst nun mit euch genommen habe. 8. Wohl euch und euren Brüdern, so auch ihr am Ende der Mühe werdet zum Bruder sagen können: ,Bruder, ich habe an dir mein Tagewerk vollendet, handle nun danach, und vollende dich selbst nach der dir gezeigten Ordnung Gottes, des Herrn alles Lebens und Seins von Ewigkeit!‘“ Kapitel 91 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 91. — Alles hat seine Zeit 1. (Der Herr:) „Ich habe aber bei euch einen vollen Tag über Meine Zeit zu eurem Heile hinzugegeben, und dazu bestimmte Mich Meine große Liebe zu euch. 2. Seid und bleibet aber dessen wohl eingedenk und tut desgleichen, so ein Bruder zu euch sagen wird: ,Erleuchteter Bote des Herrn, bleibe noch bei mir; denn mein Herz findet einen mächtigen Trost und eine große, beseligende Stärkung an deiner Gegenwart!‘ Da verweilet auch, und wäre es auch um vieles über die euch vom Geiste vorgezeichnete Zeit! Denn wahrlich sage Ich euch: Ein solches freiwilliges Werk der Nächstenliebe wird von Mir hoch angerechnet werden! 3. Es versteht sich von selbst, daß man das einem Freunde nur ein-, zwei-, dreimal tun kann; bittet er aber dann noch wieder um ein längeres Verweilen, so vertröste man ihn mit der Versicherung des baldigen Wiedersehens und eifere ihn an zur unverdrossensten Tätigkeit nach dieser Meiner euch allen nun gegebenen Lehre, segne ihn dann in Meinem Namen und ziehe des Weges weiter nach der Berufung des Geistes, der nun in euch aus Mir als ein lebendiges Wort wohnet und euch selbst führt und leitet zum ewigen Leben hin!“ 4. Sagt Cyrenius: „Herr, wie ist es denn nun? Du sagtest in der gestrigen Nacht, daß Du nach diesem Tage von hier abreisen werdest! Ist das schon ganz als unabänderlich bestimmt anzunehmen? Wäre es denn nicht tunlich, so Du, o Herr, denn noch einen Tag uns schenken möchtest?“ 5. Sage Ich: „Salomo, der Weise, sagte dereinst: ,Es hat alles seine Zeit!‘, und so habe auch Ich Meine gute und sehr genau eingeteilte Zeit und werde darum diesmal deinem Verlangen nicht nachkommen können; denn sieh, im großen Lande der Juden gibt es gar viele Städte, Flecken und Dörfer, die allenthalben von Menschen bewohnt werden! Die allermeisten wissen noch nichts von Mir, sind auch Meine Kindlein und harren schon vielfach auf die Ankunft des Vaters aus den Himmeln und werden auch eine gar übergroße Freude haben, wenn Er von ihnen, so wie nun von euch, erkannt wird. Aber ganz durchfallen sollst du, Mein innigster Freund, mit deinem Verlangen auch durchaus nicht! Und weil ihr Mich denn schon gar so liebhabt, so will Ich noch diese ganze Nacht und des morgigen Tages drei Stunden unter euch verweilen, da es auch Mir unter euch gar wonniglich ums Herz ist; aber über die drei Stunden hinaus geht es dann wohl um keinen Augenblick Zeit mehr! Denn wie gesagt: Es hat auf dieser Welt alles seine Zeit und seine Ordnung!“ 6. Sagt Cyrenius: „Aber Du bist ja auch ein Herr der Zeit und kannst sie sogar aufhalten oder gar vernichten!“ 7. Sage Ich: „Da hast du recht und richtig gesprochen! Aber es ist dabei nur das zu bemerken, daß Ich eben darum, weil Ich ein Herr der Zeit bin und die Zeit aus Mir verteilet und bestimmet habe und in einer gewissen Hinsicht die Zeit eigentlich Selbst bin, weil diese nichts anderes ist als Meine höchst eigene, unwandelbare Ordnung, wider die zu handeln Mir Selbst nahezu rein unmöglich ist; denn so Ich Mich Selbst gegen Meine Ordnung vergriffe, da würdest du bald sehr wenig von allen jenen Kreaturen erblicken, deren Dasein in Meiner ewig unwandelbaren Ordnung bedingt ist. 8. Nimm nur einen Augenblick die Bedingung hinweg, so geht im selben Augenblicke auch das Bedungene unter! Oder stelle dir vor eine feste Burg auf einem Felsen festesten Gesteins! Du sagst, diese Burg sei wie für eine Ewigkeit erbaut. So Ich es aber zulassen würde, daß der mächtige Fels zu Butter erweicht würde, würde sich auch dann die feste Burg behaupten?! Oder du führest auf einem guten und festen Schiffe übers Meer; würde dein Schiff und sogar der beste Wind dir etwas nützen, so Ich das Wasser versiegen ließe bis auf den Grund?! Daß Mir solches wohl möglich wäre, wirst du nicht bezweifeln! Und es ist sonach ausgemacht, daß mit der Bedingung auch das durch sie Bedungene in den Bach fällt. 9. Ich regle die Zeit überall und bin das ewige Gericht in ihr; aber in der heiligen Sphäre der Liebe gibt es eigentlich keine Zeit mehr, und Ich kann der Liebe allein schon noch immerhin etwas hinzugeben. Aber es bleibt bei dem genau, was Ich nun gesagt habe! Aber nun bringe Markus uns mehr Weines, auf daß wir der Nacht Kühle leichter ertragen; denn wir bleiben auch diese Nacht im Freien!“ Kapitel 92 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 92. — Der Pharisäer Anstoß und Arger über das fröhliche Mahl des Herrn 1. Markus hatte von Meinem Verlangen nach Wein nur so in der Ferne etwas halbwegs vernommen, so eilte er schon, einem echten Wirte gleich, in den Keller und brachte mit seinen beiden Söhnen gleich mehrere Krüge voll des allerbesten Rebensaftes. Unsere Becher wurden bis an den Rand gefüllt; alle tranken auf das Wohl des Gedeihens der neuen Lehre aus den Himmeln und konnten die Güte des Weines nicht genug loben, rühmen und preisen. 2. Daß Roklus und seine Gefährten, die gleichsam an unserem Tische saßen – wenn auch am neu hinzugefügten, querüberstehenden Teile –, auch mit demselben Weine versorgt wurden, so wie nach und nach auch alle andern Gäste, versteht sich von selbst; wir alle griffen recht wacker nach den Bechern, und das gute Brot ward dabei auch nicht geschont. 3. Es bemerkte aber solches der Pharisäertisch, der dem unsrigen zunächst stand, an dem die fünfzig Pharisäer mit ihrem Hauptredner Floran und ihrem Obersten Stahar aus Cäsarea Philippi saßen, daß auch Ich Selbst ganz gut dem Weine wie dem Brote zusetzte. 4. Und Stahar machte dem Floran ziemlich laut die Bemerkung, sagend: „Da sieh doch einmal hin, wie ist dieser mit dem Geiste Gottes erfüllt sein wollende und sollende Prophet doch ein Vollsäufer und ein ganz ordentlicher Vielfraß! Auch scheint er gar kein Feind des weiblichen Geschlechtes zu sein; denn die gewisse, sehr anmutige Dirne sitzt ihm doch immer ja so fest am Leibe wie die beiden Ohren am Kopfe! Bedenken wir dagegen unsere moralischen Satzungen, die von Moses herrühren, was den Menschen alles verunreinigt! Ist er wirklich vom Geiste des Allmächtigen erfüllt, so kann er ja doch unmöglich nun selbst demselben Geiste, von dem auch Moses erfüllt war, durch die Tat widersprechen!? Hm, hm, das bedünket mich sehr! 5. Seine Lehren und Taten zeugen offenbar, daß ihm von Gott aus eine höhere Befähigung verliehen ist, als sie je einem Menschen verliehen war, und wer nach seiner Lehre lebt, kann vor Gott nicht verlorengehen; aber wer also säuft und isset wie er, der wird ins Paradies dereinst nach dem Jüngstgerichte, von dem Daniel weissagte, schwerlich eingehen! Denn es stehet geschrieben: ,Hurer und Vollsäufer werden in das Reich Gottes nicht eingehen!‘ Was bedünket da dich, du mein stets hochgeachteter Floran?“ 6. Sagt Floran, mit den Achseln zuckend: „Das jetzige, ordentliche Saufgelage kommt mir auch ein wenig sonderbar vor! Es kommt mir die ganze Sache nun kleinweg so vor, als ob ich so ein wenig von einer Art ganz wohl verdeckter Teufelei etwas zu riechen anfinge! Mit so ganz rein göttlichen Dingen scheint es da nicht zuzugehen! Hm, hm, sieh hin, er füllte sich schon wieder seinen Becher! Ah, ah, das ist im Ernste etwas schon mehr als sonderbar! Und jetzt den Keil Brotes nach dem Trunke! Na, na, wir werden sehen, wenn er so recht betrunken sein wird, was er dann für eine Lehre seinen Jüngern geben wird!“ 7. Sagt Stahar: „Deine Bemerkung, besonders die von der Teufelsriecherei, kam mir sehr triftig vor, und es kommt mir nun schon diese ganze Komödie sehr sonderbar vor! Wir haben uns zwar alle zu seinen Jüngern umgestalten lassen; aber bei so bewandten Umständen wäre es meiner Meinung nach sehr zeitgemäß angezeigt, uns von solcher Ehre wieder mit aller Energie loszusagen, denn es kommt mir nun schon alles wie ein wohlberechnetes Blendwerk des Satans vor! Es spricht ja doch Daniel klar und deutlich aus, daß in einer Zeit ein mächtiger Widersacher Gottes unter den Menschen auftreten wird und wird tun solche Zeichen, durch die sogar die auserwählten Engel Gottes könnten verlocket werden, so Gott so etwas zuließe! Am Ende ist eben der nun der beschriebene Widersacher Gottes!? Freunde, wenn das, da wäre es sehr angezeigt, uns so schnell als möglich auf und davon zu machen, sonst holt uns der lebendige Satan mit Haut und Haaren vielleicht schon in der nächsten Stunde!“ 8. Mit solchen Reden und Illustrationen unterhielt sich der Fünfzig- Pharisäertisch schon seit dem Augenblicke, als Ich den ersten Becher Weines austrank. Es merkten aber das Roklus und seine Gefährten, die zusammen die Pharisäer ohnedies im Magen hatten. Kapitel 93 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 93. — Des Roklus scharfe Rede an die Pharisäer 1. Roklus, der sich von Meiner Göttlichkeit vollauf überzeugt hatte, konnte dieser argen Rederei kein geduldiges Ohr mehr leihen; er stand auf, mit einem auch schon ganz bedeutenden Weinmute ausgerüstet, und sagte laut: „In einer so seltensten Gesellschaft auf Erden, wo Gott, Engel und wir, Seine vernünftigen Geschöpfe, wie Brüder beisammen kampieren, sollen Schweine keinen Tisch und keinen Platz haben! Zwar sind sicher auch die Schweine Gottes Geschöpfe, nur gehören sie nicht zu der Gesellschaft der Menschen! Was für ein wahnwitziges, allertollstes Geplauder! Wenn irgend hungernde Schweine zu grunzen beginnen, so liegt darin sicher bei weitem mehr Weisheit verborgen als in solch einem Gerede! Kurz und gut, das Dümmste, Ekelhafteste und dabei Herrschsüchtigst- Böswilligste war, ist und bleibt ein Pharisäer, besonders so ein Oberster und ein allererbärmlichster Schriftgelehrter der Juden! 2. Diese Unmenschen wittern überall den Teufel! Sie finden und lehren sogar, daß die Teufel immerwährend auf der Erde gleich den Spürhunden im geheimen Jagd auf alle Menschenseelen machen und jeder Mensch unbedingt des Teufels und verloren ist, so er nicht geweihte Amulette aus dem Tempel bei sich trägt und sie alle Jahre mindestens zweimal erneuert; aber von dem merken sie nichts, daß eben sie selbst die allereigentlichsten Teufel auf dieser Welt sind! Sie sollten sich daher auch gar nicht verwundern, wenn sie unter sich von einem Teufelsgestank etwas in ihren Nüstern verspüren; denn das wäre doch erst recht des Teufels, selbst ein wahrhaftigster, eingefleischter Teufel sein und nicht verspüren von Zeit zu Zeit, daß man wirklich ein Teufel ist! 3. Du Junger (Raphael), du hast doch früher einen Stein weggeputzt, – wäre es denn dir nicht auch möglich, die fünfzig räudigen Schweine wegzuputzen?! Denke es dir, was diese Kerle sich laut auszusprechen getrauten! Er, der alleinige Schöpfer des Weines und des Brotes, sündige nun, weil Er Selbst Wein trinket, und weil ein sicher allerunschuldigstes Engelchen von einem Mädchen an Seiner Seite sitzet! Ah, erlaube mir, das geht hier, solange ich hier bin, der ich den Herrn erkannt habe, durchaus nicht an! Die müssen fort! So vieles haben sie gehört und gesehen, – und nun sagen sie laut: ,Es könnte sein, daß dies alles ein Blendwerk des Satans wäre!‘ Mein Freund aus den Himmeln, ich bin nur von dieser Erde; aber das dulde ich selbst um den Preis meines Lebens nicht, daß solche Schweine den Heiligsten aller Heiligkeit so schändlich mit ihrem schmutzigsten und stinkendsten Geifer besudeln sollen! Hinweg mit ihnen!“ 4. Jetzt erst wurden die fünfzig aufmerksam auf die Ausbrüche des Roklus, und der Oberste Stahar erhob sich und fragte den Roklus mit ernster Miene: „Freund Roklus, gehet dein Wort etwa uns an?“ 5. Sagt Roklus: „Wen sonst etwa? Ihr seid ja eben des Satans schwarze Brut und könnet darum kein Licht ertragen! Wie könnet ihr es wagen, den Herrn und Meister von Ewigkeit, der euch dafür schon so viele der außerordentlichsten Beweise mit Wort und Tat geliefert hat, mit eurem alten, allerekelhaftesten Geifer so schändlich zu besudeln?! Fürchtet ihr euch denn nicht, daß darob sogar der Erdboden Rache nähme an euch?! Wer kann Der sein, der dem Berge im Meere zuruft: ,Vergehe und werde zunichte!‘, und der Berg vergeht im selben Augenblicke?! Kann ein Teufel – nach eurem Begriffe – je Demut und die höchste Liebe zu Gott und dem Nächsten predigen?! Oh, ihr ungeheuersten Ochsen und Esel zugleich, wie erschrecklich wüste und verwirrt muß es in eurem Gehirne aussehen, daß ihr das nicht einsehet, daß ein Teufel, so es je einen nach euren Begriffen gegeben hat, Gott dem Herrn gegenüber das allerohnmächtigste und darum allerarmseligste Wesen nach dem Maße sein muß, je weiter es von der vollen Gottesordnung entfernt ist! 6. Wenn aber dem weisesten und wahrsten Worte des Herrn zufolge alle Kraft und Macht nur in der Liebe zu Gott dem Herrn besteht, welche Kraft und Macht hat denn hernach euer Beelzebub, der voll des bittersten Hasses gegen Gott sei, aus solcher seiner schmählichsten Eigenschaft? Wenn aber schon wir Menschen aus Mangel an rechter und wahrer Erkenntnis Gottes, und nur dadurch auch sicher aus Mangel der wahren und alles ausschließenden Liebe zu Ihm, schwache und nichts vermögende Wesen sind, um wieviel mehr dann erst eure Teufel, die Gott sehr wohl kennen sollen, Ihn aber dabei doch hassen über alle die uns begreiflichen Maßen! Jetzt –, wie das möglich ist, daß ein Wesen, Gott vollauf erkennend, Ihn dennoch über alles haßt, – wahrlich, um das zu begreifen und zu verdauen, gehört ohne weiteres ein pharisäischer Schweinsmagen dazu! So ein Magen nimmt zwar kein Schweinefleisch in sich auf; aber der Grund scheint naturgemäß darin zu liegen, daß ein Schwein das andere nicht frißt! 7. Ich liebe nun Gott den Herrn mehr als alles in der Welt, wo ich Ihn erst so ein ganz wenig nur erkannt habe, und fühle, wie meine Liebe zum Allmächtigen mit meiner stets zunehmenden Erkenntnis mit im Wachsen ist, und ich fühle es lebendigst in mir, wie dadurch auch meine Willenskraft effektiv mächtiger wird. Wie ich nun dastehe, nehme ich's ganz allein mit tausendmal tausend Legionen von pharisäischen Teufeln auf! Alle zusammen tragen mir keinen Strohhalm von der Stelle, – und die Kerle behaupten, daß dieser Heilige der Heiligsten Gottes Seine Werke mit Hilfe ihrer eingebildeten Teufel zustande bringe!? Oh, ihr heilloses Lumpengepack, ich werde euch eure allmächtigen Teufel schon hinaustreiben! Ist gerade recht, daß mir die Kerle in die schon lange erwünschte Quere gekommen sind!“ Kapitel 94 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 94. — Raphael erklärt Roklus die Begriffe "Satan" und "Teufel" 1. Sagt Raphael: „Mein liebster Freund Roklus, mäßige dich; denn diese waren wohl pikfeste Pharisäer, sind aber nun unsere Jünger geworden und werden ihren Irrtum einsehen! Und in bezug der Teufel hast du eben noch eine zu geringe Kenntnis, um über deren Einfluß auf die Menschen wahr und gültig zu reden. Wenn du davon erst eine nähere Kenntnis haben wirst, dann wirst du davon auch reden können! 2. Sieh, das, was man ,Satan‘ und ,Teufel‘ nennt, ist die Welt mit aller ihrer verführerischen Pracht. Freilich wohl ist alle Materie, aus der die Welt besteht, auch nur ein Werk Gottes, und es liegt in ihr Göttliches verborgen; aber daneben liegt in ihr auch Lüge, Trug und Verführung, woraus dann entsteht Neid, Geiz, Haß, Hochmut, Verfolgung und daraus hervorgehend allerlei Laster ohne Zahl und Maß. 3. Und siehe, eben dieses Falsche, die Lüge und der Trug, ist geistig genommen der ,Satan‘, und alle die einzelnen, daraus notwendig hervorgehenden Laster sind eben das, was man ,Teufel‘ nennt; und eine jede Seele, die irgendeinem der zahllos vielen Laster als begründet ergeben ist, ist ein Teufel in Person und ein tätiger Ausdruck eines oder des andern Schlechten und Bösen, und es ist in einer solchen Seele ein schwer zu erlöschender Trieb, nur gleichfort Böses zu tun in der Art, in der sie sich lebensbegründet hat in der Zeit ihres fleischlichen Seins. 4. Da aber eine jede Seele auch nach dem Leibestode fortlebt und sich in der Region dieser Erde aufhält, so ist es gerade eben nichts Seltenes, daß eine solche Seele sich auch in die Außenlebenssphären der Menschen begibt und durch diese mit ihrer irgend bösen Begierlichkeit auch in jenem Menschen Böses zu erwecken strebt, in dessen Lebenssphäre sie eine ganz willkommene Nahrung dadurch findet, daß der noch im Fleische wandelnde Mensch einen nicht unbedeutenden natürlichen Hang und Zug für ein gleiches Laster in seinem Fleische trägt, gewöhnlich infolge einer schlechten und vernachlässigten Grunderziehung. 5. Solche Seelen bemächtigen sich öfters sogar des Fleisches der Menschen und quälen dadurch gar eine hie und da schwache Seele, und der Herr aber läßt solches zu, um eben bei der Seele solch ein Leck auszubessern; denn dadurch bekommt die geplagte Seele dann erst einen wahren und lebendigen Widerwillen gegen eine lasterhafte Schwäche ihres Fleisches und verwendet am Ende alle Tätigkeit darauf, darin stark zu werden, worin sie ehedem schwach war, wozu ihr des Herrn Gnade auch zeitgerecht zu Hilfe kommt. 6. Siehe, das ist vernunftgemäß richtig und wahr, – was der Jude freilich sehr ferne von der Wahrheit des eigentlichen Sachverhaltes unter dem Ausdrucke ,Satan‘ und ,Teufel‘ so ganz eigentlich verstehen sollte; weil er es aber nicht versteht, so hält er aber unter ,Satan‘ und ,Teufel‘ eine geistig personifizierte böse Willensmacht, die darin ihr größtes Wohlgefallen findet, die Menschen von dem Wege, in der Ordnung Gottes zu wandeln, abwendig zu machen. 7. Allein, diese verkehrten Seelen haben dabei durchaus keine gottesgegnerischen Absichten; denn fürs erste kennen sie Gott nicht von der fernsten Ferne, und fürs zweite sind sie zu blind, dumm und blöde, um irgendeine Absicht fassen zu können. Denn außer sich erkennen sie gar kein Bedürfnis und handeln nur aus purer Selbstsucht. Sie reißen nur das an sich, was ihrer Selbstsucht frönt, und sind unter sich selbst höchst mißtrauisch; daher ist bei ihnen eine Kommunkraft (gemeinsame Kraft) gar nie denkbar, und du hast darin dann ganz recht, daß ihre Kraft null und nichtig ist. 8. Ja, sie ist null und nichtig für Menschen, die einmal völlig in die Liebe und in den Willen des Herrn eingegangen sind; aber für Menschen, die noch so halb hin halb her sind, oder wenn du ihr Geistiges und ihr Materielles in die Waagschale legst und auf keiner Seite einen Fürschlag merkest, da gibt dann in irgendeiner seelischen Leidenschaftssache eines in der gleichen Leidenschaftssache steckenden Dämons Zutat auf die materielle Seite der moralischen Waage schon ein recht merkliches Übergewicht, und die Seele windet sich dann von selbst schon schwerer aus dem Materiellen ins Geistige hinüber. 9. Verweilt aber die Seele im Materiellen, so hängen sich dann auch nach und nach stets mehrere gleichgesinnte Dämonen an die materielle Lebenswaagschale, der Fürschlag wird stets merklicher, das Materielle wird also denn stets gewichtiger und das Geistige natürlich geringer. Und siehe, da zeigt es sich dann, daß die ,Teufel‘ der Juden oder die ,Dämonen‘ der Griechen am Ende einer Seele in der Zeit ihrer Selbstbildung doch einen sehr bedeutenden Schaden zufügen können, ohne den eigentlichen Willen gehabt zu haben, ihr zu schaden!“ Kapitel 95 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 95. — Des Roklus Einwände 1. Sagt Roklus: „Wie kann ein intelligentes Wesen jemandem ohne Willen schaden?! Ein Dämon muß doch wenigstens noch immer so viel Selbstgefühl und Selbstbewußtsein haben, daß er weiß, was er will; weiß er aber das, so ist er sträflich für den bösen Willen! Und die Zulassung solcher geheimen Einflüsterungen der argen Dämonen in eine harmlose Menschenseele finde ich auch nicht ganz in der besten Ordnung; werden sie aber schon aus irgendeinem geheimen Weisheitsgrunde zugelassen, so kann da doch die arme Seele keine Schuld haben, wenn sie von den Herren Teufeln verdorben wird! 2. Haben aber die Teufel weder eine Intelligenz, und darum noch weniger irgendeinen freien Willen, so können sie der Seele auch nicht schaden, – und schaden sie ihr schon, so hat da weder die Seele, die beschädigt wurde, noch der intelligenz- und willenlose Teufel irgendeine Schuld; die fiele dann bloß dem anheim, der so etwas zuließ! So urteile da ich ganz frei von der Leber weg und scheue mich durchaus nicht, solches hier offen auszusprechen! 3. Haben aber die Teufel, wie man sagt, sogar eine sehr scharfe Intelligenz – was zu vermuten ist, weil sie bei einer armen Seele sogleich auswittern, wo sie in der materiellen Sphäre schwach ist –, so haben sie auch einen Willen, ihr zu schaden; in diesem Falle bleibt die Seele abermals schuldlos, und nur die Teufel und der, der sie zuließ, tragen da wiederum allein die Schuld! 4. Gib mir Waffen und zeige mir den Feind, und ich werde es dann schon sicher verhüten, daß er mir so leicht an den Leib kommt! Aber wenn ich den Feind, der mir sonach einen ganz bedeutendsten Schaden zufügen kann, dem er mich zu den scheußlichsten Lastern ganz geheim und unsichtbar verlocken kann, nicht kenne und dazu hernach aber auch noch die Schuld davon tragen muß samt ihren schwerbösen Folgen, – ah, da bedanke ich mich für ein solches Leben! 5. Das heißt dann einen schwachen Menschen nackt hinausstellen unter eine Herde von hungrigen Wölfen, Hyänen, Löwen, Tigern und Panthern. So er sich hat von ihnen zerreißen und auffressen lassen, so trägt dann er die Schuld auch noch und muß darum von dem Richter dann noch dazu verdammt werden, weil er sich als ein völlig wehrloses, schwaches Wesen erstens von bewaffneten, starknervigen Schergen hinaus in die Wildnis hat schleppen lassen müssen, und zweitens, weil er dann von den wilden Bestien zerrissen und gefressen worden ist! 6. Wie gefällt deiner himmlischen Weisheit solch eine Justiz zum Beispiel?! Freund, wenn die Sache sich so verhält mit den Dämonen oder Teufeln, und die arme, leidige Menschenseele bleibt da allein die Schuld- und Folgenträgerin mit oder ohne Intelligenz und Willen der sie verderbenden Teufel – dann, dann gibt es keinen weisen und liebgerechten Gott, sondern vielleicht nur so ein zauberisch blindallmächtiges Wesen, also eine Art Fatum, das da stets, gleich den hohen Römern, seine größte Freude an allerlei Tierhetzereien und wütendsten Stiergefechten hat, und gegen das sich ein Mensch nur dann versündigen kann, wenn er selbst sich der Weisheit durch die gerechten Mittel beflissen hat! 7. Ich sage es dir fürwahr: Wenn deine Worte unfehlbar Realität haben, dann haben bald die Pharisäer recht! Ich aber habe den Herrn Selbst über so manches reden hören und kann, mich darauf stützend, sagen, daß du, schöner Bote der Himmel Gottes, diesmal so ein bißchen in den Bach gefallen bist; und ich bleibe dabei stehen, daß ich allein mit meiner nunmaligen Liebe zum Herrn die früher ausgesprochene Anzahl der pharisäischen Teufel total aus dem Felde schlage!“ Kapitel 96 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 96. — Die Dämonen und ihr Einfluß 1. Sagt Raphael sanft lächelnd: „Siehe, du mein Freund, auch du hast schon drei volle Becher Weines im Kopfe, das heißt, den Geist davon, und darum bist du nun noch kritischer in deinem Verstande als ehedem! Du hast deinesteils ganz recht, wenn du behauptest, daß die Dämonen über einen Menschen, der völlig in der Liebe zu Gott sich befindet, in noch so großer Anzahl durchaus keine Gewalt auszuüben imstande sind; denn von einer Kommunalkraft kann bei ihnen keine Rede sein, da von ihnen ein jeder in der größten Selbstsucht und Eigenliebe ist und es daher ja keinem beifällt, seinen Nachbar in irgend etwas zu unterstützen aus Furcht, der Nachbar könnte heimlich und ganz verkappt wieder einen Vorteil gewinnen, der ihm dann sicher eine fruchtlose Reue abnötigen würde. 2. Wenn sie miteinander gewisserart auf den Raub ausgehen, so verrät ja keiner dem andern seine höchst geheim gehaltene Absicht, und kommen sie wie zufällig am Orte des Raubes zusammen, so gibt es da unter ihnen selbst den oft bittersten Krieg. Denn der erste sich auf eine Beute Werfende ist ein Feind eines jeden, der sich neben ihm auch auf die Beute wirft, und sucht ihn zu verdrängen. Ein Dritter benützt schadenfroh diese Gelegenheit und stiehlt für sich dann; und fängt ein Vierter neben ihm auch an, für sich zu stehlen, so kommen diese zwei auch zum Raufen, und ein Fünfter stiehlt dann ganz ruhig wieder für sich. Kommt ein Sechster hinzu, so entsteht gleich ein neuer Kampf, und ein Siebenter hat dann wieder so lange gut stehlen, bis ein Achter in seine Nähe kommt. Alle kämpfen nun, und keiner läßt sich vom andern die Stelle des Raubes und den schon gemachten Raub selbst nehmen. 3. Du siehst, daß da sicher kein Teufel dem andern in irgend etwas hilft; aber durch ihren höchst selbstsüchtigen Andrang vermehren sie dennoch das Gewicht an der allgemeinen Beute, und es geht dann ungefähr also, als wenn du zwei ganz gleiche Gewichte in die Schalen einer Waage legest, die gegenseitig für sich gar keinen Ausschlag gäben. Du bestreichst aber ein Gewicht mit nur einem höchst ungewichtigen Tropfen Honigs, und sogleich wird der süße Geruch Tausende von Bienen anlocken; diese werden sich ans Gewicht setzen und sogleich einen Ausschlag ganz unwillkürlich bewirken. 4. Kannst du Gott darum der Unweisheit beschuldigen, so Er der Biene den Geruch und die Gier nach Honig und dem Honige selbst die duftende und anlockende Süße gegeben hat?! Oder ist der Herr unweise, so Er Seine Geschöpfe nicht nur höchst zweckmäßig, sondern auch höchst schön, jegliches in seiner Art, gestaltet hat?! Ist es etwa unweise von Ihm, der Jungfrau jene höchst reizende und anziehende Form gegeben zu haben, daß sie vor den Sinnen des schrofferen Mannes auf dieser Welt den allerhöchsten Wert haben muß, er Vater und Mutter verläßt und allervergnüglichst seinem zarten und lieben Weibe anhanget?! 5. Wie es aber schon in der Außenwelt sich erkennen läßt, daß ein Wesen das andere in irgend etwas anzieht, um so mehr ist solches erst in der Welt der Geister der Fall; und wäre dies nicht also, wie bestände da eine Erde, ein Mond, eine Sonne und wie die zahllos vielen anderen Weltkörper im unermeßlichen Schöpfungsraume?! Ein Atom hat Sympathie mit seinem Nachbarn; beide ziehen sich an. Was die beiden tun, das tun dann zahllose Äonen, sie ziehen alles Gleiche und Gleiche an, und es entsteht daraus am Ende eine Welt, wie es der Herr in der vergangenen Nacht allen Seinen Jüngern gar handgreiflich gezeigt hat und du solches in dem euch überreichten großen Buche auch vollauf beschrieben finden wirst. 6. Wenn aber also, ist es dann unweise vom Herrn, so Er allernotwendigstermaßen einer jeden Seele die allerunbedingteste Willens- und Erkenntnisfreiheit läßt und danebst natürlich auch die daraus entspringenden Folgen?! Oder würdest du Gott dann als höchst weise preisen können, wenn da irgend jemand von hier nach Jerusalem reisen wollte und setzete dafür seine Füße auch in Bewegung, aber er käme damit doch bei allem seinem Willen und bei der besten Wegkenntnis nicht nach Jerusalem, weil es Gott nicht so haben wollte, daß jemandem von seinem Wollen und Können eine entsprechende Folge werden solle, sondern der Mensch käme statt nach Jerusalem, wo er wichtige Geschäfte abzumachen hätte, nach Damaskus, wo er gar nichts zu tun hat?! Sage es mir, ob du solch eine göttliche Einrichtung für weise finden würdest! Oder findest du es ungereimt, wenn dich am Tage Bienen, Wespen, Hornissen und allerlei Fliegen ordentlich zudecken und auffressen werden, wenn du ganz mit Honig bestrichen dich hinaus ins Freie begibst?! 7. Wenn aber nun deine Seele irgendeinen sündigen Leidenschaftsduft in ihre Außenlebenssphäre streut und die schon vom Fleische befreiten, aber noch in einem gleichen Lieblingsdufte stehenden Seelen solchen in deiner Außenlebenssphäre gewisserart riechen, endlich auf dich losstürmen und sich an deinem Überflusse sättigen, ohne eigentlich zu wissen, was sie tun, sondern rein nur deshalb sich stets zahlreicher um dich versammeln, weil sie in deiner Sphäre die erwünschte Kost finden, so ist das gewiß nicht unweise vom Schöpfer, der nichts so sehr für ewighin respektiert als die unbedingteste Freiheit einer jeden Seele. Hat ja doch eine jede Seele stets Mittel genug in den Händen, sich der ungeladenen Gäste zu entledigen, wie oft und wann sie es will! 8. Willst du in der Freie nicht von den stechenden Insekten belästigt werden, so wasche und reinige dich von dem törichten Honiganstrich, und du wirst Ruhe haben; und willst du keine deine Seele schwächenden und belästigenden Dämonen in deiner Außenlebenssphäre, so erwähle dir des Herrn dir bekannte Ordnung zu deiner Lebensmaxime und ich stehe dir dafür, daß kein Dämon in die Nähe deiner Lebenssphäre kommen wird! 9. Glaube es mir, wenn du mit irgendeiner in und aus dir selbst entstandenen Lebensverkehrtheit die Dämonen nicht anlockst und anziehst, so werden sie dich sicher nicht anziehen, verlocken und verführen; hast du sie aber angezogen, so mußt du es dir dann selbst zuschreiben, wenn sie deine Seele in einer und derselben Leidenschaft durch ihren Andrang noch mehr verhärten werden, ohne es eigentlich zu wollen.“ Kapitel 97 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 97. — Der freie Wille des Menschen. Die Hilfe der göttlichen Gnade 1. (Raphael:) „Ich sage es dir: Ein jeder Mensch wird zuerst aus sich selbst schlecht und der göttlichen Ordnung abtrünnig! Dazu wird er freilich wohl zumeist durch eine ganz verkehrte Erziehung präpariert und gerät also in allerlei üble Leidenschaften und aus diesen in allerlei wahre Sünden. Durch diese aber öffnet er dann auch allen argen fremden Einwirkungen die Türen und kann also im Grunde und Boden des seelischen Lebens verdorben werden und auch bleiben, – aber doch immer nur, wenn er es also will. 2. Will er sich ändern, so steht ihm vom Herrn aus nichts im Wege; denn ein Bedrängter darf ja nur den leisesten Wunsch in sich äußern, und es wird ihm alsbald Hilfe gegeben. Aber so er sich in seiner Bosheit ganz wohl und zufrieden befindet und nie einen bessern Wunsch von sich und in sich vernehmen läßt, da freilich wird ihm in seinem Willen keine besondere Einstreuung gemacht. 3. Wohl wird es in seines Herzens Sensorium, das man ,Gewissen‘ nennt, eingeflüstert, und er bekommt von Zeit zu Zeit ganz tüchtige Mahnungen von uns aus. Kehrt er sich nur einigermaßen daran, so ist da von einem Verlorengehen und Verdorbenwerden keine Rede mehr. Da kommt dann die geheime Hilfe unablässig von oben und verleiht der Seele stets Einsicht und Kraft, sich aus dem großen Gewirre mehr und mehr loszumachen; und es gehört dann nur so ein wenig guten Willens dazu, und es gehet dann schon recht hurtig vorwärts, – wenigstens bis dahin, wo der Mensch, für eine höhere Offenbarung geeignet, vom Geiste Gottes Selbst ergriffen und weiter im wahren Lebenslichte geführt wird. 4. Aber wo sich natürlich der Mensch in seiner groben Verblendung und in seinem Weltsinnenrausche an die gar sanften und leisen Mahnungen, von uns ausgehend und sich im Herzen kundgebend, gar nicht im geringsten kehrt, sondern schon gleich tut, als wäre er ein Herr der ganzen Welt, – ja, da hat dann doch wohl niemand anders die Schuld am unverbesserlichen Zustande der eigenen Seele als eben die höchst eigene Seele für sich selbst! 5. Glaube es mir, und merke wohl auf, was ich dir nun sage! Es gibt in der ganzen Natur- und Geisterwelt keine sogenannten Urteufel, sondern nur solche, die schon früher als unverbesserlich schlechte und lasterhafte Menschen einmal auf der Welt gelebt haben und schon da als die ganz eigentlichen, eingefleischten Teufel die andern Menschen zu allerlei Lastern und Schändlichkeiten nicht nur verlockten, sondern auch mit allen ihnen zu Gebote stehenden Zwangsmitteln dazu nötigten, – wodurch sie sich aber in sich selbst eine desto größere Verdammnis bereiten, aus der sie sich schwer je völlig herauswinden werden. Du magst hier nun denken, wie du magst, kannst und willst, so wird es dir nicht möglich sein, dem Herrn auch irgend im geringsten nur eine Schuld beilegen zu können. 6. Daß aber dann auch jenseits vom Herrn in der ordnungsmäßigen Art alles Mögliche zugelassen wird, um eine verdorbene Seele zu heilen, kannst du dir wohl denken; denn der Herr hat keine Seele fürs Verderben, sondern nur für die möglichste Lebensvollendung erschaffen. Aber das kannst du dir auch merken, daß da im ganzen, unermeßlichen Schöpfungsraume keine einzige Seele durch ein irgend unvermitteltes, ganz unbedingtes Erbarmen zu einer Lebensvollendung gelangen kann, sondern nur durch ihren höchst eigenen Willen! Der Herr läßt dem Menschen wohl allerlei Hilfsmittel in die Hände spielen; aber dann heißt es beim Menschen, diese als solche erkennen, sie mit dem eigenen Willen ergreifen und selbst wie ganz eigenmächtig gebrauchen! 7. Ja, wenn dann ein Mensch frei aus sich ruft und sagt in seinem Herzen: ,Herr, ich bin zu schwach, mir mit den von Dir mir dargereichten Mitteln zu helfen; hilf Du mir mit Deinem Arm!‘, – ah, da hat der Mensch selbst die höhere Hilfe begehrt mit dem eigenen Willen und aus der eigenen Erkenntnis und Innewerdung der unzulänglichen Kraft! Da kann dann der Herr auch sogleich mit aller der erforderlichen Macht und Kraft einwirken und einer schwachen Seele augenblicklich helfen. 8. Aber es muß da des Menschen Wille wie sein Erkennen und Vertrauen von der vollsten Entschiedenheit durch und durch begleitet sein. Denn es bleibt sonst bei der Ordnung, dernach sich eine jede Seele mit den dargebotenen Mitteln selbst helfen muß, weil jede fremde Einstreuung in das Hauselement des Eigenwillens eine offenbare Auflösung des Wesens der Seele zur notwendigen Folge haben müßte. Denn wenn die Seele sich selbst bilden muß nach der ewig notwendigen Anordnung des Herrn, so muß sie sich auch selbst bilden und vollenden mit den dargebotenen Mitteln, gleichwie auch ein jeder Mensch auf der Erde sich selbst des Leibes Nahrung suchen, sie erkennen und genießen muß, so er sein irdisches Leben fristen will. 9. Da steigt kein Gott und kein Engel auf die Erde und saget allenthalben: ,Seht, dies und jenes esset, so es euch hungert!‘, sondern es kommt der Hunger und der Mensch kostet mit seinem Gaumen die überall wachsenden Früchte, und die ihm munden, die ergreift er und stillt sich mit ihnen ganz behaglich seinen Hunger. Dürstet es ihn, so eilt er zu einer frischen Quelle, und friert es ihn, so wird er sich bald aus allerlei feinsten Stoffen, die seine Haut nicht reizen und stechen, eine Hülle zur Not zusammenflechten und seine Haut also verwahren vor der Kälte der Luft. Und will er geschützt vor Regen und wilden Tieren sein, so wird er auch bald mit einer Hütte fertig sein; denn es sind ihm dazu ja allerlei Mittel geboten. Wo er sich nur hinwendet, findet er gleich eine Menge Gaben, die er als solche leicht erkennen und auch mit den ihm dafür verliehenen Kräften ebenso leicht gebrauchen kann.“ Kapitel 98 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 98. — Die Selbstbestimmung der Seele 1. (Raphael:) „Wenn der Herr aber den Menschen schon für die äußeren Lebensbedürfnisse selbst sorgen läßt, um die Seele in der Selbsterkenntnis und Selbsttätigkeit zu üben, um wieviel mehr ist dann das für die Seele selbst der notwendige Fall! 2. Sogar den Tierseelen ist ein ihnen ganz zu eigen gegebener Trieb (Instinkt) wie eingepflanzt, nach dem sie, und zwar jegliches in seiner Art, zu handeln pflegen. Es wäre ganz irrig anzunehmen, daß diese scheinbar sprach- und vernunftlosen Kreaturen ihre Handlungen wie von einer äußeren Kraft belebte Maschinen verrichten. Wäre das der Fall, so könnte auch das allerbeste Haustier zu keiner noch so einfachen Arbeit abgerichtet werden und würde dem Rufe des Menschen sicher keine Folge leisten. 3. Weil aber auch ein jedes Tier eine eigene Seele hat, die in sich eine für sich abgeschlossene Lebenskraft besitzt, aus der heraus die Tierseele nach ihrer Willkür ihren Leibesorganismus in Bewegung setzt, so ist ein Tier auch verschiedentlich abrichtbar. Ein bloß von außen her belebtes Wesen hat weder ein Gedächtnis, noch irgendeine Art von einer Beurteilung. Sein ganzes Leben ist ein mechanisches und sein Bestreben ein so abgemessenes und gerichtetes, daß von einer Veredlung durch irgendeine Art von einem Unterrichte gar keine Rede sein kann; da muß solche auch nur auf eine mechanische Art von außen her geschehen. 4. Du kannst einem Baume tausend Jahre lang vorreden, daß er so und so stehen und edlere Früchte zum Vorschein bringen soll, – so wird das alles vergebens sein! Da mußt du Messer und Säge in Bewegung setzen, mußt dem Wildling die Zweige abnehmen, die Rümpfe vorsichtig spalten, in dieselben edlere frische Zweige stecken und sie dann wohl mit den wilden, gespaltenen Rümpfchen verbinden, so wird dir dann der also rein mechanisch veredelte Baum mit der Zeit auch edlere Früchte bringen! 5. Das Tier aber kannst du schon durch Worte und durch gewisse Handgriffe abrichten, und es wird dir dann bei erforderlichen Gelegenheiten dienen und sich ganz nach deinem Willen richten. Dies aber gibt dir das untrügliche Zeugnis, daß die Tiere selbst auch eine Art Willensfreiheit haben, ohne die sie dir ebensowenig gehorchen und dienen könnten wie ein Stein oder ein Baum. 6. Wenn aber schon die Tiere sichtlich eine für sich abgeschlossene Seele, begabt mit einiger Erkenntnis und Willensfreiheit, besitzen, die sich nach der ihr eigenen Lebensart selbst bestimmen muß, um wieviel mehr und um wieviel ausschließlicher muß das dann erst bei einer Menschenseele der Fall sein! Da kann vorderhand von irgend von außen her kommenden fremden Einflüssen schon gar keine Rede sein, weder von guten und noch weniger von schlechten. 7. Die Seele hat ja ohnehin alles, was sie für den ersten Lebensaufschwung nur immer irgend vonnöten hat. Hat sie sich in sich selbst durch ihre höchst eigene Willenskraft und durch die freiwillige Liebe zu Gott in ein mächtigeres Lebenslicht gesetzt, so wird sie auch bald inne, was ihr noch alles abgeht, wird sich dann denn auch freiwillig bestreben, aus allen ihren Lebenskräften das zu erreichen, was ihr eben noch abgegangen ist, und wird die Wege und die Mittel gar wohl erkennen, und sie mit ihrem höchst eigenen Willen auch verlangen und ergreifen und sich bereichern mit den Schätzen des stets höheren, geistigeren und vollendeteren Lebens. 8. Was die Seele sich denn auf diesem Wege, der ein rechter Weg nach der Ordnung Gottes ist, erwirbt, ist und bleibt dann völlig ihr zu eigen, und keine Zeit und keine Ewigkeit kann es ihr mehr entreißen. Was sich aber die Seele niemals selbst, durch ihren Willen und durch ihr Erkennen, hat erwerben können, wie zum Beispiel den äußern, organischen Leib und mit ihm so manche äußeren, irdischen Vorteile, das kann ihr auch nicht bleiben, sondern es wird ihr genommen, wie es ihr gegeben ward. 9. Wenn aber das alles also ist, wie es einen jeden Menschen die tagtägliche Erfahrung lehrt, so kann da auch von keinen die Seele ziehenden und bestimmenden bös-dämonischen Gewalttaten eine noch so ferne Rede sein; denn alles hängt von dem Willen und Erkennen und endlich von der Liebe der Seele ab. Wie du es willst, erkennst und liebst, eben also wird es dir – und nicht denkbar je anders! 10. Willst, erkennst und liebst du das Rechte nach der Ordnung Gottes, so wirst du auf diesem Wege auch allzeit zur Realität gelangen; willst, erkennst und liebst du aber solcher Ordnung, in der allein Realität und Wesenheit geboten ist, entgegen, so gleichst du einem Menschen, der auf einem Acker ernten will, auf dem nie ein Getreide ausgesäet ward, und du mußt es dir am Ende nur selbst zuschreiben, wenn deine Lebensernte gleich einer Null geworden ist. – Sage du mir nun, ob du jetzt in der Ordnung bist!“ Kapitel 99 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 99. — Floran verweist den Pharisäern ihre lieblose Kritik am Herrn 1. Sagt Roklus: „Das sicher; denn du hast mir alles das ja doch so handgreiflich klar dargestellt, daß ich in meinem ganzen Leben noch nichts Klareres in dieser Hinsicht vernommen habe! Aber nun ärgere ich mich erst noch mehr über jene Pharisäer dort, die wieder ganz zu den alten, gewöhnlichen Pharisäern werden, je öfter sie den Herrn den Becher in die Hand nehmen sehen, und je gemütlicher der Herr Sich mit dem Cyrenius und Kornelius bespricht! Siehst und hörst du nicht, wie diesen schwarzen Kerlen nun schon alles ein Greuel wird, was der Herr nun nur immer tut und spricht?! Haben sie doch solche Zeichen von Ihm gesehen, essen nun an Seinem Tische und loben und preisen Ihn mit der Zunge der Schlangen! – Ja, was sagst denn du dazu?“ 2. Sagt Raphael: „Laß du das ganz gut sein; denn glaube du es mir, daß dem Herrn das durchaus nicht entgeht! Er Selbst wird sie zur rechten Zeit schon ganz gehörig zurechtweisen, und eine vom Herrn ausgehende Zurechtweisung sieht immer ganz besonders bitter aus für den, dem sie stets bestverdientermaßen zuteil wird. Siehe, auch der Cyrenius und Kornelius und Julius und Faustus merken das, was du merkst, und ich habe es schon lange gemerkt! Aber des Herrn Wille hat mich geheim zur Geduld ermahnt, und so tue auch ich, als ob ich's nicht merkete, was die fünfzig untereinander verhandeln. Aber sie werden nun bald dahin gelangen, wo man ihnen entgegentreten wird! Sei darum nun noch eine ganz kurze Zeit vollends ruhig!“ 3. Roklus ward nun stille und wartete ab, was da kommen werde. Aber die fünfzig Pharisäer warteten nicht, sondern hielten ihre Beratungen fort. 4. Floran, ihr bekannter Hauptredner, war aber mit den sehr schlüpfrigen Ansichten des Obersten Stahar nicht einverstanden und sagte: „Des Meisters Essen und Trinken gilt mir noch als kein Beweis wider Seine Göttlichkeit! Es kommt mir Sein ganzes Benehmen mehr wie eine stumme Frage vor, ob wir in unserem Glauben nicht wankend werden, so wir etwa dies oder jenes an Ihm bemerketen. 5. Ist Er der von David so herrlich vorbesungene Messias Jehova Zebaoth, so kann Er tun, was Er will, und es ist von Ihm noch immer recht getan; denn wie sollen wir arme, ohnmächtige, sterbliche Menschen Dem Verhaltungsregeln vorschreiben wollen – da es doch nur von Ihm abhängt, daß wir sind und leben –, der Himmel und Erde gemacht und allen Tieren und Menschen ihre Glieder und verschiedenen Lebensorgane geschaffen, eingerichtet und gegeben hat! Da bist du, Stahar, und ihr alle rein auf dem allerschmutzigsten und sogar lebensgefährlichsten Wege! 6. Was kümmert es denn uns, daß Er nun etwas mehr Weines trinkt und Brotes ißt?! Ist ja doch Er der Schöpfer von beiden! Wahrlich, das beirrt mich nicht im geringsten; im Gegenteile freut es mich nur ganz eigens, so auch Er, als der Allerhöchste und Allerweiseste, sich in unserer menschlichen Weise bewegt! 7. Ich muß es offen gestehen, daß es von euch im höchsten Grade unklug ist, sich hier im Angesichte der höchsten Herrschaften der Welt so zu benehmen, als ob deren Heil von eurem Wohlwollen abhinge! Was und wer seid ihr denn? Nichts als arme, kriechende Erdwürmer vor der Macht eines solchen Menschen, der den Elementen gebietet, – und diese gehorchen Seinem Willen! 8. Der Wein hat auch eure Gemüter erhitzt und umnebelt euren Verstand; daher bringet ihr denn nun auch Urteile zum Vorscheine, die ich der übergroßen Dummheit wegen geradewegs klassisch nennen möchte. Was wollt ihr dadurch bezwecken? Oder könnet ihr aus dem Moses heraus erweisen, daß das dann und wann etwas reichlichere Trinken des Weines verboten sei? Könnet ihr behaupten, daß Noah gesündigt hat, als er vom Safte der Trauben ein wenig zuviel zu sich nahm? Ja, der Sohn hat gesündigt und sich des Fluches würdig gemacht, der den Vater dem Spotte preisgab; jener Sohn aber, der des Vaters Scham bedeckte, ward voll des Segens! 9. Daher sage ich euch: Was der Herr tut, ist allzeit und ewig recht getan! Und würde Er hier mehrere Schläuche Weines zu Sich nehmen, so hat uns das nicht zu kümmern; und würden Ihn tausend Jungfrauen umlagern, welchen Standes und Rufes sie auch wären, so hat uns auch das nicht im geringsten zu kümmern; denn Er ist ihr Schöpfer und Erhalter so gut wie der von uns! Was kann uns das kümmern, so Er Sich Seinen wie immer gearteten Werken nahet und das an ihnen etwa Schadhafte und Kranke heilt?! Seid um Jehovas Willen denn doch billig und dankbar bescheiden in euren Urteilen!“ Kapitel 100 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 100. — Der Segen der römischen Herrschaft für das jüdische Volk 1. Sagt Stahar: „Du glaubst also, wie es mir scheint, fest an seine Gottheit?!“ 2. Antwortet Floran: „Was soll mich daran beirren?! Hat Gott zu Mosis Zeiten etwa große Zeichen getan?! So aber ein Mensch hier, ausgerüstet mit der höchsten Weisheit, solche nie erhörten Zeichen tut, die zu tun nur der göttlichen Allmacht allein möglich sind, – was soll mich dann abhalten, solch einen Menschen als vom wahrsten Geiste Gottes vollst erfüllt anzusehen und ihn unmittelbar für den allein wahren Gott zu halten?! Meine Ansicht, meine Annahme und mein darauf gegründeter Glaube stehen da fester als die undenkbar alten Pyramiden Ägyptens! 3. Ich glaube aber nun nicht nur, daß es also und nicht anders ist, sondern ich bin davon bis in meine innerste Lebensfiber überzeugt, und mich kann in solcher meiner lebendigsten Überzeugung nichts mehr wanken machen, und du, wetterwendischer Stahar, schon am allerwenigsten! 4. In dieser Hinsicht kann ich auch mit dem besten Gewissen von der Welt mit den Römerhelden ausrufen: SI TOTUS ILLABATUR ORBIS, IMPAVIDUM FERIENT RUINÆ! [Wenn auch der ganze Weltkreis einstürzt, so werden die Trümmer den Unerschrockenen tragen!] Denn ich weiß, was ich sehe und was ich glaube, und ich bin da keine Windfahne und kein Schilfrohr in einem Teiche voll Schlammes und Morastes. Wohl aber bin ich zu einem Marmorfels im Meere geworden, an dessen harter Stirne sich Orkane und Wogenbrandungen weidlichst zerschellen müssen!“ 5. Sagt Stahar: „Auch die Gottesgerichte des Tempels zu Jerusalem?“ 6. Sagt Floran: „Wer diesen Herrn und Meister und die Gebieter Roms zum Schilde hat, der hat keine Furcht vor den sogenannten Gottesgerichten, die Gott nie eingesetzt hat. Wahrlich, keine noch so geringe Furcht könnte mich vor Jerusalems höchsten Androhungen anwandeln, – auch alle Donnerflüche des Hohenpriesters gingen an meinen Ohren spurlos vorüber! Denn wer am Tage wandelt, hat meiner Ansicht nach die Schrecknisse der Nacht nicht zu fürchten, und so habe auch ich keine Furcht vor dem Tempel zu Jerusalem! 7. Wenn man diese sonnenhelle Lehre vergleicht mit den mir nur zu wohlbekannten Satzungen des Tempels, so erkennt man ja doch auf den ersten Augenblick, daß in dieser Lehre des Geistes höchster Tag und im Tempel des Geistes tiefste Nacht waltet. Ja, die der Nacht noch angehören, die werden noch vieles zu befürchten haben, und namentlich den Tod ihrer Seelen; mich aber erwartet höchstens der Tod des Leibes, der eigentlich gar kein Tod ist! 8. Das ewige Leben meiner Seele aber kann mir niemand mehr rauben; denn ich sehe und fühle es schon lebendigst in mir und empfinde auch solches Lebens ewig unberechenbare Vorteile. So ich aber demnach auch nicht die geringste Furcht vor dem Abfalle des Leibes in mir fühle, wie sollte ich da irgendeine Furcht vor den sogenannten Gottesgerichten des Tempels in mir empfinden?! Darum sage ich und bleibe lebendigst fest dabei: Wer am Tage wandelt, hat die Schrecknisse der Nacht nicht zu scheuen!“ 9. Sagt Stahar mit einer bedeutend, so recht templerisch finsterernsten Miene: „Warum und wie kannst du den Ort Nacht nennen, wo die Schrift und das Wort Gottes dem Volke gelehrt wird?!“ 10. Sagt Floran: „Die Schrift, die wir beide als – sage – Schriftgelehrte ebensowenig verstehen wie einer, der sie noch nie zu Gesichte bekam, und das aus lauter niedrigen Menscheninteressen zusammengestellte sein sollende Wort Gottes kenne ich nur zu gut. Daher erwähne mir davon nur keine Silbe mehr! Welche Wunder haben denn wir je mittels des allmächtig sein sollenden Wortes Gottes geleistet? Was anderes etwa wohl haben wir mit gutem Gewissen aufzuweisen als das nur, daß wir mit den freiwilligen, taxierten und mit Gewalt erzwungenen Opfern unsere Säckel und Kassen voll gemacht haben und haben mit allen Mitteln, darunter auch das schlechteste nicht zu schlecht befunden ward, jedes Fünklein bessern Lichtes zu erdrücken uns auf das allereifrigste bestrebt? 11. Ist es nicht eine himmelschreiende Schande, daß wir als das alte Volk Gottes uns von den Heiden weise Gesetze und Staatshaltsnormen haben vorschreiben lassen müssen? Und wären diese nicht gekommen, bei uns doch irgendeine menschlichere und bessere Rechtspflege einzuführen, so befände sich unser Volk nun in einer solchen Unordnung, daß es unter den wildesten Tieren keine elendere mehr geben könnte. 12. Was war denn unser Recht vor den Römern? Nichts als die blindeste Willkür eines jeden, der irgendeine Gewalt auf was immer für eine Weise sich zu eigen gemacht hatte! 13. Solch ein Reicher hatte so wie gestern etwas geboten; heute aber gereute es ihn, weil er seiner Meinung nach kein für ihn recht vorteilhaftes Gebot gegeben hatte. Er ward darob zornig, bestrafte zuerst seinen Ratgeber, dann alle jene, die das gestrige Gesetz beachtet hatten; denn sie hätten hingehen, sich vor dem Gesetzgeber in den Staub werfen und ihn aufmerksam machen sollen, daß das gegebene Gesetz mehr zu ihren als zu seinen Gunsten gestellt war! Wer zum Mächtigen aber gesagt hatte: ,Höre, du mächtiger und weisester Gebieter, das gegebene Gesetz ist nicht zu befolgen! Und wird es befolgt, so gehest dadurch du und alle deine Untertanen zugrunde; denn dieses Gesetz rührt von einem verräterischen und arglistigen Ratgeber her, der sicher von einem deiner neidigen Nachbarn dazu bestochen worden ist!‘ –, was geschah nun? Der, der den Gesetzgeber auf solchen Gesetzesmangel oder -fehler aufmerksam gemacht hatte, ward wegen unverschämter Dreistigkeit zur scharfen Strafe gezogen; der böse Ratgeber wurde auch gestraft, und die, die bekanntlich das schlechte Gesetz beachtet hatten, wurden auch zur Verantwortung gezogen, und das oft schon zuvor, ehe noch ein neues Gesetz verkündet worden war. – Wie gefällt euch ein solches Rechtssystem? 14. Es hatte aber vor den Römern das große Land der Juden eine Menge solcher Kleinherren, von denen ein jeder ein ausgemachter Tyrann seiner wenigen, in der größten physischen und geistigen Not schmachtenden Völkerchen war und sie von Tag zu Tag hetzte nach seinen Launen und nach seiner vor gar niemandem verantwortlichen Willkür. Waren da die Römer als Heiden nicht wahre Himmelsboten, als sie kamen mit großer Macht und zum Plunder trieben alle die Hunderte der gewissenlosesten Kleintyrannen?! Sie gaben dann vernünftige und bleibende Gesetze, unter denen ein jeder Mensch ganz gut Herr seines Gutes war; er bezahlte seine mäßige Steuer und konnte dann ungehindert Handel und Wandel treiben, wie es ihm nur immer beliebte, – es versteht sich von selbst – auf dem Wege des gesetzlichen Rechtes. 15. Daß der Tempel kein Freund der Römer war und ist, das wissen wir, und der Grund ist uns auch nicht unbekannt; denn die mächtigen Römer verlangten auch vom Tempel den Tribut, während ehedem die kleinen Tyrannen an den Tempel den Tribut zahlten, damit seine Priester das Volk in der Finsternis erhielten und demselben stets den allerunbedingtesten Gehorsam predigten. 16. Oh, wann hat man noch den Juden von einem unbedingten Gehorsam gegen die Herrschaft Roms predigen hören? Man sagt dem Volke wohl, daß die Römer eine Rute in der Hand Gottes seien, die man sich müsse gefallen lassen; aber die hundert scheußlichsten Tyrannen, die das arme Volk ärger denn die Teufel in einem fort quälten, waren keine Gottesrute, sondern lauter von Gott bestellte Prüfungsengel. Wer sich ihnen widersetzte, ward alsbald als ein Widersacher Jehovas erklärt und verdammt. 17. Oh, das waren für den Tempel freilich glückliche Zeiten, vor denen der Herr die arme Menschheit in der Folge wohl für immer bewahren möge! Des Tempels Gottesgerichte sind noch so ein kleines, aber noch ein hinreichend böses Überbleibsel, vor dem ich aber nun – dem Herrn allein alles Lob! – gar keine Furcht habe; denn ich bin nun des Herrn und Roms, und das genügt, um vor den Drohungen des Tempels nimmer erbeben zu dürfen! – Bist du mit dieser Erklärung zufrieden?“ Kapitel 101 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 101. — Roklus und Floran im Gespräch über Stahar 1. Stahar macht darob ein finsteres Gesicht und sagt darauf kein Wort; denn des Floran Worte haben den Alten doch wieder ein wenig auf heimlich bessere Gedanken gebracht. 2. Aber Roklus, der diese Verhandlung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit angehört hatte, erhob sich und eilte schnurstracks zum Floran hin, klopfte ihm auf die Achsel und sagte: „Ich lobe dich! Du bist ganz mein Mann! Ich nehme dich auf in unser Institut, das da nun steht unter dem wahren Schutze Gottes und unter dem Schutze Roms. Was du nun geredet, das hat dir der Herr eingegeben; es war wie aus meiner Seele gesprochen! Ah, solche Worte tun meinem Gemüte, das den Menschen nur wohl will, überaus wohl! Ich begreife nur das nicht, wie Stahar, der mir wohlbekanntermaßen sonst doch auch gerade nicht aufs Gehirn gefallen ist, bei von ihm gesehenen so außerordentlichen Taten und gehörten und verstandenen Lehren des Herrn noch irgendeinen Zweifel in seiner Brust mag aufkeimen lassen?! 3. Für mich, der ich nun nur etliche Stunden hier verweile, ist das bisher Gesehene und Gehörte viel zuviel, – und Stahar hat so viel gesehen und gehört, und es konnte ihm doch beifallen, den Herrn der ganzen Unendlichkeit der Teufeleien zu beschuldigen! Wein hin, Wein her, ich habe den Wein auch genossen und nehme sehr wahr in mir, daß auch mein Mut um ein bedeutendes gesteigert worden ist; aber meine einmal gefaßten Überzeugungen wanken nicht und würden auch dann nicht wanken, wenn auch meine Glieder ein wenig zu wanken anfingen. Aber beim alten Weißkopf Stahar möchte etwa wohl der alte Römerspruch: ,IN VINO VERITAS!‘ ["Im Weine ist Wahrheit!"] in Anwendung gebracht werden; denn der Wein hat sonderbarerweise die Wirkung, daß er häufig bei den Menschen den dunklen Schleier der Politik lüftet und einem Menschen wider sich selbst die Zunge löst. Und bei solchen Gelegenheiten hat man schon oft so manches erfahren, was sonst aus sehr wohlberechneten, selbstsüchtigen, klugen Gründen mit einem Menschen wäre zu Grabe getragen worden. 4. Stahar war vorher sicher, trotz seines diamantfesten Pharisäertums, sehr in die Enge getrieben worden. Er sah sich mit seinen Gegensätzen für verloren an und ergab sich endlich, weil er kein Loch, irgend zu entwischen, offen fand; aber tief in seinem Allerinnersten blieb er ganz für sich noch immer der alte, diamantfeste Pharisäer. Nun hatte er aber die große Unklugheit begangen, ein wenig zu viel vom edlen Rebensafte zu genießen, und der hat den alten, verstockten Pharisäer aus seinem innersten Versteck herausgeholt und ihn für sich selbst reden gemacht. Wenn bei dem Alten der Weindunst wird verraucht sein, da wird es ihm sicher sehr leid sein, daß er sich selbst so schön verraten hat. 5. Nicht umsonst dichteten die Menschen von den Bacchantinnen, daß sie nicht selten den Menschen zukünftige Dinge und Ereignisse vorhersagten, und man hielt große Stücke auf ihre Aussagen. Bei ihnen machte auch der Wein die wunderliche Wirkung. Auch vom großen Judenkönig David erzählt man sich, daß er viele seiner Psalmen nach genossenem Weine geschrieben und selbst gesungen habe. 6. Wenn der Wein demnach eine solch besondere Wirkung hat, so ist es als ganz sicher anzunehmen, daß sich der alte Oberste der Pharisäer nun selbst zu unserem allgemeinen Besten und trotz seiner früher vorgeschützten totalen Bekehrtheit doch wieder als der stets gleiche und unwandelbare echte Pharisäer geoffenbart hat, eine Menschengattung, vor der selbst die wildesten Bestien der Wälder ihren gehörigen Respekt haben, geschweige ein unter ihrem Joche stehender armer Sünder! – Habe ich recht oder nicht?“ 7. Sagt Floran: „Ja, liebster Freund, du hast in einer gewissen Hinsicht ganz recht; aber doch gibt es dabei noch einen Punkt, der hier in eine berücksichtigende Erwägung gezogen werden kann! Sieh, wenn du einen jungen Baum, der krumm gewachsen ist, beugen willst, so wird der Erfolg bald deine Mühe segnen; machst du dich aber über einen alt gewordenen, krummen Baum her, so wirst du fürs erste allerlei Kraftmaschinen in Anwendung bringen müssen, um den schon sehr steif gewordenen älteren Baum gerade zu machen, und fürs zweite wird es dir nicht an der rechten Geduld fehlen dürfen! Nur von Tag zu Tag wirst du einen ganz kleinen Druck ausüben dürfen, und das so lange fort, bis der Baum ganz gerade geworden ist; wolltest du ihn aber mit aller Kraft auf einmal geradebeugen wollen, so würdest du den Baum abbrechen und somit töten, was doch sicher kein gesegneter Erfolg deiner großen Mühe wäre. – Das scheint auch des Herrn Liebe und Weisheit bei dieser Gelegenheit zu beachten. 8. Unser Stahar wird nun in eine Stellung gebracht, in der er sich in seinem altjüdischen Jehovaeifer sehr geärgert fühlen wird. Was hält sein Aberglaube noch alles für eine Sünde, was nach der reinen Vernunft nie eine Sünde, weder vor den Menschen und noch weniger vor Gott, sein kann! Dazu gehört nach seiner Moral ein reichlicherer Genuß des Weines und das Reden mit einer Jungfrau, die nach seiner Idee noch nicht völlig reif sein könnte! Nun, ist er ganz nüchtern, so geht er offenbar über derlei Kleinigkeiten hinweg; aber er hat ja selbst mehrere Becher Weines vertilgt, und des Weines Naturgeister haben in seinen Eingeweiden nun noch so recht alte, verhärtete Überreste des alten, stockblinden Pharisäertums gefunden, haben sie belebt und zu einem gewissen Aufstande gebracht. Allein, es ist im Grunde die ganze Erscheinung kaum wert, daß wir darüber ein Wort verlieren! 9. Ich habe dem Alten aber schon ohnehin meine ganz wohlgegründete Meinung auf eine sehr verständliche Weise gesagt, und er denkt darüber nun in seinem Halbschlafe nach. Morgen ist er sicher ein ganz anderer Mensch, – und wäre es nicht also, wie ich dir's nun gesagt habe, so hätte schon der Herr Selbst ihm etwas entgegengesagt; aber der Herr, wohl wissend, was an dieser Sache ist, scheint davon gar keine noch so kleine Notiz zu nehmen. Wenn aber Er und die hohen Häupter Roms das Ganze völlig ignorierten, so können auch wir beide völlig versichert sein, daß an dieser Erscheinung nicht mehr gelegen war, als wie ich sie dir nun soeben dargestellt habe. Über das hinaus aber muß ich dir für deinen sehr freundlichen Antrag von ganzem Herzen danken, und zwar mit der für mich sehr erquicklichen Versicherung, daß ich vom selben einen ganz unbedingten Gebrauch machen werde. 10. Denn was Beseligenderes kann's für einen ehrlichen Menschen auf dieser Erde wohl nicht geben, als zu leben und zu wirken in einer wahren Menschengesellschaft, deren Motto ,Liebe und Wahrheit‘ heißt, wo des Menschen Menschenwert gegenseitig als das heiligste Unterpfand unseres Seins und also völlig als das anerkannt wird, was er von Gott aus ist, und wo alle Glieder wie aus einem Herzen den Herrn lebendigst erkennen, Ihn lieben und Ihm allein alle Ehre geben und auch wie aus einem Munde sagen: ,Der Herr allein ist alles in allem, und wir aber sind untereinander lauter Brüder, von denen sich keiner auch nur von ferne einbildet, mehr und vorzüglicher zu sein denn sein Nächster; und soll es schon in der Gesellschaft irgend Unterschiede geben, so sollen diese nur darin bestehen, daß einer dem andern ein größerer Freund zu sein trachtet, um mit vereinten Kräften allen Menschen in der vollsten Wahrheit zu nützen!‘ 11. Ja, Freund Roklus, das ist des Menschen wahrster und so ganz eigentlich himmlischer Beruf auf dieser Erde: allen Bedrängten und Notleidenden physisch und geistig zu helfen, wo eine Hilfe irgend nur immer noch möglich ist! Und das ist auch der überklar ausgesprochene Liebewille des Herrn; wer dem treulich nachkommt, der wird selbst sicher auch nicht leer ausgehen! – Bist du nicht auch völlig meiner Meinung?“ Kapitel 102 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 102. — Roklus beleuchtet das Pharisäertum 1. Sagt Roklus: „Ganz mein Leben, mein Herz, mein Gefühl, mein allzeitiges Denken und Trachten und ganz mein Wille also schon von jeher, – und jetzt um so mehr, da ich den Herrn erkannt und Sein ganzes Wesen in mein Herz und in mein Wollen aufgenommen habe für immer und immer! Auch bin ich in bezug auf den alten Stahar nun ein bedeutendes billiger zu reden und zu urteilen denn der im Lichte wandelnde Mensch hat ein leichtes, über die Nacht zu reden. Es gibt am Tage wohl auch Schatten; aber es ist unter jedem Baume heller um vieles denn in der noch so hellen Nacht. Wie aber in der Natur, also auch im Geiste! Bei dem es im Herzen und in der Seele taget, der hat sich gut ärgern über seines Nebenmenschen Nacht; denn seine tartarusfinstersten Gedanken sind noch immer helles Licht gegen die Nacht des lichtesten Himmelsgedankens eines echten Pharisäers. 2. Denn weißt du, bei uns Griechen besteht schon seit sehr lange das Sprichwort über einen Menschen, der so etwas recht Blitzdummes herredet oder verrichtet: ,Der ist ja noch dümmer als ein jüdischer Pharisäer!‘ Ich will damit aber gar nicht sagen, als wären gerade die meisten oder gar alle Pharisäer dumm; aber sehr viele aus ihrer großen Anzahl sind es in jedem Falle. Ich will aber geradewegs noch von der Dummheit nicht soviel reden; aber daß die meisten Pharisäer äußerst böse und unversöhnbar rachsüchtige Menschen sind, das ist eine ausgemachte Wahrheit, die durch eine zahllose Reihe der traurigsten und bittersten Erfahrungen eine nur zu unwiderlegbare Bestätigung findet. Und aus diesem Grunde allein bin ich eigentlich ein abgesagtester Feind dieser Menschen; denn mit ihnen hört jede Gemeinschaft und jeder Handel und Wandel rein auf, – da ist nichts, nichts mehr! 3. Ah, mit den Samaritern ist gut reden und gut handeln, obschon sie auch nach der Lehre Mosis leben! Auch mit den Sadduzäern ist es nicht völlig aus; aber mit den Erzjuden, wie sich die Pharisäer nennen, ist gar nichts anzufangen! Man wird von ihnen nur dann geachtet, wenn man sich von ihnen allzeit auf das alleraußerordentlichste hat breitschlagen lassen. Gib alles, was du hast, den Pharisäern und stirb dann vor ihren fetten Türen Hungers, so bist du dann ein wahres Gotteskind und von den Pharisäern als ein heiliger und hochgeachteter Mensch benamset! Wehe dem, bei dem sie nur einigen Verstand merken, – der wird schon allzeit mit scheelen Blicken angesehen und wird bei den Eifersüchtigen nimmer zu irgendeinem Ansehen gelangen, außer er brächte ihnen ein großes Opfer und ließe sich dann mit seinem hellen Verstande zu den niedrigsten Zwecken zum Wohle der Pharisäer gebrauchen! 4. Was gibt aber alles das zusammengenommen dem Forscher nach Licht und Wahrheit für einen Aufschluß über die Erzjuden, die da den Amtstitel ,Pharisäer‘ führen? Keinen andern als den, welchen ich einmal ganz unbemerkt von zwei miteinander dahinschlendernden und sehr wohlgenährten Pharisäern mit meinen höchst eigenen Ohren vernommen habe! Ich will sie mit A und B nur des Unterschiedes in der Rede wegen bezeichnen. 5. A sagte zum B mit einer etwas verschleimt rauhen Stimme: ,Höre du, die dumme Fabel von Moses, der nie bestand, ist durchaus nicht übel! Von einer Wahrheit ist darin wohl keine Spur, und Jehova ist ein leerer, dichterischer Gedanke, und alles das in unserer Schrift Gebotene ist ein Werk der Menschen, wie diese ein Werk der Natur sind, die gleichfort schafft und wieder zerstört! 6. Gott und Götter aber sind nur die Menschen, die Kraft und Energie genug dazu besitzen, sich selbst dazu zu machen. Dazu ist nur der Anfang schwer; ist die Sache einmal nach vielen Jahren recht aus- und durchgebildet, so ist dann alles nur eine Spielerei. Mit einigen Scheinwundern läßt sich die ganze Welt breitschlagen. Man erbaue dann nur recht bald berggroße Tempel und schmücke sie von außen und ganz besonders von innen mit allerlei mystischem Quark und lehre die blinde Menschheit einen irgendwo seienden allmächtigen Gott kennen, dessen Diener und Willensvollstrecker natürlich niemand anders als nur wir Priester sein dürfen! 7. Man muß, um angesehener zu bestehen, die Menschheit auch mit allerlei schwer oder wohl auch gar nicht möglich zu haltenden Gesetzen, als von Gott, unter der schärfsten Sanktion belasten und die Übertreter stets rücksichtslos strafen! Dadurch wird Gehorsam, Furcht und Schwäche des Volkes erzeugt und erhalten; und hat man einmal das durchgesetzt, dann hat man überall gut Herrgott sein. 8. Aber man muß dabei dennoch stets die größte Aufmerksamkeit dahin wenden, daß im Volke ja keine weitere Aufklärung zustande komme als bloß insoweit nur, daß der Mensch zur Not nur so viel reden kann, daß er unsere Worte versteht. Nur einen Schritt darüber hinaus, und es werden sich gleich Frager vorfinden, die sich nach allerlei erkundigen werden! Wenn aber die Menschen zu fragen anfangen, so beweist das, daß sie auch schon zu denken angefangen haben; Priester und ein von ihnen moralisch beherrschtes, denkendes Volk taugen aber ewig nie füreinander! 9. Die Menschen dürfen nicht viel mehr Geist besitzen als ein abgerichteter Ochse oder ein folgsamer Esel; über diese Schranken hinaus, – und der Priester Ansehen gleicht bald einem leck gewordenen Schiffe! Das Volk darf ja nie auch nur eine Ahnung von unserem inneren Wissen bekommen; denn wenn das der Fall ist, so wird es darauf mit unserem eigentlichen Sein bald aus sein! 10. Daher heißt es besonders in dieser Zeit, in der sich allerlei verdammliche Volkserleuchter einzustellen anfangen, ja vor allem darauf schauen, daß sie von der Erde weggeputzt werden! Obwohl da eine Schwalbe noch lange keinen vollen Sommer bringt, so ist sie aber doch ein Fingerzeig, daß ihr ehest mehrere folgen werden. Allein, die Schwalben können kommen, so viele ihrer wollen, so können sie höchstens den Sperlingen gefährlich werden; aber die Aufklärer werden uns gefährlich, – daher nur gleich nieder mit gar einem jeden!‘ 11. Das war die löbliche Rede des A, und der B, ein kleiner, pausbackiger Kerl, gab dem A vollkommen recht; nur zuckte er dabei mit den Achseln und beteuerte: ,Dieses dürfte nun sehr schwer sein wegen der sehr geweckten Römer, durch die unsere Juden bereits ums unglaubliche für uns verdorben worden sind! Und zum größten Überflusse mußte ein wahrer Satan uns noch die überaus lästigen Essäer auf die Nase gesetzt haben, und dazu noch unter dem Schutze Roms stehend! Wenn wir uns nun nicht durch die allerschlauesten und allerfeinsten Betrügereien bei dem Volke von neuem zu insinuieren (einzuschmeicheln) beginnen, so wird es bald aus sein mit uns! 12. Wir müssen uns nun mit allerlei Wunderwirkerei ausrüsten, weil damit selbst ein schon aufgehellter Mensch noch am allerfüglichsten breitgeschlagen werden kann; aber die Wunder müssen ganz auserlesen und ganz neu und nicht leichtlich je dagewesen sein, sonst sitzen wir auf, und die verwünschten Magier, von allen Seiten Jerusalem zuströmend, machen uns verdächtig und am Ende gar lächerlich, – besonders jetzt, wo zum größten Überflusse auch die Essäer vor unseren Augen Wunder wirken, daß es eine helle Schande ist, und wo noch in Galiläa ein neuer, alleraußerordentlichster Wundertäter aufgetreten ist und etwa schnurstracks gegen uns mit aller Energie zu Felde zieht und uns um jeden Preis verderben will! Der muß aber auch um jeden Preis von uns vernichtet werden, so wie der gewisse Täufer im Jordan auch vernichtet werden muß; denn der hat uns schon unberechenbar geschadet! Kurz, derlei Aufklärer müssen vernichtet werden, sonst kommen unsere alten Volksbetrügereien in der nacktesten Weise ans Tageslicht und mit uns und mit unserem Wohlleben hat es ein immerwährendes Ende erreicht. – Was meinst du da?‘ 13. Sagte abermals der A: ,Bin ganz mit dir einverstanden, wenn die gar zu lau und dabei doch überaus geizig gewordenen Vorsteher des Tempels von ihren schon ins Unermeßliche gehenden Schätzen einen Teil opfern möchten! Aber sie denken: ,Wir haben das Unsrige; gehe dem nun, wie ihm wolle, wir werden mit unseren Schätzen überall gar gut bestehen! Solange die Kuh eine Milch gibt, werden wir sie melken; gibt sie hernach einmal keine Milch mehr, so schlachten wir sie gleich lieber selbst und verschaffen uns aus ihrem Fleische am Ende noch einen ganz wohlschmeckenden Braten!‘ Sie haben die Sachen schon zu weit kommen lassen, und es wird nun schwerhalten, die Menschen so zu umdunsten, daß sie uns allein glaubeten. 14. Ja, hätten wir die Römer auf unserer Seite, da wäre es ein leichtes; aber so haben wir aus einiger Politik bloß nur den Herodes einigermaßen für uns! Mit dem Pilatus ist kein Wort zu reden; denn der hat den größten Römerstolz und läßt niemand von einem auch noch so hohen Judenstande vor sich kommen, außer in den allerernstesten römischen Rechtssachen, – und selbst da zieht ein Jude gegen einen Römer schon allzeit das kürzere!‘ 15. So in der Weise besprachen sich die beiden, hinter denen ich einherging, noch eine Weile fort, und es wird seitdem etwa bei drei Wochen sein, als ich solchem löblichen Gespräche zufällig zuhörte, und zwar in der Nähe von Bethlehem, wo ich damals zu tun hatte. Und dieses Gespräch bestärkte mich noch mehr in meinem Atheismus; denn daraus entnahm ich, daß auch jene, bei denen ich noch den meisten Glauben an einen Gott vermutete, aber auch gar keinen Funken von einem Glauben an ein höheres Gottwesen hatten. Ich fand da meine schon lange vorher gefaßte Meinung, daß sämtliche Gotteslehren nichts als ein allerschalster und boshaftester Betrug seien, vollkommen bestätigt.“ Kapitel 103 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 103. — Roklus ereifert sich über Stahars geistige Blindheit 1. (Roklus:) „Erst hier lernte ich wieder einen wahren Gott in einem vollendeten, besten und weisesten Menschen kennen, und Dieser allein ist es und außer Ihm keiner mehr; denn in Ihm allein finde ich alle jene Eigenschaften vereint, die nach dem Urteile der reinen Vernunft ein Gott haben muß, ansonst Er unmöglich ein Gott sein kann. Das erkannte und erkenne ich nun als ein Heide und als ein früherer Atheist lebendigst vollkommen in mir, – und dieser alte, strenge jüdische Gottesdiener mag solches nicht erkennen! Warum aber erkennt er das nicht? Weil er je weder die Wahrheit und noch weniger je den wahren Gott gesucht hat! 2. Ich habe beinahe die halbe Erde bereist, um die Wahrheit und einen möglich wahren Gott zu finden; aber alle meine großen Opfer waren vergebens! Ich gab alles fernere Suchen auf und warf mich der Weltweisheit in die Arme und fand bei meinem heroischen Geiste bald eine Befriedigung darin und so viel des innern, immerhin sehr schätzbaren Lichtes aus den Schriften des Sokrates, Plato und Aristoteles, daß ich daraus wahrzunehmen anfing, daß ein Mensch durch die innere Liebe und Weisheit sich erst ein transzendentales Leben bilden kann, das fürderhin nicht so leicht zerstörbar sein wird wie das Leben des durch und durch morschen Fleisches. 3. Hier aus dem Munde des Herrn alles Lebens vernahm ich dieselbe Lehre, nun mit dem klarsten Lebenslichte durch und durch erleuchtet! Der Herr Selbst also kam mir so lange vergebens Suchendem entgegen und gab mir somit hier in meiner eigentlichen Heimat nächster Nähe alles das, was ich so lange vergebens in aller Welt mit vielen Opfern und Mühen gesucht habe. 4. Habe ich aber die ewige und lebendigste Wahrheit so schnell hier finden und als solche erkennen können, warum denn der alte jüdische Gottesdiener nicht? Weil er, wie ich solches nicht nur aus dem Gespräche der beiden miteinander wandelnden Pharisäer, sondern bei tausend andern nur zu klar erfahren habe, keine Wahrheit je wieder für sich und noch um vieles weniger für jemand anders gesucht hat! 5. Er war aus den selbstsüchtigsten und herrschgierigsten Absichten ja stets nur ein größter Feind aller Wahrheit und jeder Aufklärung eines Volkes, kam aber nun auch hierher und befand sich gleich in einem wahren Ozean von Wahrheiten höchster und allertiefster Art. Seine Haut konnte sich unmöglich dagegen sträuben; aber sein nun durch den Weindunst ein wenig aus der alten Lethargie geweckter Geist zeigte uns allen nun klar und deutlich, daß er in sich noch ein ganz eingefleischter Pharisäer ist! 6. Freilich schon ein altkrummgewachsener Baum, der schwerer geradezubiegen ist denn ein junger; aber bei dem wird auch eine langsame und mit aller Vorsicht vorgenommene Geradebeugung etwa wohl eine völlig vergebliche Arbeit sein! Ich will dir, mein lieber Freund Floran, aber damit nicht in Abrede stellen, daß am Ende auch dieser alte Krummstamm ein gerader wird! Aber vom Weine wird er sich festweg enthalten müssen, sonst wird mit der Geradebeugung seines Erzjudenstammes nicht viel Ersprießliches zum Vorscheine kommen!“ Kapitel 104 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 104. — Stahars Selbstbekenntnis und Lebenserfahrungen 1. Erhebt sich nun Stahar und sagt etwas grämlich zum Roklus: „Du hast wohl im allgemeinen das gegenwärtige Pharisäertum eben nicht unrichtig beurteilt; aber was dein Urteil über mich betrifft, so hast du dich sehr bedeutend geirrt! Denn ich habe geheim ebensogut wie du offenbar die Wahrheit des Lebens gesucht und habe solche auch erst jetzt hier im Übermaße gefunden, und niemandem tat sie wohler denn mir, – und vielleicht auch hatte geheim niemand von euch eine so große Freude daran wie eben ich selbst! Für mich war und ist sie ein unschätzbarer Edelstein, den ich fürder um eine ganze Erde nicht vertauschen möchte! 2. Ich war und bin noch überselig in solchem Lebenslichte; aber es kam ein Wölkchen über mein Gemüt, als ich den Herrn so recht wacker den Becher ergreifen sah. Warum? Das habt ihr bereits heraus, und Floran hat mir mit seinem Lebenswinde das schwarze Wölkchen ganz hinweggeweht und hat dadurch an mir ein sehr gutes Werk verrichtet, wofür ihm der Lohn nicht ausbleiben wird; aber du, Freund Roklus, hast mich ganz rücksichtslos und im Grunde auch ein wenig falsch beurteilt! 3. Auf daß du aber siehst, daß ich nicht jetzt und auch früher nie so ganz zu jenen Pharisäern gehört habe, wie du zuvor ein paar hast auftreten lassen, will ich dir dadurch beweisen, daß ich dir fürs erste deine über mich gelassene ganz falsche Beurteilung von ganzem Herzen vergebe und fürs zweite dir den freundlichen Antrag stelle, auch mich samt dem Floran in euer Institut aufzunehmen! 4. Bei dieser Gelegenheit mache ich dir denn auch bekannt, daß ich zu öfteren Malen im Rate zu Jerusalem wider euer Institut sogar den Vorsitz geführt habe und das Institut mir viel zu danken hat! Denn nach dem alten Sprichworte, daß viele Hunde des Hasen Tod sind, wäre auch das Institut, wenn von uns alle Mittel in Tätigkeit gesetzt worden wären, zugrunde gerichtet worden; aber meiner sicher sehr gediegenen Einsprache ist es endlich gelungen, euer Institut in unserer Nähe zu dulden. Denn ich machte den Templern begreiflich, daß das Institut der Sache des Tempels mehr förderlich als hinderlich ist, indem dadurch viele, die an den Tempel schon lange allen Glauben verloren haben, eben durch die Wunder eures Institutes wieder ihre Augen zu den alten Zinnen des Tempels richten werden, von dem sie aus der Schrift und mündlichen Tradition noch gar wohl wissen, was Außerordentliches sich alles in und außer dem Tempel zugetragen hat. 5. Ich war es auch, der es dem Tempel widerriet, wider die Wunder eures Institutes ins Feld zu ziehen, weil der Tempel dadurch seine eigenen verdächtigen würde. Und siehe, mein Rat wurde von dem Tempel aus bis jetzt noch immer sehr respektiert, und du kannst es nicht behaupten, daß vom Tempel irgend etwas Wesentliches wider euch wäre unternommen worden! Wenn ich mich aber gegen euch schon als noch ein Erzjude seiend also benommen habe, so werde ich als euer Mitglied mich wohl auch nicht gegen euch verhalten, und das nun um so weniger, nachdem wir alle hier die größte Lebenswahrheit gefunden haben und einen und denselben Herrn und Meister von Ewigkeit! Ist dir mein Antrag genehm, so bejahe solches, und ich bin mit allen meinen nicht unbedeutenden Schätzen der eurige im Namen des Herrn!“ 6. Hier reichte Roklus ganz gerührt dem Stahar die Hand und sagte: „Sei mir tausend Male willkommen, Bruder Stahar! Du sollst an meiner Seite das Institut leiten!“ 7. Sagt Stahar: „Ja, was da in meinen Kräften steht, werde ich auch unfehlbar tun; aber wie du selbst es recht gut merken wirst, so sind meine Kräfte nicht mehr irgend weit her, – denn mit etlichen siebzig Jahren Alters kehrt man keine Häuser mehr um! Wohl bin ich sonst noch ganz rüstig und fühle mich noch so recht jugendkräftig, besonders an schönen, heiteren Tagen; aber es verhält sich mit der jugendlichen Springkraft eines Greises ungefähr also wie mit der Anmutsdauer eines schönen und warmen Spätherbsttages. Einige Stunden läßt er nichts zu wünschen übrig; aber gleich darauf erhebt sich ein schaurig kalter Wind, und mit der Anmut des Tages hat es sein Ende! 8. So ist es auch mit mir. Heute fühle ich mich so kräftig wie ein junger Löwe, und morgen kann ich gleich so elend und schwach dastehen, als hätten mir die Vampire jeden Blutstropfen entzogen! Und daher darfst du dir von meiner Hilfeleistung eben nicht gar zu besonders viel versprechen. 9. Aber meine vielen Erfahrungen sollen samt meinen irdischen Schätzen dein Eigentum sein! Du wirst sie noch langehin recht wohl brauchen können, da du erst etliche fünfzig Jahre zählst, die gegen die meinigen ein wahres Jünglingsalter zu nennen sind. An allerlei Erfahrungen aber fehlt es bei mir wahrlich nicht, und vielleicht vermache ich dir mit meinen vielen und sehr wichtigen Erfahrungen einen größeren und fürs Leben wertvolleren Schatz denn mit meinem vielen Golde, Edelsteinen und Perlen! 10. Auch ich war im Anfange ein emsiger Sucher nach Wahrheit. Ich habe auch viele Länder und Städte durchwandert und gesucht Wahrheit und Menschen und muß offen bekennen, daß mein Suchen eben kein ganz erfolgloses war. Ich gewahrte in mir oft ganz helle Momente. Aber wie es in dieser Welt den Menschen schon allzeit ergeht, so erging es auch mir. Heute ist man ganz hell, morgen aber stellen sich allerlei dumme, irdische Sorgen ein und verdunkeln des Menschen Gemüt ganz und gar, und es nützt da kein Sich-Sammeln im Geiste. 11. Die Welt stürmt auf unser Gemüt ohne alle Schonung und Rücksicht ein und zerstört nicht selten jede Spur eines höheren und inneren Lebenslichtes. Und betrachtet man sich nach solchen allerleiartigen Weltstürmen, so sieht es dann im Herzen gerade also aus wie auf der großen Sandwüste Sahara in Afrika; alles höhere Leben liegt wie tot darnieder, und fängt man an, es abermals zu rütteln und aufzurichten, so kommt es einem dabei gerade so vor, als wollte man auf einer wüsten Steppe Äcker, Gärten und Wiesen anzulegen anfangen! 12. Ja, es gehört wohl gerade nicht zu den unmöglichen Dingen, auf der Welt auch aus einer Sandsteppe ein fruchtbares Land zu machen; aber da gehört viel Arbeit und Geduld dazu! Man müßte zuerst gute Brunnen graben, dann fremdes und gutes Erdreich von weit her holen und damit den Sand weit und breit und tief zur Genüge überdecken; dann müßte man aus den Brunnen Wasserleitungen nach allen Richtungen hin machen und das über dem Sande liegende Erdreich fleißig bewässern, so würde dadurch eine frühere Sandsteppe sicher bald zu einem Eden sich umgestalten. Aber wer hätte zu solch einer Arbeit die rechte Zeit und Lust und die dazu erforderlichen Mittel? 13. Und, Freund, ebenso geht es bei einem Menschen, der durch die verschiedenartigen Weltstürme zu einer wahren Lebenssandsteppe geworden ist! Es mangelt nicht gerade an der Möglichkeit, ein voller Lichtmensch zu werden; aber wo hat der Mensch da die Kräfte, die Geduld und die dazu erforderlichen Mittel, besonders wenn er nahe ganz allein für sich dasteht?! Ja, hier bei dieser außerordentlichen, noch nie dagewesenen Gelegenheit wird freilich wohl leicht eine noch so wüste Sandsteppe zu einem blühendsten Eden physisch und geistig! Das macht des Herrn Allmacht, die aus Wasser den besten Wein und aus Steinen das wohlschmeckendste Brot darstellen kann! 14. Ich aber habe fünfzig Jahre an mir fleißig gearbeitet und damit bis jetzt doch nichts erreicht; jetzt aber habe ich nichts mehr gearbeitet und wollte auch von keiner Arbeit irgend mehr etwas hören, und eben jetzt in meinem müßigen Zustande hat mir der Herr mehr gegeben, als ich je gesucht habe! Es ist dadurch aus meiner alten Lebenssandsteppe nun wohl ein üppigster Lebensgarten geworden; aber da habe ich nichts mitgewirkt, sondern der Herr hat es freiwillig getan! Wie's aber hier bei mir und den neunundvierzig Gefährten der Fall nun ist, so war es der Fall auch mit vielen andern, von denen du selbst keine Ausnahme machst! 15. Ich habe mich gar oftmals überzeugt, daß die Menschen gerade das, was sie oft am alleremsigsten suchen, am seltensten finden, und dann schon gar am allerseltensten, wenn sie es gerade suchen. Wenn ein Mensch auf einem Wege etwas verloren hat und kehrt um und sucht mit allem Fleiße das Verlorene, so findet er sicher alles eher als gerade das, was er verloren hat. Ein ganz fremder Mensch, der später desselben Weges zieht, der findet ganz zufällig leicht den Verlust seines ihm sicher ganz unbekannten Vorgängers. Warum fand das Verlorene einer, der es sicher nie gesucht hat, und warum derjenige nicht, der es verloren und darauf gleich mit allem Fleiße gesucht hatte? Da haben die Heiden nahezu recht, so sie solche Erscheinungen ,Tücken des Schicksals‘ nannten!“ Kapitel 105 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 105. — Die unbegreiflichen Wege der Vorsehung. Stahars Gründe für die dem Herrn gegenüber geäußerten Zweifel 1. (Stahar:) „So sucht ein junger Mensch sich eine Braut. Er klopft hie und da an und findet nichts als Abweisungen über Abweisungen. Er wird darob ganz erbost und sagt: ,Nein, jetzt habe ich's satt! Ich bleibe ledig und werde meine Wirtschaft selbst, so gut es nur immer gehen mag, betreiben!‘ Wie er nun ganz ernsten Willens von aller Brautwerberei absteht, so bekommt die Sache aber geschwind ein anderes Gesicht! Es kommen nun die Bräute dutzendweise, für jeden Finger zehn, wenn er sie nur versorgen könnte! Ja, warum denn jetzt, und warum nicht früher, als er die Bräute gesucht hatte? 2. Ein dritter geht fischen, gerade in einer Notzeit, weil er Fische für den Markt braucht. Er müht sich, mit allen Kniffen und andern Kunstgriffen für die Fischerei bestens ausgerüstet, eine ganze Nacht ab, und seine Netze bleiben leer. Am Morgen gibt er ganz verdrossen die ganze Fischerei weidlichst auf, wirft aber seine Netze bloß des Scherzes wegen dennoch noch einmal aus, und zwar mit der vollen Überzeugung, auch nicht einen Fisch zu fangen. Und siehe, die ausgeworfenen Netze fangen an, vor lauter Menge der gefangenen Fische von der schönsten Art und edelsten Gattung zu reißen! Ja, warum denn jetzt auf einmal so viel – und früher die ganze Nacht hindurch nichts? 3. So schmachteten die Menschen etliche Jahrtausende unter dem Joche der dicksten Finsternis des allerartigen Aberglaubens. Tausendmal Tausende suchten das vollwahre Lebenslicht. Aber was fanden sie? Gerade das, was wir beide bis jetzt gefunden haben, nämlich – nichts! Was blieb am Ende mir und dir, und also auch vielen Tausenden, übrig? Nichts, als politischermaßen schön fein bei dem zu verbleiben, was wir hatten, und was wir uns durch allerlei Erfahrungen zu eigen gemacht haben! Jetzt, an der Neige unserer irdischen Lebenstage aber haben wir nichts mehr gesucht, und siehe, wie durch einen Zauberschlag hat sich die Pforte des alten Gotteslichtes geöffnet, und wir atmen nun Ströme des Lichtes ein! Warum denn jetzt, und warum früher nicht? – Sieh, so geht es in der Welt, und so will es offenbar der Herr! Warum es aber gerade also und nicht anders ist und sein kann, das wird der Herr auch ganz allein wissen! 4. Dort unten am Tische des Herrn sitzen Seine Hauptjünger. Wer sind sie denn? Ich kenne sie alle! Sie sind Fischer, darunter kaum einige des Lesens und Schreibens kundig, – sonst ehrliche und strebsame Leute! Von ihnen hatte gewiß keiner, uns beiden gleich, je eine höhere und tiefere Lebenswahrheit gesucht, – und siehe, sie haben ein Licht erhalten vor uns allen, die wir unser Leben lang gesucht haben! Glaube es mir, unsere Namen werden untergehen wie das Licht eines Fallsternes und wie das eines Blitzes; aber ihr Licht und ihre Namen werden glänzen bis ans Ende aller Zeiten und die Ewigkeit hindurch! – Wer ist nun besser daran, einer, der sonst wie ein ganz ehrlicher Mensch auf der Erde gelebt und gehandelt hat, oder einer, der sein ganzes Leben dem Forschen nach den inneren, tiefen Lebenswahrheiten geweiht hat? 5. Die Hausordnung des Herrn ist und bleibt dem sterblichen Menschen gleichfort ein unauflösbares Rätsel. Aber was kann der ohnmächtige Mensch da anders tun, als die Sache mit aller Geduld also nehmen, wie sie kommt; denn von uns aus läßt sich da nichts bestimmen und ändern! Oder können wir nun oder je früher etwas darum, daß wir jetzt so zufällig als nur immer möglich zum allerkolossalst intensivsten Lebenslichte gelangt sind? Wir suchten lange genug mit allen Laternen, von einem wahren Gotte nur wenigstens insoweit uns einen Begriff zu verschaffen, daß wir mit voller und überzeugender Einsicht hätten annehmen können, daß es irgendeinen Gott, der alles leitet und beherrscht, geben muß. Aber umsonst! 6. Was wir suchten, rückte immer tiefer und tiefer in den nichtigen Grund zurück, und wir standen dann der vollen Wahrheit nach bald ganz ohne einen Gott auf der weiten Erde. Du wardst ein Essäer und als solcher ein Magier in OPTIMA FORMA. Ich hingegen blieb dem Außen nach ein nagelfester Pharisäer und leistete als solcher ordentliche Wunder der scheinbaren Frömmigkeit vor dem blinden Volke. Und so lebten wir beide nun eine geraume Zeit ganz harmlos dahin. 7. Den Weg hierher zum alten Fischer Markus haben wir beide zum Vergnügen gar oft gemacht. Haben wir aber je auch nur eine allerleiseste Anmahnung von dem wahrgenommen, daß uns beiden hier einmal das größte Lebenslicht aufgehen werde, daß wir eben hier den allein wahren Gott, von dem wir nicht einmal trotz alles Suchens ehedem einen allerleisesten Begriff bekommen konnten, nicht nur begriffsmäßig, sondern – INCREDIBILE DICTU ["unglaublich zu sagen!"] – sogar vollkommen persönlich kennen lernen, und das auf eine Art, die keinen noch so geringen Zweifel hinter sich läßt? Sieh, so geht es in allen Dingen von Gott aus! Wenn man eigentlich gar nichts mehr sucht, dann findet man oft tausendmal mehr, als man gesucht hatte! 8. Du hast dich zwar ehedem über mich aufgehalten, als ich gewisse Äußerungen von mir ließ, die des Herrn unbezweifelbarste Gottheit in einen Zweifel zogen. Mir gefiel heimlich dein Ernst, und wäre es mir mit meinem vorgeschützten Zweifel ernst gewesen, – glaube es mir, daß ich dir schon auch etwas entgegnet haben würde! Aber ich hatte heimlich eine rechte Freude über dich; denn ich dachte mir: ,Wüßtest du, warum ich so ganz eigentlich einen Zweifel erhob, so hättest du im Herzen jubeln müssen!‘ Mich wunderte es nur, daß du dabei den heitern Gleichmut des Herrn übersehen hast, und daß du des Raphael an dich gerichtete Worte viel zu wenig in ihrer wahren Tiefe erfaßt hast. Darum sage ich dir nun noch einmal, daß meine gemachten vielen Erfahrungen einen großen Wert haben! Freund, wer Albions (Englands) Küsten gesehen hat, der hat sicher schon so manches erfahren! 9. Wähle du dir nur zwanzig noch so bewährte und alleraufrichtigste Freunde, und du darfst darauf rechnen, daß unter ihnen sicher ein Verräter lauert, der bei der nächstbesten Gelegenheit einen Schurken machen kann! Ich stehe hier an der Spitze von neunundvierzig, kannst du da mit Sicherheit annehmen, daß darunter gar keiner sei, der zwei Zungen hätte?! Aber SAPIENTI PAUCA!, ["Dem Weisen genügt weniges!"] – du verstehst mich hoffentlich; denn gar zu laut braucht man noch immer nicht davon zu reden! Ich stand darum auch vom Tische auf, um hier in einiger Entfernung von meinem Tische ein paar freiere Worte mit dir tauschen zu können. Mein Floran, ja, auf den kannst du Häuser bauen; aber es bleiben dann noch achtundvierzig übrig, von denen es sehr notwendig ist, sich vorher ihrer innern Stimmung völlig zu versichern, ehe man mit ihnen ein ganz neues Feld will zu bebauen anfangen! 10. Du warst ein vollkommener Atheist, ich nicht minder! Aber etliche aus den neunundvierzig waren stets zu dumm dazu; die glaubten an des Tempels mit Händen zu greifende Betrügereien. Sie können daher nur abergläubische, blinddumme Fanatiker sein! Und glaube es mir, daß solche Menschen stets gefährlicher sind uns wahren Menschen gegenüber denn eine ganze Herde Löwen! Darum ist hier eine feine Klugheit sicher am rechten Platze. Aber sieh, mein scheinbares Auflehnen gegen den Herrn war von guter Wirkung! Die meisten gaben mir unrecht und halten es mit dem weisen Floran; nur so ein paar dürften nun noch darunter sein, die es eher mit mir als mit dem Floran hielten. Aber selbst diese meinen, daß ich etwa möglicherweise denn doch ein wenig zu weit gegangen bin! Und nun, lieber Freund Roklus, urteile du nach Recht und Gebühr, erstens, ob ich recht gehandelt habe, und zweitens, ob ich deiner Freundschaft, einem Floran gleich, wert bin!“ Kapitel 106 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 106. — Der Engel begrenzte Einsicht in das Denken des Herrn 1. Sagt Roklus: „Mein allerschätzbarster Stahar, es hätte dazu so vieler Worte wahrlich nicht bedurft; denn ich habe mich mit dir ja ohnehin gleich ausgekannt, und ich bin der lebendigen Meinung und vollsten Hoffnung, daß wir beide, einem und demselben Zwecke dienend, die sicher gesegnetsten Erfolge zustande bringen werden. Der Herr wird uns mit Seiner Hilfe nicht verlassen, und somit gehen wir einer sicher schönsten Zukunft entgegen, die, wenn hier auf Erden nie völlig, aber doch jenseits auf das glänzendste erfüllt wird. – Aber nun begeben wir uns wieder auf unsere Plätze! Der etwas fatale Wind läßt nach, und dennoch bleibt das Firmament mit seinen unzählbar vielen Sternen völlig rein. Wenn ich mich nicht irre, so macht der Herr Miene, wieder etwas zu tun oder eine neue Lehre uns zu verkünden, – und da heißt es ganz Aug und Ohr sein!“ 2. Stahar bemerkt solches auch und sagt: „Ja ja, du hast recht, da geschieht etwas, und wie ich's merke, so weiß auch Seine nächste Umgebung nicht, wie sie daran ist! Cyrenius fragt Ihn wohl heimlich, was Er vorhabe; aber diesmal scheint der Herr mit der rechten Antwort nicht recht herauszuwollen! Ja, ja, mein liebster Cyrenius, ein Gott ist noch ein bißchen mehr denn so ein Cäsar Roms!“ 3. Sagt Roklus: „Ein bißchen hast du die Römer, wie es mir so vorkommt, noch immer im Magen! Aber es macht das nichts; denn hie und da haben sie wohl übertrieben die Herren der Welt gespielt! Aber nun auf unsere Plätze!“ 4. Beide begeben sich nun zu ihren Tischen. Als Stahar wieder seinen Platz einnimmt, fragen ihn gleich mehrere, was er etwa doch mit dem Griechen alles verhandelt habe; Stahar aber verweist ihnen solche weibische Neugierde und sagt vorderhand nichts. 5. Den Roklus aber nimmt Raphael ein wenig in die Arbeit und sagt: „Nun, geschieht es dir nun leichter?“ 6. Sagt Roklus: „Allerdings; denn nun weiß ich doch auf dem Wege der eigenen Erfahrung, wie ich mit dem alten Stahar daran bin, und es freut mich ganz ausnehmend, auch mit dem Stahar dahin meine Meinung vollständig bestätigt gefunden zu haben, daß nahe kein Priester, von welcher Lehre er auch immer sein mag, für seine Person das glaubt, was er die andern Menschen mit Feuer und Schwert glauben macht! Denn auch der Stahar war gleich mir ein vollkommener Atheist und ist erst hier, samt mir, ein wahrer Gottesgläubiger geworden. Aber nun kein Wort mehr davon! Du Freund aus den Himmeln, merkst du nicht, daß der Herr etwas vorhat? Entweder kommt eine Tat, oder Er wird etwas reden!“ 7. Sagt Raphael: „Allerdings; denn der Herr ruhet nimmer und hat stets unendlich vieles vor! Warum sollte Er jetzt auf einmal irgend weniger etwas vorhaben als sonst immer?!“ 8. Sagt Roklus: „Mein himmlischer Freund, das weiß ich so gut als du; es handelt sich hier aber nun nur darum, ob Er nun nicht etwas ganz Besonderes vorhat!“ 9. Sagt Raphael: „Nun ja, du wirst es schon sehen, was da zum Vorscheine kommen wird. Allzeit offenbart uns der Herr denn auch nicht, was Er zu tun willens ist, obwohl wir der personifizierte Ausdruck Seines Erzwollens sind. Wir sind als Ausfluß Seines urgöttlichen Lebens, Wollens und Seins Ihm am nächsten und sind im Grunde nichts als der Ausdruck des göttlichen Willens und der göttlichen Kraft, aber nicht in Seiner persönlichen Wesenheit, sondern außerhalb derselben seiend und wirkend. Wir sind um Gott herum so ungefähr das, was das aus der Sonne ausfließende Licht ist, das auch überall, wohin es nur immer kommt, alles belebt, bildet, erzeugt, reift und vollendet. 10. Wenn du der Sonne einen Spiegel entgegenhältst, so ersiehst du im Spiegel das Abbild der Sonne genau, und der aus dem Abbilde der Sonne dir zuströmende Lichtstrahl wird dich so gut erwärmen wie der unmittelbare Strahl aus der Sonne selbst, und fängst du den Sonnenstrahl mit einem Alexandrinischen Spiegel auf, der auch ein Hohlspiegel genannt wird, so wird der zurückgeworfene Strahl eine viel größere Licht- und Wärmeentwicklung äußern als das aus der Sonne unmittelbar ausfließende Licht. Und das sind wir Erzengel geistig; ein jeder geistig vollendete Mensch wird dasselbe in einem noch viel höheren Grade sein. 11. Aber wie alles dessen ungeachtet dennoch kein Spiegel, auch kein Alexandrinischer, das in sein Abbild aufnehmen kann, was alles in der gesamten inneren Sonne ist und geschieht, so kann auch ich nicht in mir das wahrnehmen, was der Herr in Sich denkt und beschließt. Zur rechten Zeit wird dann Sein Wille schon nach außen hinaus zu strahlen anfangen, und ich und alle meinesgleichen werden denselben alsogleich in uns völlig aufnehmen und ihn befördern in alle Unendlichkeit hinaus; darum führen wir auch eigenschaftlich den Namen ,Erzboten‘, weil wir die Austräger und die Auswirker des göttlichen Willens sind. Und siehe, du mein allerschätzbarster Freund Roklus, eben jetzt beschließt der Herr auch irgend etwas in Sich; aber ich weiß nicht, worin es besteht, weil das der Herr noch in Sich festhält und nicht ausfließen läßt! 12. Oh, es gibt im Herrn noch gar endlos vieles, das wir nicht kennen und auch nie kennen werden aus unserem Forschungstriebe heraus! Wenn aber Er es wollen wird, dann werden wir dessen inne und danach vollauf tätig werden. Übrigens habe nur auch du selbst acht darauf! Kommen wird etwas Tüchtiges; aber was, das wird die sicher baldige Folge zeigen!“ 13. Roklus verstand die Worte Raphaels und bewunderte dessen Bekanntschaft auch mit den Alexandrinischen Spiegeln, von denen er bei seinen Reisen in Ägypten einige gesehen und erprobt hatte und einen auch für das Institut anschaffte. Kapitel 107 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 107. — Eine Voraussage des Herrn über die Zukunft: Die Völkerwanderung 1. Es trat nun gegen die Mitte der sehr hellen Sternennacht eine große Stille ein. Aller Augen und Ohren waren in größter Spannung auf Mich gerichtet; denn alle erwarteten irgendeine Lehre oder irgendeine Tat von Mir. Ich aber beließ sie eine Zeitlang in solch einer für ihre Seelen höchst wohltätigen Gespanntheit. 2. Nach einer Weile von etwa einer guten halben Stunde erhob Ich Mich rasch und sagte mit lauter Stimme: „Meine Kinder und Freunde und Brüder! Ich sehe es, daß ihr alle in einer sehr gespannten Erwartung da harret, ob Ich nicht etwas tun oder reden werde. Wahrlich aber sage Ich es euch, daß Ich eben diesmal nichts Weiteres zu reden und zu tun habe unter euch; denn Ich habe, den Zeitraum von sieben Tagen unter euch seiend, nahe alles erschöpft, was euch vorderhand not tut zur nachkommenden völligen Aufnahme Meines Reiches in eure Herzen. Aber eure große Gespanntheit nötigt Mich, vor euch immer noch etwas zu reden und zu tun, obwohl auch Meine Fleischglieder ein wenig müde geworden sind. Aber was tut die Liebe der Liebe nicht alles?! Und so habet denn ein aufmerksames Ohr, und tuet weit auf eure Augen! 3. Morgen trennen wir uns auf eine längere Zeit, und Ich werde kaum in einem Jahre diese Gegend wieder besuchen und mit Meinen Füßen betreten; aber da Ich hier einen so großen Sieg erfochten habe und darum ein bleibendes Denkmal in diesem Badhause und in dem neuen Hafen aufgerichtet habe, das nicht leichtlich je gänzlich zerstört werden wird – außer zu einer Zeit, wann der Glaube an Mich verschwinden wird und mit ihm die Liebe –, so will Ich denn auch noch etwas tun. Dann aber freilich, wenn Glaube und Liebe unter den Menschen nicht mehr sein werden, werden Barbarenhorden in diese Lande einfallen und werden zerstören alle Denkmale dieser großen Zeit, die seit Moses bis zu Mir herab sich über diese Länder ergossen hat. 4. Es könnte solches wohl gar leicht verhütet werden; aber es wird dennoch nicht verhütet werden. Es wird dieses Badhaus wohl noch bestehen und der Hafen und wird nicht zerstört zur Zeit, wann Jerusalem fallen wird; dennoch aber wird es keine fünfhundert Jahre alt werden. Denn Ich sage es euch, mit Jerusalem wird der Anfang gemacht werden; aber es werden sich die Menschen nicht kehren nach der Mahnung, die an Jerusalem ergehen wird, und werden verfallen in allerlei Arglist, Welttümlichkeit, Bosheit, Stolz, Lüge, Selbst- und Herrschsucht und Hurerei und Ehebruch. Dann soll erweckt werden ein Volk aus dem tiefen Morgenlande und soll diese Lande überströmen gleich einem großen ägyptischen Heuschreckenzuge und soll zerstören alles: Menschen, Vieh und alle Städte, Flecken, Dörfer und einzelne Wohnhäuser, und soll dann knechten die Völker der Erde weit und breit in Asia, Afrika und Europa, und das so lange, bis über alle Gottlosen ein größeres und allgemeineres Gericht ergehen wird! 5. Aber alle, die Mir treu verbleiben werden im Glauben und in der Liebe, sollen von dem Gerichte verschont bleiben; denn Ich Selbst werde Mich für sie mit einem Schwerte umgürten und vor ihnen ins Feld ziehen. Meinem Schwerte wird aber jeder Feind weichen müssen! Das Schwert aber wird heißen ,Immanuel‘ (Gott der Herr mit uns), und seine Schärfe wird sein die Wahrheit und seine große Schwere die Liebe aus Gott, dem Vater Seiner getreuen Kinder. Wer da kämpfen will, der kämpfe mit der Schärfe der Wahrheit aus Gott und mit der Schwere der Liebe aus dem Herzen des Vaters von Ewigkeit! Mit dieser Waffe ausgerüstet, wird er siegen über jeden Feind Meines Namens, und somit Feind des Lebens und der Wahrheit!“ Kapitel 108 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 108. — Das Zeitalter der Technik 1. (Der Herr:) „Aber es wird kommen am Ende eine Zeit, in der die Menschen zu einer großen Klugheit und Geschicklichkeit in allen Dingen gelangen werden und erbauen werden allerlei Maschinen, die alle menschlichen Arbeiten verrichten werden wie lebende, vernünftige Menschen und Tiere; dadurch aber werden viele Menschenhände arbeitslos, und die Magen der armen, arbeitslosen Menschen werden voll Hungers werden. Es wird sich dann steigern der Menschen Elend bis zu einer unglaublichen Höhe. Alsdann werden abermals von Mir Menschen erweckt werden, und sie werden verkünden die Wahrheit Meines Namens über zweihundert Jahre lang. Wohl denen, die sich daran kehren werden, obwohl ihre Zahl nur eine geringe sein wird! 2. Wenn aber auch die Zahl der Reinen und Guten wie zu den Zeiten Noahs sich sehr verringern wird, dann soll die Erde abermals beschickt werden mit einem allgemeinen Gerichte, in welchem weder der Menschen noch der Tiere, noch der Pflanzen geschont wird. Es werden da den stolzen Menschen nichts mehr nützen ihre feuer- und todspeienden Waffen, nichts ihre Burgen und ehernen Wege, auf denen sie mit der Schnelligkeit eines abgeschossenen Pfeiles dahinfahren werden; denn es wird ein Feind aus den Lüften angefahren kommen und wird sie alle verderben, die da allzeit Übles getan haben. Das wird sein eine wahre Krämer- und Wechslerzeit. 3. Aber was Ich erst jüngsthin einmal zu Jerusalem im Tempel den Wechslern und Taubenkrämern tat, das werde Ich dann im Großen tun auf der ganzen Erde und werde zerstören alle die Kramläden und Wechselbuden durch den Feind, den Ich aus den weiten Lufträumen der Erde zusenden werde wie einen dahinzuckenden Blitz mit großem Getöse und Gekrache. Wahrlich, gegen den werden vergeblich kämpfen alle die Heere der Erde; aber Meinen wenigen Freunden wird der große, unbesiegbare Feind kein Leids tun und wird sie verschonen für eine ganz neue Pflanzschule, aus der neue und bessere Menschen hervorgehen werden! 4. Fasset dieses wohl! Denket aber ja nicht, daß Ich das alles also haben wolle, und es wäre darum etwa das alles schon also bestimmt! Das alles sei ferne von Mir und euch! Aber es wird also sein, wie vor den Zeiten Noahs: Die Menschen werden von ihren vielen Weltkenntnissen und erworbenen Fertigkeiten einen stets böseren Gebrauch machen und werden ganz freiwillig allerlei Gerichte aus den Tiefen Meiner Schöpfung über sich und am Ende über die ganze Erde heraufbeschwören. Da aber sage auch Ich dann mit euch, Meinen biederen Römern: VOLENTI NON FIT INIURIA! [Dem Wollenden geschieht nicht Unrecht!] 5. Ja, es sollen die Menschen mit Maß und Ziel ja alles haben und sich errichten die mannigfachen Bequemlichkeiten fürs irdische Leben und sollen schonen ihre Hände vor schweren Arbeiten, um desto mehr Zeit zu gewinnen für die Bearbeitung und Veredlung ihrer Herzen und Seelen, und sollen sein alle gleich voll Freudigkeit in Meinem Namen durch ihr ganzes Leben; aber unter ihnen soll es keinen Leidenden und Traurigen geben, außer einen mutwilligen Sünder wider jede gute bestehende Ordnung in Meinem Namen! 6. Aber wenn mit der natürlich zunehmenden Geschicklichkeit der Menschen auch ihre Selbstsucht, Habgier und Herrschsucht zunehmen wird und also die Verfinsterung der Menschengemüter, dann natürlich können davon auch die schlimmen Folgen nicht unterm Wege verbleiben! Denn so ihr einen Fuß um den andern schnell weiter und weiter setzet, so kann die Folge des schnellen Weiterkommens nicht ausbleiben. Wer aber mit dem Weitersetzen seiner Füße zaudert, muß sich auch gefallen lassen, so ihm sogar eine Schnecke vorkommt. Von einer Höhe herabfallen, bringt dem Leibe offenbar den Tod; wenn aber jemand das aus der Erfahrung weiß und springt aber dennoch von einer großen Höhe in eine Tiefe hinab, – was ist dann das? 7. Seht, das ist blinder Mutwille, und die arge Folge davon nicht Mein Wille, sondern das unwandelbare Gesetz Meiner ewigen Ordnung, das weder örtlich speziell und noch weniger irgend allgemein aufgehoben werden kann! Oder meinet ihr, daß Ich etwa darum dem Feuer seine zerstörende Hitze nehmen soll, auf daß ein Narr, der in ein Feuer sich stürzt, keinen Schaden leide?! Oder soll Ich dem Wasser das nehmen, daß es ein Wasser ist und der Mensch im selben ehestens ersticken muß, so er entweder unvorsichtig oder mit Gewalt eines andern oder mutwillig in dasselbe fällt?!“ Kapitel 109 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 109. — Vom Selbstgericht der Menschen 1. (Der Herr:) „Sehet an die Berge voll Wälder und Gesträuche! Sehet, diese saugen alle die ihnen zusagenden Naturgeister (Elektrizität, magnetisches Fluidum) im entsprechend gerechten Maße auf! Gehet hin und entwaldet alle die Berge, und ihr werdet die Folgen davon gar sehr bitter schmeckend allerjüngstens schon verspüren! Es werden dadurch gar große Massen von freien und rohesten Naturgeistern die über die ganze Erde lagernde Luft stets mehr und mehr zu erfüllen anfangen. Diese werden, weil sie keine für sie entsprechend tauglichen Wohn- und Tätigkeitsstätten finden, anfangen sich massenhaft zu ergreifen und werden durch ihre Unruhe und durch ihren Hunger und Durst (Assimilationstrieb) die bösesten und alles verheerenden Stürme verursachen und ganze Länder derart gänzlich zugrunde richten, daß darauf in hundert, oft tausend Jahren nichts als hie und da ein Moospflänzchen zum Vorscheine kommen wird, wie es auf der weiten Erde noch heutzutage solche viele Tagereisen weit gedehnten Plätze und Flächen gibt, die ebenso vegetationsleer dastehen wie ein wüster und tauber Kalkstein an den Ufern des Toten Meeres in Unterpalästina, dahin der Jordan fließt. 2. Ja, ist das etwa Mein Wille also? O nein! Denn wo die Menschen frei wollen und auch frei handeln müssen, um Menschen zu werden auch im Geiste, da will Ich für Mich – und stellen es die Menschen noch so toll an – ganz und gar nichts, sondern Ich lasse es nur zu, daß die Menschen ganz unbeirrt das erreichen, um was sie sich so eifrig bestrebt haben, als hinge alle ihre Lebensglückseligkeit daran. Mögen dann die Folgen gut oder schlecht sein, das gilt bei Mir ein ganz Gleiches! Selbst schaffen, – selbst haben! Weiß Ich auch, was in der Folge geschehen wird, so kann und darf Ich dennoch nicht hindernd dazwischenwirken mit Meiner Allmacht; denn tue Ich das, so hört der Mensch auf, ein Mensch zu sein. Er ist dann bloß eine belebte Maschine und sonst nichts und kann für sich und für Mich ewighin keinen Wert haben. Denn er gleicht einem Schreiber, der für sich keine Silbe zu schreiben imstande ist, so er aber dennoch schreiben soll, ein Schreibkundiger ihm die Hand vom A bis zum Z führen muß; und hat er auf diese Weise einen Aufsatz geschrieben, so versteht er ihn dennoch nicht. Und hat er auf diese Art auch hunderttausend Briefe geschrieben, so ist er dennoch ebensowenig selbst ein Schreiber wie der Griffel, mit dem er geschrieben hat. Ebensowenig wäre auch der Mensch dieser Erde ein Mensch, wenn ihm nicht durchgängig der freie Wille unangetastet und ebenalso das Handeln danach belassen würde. 3. Es kann der Wille wohl durch allerlei Lehre und Gesetze geregelt werden; aber weder Lehre noch irgendein Gesetz ist dem freien Willen ein Hemmschuh in der Ausübung dessen, was er will. Will der Wille des Menschen eine Lehre und ein Gesetz zur Richtschnur seiner Handlungen annehmen, so wird er sich selbst ohne irgendeinen innern Zwang danach richten; will er aber das nicht, so kann ihn keine Macht der Welt und der Himmel dazu zwingen – und darf es auch nicht! Denn, wie gesagt: Ohne den freien Willen ist der Mensch kein Mensch mehr, sondern eine pure, naturbelebte Maschine, wie die Menschen mit der Zeit auch solche Maschinen erfinden werden, die dieselben künstlichsten Arbeiten verrichten werden, die nun kaum irgendein Mensch zu verrichten imstande ist. Aber eine solche Maschine wird dennoch kein Mensch sein, weder der Form und noch weniger der innern freiwirkenden Realität nach; denn die hat keinen freien Willen und kann daher auch ewig keine für sich selbständige Handlung verrichten. Was des Menschen Wille in sie gelegt hat, das wird sie auch verrichten, und nie und nimmer irgend etwas anderes. 4. Der Mensch aber kann aus sich heraus alles, was er nur immer will, und niemand kann ihn daran hindern. Und so kann der Mensch mit der Erde, die seinen Leib trägt und nährt, tun, was er will, und muß sich dann zumeist erst durch die Folgen belehren lassen, ob sein Wille gut oder böse war. 5. Es hat aber darum ein jeder Mensch die Vernunft und den daraus hervorgehenden Verstand. Er kann darum durch Lehre, durch äußere Gesetze und durch allerlei Erfahrung klug gemacht werden und kann dann das Gute, Rechte und Wahre allein wählen und sich selbst danach zur Tätigkeit bestimmen; aber er erleidet dabei dennoch keinen Zwang, da er das ja selbst frei wählt, was er als gut, recht und wahr erkennt. 6. Daß aber Menschen zumeist aus zeitlichen Interessen gar oft alles erkannte Gute, Rechte und Wahre dennoch mit den Füßen treten und im Handeln gerade umgekehrt sich erweisen, können wir nun schon Tag für Tag an Hunderten nur zu handgreiflich erfahren, und es geht aus dem wieder hervor, daß die Freiheit des menschlichen Willens durch gar nichts gefährdet und beschränkt werden kann. Und so ist es schon möglich, daß mit den Zeiten die Menschen große Dinge erfinden können und also auch auf die Natur der Erde also einzuwirken anfangen können, daß diese am Ende ordentlich leck werden muß. Die Folgen davon werden freilich keine angenehmen sein und werden als eine sichere Strafe des schlecht verwendeten Willens erscheinen, aber nicht von Mir aus irgend gewollt, sondern durch den Willen der Menschen hervorgebracht. 7. Wollen die Menschen eine abermalige Sündflut, so dürfen sie nur fleißig die Berge ab- und durchgraben, und sie werden dadurch den unterirdischen Wässern die Schleusen öffnen! Wollen sie die ganze Erde in Flammen sehen, so dürfen sie nur fleißig alle Wälder vernichten, und die Naturgeister (Elektrizität) werden sich derart vermehren, daß die Erde auf einmal in ein Blitzfeuermeer eingehüllt sein wird! Werde dann etwa auch Ich die Erde durchs Feuer heimsuchen wollen?! Darum lehret die Menschen weise sein, ansonst sie selbst die Gerichte über sich heraufbeschwören werden! Ich weiß es aber, daß es also kommen wird, und dennoch kann und darf Ich nicht hindernd dagegen auftreten durch Meine Allmacht, sondern nur durch die Lehre. – Verstehet ihr das?“ Kapitel 110 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 110. — Die zukünftige Heimsuchung der Erde. Das Geborgensein der Gotteskinder 1. Sagt Cyrenius: „Verstanden hätten wir es sicher; aber dies Verständnis hat sehr wenig Tröstendes für die Menschen dieser Erde! Was nützet da die beste Lehre, so die Menschen mit der Zeit von ihr wieder abfallen können und dann beitragen zum Verderben der ganzen Erde! Ja, hätten wir, als nun Deine Zeugen, ein wenigstens tausend Jahre langes Leben und unsere jüngsten Jünger dann abermals ein so langes, so genügete das, um die Lehre rein zu erhalten; aber so Du Selbst erstens, nach Deiner nicht unklaren Andeutung, diese Erde körperlich verläßt und zweitens die Zeichen auch seltener werden, – ja, dann weiß ich nicht, wer dann daran Schuld tragen wird, so die Erde durch die pure Dummheit der Menschen am Ende ganz und gar zugrunde gerichtet wird! Was nützet das, so sie auch von jetzt an mit genauer Not noch ein paar Tausende von Jahren erhalten, dann aber dennoch offenbar zugrunde gerichtet wird?!“ 2. Sage Ich: „Freund, wirst du in jener Zeit auch nicht also grobmateriell fortleben, wie du jetzt lebst, denkst und sprichst, so wirst du aber doch als Geist, deiner um sehr vieles heller bewußt, kräftiger und mächtiger für ewig fortleben und wirst Augen- und Ohrenzeuge sein von allem, was da geschehen und von Mir notgedrungen zugelassen wird; aber es wird dir dann sicher alles recht sein, und du wirst noch selbst dazu so manches beitragen zur Züchtigung der Menschen und wirst Mich mit Millionen anderen Geistern gar viele Male angehen, der Erde eine neue Einrichtung und Gestalt zu geben! Aber Ich werde euch dann allzeit zur Geduld und Liebe ermahnen. 3. Und wenn es auf der Erde einmal so recht toll durcheinanderzugehen anfangen wird, so wirst du in Meinem Reiche eine große Freude haben und sagen: ,Na, endlich läßt der Herr einmal wieder der schreiendsten Ungerechtigkeit der Menschen auch auf der materiellen Erde Seine Zuchtrute fühlen!‘ Denke du nur auch daran, daß Ich es an von Meinem Geiste erfüllten Männern nie habe mangeln lassen, auch unter den finstersten Heiden nicht! Es durften nie fünfzig Jahre vergehen, – und es standen schon wieder Männer da, die den Menschen den rechten Weg zeigten! Jetzt kam Ich Selbst als Mensch auf diese großbestimmungsvollste Erde; nach Mir werden gleichfort Männer bis ans Ende der Welt zu den Kindern der Welt gesandt werden und werden stets auch viele bekehren zum wahren Lichte. 4. Es wird von dieser euch nun gegebenen Lehre kein Häkchen verlorengehen, und dennoch wird das für die große Weltallgemeinheit von keinem großen Belange sein; denn diese wird, solange es eine Materie gibt und geben muß, mit dem rein geistigen Elemente in stetem Kampfe stehen. Aber es sei darum niemand bange; denn allzeit werden viele Berufene sein, aber darunter auch stets wenige Erwählte! 5. Die sich nach den Erwählten richten werden, für die wird die Erde noch immer ein sicheres Plätzchen haben; aber die zu sehr Tauben und Blinden im Herzen werden von Zeit zu Zeit stets wie das Unkraut vom reinen Weizen gesondert werden. 6. Die Erde wird darum also fortbestehen, wie sie nach Noah fortbestanden ist, und wird tragen Meine helleren Kinder; nur der zu sehr überhandgenommen habende Unflat wird von ihr entfernt werden und in eine andere Reinigungsanstalt kommen, an denen es in Meinem ewig großen Reiche wahrlich keinen Mangel hat und auch ewig nie einen Mangel haben wird. Aber Meine Kinder werden solche Wesen nimmer; denn dazu gehört, daß man Mich wohl erkennt und über alles liebt. 7. Denn nun rede Ich nicht als der Wunderarzt Jesus aus Nazareth, sondern als Der, der in Mir wohnt von Ewigkeit, – als der Vater voll Liebe und Erbarmung rede Ich zu euch und als der einige Gott, der da spricht: ,Ich bin das Alpha und das Omega, der ewige Anfang und das endlose, ewige Endziel der ganzen Unendlichkeit; außer Mir gibt es keinen Gott irgend mehr!‘“ Kapitel 111 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 111. — Das Ende der Erdmaterie 1. (Der Herr:) „Darum sage Ich zu euch: Wer Mich suchen, finden und erkennen und dann über alles lieben wird und seinen Nächsten mit aller Geduld wie sich selbst, schon hier oder zum mindesten doch jenseits, aus allen Kräften, der wird Mein Kind, also Mein Sohn und Meine Tochter sein! Wer aber Mich nicht suchen, nicht finden, nicht erkennen und somit auch nicht lieben wird und wird auch voll Lieblosigkeit sein gegen seine Nebenmenschen, der wird ewig nie auch zu Meiner Kindschaft gelangen! Denn Meine Kinder müssen also vollkommen sein, wie Ich als ihr wahrer Vater Selbst vollkommen bin! 2. Die später sehrmöglicherweise geläuterten Weltkinder aber werden geistige Bewohner jener Weltkörper und jener ihnen entsprechenden Vereine verbleiben, auf und in denen sie geläutert wurden; aber in des ewigen Vaters Hause in des allerhöchsten Himmels Mitte werden sie nimmer aus und ein gehen gleich Meinen wahren Kindern, die mit Mir stets die ganze Unendlichkeit richten werden ewig fort und fort. 3. Diese Erde aber wird nach der vorhergesagten letzten, großen Läuterung so wie nun Menschen und Menschen tragen; aber diese künftigen Menschen werden sein um sehr vieles besser denn die jetzigen und werden haben fort und fort Mein lebendiges Wort. 4. Wenn aber einst die Erde, nach für euch undenklich vielen Jahren, alle ihre Gefangenen wird hergegeben haben, so wird sie dann selbst im Lichtmeere der Sonne in eine geistige umgewandelt werden. Denn das allerunterste Hüls- und Schotenwerk, darin früher die lebendigen Geister und Seelen hausten, gleicht einem Bimse, der, obschon kein eigentliches Lebenselement mehr seiend, doch immer noch eine plump und zerrissen organische Materie ist und eine allerunterste Art gerichteter Geister in sich birgt. 5. Was soll's mit dem Substrate, wenn sich alles intelligente Leben aus ihm frei gemacht hat? Soll es als ein gewisserart ausgebrannter Bimsklumpen, aller weiteren Bestimmung bar, als völlig tot im endlosen Raume herumschwimmen? Oder sollte oder könnte es dennoch in den Sphären der lebenden und in vielfachster Art vollendeten Geister etwas sein? Ja, es soll etwas sein; denn nichts kann im endlosen Raume, der auch Mein Reich ist und Mein ewiges Wohnhaus, als völlig tot und bestimmungslos sich irgendwo als bestehend vorfinden! Um aber von einer Bestimmung zu reden, muß man doch unfehlbar von einer geistigen für ewig dauernd reden, da es eine materiell-ewige Bestimmung nimmer irgendwo geben kann. 6. Jede Materie, als etwas räumlich und zeitlich für sich abgeschlossen Begrenztes, kann ja nur eine zeitliche Bestimmung haben. Hat sie aber solcher in einer gewissen Periode vollends entsprochen, und ist mit ihr als einem Medium ein höherer Lebenszweck erreicht worden, und ist sie, die Materie, als ein früher für einen bestimmten Zweck brauchbares und gesundes Gefäß morsch, locker, löcherig und somit für irgendeinen ähnlichen weiteren Zweck völlig unbrauchbar geworden, – was sollte dann aus dem Bimse weiteres noch werden? 7. Sehet einen Eimer bei einem Brunnen an! Was wird aus ihm, der viele Jahre lang zum Wasserschöpfen gedient hat? Kann er als völlig morsch und durchlöchert noch fernerhin zum Wasserschöpfen gebraucht werden? Nein; daher wird er abgenommen und verbrannt werden und wird dadurch vollends aufgelöst in Rauch, Luft und etwas wenig Asche, die aber mit der Zeit von der Feuchtigkeit der Luft ebenfalls in eine einfache Luftart aufgelöst wird und im aufgelösten Luftzustande dann erst wieder als eine gute Unterlage des reellen geistigen Seins dienlich werden kann. Und wird schon aus ihr nicht ein und derselbe Wassereimer mehr, so kann aus ihr dennoch wieder ein höchst zartes und subtiles Hülswerk bereitet werden, das ein Träger des lebendigen Wassers aus Mir werden kann.“ Kapitel 112 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 112. — Die dereinstige Verwandlung der materiellen Welten in geistige Gotteskinder und Gottesgeschöpfe 1. (Der Herr:) „Was aber mit dem alten Wassereimer durch die Vernunft der Menschen geschieht oder doch wenigstens zuverlässig geschehen kann, das wird dereinst auch mit der Erde wie mit allen anderen Weltkörpern, selbst mit den Urzentralsonnen, geschehen, und es werden aus ihnen dann vollkommen geistige Weltkörper zur Tragung und Bewohnung der seligen Geister. 2. Aber es werden solche Weltkörper dann nicht nur auswendig, sondern viel mehr inwendig bewohnt sein in allen ihren den früheren organisch- materiellen Formen entsprechend ähnlichen inneren Lebenstempeln. 3. Da werden die Menschen als vollendete Geister erst die innere Beschaffenheit der sie einstens tragenden Welten vollkommenst kennenlernen und sich nicht genug in aller Freudigkeit wundern können über ihre überaus wundervoll komplizierte innere organische Einrichtung von den kleinsten bis zu den größten Organen. 4. Die für sich lichtlosen kleinen Planeten, wie diese Erde, ihr Mond, die sogenannte Venus, der Merkur, Mars, Jupiter und Saturn und noch mehrere gleiche Planeten, die zu dieser Sonne gehören, samt den vielen Bartsternen – die späterhin auch Menschenwesen tragende Planeten werden, teils durch eine jeweilige Vereinigung mit einem schon Menschen tragenden Planeten, und teils in ihrer reif gewordenen planetarischen Selbstheit –, werden nach für eure Begriffe undenkbar vielen Erdenjahren in der Sonne ihre Auflösung finden. 5. Die Sonne und ihre höchst vielen Gefährtinnen in ihrer Spezialmittelsonne; diese Mittelsonnen, die schon eines überaus hohen Alters fähig sind, und für die eine Äone (dezillionmal Dezillionen) von Erdenjahren gerade das ist, was für diese Erde ein Jahr ist, werden ihre Auflösung in den Sonnengebietszentralsonnen finden, die natürlich in allen ihren Seinsverhältnissen – um nach der arabischen Art zu sprechen – ums millionenmal Millionenfache größer dastehen denn ihre Vordersonnen. Diese Sonnengebietszentralsonnen werden wieder in den im gleichen Verhältnisse größeren Sonnenallzentralsonnen, und diese endlich in der einzigen Urzentralsonne, deren körperliche Größe für eure Begriffe von einer wahren Unermeßlichkeit ist, ihre endliche Auflösung finden. 6. Aber wo wird denn dann diese ihre endliche Auflösung finden? Im Feuer Meines Willens, und aus dieser endlichen Auflösung werden dann alle die Weltkörper, aber geistig, in ihre früheren Ordnungen und Dienstleistungen zurücktreten und dann geistig ewig fortbestehen in aller ihrer Pracht und Größe und Wunderbarkeit. 7. Natürlich dürft ihr euch die Zeit nicht etwa so vorstellen, als würde alles das etwa schon morgen oder übermorgen vor sich gehen, sondern so ihr für jedes Sandkörnchen, so viele deren die ganze Erde fassen könnte, ein Erdenjahr Zeit nähmet, so reichete das kaum für den Zeitraum des materiellen Erdbestandes aus. Da ist des viel längeren Bestandes der Sonne gar nicht zu gedenken, und natürlich noch weniger des Bestandes einer der ersteren Zentralsonnen, der tieferen Sonnengebietszentralsonnen, und noch um gar außerordentlich weniger ist der für euch nun nie berechenbaren Dauer der Sonnenallzentralsonnen und gar einer Urzentralsonne zu gedenken, – und das auch darum um so weniger, als wie lange die Sonnen noch immer neue Weltkörper, die Zentralsonnen auch noch stets neue Planetarsonnen und die Urzentralsonnen auch noch stets ganze Heere von Sonnen aller Art ausgebären werden. 8. Aber trotz solcher für euch unermeßlichen Dauer der großen Weltkörper wird dereinst ihre Zeit dennoch aus sein und damit abermals eine Schöpfungsperiode durchgemacht und abgeschlossen sein, wonach dann in einem endlos weit entlegenen Schöpfungsraumgebiet zu einer neuen Schöpfung fortgeschritten wird, an der, wie an zahllosen noch neu erfolgenden, ihr auch euren Tätigkeitsanteil nehmen werdet, begabt mit einer stets größeren Machtvollkommenheit, – aber nur als Meine wahren Kinder! 9. Denn wer auf dem vorgezeichneten Wege die Kindschaft Gottes nicht erreicht haben wird, der wird als ein zwar vollendetes, vernünftiges und immerhin glückseliges Geschöpf auf seiner geistigen Erde bleiben, leben und handeln und wandeln und wird sogar andere nachbarliche Geistwelten besuchen – ja, er wird seine ganze Hülsenglobe durchwandern können! –, aber darüber hinaus wird es ewighin nicht kommen, und es wird in ihm auch das Bedürfnis nicht erbrennen zu einem lebenstätigen Verlangen nach etwas Höherem. 10. Aber Meine Kinder werden stets bei Mir sein und mit Mir wie aus einem Herzen denken, fühlen, wollen und handeln! Darin wird der endlos große Unterschied sein zwischen Meinen wahren Kindern und den mit Vernunft und Verstand begabten glückseligen Geschöpfen. Sehet euch daher wohl vor, daß ihr dereinst als Meine Kinder für tauglich und würdig befunden werdet!“ Kapitel 113 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 113. — Die Menschen der Sternenwelten und die Gotteskindschaft 1. (Der Herr:) „Ich sage es euch, daß im für euch unermeßlichen Raume zahllos viele Hülsengloben sind! In jeder Hülsenglobe, die für sich schon einen für eure Begriffe nie ermeßbaren Raum einnimmt, da sie die Trägerin von äonenmal Äonen Sonnen und Sonnengebieten ist, leben sicher allerzahllosest viele Menschengeschöpfe, entweder noch im Leibe oder aber schon pur geistig, und haben in ihrer Art gewöhnlich eine sehr helle Vernunft und einen feinst berechnenden Verstand, der oft eine solche Schärfe erreicht, daß ihr euch vor ihm langehin verstecken müßtet. 2. Diese haben auch dann und wann traumähnliche Ahnungen, daß es irgendwo Kinder des allerhöchsten, ewigen Geistes gibt, und hegen ganz geheim auch eben nicht zu selten den Wunsch, um jeden Preis des Lebens Meine Kinder zu werden; aber es geht so etwas zuallermeist ganz und gar nicht. Denn es muß alles in seiner Ordnung bleiben und bestehen gleichwie bei einem Menschen, bei dem auch die Teile und Organe des Kniegelenkes nicht zu den edlen Augen des Hauptes umgestaltet werden können und die Zehen der Füße nicht leichtlich allenfalls zu den Ohren. Alle Glieder am Leibe müssen das bleiben, was sie einmal sind; und möchten die Hände noch so sehr wünschen, auch sehend zu sein, so nützt das nichts, – sie bleiben ganz gesund und glücklich blinde Hände, bekommen aber dennoch ein überaus hinreichendes Licht durch die edlen Augen im Haupte. 3. So braucht die Erde auch keine Sonne zu sein, um ihren sonst finsteren Boden zu erleuchten; denn sie bekommt ja ein hinreichendes Licht von der einen Sonne. Von der Nahrung, die ein Mensch zu sich nimmt, müssen alle Teile seines Leibes in ihrer Art ernährt werden, also auch die Augen und das Herz. Aber nur die allerlichtverwandtesten und reinsten Teilchen werden zur Nahrung der Augen erhoben, und die liebelebensverwandtesten seelischen Teilchen assimilieren sich mit der Lebenssubstanz des Herzens; die mehr und mehr gröberen Teile gehen als entsprechende Nahrung an die verschiedenartigsten Leibesbestandteile über. Es würde da dem Auge sehr übel bekommen, wenn Teile, die nur zur Ernährung eines Knochens geeignet sind, in dasselbe kämen. 4. Und so würde es auch in der allgemeinen großen Schöpfungsordnung von einem sehr schlechten Erfolge sein, so Ich die Menschengeschöpfe anderer Welten zur Werdung Meiner allereigensten Herzenskinder zuließe. Ja, es ist wohl dann und wann eine solche Zulassung möglich; aber da gehören große Läuterungen und weitgehende Vorkehrungen und Vorbereitungen dazu! Am ehesten kommen entweder die Seelen dieser Sonne zu dieser Gnade oder die Urerzengel, denen die Pflicht obliegt, ganze Hülsengloben zu beherrschen und zu leiten und in der besten Ordnung als gerichtet zu erhalten. Aber so ungeheuer groß sie auch sind in allem, ebenso klein müssen sie sich gleich Mir hier zu sein begnügen und sich jede Demütigung gefallen lassen. 5. Auch aus der Zentralsonne dieses Systems, zu dem auch diese Sonne gehört, können Seelen auf diese Erde zur Erreichung Meiner Kindschaft übersetzet werden, ebenso aus der weiteren Sonnengebiets- und Sonnenallzentralsonne. Aber nur aus dem Bereiche desselben Sonnenalls, in dem sich diese Erde befindet, können auch noch Seelen hierher kommen, – aber aus der allgemeinen Urzentralsonne nicht leichtlich mehr, weil jener notwendig allerriesenhaftesten Menschen Seelen schon zu ungeheuer viel Substanz in sich enthalten, als daß sie von dem kleinen Leibe eines diesirdischen Menschen könnte aufgenommen werden. 6. Aber obwohl es auf jener allerriesenhaftest großen Weltensonne auf manchen ihrer Großlande derartig körperlich große Menschen gibt, deren Kopf schon für sich mindestens um tausendmal so groß ist als diese ganze Erde, so ist aber doch ein schwächstes Meiner wahren diesirdischen Kinder durch Meinen Geist in seiner Seele Herzen schon ums endlose mächtiger als Myriaden jener überweltengroßen Urzentralsonnenmenschen. 7. Bedenket daher wohl, was es heißt, ein Kind des allerhöchsten Gottes sein, und welch eine allergrößte, ungerichtetste und unangetastetste Willensfreiheitsprobe dazu erforderlich wird, auf daß die Seele eins wird mit Meinem Geiste in euch, wodurch allein ihr dann erst vollkommen Meine Kinder werden könnet!“ Kapitel 114 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 114. — Der Große Schöpfungsmensch und die Erde 1. (Der Herr:) „Es läßt sich freilich wohl von euch nun mit Grund fragen, wie denn gerade diese kleine Erde und ihre kleinen Menschen zu dieser Ehre und Gnade gekommen sind, da es doch im endlosen Schöpfungsraume eine unzählbare Menge der größten und herrlichsten Lichtwelten gibt, die viel geeigneter wären, Gottes Kinder zu tragen, zu ernähren und mit allem dazu Erforderlichen bestens zu versehen. So wären die weltengroßen Menschen der Urzentralsonne ja doch ansehnlicher als Kinder Gottes denn die bestaubten Würmer dieser kleinen Erde! – Dem äußern Anscheine nach wäre dieser Frage freilich gerade nichts oder wenigstens nicht viel entgegenzusetzen; aber bei den inneren Verhältnissen der Dinge des Lebens wäre das sogar eine Art Unmöglichkeit. 2. Eines jeden Menschen Organismus hat nahe in der Mitte des Herzens seinen Lebensnerv, ein kleinstes Klümpchen, von dem aus der ganze andere Leibesorganismus belebt wird. Dieses einen Herzensnervklümpchens Teile haben eine solche Einrichtung, den Lebensäther aus dem Blute und aus der eingeatmeten Luft derart an sich zu ziehen, daß sie dadurch fürs erste selbst überaus lebenstätig verbleiben und dann fürs zweite diese Lebenstätigkeit dem ganzen Organismus mitteilen und dadurch den ganzen Leib beleben auf dem geeigneten Wege. 3. So Ich dir den Fuß abhauen möchte oder die Hand, so würdest du fortleben, wie du solches an vielen alten Soldaten ersehen kannst, denen in den Schlachten Hände, Füße, Ohren und Nasen abgehauen wurden, und die doch noch, wenn auch als Krüppel, fortleben; aber die geringste Verletzung des Herzens, in dem sich der kleine Hauptlebensnerv befindet, zieht den augenblicklichen Leibestod nach sich. 4. Wie aber diese Einrichtung getroffen ist im menschlichen Leibe wie auch in den warmblütigen Tieren, ebenalso ist die Einrichtung auch im größten Weltenschöpfungsraume getroffen: Alle die zahllos vielen Hülsengloben stellen in ihrer Gesamtheit einen ungeheuer, für eure Begriffe endlos großen Menschen dar. In diesem Menschen ist diese Hülsenglobe, in der wir uns befinden, das Herz, und eben diese Erde ist der für den ganzen, großen Menschen überaus kleine Lebensnerv, der sich gerade nicht im Zentrum des Herzens, sondern mehr an der linken Seite desselben befindet. 5. Im Zentrum des Herzens befindet sich zwar auch ein sehr großer Nervenkomplex, aber es ist darin nicht der Hauptlebenssitz. Es ist das nur eine Werkstätte zur Aufnahme und Bewahrung des Lebensnährstoffes aus dem Blute und aus der Luft. Von da aus nimmt ihn erst der Hauptlebensnerv auf und befruchtet oder segnet ihn erst als eine zum Leben taugliche Substanz, das heißt für das einstweilige Mitnaturleben der Seele, die ohne diesen Nerv mit dem Organismus des Leibes in gar keine Verbindung treten könnte. 6. Es ist sonach der in Rede stehende Lebensnerv irgend an der linken Herzseite ein gar höchst unansehnliches, überaus kleines Wärzchen, ähnlich einem kleinsten Gefühlswärzchen am untersten Ballen des kleinen Zehens am linken und eines korrespondierenden am rechten Fuße. Diese Gefühlswärzchen, nur durch die Epidermis gedeckt, sind die Hauptgefühlsleiter der Füße, – und wer achtet ihrer, und wer weiß es, daß sie das sind?! 7. So jemand leiblich das Unglück hätte, die kleinen Zehen seiner Füße einzubüßen, der würde dann sehr schwer gehen, – um vieles schwerer, als so er die großen Zehen eingebüßt hätte. Wer kann da aufstehen und fragen: ,Aber warum hast Du, Herr, denn gerade auf die kleinsten Dinge in Deiner unermeßlichen Schöpfung zumeist das höchste Wirkungsgewicht gelegt?‘ 8. Da frage Ich aber entgegen und sage: ,Warum ist denn schon bei euch Menschen der Grundstein zu einem Hause oft um mehr als ums Tausendfache kleiner denn das ganze Haus, das eben an dem gut gelegten Grundsteine seinen Hauptstützpunkt hat? Warum gibt es denn der Lügen so viele, aus dem Reiche der Wahrheiten aber eigentlich nur eine Grundwahrheit? Warum ist die Eiche ein so großer Baum, und der Keim in ihrer Frucht, in welchem schon zahllos viele Eichen von der riesigsten Art eingeschlossen sind, ist so klein wie ein allerkleinstes Sandkörnchen?‘ 9. Es gibt, Meine lieben Kindlein und nun Freunde, in der großen Schöpfung noch gar manche Dinge, deren Zweck und Beschaffenheit euch etwas sonderbar vorkäme, so ihr alles in der Schöpfung kennetet. Wollte Ich euch nun auf nur wenige solcher Sonderbarkeiten aufmerksam machen, so würdet ihr eure Hände über dem Haupte zusammenschlagen und sagen: ,Nein, Herr, das kann denn doch unmöglich sich also verhalten; denn es widerstreitet zu sehr der nur einigermaßen reinen Vernunft!‘ Kurz, ihr alle könntet es nun nicht fassen; und um nur einen sehr kleinen Teil davon aufzuzählen, würden der Zeit nach mehr Jahrtausende vonnöten sein, als es des Sandes im Meere gibt! 10. Wenn ihr aber, so Ich wieder werde heimgegangen sein, Meinen Geist überkommen werdet, so wird dieser euch dann schon von selbst in alle Wahrheit leiten, und ihr werdet dann nicht mehr nötig haben zu fragen und zu sagen: ,Herr, warum dies und warum jenes?‘ Es wird die Binde von euren Augen genommen werden, und ihr werdet dann im hellsten Lichte schauen, was ihr nun kaum überaus dunkel ahnet. Darum begnüget euch vorderhand mit dem, was ihr nun vernommen habt! Es ist dies nur ein in euer Herz gelegter Same, dessen Früchte ihr erst dann als reif einernten werdet, wenn in euch selbst die Sonne Meines Geistes aufgehen wird. 11. Habt ihr wohl einiges von dem, was Ich nun zu euch geredet habe, so nur einigermaßen verstanden? Seid offenen Herzens und bekennet es; denn von jetzt an bleibe Ich noch sieben volle Stunden unter euch! Redet nun und saget, wo irgend jemand noch im Dunkeln ist, und Ich will ihn ans Hellere führen, wenn nun schon nicht in des Geistlebens vollstes Licht!“ Kapitel 115 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 115. — Wesen und Inhalt einer Hülsenglobe 1. Sagt endlich wieder einmal unser Mathael: „Herr, das sind für uns wohl noch stark Skythendörfer, die nahe so gut wie nirgends bestehen, und von denen man sich darum auch keinen Begriff machen kann! Du hast von Deiner endlos großen Schöpfung freilich gut reden; aber uns, die wir nicht einmal so recht wissen, wie groß unsere Erde ist, und welche Gestalt sie hat, ist das von Dir uns Mitgeteilte nicht so gut und verständlich anzuhören. 2. Ich verstand in meiner sehr regen Phantasie wohl so manches, aber nur wie in einem flüchtigen Traume etwas Großes ahnend. Doch gar viele meiner Gefährten halten das für eine Art unbegreiflicher Faselei, aus der kein natürlicher, noch so gesunder Menschenverstand je klug werden kann. Denn um derlei Dinge nur einigermaßen heller begreifen zu können, müßten wir im Rechnen und in der altägyptischen Astronomie ganz gründlich bewandert sein und ihr großes Zahlensystem vollkommen innehaben! Da uns aber die wissenschaftlichen Elemente nahezu gänzlich fehlen, so kann uns solche Deine nunmalige allergroßartigste Erklärung in keinem Falle klar sein. 3. Es ist wohl wahr, daß Du uns früher bei einer Gelegenheit schon ein wenig in Deinen großen Schöpfungsraum Blicke zu machen gegönnt hast; aber es blieb wenigstens mir noch um so manches zu fragen übrig. Jetzt hast Du Dich namentlich über den materiellen Teil Deiner Schöpfungen näher ausgelassen; aber es nützt uns das eben nicht sehr und besonders viel. Denn es ist ja ganz klar und leicht anzunehmen, daß wir solches unmöglich völlig begreifen können, da uns dazu alle Vorbegriffselemente fehlen. 4. Um dieses alles nur ein wenig besser zu verstehen, müßten wir ebenfalls wenigstens von einer der benannten Hülsengloben und der verschiedenen Gattungen der in ihr dominierenden Sonnen und Zentralsonnen Kenntnis haben. Wäre das der Fall, so könnten wir uns dann schon die zahllos vielen anderen Hülsengloben und Zentralsonnensysteme, -gebiete und -alle ein wenig heller vorstellen; aber es hat da mit der einen Hülsenglobe schon einen ungeheuren Haken, geschweige mit den vielen andern, von denen sicher eine jede eine ganz andere Einrichtung und einen ganz andern Zweck hat. 5. Wie verhält sich's denn sonach und so ganz eigentlich mit den Planetarsonnen und weiter mit den Sonnensystemzentral-, Sonnengebietszentral-, Sonnenallzentral- und endlich gar Urzentralsonnen-Geschichten, von denen es dem altberühmten Ptolemäus und dem Julius Cäsar, der etwa auch ein Astronom war, nichts geträumt hatte?“ 6. Sage Ich: „Mein lieber Mathael, Ich merke, daß du ein wenig ärgerlich wirst, teils, weil Ich euch nun Dinge gezeigt habe, die ihr entweder gar nicht oder nur sehr wenig verstehet, und teils über dich selbst, daß du, der du in sonst sehr vielen Dingen eine große Belesenheit und sonstige sehr achtbare Erfahrungen und Anschauungen hast, das nun von Mir Gesagte durchaus nicht so recht verstehen kannst. Aber siehe, es ist alles das nicht ganz recht von dir; denn der Mensch wird nicht allein von dem weise, was er hört und sogleich ganz vollkommen versteht, sondern zumeist von dem, was er auch hört, und nicht versteht! 7. Darüber, was einmal jemand versteht, wird wohl niemand weiter nachdenken und -forschen; denn was man einmal hat, das sucht man nicht mehr irgendwo zu gewinnen oder mühsam zu erwerben und ruht ganz gemächlich über das schon im vollen Besitze Habende. Aber was man noch nicht hat, besonders aus dem Bereiche des irgend höchst Wertvollen, das sucht man sicher mit allem Eifer so lange, bis man wenigstens nur etwas davon in den Besitz bekommt. 8. Siehe, läge es Mir daran, aus euch am Ende ganz denkträge Menschen zu zeihen, so wäre es Mir ein leichtes, vor euren Augen eine Hülsenglobe in die Luft hin zu zeichnen, und ihr würdet das ganze System einer in Rede stehenden Hülsenglobe ganz so leicht verstehen wie das, daß 2 Stater und noch einmal 2 Stater ganz gewiß 4 Stater ausmachen! Aber Ich will euch denktätig erhalten und habe euch darum in Meiner an euch ergangenen Erklärung etwas gezeigt, das euch weckt und den Schlaf benimmt. 9. Ich aber habe euch davon schon ehedem einmal etwas gesagt, das ihr freilich aus dem ganz gleichen Grunde eben nicht gar zu klar begriffen habt, und so könnte Ich euch nun auch das sagen, ohne gerade darauf zu rechnen, daß ihr es völlig verstehen werdet, sondern daß ihr darüber so recht vielfach bei guten Gelegenheiten, besonders in sternenhellen Nächten, darüber nachdenken werdet. 10. Um euch aber das Denken ein wenig nur zu erleichtern, will Ich euch auf ähnliche Erscheinungen auf dieser Erde aufmerksam machen. Sehet eure Militäreinrichtung an, und ihr habt schon so ungefähr die Einrichtung einer Hülsenglobe mit ihren Zentral- und Urzentralsonnen! Dort steht so ein Führer von nur zehn bis dreißig Soldaten, – dort wieder steht ein anderer, schon größerer Führer, der über zehn Führer der ersten Ordnung zu gebieten hat. Der erste Führer gleicht einer Planetarsonne, und die zehn bis dreißig ganz gemeinen Soldaten sind gelegentlich gleich den Planeten, die um eine Sonne kreisen. Der zweite, höhere Führer von zehn früher benannten Rotten gleicht schon einer ersten Systemallzentralsonne, um die sich in verschiedenen Abständen eine Menge Planetarsonnen mit ihren oft vielen Planeten bewegen. Diese um eine große Zentralsonne sich bewegenden Planetarsonnen machen mit ihrer einen Zentralsonne ein Sonnengebiet aus, was ihr euch vorderhand zu merken habt, um das Nachfolgende klarer verstehen zu können. 11. Nun gehen wir zu einem Heeresführer dritter Klasse über! Dieser hat abermals etwa zehn Führer der zweiten Art unter sich und hat sie zu ordnen und gesamt zu leiten. Dieses dritten Führers Befehle, den wir einen ,Hauptmann‘ nennen wollen, werden nur den unterstehenden Kohortenführern gegeben, und diese verkünden sie dann den kleinen Rottenführern, und diese dann erst den einzelnen Gemeinen. Wir haben ehedem von einem Sonnengebiete gesprochen, und es versteht sich von selbst, daß es im Schöpfungsraume auch mehrere Sonnengebiete geben wird, die wiederum einen gemeinsamen noch größeren Leitkörper haben müssen. 12. Nennen wir die Militärmannschaft unter einem Hauptmann eine Gesellschaft und stellen uns nun zehn bis zwanzig Gesellschaften wieder unter einem höheren Gebieter vor, der zum Beispiel ein Oberster ist und gewöhnlich über eine Legion zu gebieten hat, die zumeist aus zehn bis zwanzig Gesellschaften besteht! Eine solche Legion ist dann schon eine ganz ansehnliche Streitmacht und macht schon einen ganz gewichtigen Teil einer ganzen Armee aus. Eine Legion können wir nun füglich mit einem Sonnenall vergleichen. Wie aber mehrere Legionen abermals unter den Befehlen eines Feldherrn stehen, so stehen dann auch die Sonnenalle unter einer abermalig noch größeren und mächtigeren Zentralsonne, die wir, um sie von den früheren zu unterscheiden, ,Sonnenallzentralsonne‘ benennen wollen. 13. Nun aber stehen alle die vielen Armeen unter einem einzigen Monarchen, und ebenso die überaus vielen Sonnenalle unter der allgemeinen Hauptzentralursonne, die natürlich von einer allerkolossalsten Größe sein muß, um alle die vielen Sonnenalle, ebenso wie die Planetarsonne ihre einzelnen Planeten samt deren Monden, an sich zu ziehen und in für euch unermeßbar weiten Bahnen um sich kreisen zu lassen. Eine solche wahre Sonnenmonarchie heiße Ich aus guten Gründen eine Hülsenglobe. 14. Eine Globe ist sie ihrer immerhin völlig runden Gestalt wegen, – Hülsen (Schoten) aber sind alle Weltkörper in ihr, weil sie alle ein gerichtetes geistiges Leben umhülsen, und weil am Ende diese Trägerin (Globe) selbst eine Universalhülse ist, da in ihr äonenmal Äonen Sonnen zur Haltung einer bestimmten Ordnung als total eingehülst erscheinen. – Sage Mir, du Mathael, nun, ob du Mich jetzt reiner verstanden hast als ehedem!“ Kapitel 116 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 116. — Die Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis. Der Trost in der göttlichen Liebe 1. Sagt Mathael: „Ich danke Dir, o Herr, für diese weitere Erklärung; denn durch sie allein bekam ich nun erst einen so ziemlich hellen Begriff von einer Hülsenglobe, und ich bin vorderhand ganz damit zufrieden. Was die zahllos vielen anderen ähnlichen Nachbarn im weiten Schöpfungsraume betrifft, so kümmern sie mich nun eigentlich gar nicht; denn ich bin der Meinung, daß ein Menschengeist mit der einen schon auf alle Ewigkeiten der Ewigkeiten völlig genug haben wird. 2. Ich supponiere (nehme an) nun nur diese unsere kleine Erde. Wie lange hätte ein Mensch zu tun, um sie nur von Punkt zu Punkt nach der ganzen Oberfläche zu Land und zu Wasser zu bereisen?! Ich glaube kaum, daß man es damit in fünf- bis sechstausend Jahren dahin brächte, um sagen zu können: ,Nun gibt es auf der ganzen, weiten Erde keinen Punkt mehr, den mein Fuß nicht betreten hätte!‘ Wenn man dazu dann auch die Zeit der ernstlichen Nachforschungen rechnen würde und zugleich die damit notwendig verbundenen Ruhe- und Vergnügungsstunden mit in Anschlag brächte, die wahrlich doch auch nicht ausbleiben können bei der stets hocherbaulichen Betrachtung Deiner großen Wunderwerke, der hie und da himmlisch reizend schönen Gegenden und Landschaften, und da man zu oft in einer gar zu anmutigen Gegend auch gerne jahrelang verweilte, – ja, da brauchte man schon für diese Erde allein mehrere Hunderttausende von Jahren! 3. Wie lange aber würde man sich erst dann bei dieser Erde allein aufhalten, so es einem möglich wäre, alle die zahllos vielen inneren Gemächer dieser Erde zu durchschauen?! Oh, dazu würde eine ganze Million von Jahren nicht hinreichen, besonders wenn man sich in den inneren großen Werkstätten der Natur und ihrer Geister beobachtend hinstellen und bei den zahllos vielen Werken die Einsicht nehmen könnte, wie sie prinzipiell bis zu ihrer ganzen Entwicklung entstehen, werden und dann wieder in ganz andere Dinge und Formen übergehen! 4. Ja, wenn man das auch in Anschlag nähme, da hätte man ja schon mit dieser Erde allein – um nach arabischer Art zu zählen – viel über tausend Millionen von Erdenjahren, natürlich als ein durch Zeit und Raum beschränkter Mensch, zu tun, um dann mit gutem Gewissen sagen zu können: ,Die Erde ist mir nun von Punkt zu Punkt wesenhaft und allerverschiedenartigst tatkräftig allerbestens bekannt von Organ zu Organ!‘ 5. Der Erde zunächst müßte dann vor allem der Mond berücksichtigt werden. Der nähme zu seiner Totalbekanntschaft auch wieder einige Hunderttausende von Erdenjahren in Anspruch. Darauf kämen dann erst die anderen und oft um sehr vieles größeren Planeten an die Beschauungs- und Erforschungsreihe, von denen, weil sie ganz fremdartig und sicher noch wundervollere Weltkörper denn diese Erde sind, man sich am Ende schon wegen ihrer Großwunder eine Unzahl von Jahrtausenden gar nicht trennen könnte. 6. Jetzt käme dann erst die große Sonne mit allen ihren zahllos vielen allergroßartigst wundervollst herrlichsten Lichtgefilden! Ich meine, da verbliebe man dann schon gleich eine Ewigkeit hindurch und bekäme sicher fort und fort etwas Neues zu schauen und zu erforschen. Nimmt man noch dazu an, daß ihre Menschen etwa höchst schöne, weise und freundliche Menschen sind, ja, ja, so wäre da von einem Weiterfortkommen keine Rede mehr! Das ganze, große arabische Zahlensystem hätte da wahrlich keine Ziffern mehr, mit denen man die Aufenthaltszeiten aussprechen könnte, die man bei dem Durchforschen und Durchkosten der großen Sonne vonnöten hätte! 7. Nun, da wäre man dann erst mit einer kleinen Planetarsonne fertig! Es blieben einem dann noch äonenmal Äonen Sonnen übrig, und darunter noch die übergroßen Zentralsonnen. Hören wir auf! Nur um eine volle Bekanntschaft mit dieser einen Hülsenglobe zu machen, gehörten schon ganze und volle Ewigkeiten dazu! Wer möchte und könnte nun noch der Durchforschung irgendeiner zweiten Hülsenglobe gedenken?! Ich habe daher an der einen mehr als für ewig genug und überlasse die zahllos vielen andern gewiß sehr gerne den anderen höheren Geistern zur Durchforschung! Mich wenigstens fängt es stets mehr zu schwindeln an, so ich nur der einen so recht gedenke! 8. O Herr, Deine Liebe ist mir der größte Trost, und ich finde mich in ihr zurecht; aber Deiner Macht und Weisheit Größe verschlingt mich wie der ungeheure Rachen eines Walfisches ein winzigstes Würmchen, das da war und gleich darauf nicht mehr ist! In Deiner Größe bist Du, o Herr, ein allererschrecklichstes Feuermeer; aber in Deiner Liebe bist Du ein Honigseim! Daher bleibe ich bei Deiner Liebe; Deine Macht- und Weisheitsgröße aber ist für mich wenigstens so gut wie gar nicht da. Denn ich fasse sie nicht und werde sie auch nimmer und nimmer erfassen; aber die Liebe erfasse ich, und sie erquicket gar wonniglich mein Herz und machet angenehm mir mein Leben. 9. Ich begreife nun freilich gar viele und große Dinge; aber wer wird sie nach mir wieder fassen?! Da ich aber sehe, daß alle diese vielen, von Dir, o Herr, uns erklärten großen Dinge für tausendmal tausend und abermals tausendmal tausend Menschen völlig unbegreiflich sein müssen, so habe ich nicht einmal eine rechte Freude daran, daß ich nun so manches Übergroße recht wohl verstehe und einsehe, es aber wohl niemandem wieder verständlich machen kann, weil die Menschheit im allgemeinen auf einer zu niederen Stufe der geistigen Entwicklung steht! 10. Ich sehe es wohl so mehr dunkel ein, daß es gerade nicht zu den unmöglichen Dingen gehört, die Menschen zum größten Teile dahin zu stimmen, daß sie Dich zur Not nur so weit- und auswendig hin erkennen, daß Du als ein Gott bist, der alles erschaffen hat und nun alles erhält, und daß sie Dich dann auch zu lieben, zu fürchten und anzubeten anfangen werden; aber Dich ihren verkrüppelten Begriffen näher anschaulich zu machen, das kommt mir nun so gut wie rein unmöglich vor. 11. Denn wo man etwas bauen will, muß man doch irgendeinen festen Grund haben; denn auf einem lockersten Sandboden oder gar auf einem Sumpfe läßt sich keine feste Burg erbauen. Daher will ich in der Folge, sowohl für mich als für mein Volk, nur allein bei der Liebe verbleiben; was diese mir geben und enthüllen wird, das soll in den Bereich meiner Weisheit für immer aufgenommen werden! – Habe ich da nicht recht?“ Kapitel 117 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 117. — Die Erkenntnis der Gottheit Jesu als Vorbedingung zur wahren Gottesliebe 1. Sage Ich: „Allerdings, – denn wer in Meiner Liebe ist, der ist in allem, was aus Mir ausgehet! Aber aus Meiner Liebe ganz allein wirst du Mich wohl schwer als das erkennen, was Ich bin! Denn siehe, sehr und gar mächtig lieben kannst du auch dein Weib und VICE VERSA (umgekehrt) dein Weib auch dich; aber darum wirst weder du deinem Weibe, noch dein Weib dir ein Gott sein! 2. So du Mich nur als einen puren, wennschon sehr guten und verständigen Menschen liebst und Ich dich ebenalso, da können wir Äonen von Jahren miteinander wandeln, und du wirst Mich dabei ebensowenig als einen Gott erkennen und begrüßen als Ich dich, der du sicher kein Gott, sondern nur ein Geschöpf desselben bist. 3. Willst du Mich aber als das erkennen, als was Ich vor dir stehe, so muß Ich Mich dir als derjenige durch Wort, Rede und Tat zu erkennen geben. Hast du Mich aber daraus wahrhaft erkannt und aus Meiner Macht und Weisheit einsehen gelernt, daß Ich offenbar mehr denn ein pur guter und verständiger Mensch bin, dann erst wird dein Herz demütig vor Mir in den Staub zurücksinken und in solcher gerechten Demut dann erst recht allerlebendigst zu Mir in aller Liebe erbrennen; und du wirst darin dann erst den lebendigsten Grund, Mich, deinen Gott und Schöpfer, über alles zu lieben, treu und wahr finden. Was aber dir gilt, das gilt auch jedem andern Menschen. 4. Wer Mich nicht als Gott erkennt, der kann Mich auch nicht als einen Gott wahrhaft über alles lieben! Hättest du Mich aber je als Gott erkennen können, so du von Mir nur rein menschliche Handlungen und Taten und Reden beobachtet hättest? Sicher nicht! Und wäre deine Liebe zu Mir so mächtig geworden, so du kein Göttliches an Mir entdeckt hättest?! Dadurch aber, daß Ich dich bloß nur mit aller Liebe und Neigung erfaßt hätte wie allenfalls ein Bräutigam seine Braut, hättest du nicht erfahren können, daß der Geist des allerhöchsten Gottes wohne und wirke in Rat, Wort und Tat in Mir, sondern Meine Weisheit und Meine Macht haben dir das erst verkündet, und es ist somit eben nicht ganz recht, so du Meine Weisheits- und Machtgröße ein erschrecklichstes Feuermeer nennest und der Meinung bist, daß damit die Menschen nie etwas zu tun haben sollen. Gerade das Gegenteil! 5. Die Menschen sollen mit aller Gier Mein Reich in allem und vor allem suchen und sollen sich als Meine werdenden Kinder stets mehr und mehr in ihres Vaters großem Hause in jeder Sphäre und Beziehung auszukennen anfangen. Dadurch werden sie dann auch in der wahren Liebe voll Demut wachsen, und sie werden dadurch am Vater, und der Vater auch an ihnen, eine stets größere, mit aller Liebe erfülltere Freude haben. 6. Wenn die Menschen also tun und leben werden ein wahres Leben in und durch Meine Weisheit, Liebe und Macht, dann werden sie auch ganz das sein, was sie alle eigentlich sein sollen. Sie werden dadurch erst als Meine wahren Kinder ebenso vollkommen werden, wie Ich da Selbst vollkommen bin, und werden dann Meine göttliche Weisheit, Macht und Größe nimmermehr als ein erschreckliches Feuermeer finden. Ich meine, daß dir das nun auch klar sein wird! 7. Doch aber sage Ich euch allen hinzu, daß ihr alle vorderhand die Völker nicht alles das lehren sollet, was Ich euch nun gezeigt habe. Lehret sie vor allem Gott erkennen und lebendig an Ihn glauben und Ihn lieben über alles! Alles andere wird ihnen nach dem Bedarfe der Geist selbst enthüllen.“ Kapitel 118 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 118. — Goldene Richtlinien für die Verbreitung des Evangeliums 1. (Der Herr:) „Wohl liegt nun die Menschheit in einer allerdicksten Nacht begraben und schläft einen Schlaf der Toten; all ihr Wissen ist ein eitles Träumen, und niemand weiß dem andern einen Bescheid zu geben. Es gibt wohl eine Menge von Lehrern und Führern aller Art, – aber was nützen sie?! – Denn sie alle sind ebenso blind wie ihre Führlinge; kommen sie an eine Grube, so fallen Führer und Führling hinein, und keiner findet einen Ausweg aus der verderbenbringenden Grube. 2. Aber darum denke man ja nicht, daß sich die Menschen nicht gern einem rechten Führer anvertraueten! Was ist einem Blinden wohl erwünschter als ein sehender Führer, und dann noch um so mehr, so der Führer zum Blinden sagen kann mit einem guten und reell wahren Gewissen: ,Freund, nun bist du zwar noch blind; aber so du treu und gläubig mir folgst, so sollst du in Kürze selbst sehend werden!‘ Und wenn dann traurig der Blinde mit dem sehenden Führer wandelt und in kurzer Zeit seine Augen anfangen, einen nicht unbedeutenden Tagesschimmer wahrzunehmen, – wie wird sein Herz in aller Freude anzuschwellen anfangen! 3. Oh, Ich sage es dir, es ist nicht gar so schwer, wie du es meinst, einem wahrhaft lichtbedürftigen Blinden ein rechter Führer zu werden! Schwer wird dieses Geschäft erst dann, so der zu führende Blinde von dem ein Irrlicht erzeugenden Wahne beseelt ist, daß er selbst ein Sehender sei. Solche Blinde sind unsere Pharisäer und Schriftgelehrten; auch der Heiden allerlei Priester sind davon nicht ausgenommen. Aber was ist da zu tun? – Ein kurzes Beispiel soll dies Verhältnis, und was da zu tun ist, näher bezeichnen! 4. Es zog ein Feldherr mit seinem Heere aus wider einen sehr lästigen, bösen Nachbarfürsten, der sein Reich mit vielen Festungen und festen Burgen wohl versehen und befestigt und alle mit Kriegern und allerlei Kriegswaffen wohl bespickt hatte. Als der Feldherr sich mit seinem Heere den Grenzen des feindlichen Gebietes zu nahen begann, da sprachen seine Unterfeldherren und – führer zu ihm: ,Herr, da werden wir alle nichts oder nur sehr wenig ausrichten; denn der Feind hat sich ganz kurios befestigt, bis an die Zähne bewaffnet, und wir werden mit aller unserer großen Heeresmacht nichts ausrichten gegen ihn und werden mit Mann und Maus in seinem Lande zugrunde gehen! Daher wäre es etwa doch vernünftiger, diesmal diesen Feldzug ganz aufzugeben und irgendeine günstigere Zeit abzuwarten!‘ 5. Darauf entgegnete der große Feldherr: ,Bei dem wird die Zeit nie günstiger, und alle die vielen Ermahnungen sind an seinen tauben Ohren und an seinem Herzen stets total abgeprallt. Da heißt es mit bewaffneter Hand ihm zeigen, daß nicht er allein der Mensch ist, alle Güter der Erde für sich in Beschlag zu nehmen. Er hat in seinem Lande wohl eine Menge Festungen und Burgen erbaut und sie bis an die Zähne bewaffnet; allein die gehen uns nichts an! Wir dringen dort ins Land, wo keine Festungen und Burgen stehen, ziehen mit leichter Mühe seine mit ihm höchst unzufriedenen Völker an uns, geben ihnen Licht und weise Gesetze, und er soll da sehen, was ihm alle seine Festungen und Burgen nützen werden. Greift er uns aber an, die wir vom Kopfe bis zur kleinen Zehe bestens gewappnet sind und das Schwert, die Lanze, die Pfeile und die Wurfspieße wohl zu gebrauchen verstehen, so reiben wir ihn durch unsere große Übermacht und durch unseren Mut und durch unsere anerkannt größte Waffengebrauchsgeschicklichkeit bis auf den letzten Kriegsmann auf!‘ 6. Als die Unterfeldherren solchen weisen Angriffsplan von ihrem Oberfeldherrn bekamen, da bekamen sie nicht nur die sehr löbliche Einsicht, daß es also sicher am allerbesten gehen werde, sondern auch den rechten Kriegsmut und die volle Überzeugung für ein sicheres Gelingen ihres Kriegsplanes. Sie kamen an des Feindes Landesgrenze, allwo keine Festungen und Burgen standen, und drangen also ohne einen Schwertstreich ins Land. Das Volk strömte ihnen mit weißen Fahnen haufenweise entgegen und begrüßte sie als seine Lebensretter. 7. Als des Tyrannen Kriegsleute aus ihren Burgen das sahen, wie alles Volk sich um das fremde Heer stets mehr und mehr zu scharen begann, da fingen sie an, sehr ernstlich zu beraten, was da nun zu tun sein werde. Der Tyrann gebot ihnen, alles aufzubieten, um den Feind aus dem Lande zu treiben; aber seine Feldherren sagten zu ihm: ,Das ist zu spät! Was nützen uns unsere Festen und Burgen?! Der Feind hat alles Volk für sich und daher schon eine ungeheuer große Macht. Unser Kampf gegen sie wäre wie ein Mann gegen tausend. Wir sind total besiegt, und unsere Festen und Burgen nützen uns nichts mehr; denn die festeste Burg ist das Volk, und dieses ist in den Händen der Feinde, und uns bleibt daher nichts übrig, als ganz ehrlich zu kapitulieren!‘ Der Tyrann rümpfte hier freilich ganz entsetzlich die Nase; aber was wollte er tun?! Er mußte sich am Ende dennoch nach dem Rate seiner Feldherren richten. 8. Sehet, desgleichen tuet auch ihr als kluge Ausbreiter Meiner Lehre! Lasset stehen die Tempel und die vielen Priesterhäuser; bearbeitet nur das Volk! Ist das mit leichter Mühe einmal auf eurer Seite, dann werden die alten Götzentempel ehestens von selbst allen Wert verlieren und zusammenstürzen. Und ihre Diener werden, aus eigenem Antriebe und durch die Not gedrungen, zu euch übergehen und die neue Lehre annehmen und mit ihr zu handeln und zu wirken anfangen. 9. Und du, Mathael, wirst daraus hoffentlich auch so klug geworden sein, um einzusehen, daß die Ausbreitung dieser Meiner Lehre eben nicht zu schwer ist, wenn man sie nur klug genug auszubreiten anfängt; aber greift man etwas plump an, so wird die Wirkung auch gleichen dem Angriffe! – Hast du, und ihr alle, das nun wohl begriffen und verstanden?“ Kapitel 119 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 119. — Der Unterschied zwischen einem wahren und einem falschen Führer 1. Sagt Mathael: „Ja, Herr und mein Gott, nun ist mir schon alles klar, wie auch sehr klar, daß man an einen Gott erst glauben muß, bevor man Ihn lieben kann! Der Glaube aber darf kein blinder, sondern muß ein lichtvoller sein, das heißt, man muß einsehen, wer und was ein Gott ist. Man muß von Seiner Weisheit, Macht und Größe und Dauer einen klaren und vernunftgerechten Begriff bekommen, um dann daraus erst in die volle Liebe zu dem also angenommenen Gott übergehen zu können. 2. Es ist dies freilich kein gar zu leichtes Stück Arbeit bei einem Menschen, der von allerlei Irrtümern schon durch und durch gefangengenommen ist; aber so man selbst ein wahres Licht hat, so kann man dem Lichtbedürftigen auch bald ein wahres Licht geben, und es ist ein ganz anderes Ding, von jemandem etwas erlernen, der das, was er lehrt, vom tiefsten Grunde aus allerbestens versteht, als wie von jemand anders, der sich wohl auch das Ansehen eines Kundigen gibt und von der Sache wohl so ganz weitwendig etwas säuseln gehört hat, aber am Ende als Lehrer von der Sache im Grunde ebensoviel versteht wie sein Jünger. 3. Der tiefkundige Lehrer wird mit allerlei tauglichen und wohlentsprechenden Bildern und Gleichnissen den schwer faßlichen Lehrgegenstand mit leichter Mühe faßlich machen, während der Afterlehrer, um so recht tiefweise zu scheinen, sich nur alle Mühe geben wird, den zu lehrenden Gegenstand in derartig dunkle und mystische Phrasen einzuhüllen, daß dadurch der Jünger nach dem Unterrichte dann noch ums gut Zehnfache verwirrter wird, als er ehedem war. 4. Ich stelle mir die Sache also vor: Der wirklich kundige Lehrer kommt zu seinem Jünger wie jemand mit einer großen, verschlossenen Laterne bei der stockfinstern Nacht zu einem Menschen, der weiterziehen will in der Wüste eben in der Nacht, um nicht am Tage die große Qual der Hitze erleiden zu müssen. Der Reisende fragt dann wohl gleich den Führer mit der verschlossenen Laterne: ,Wie werden wir uns bei der Finsternis ohne eine Leuchte in der Wüste zurechtfinden? Unsere Kamele und Saumrosse werden in solcher Finsternis stutzig werden und keinen Schritt vorwärts zu bringen sein!‘ 5. Da aber sagt der rechte Führer: ,Laß dir darum kein graues Haar wachsen! Siehe, in dieser nun noch verschlossenen Laterne befindet sich schon ein Licht, das, sobald ich die Flügel der Laterne öffne, über die ganze Wüste gleich einer aufgehenden Sonne den hellsten Tag verbreiten wird! Keines unserer Lasttiere wird stutzig werden!‘ 6. Und so wird im besten Vertrauen die Reise angetreten. Am Anfange der Reise macht der Führer nur ein ganz kleines Flügelchen seiner wundersamen Laterne auf und alsogleich kommt daraus so viel Licht zum Vorscheine, daß dadurch schon allen Steinen des Anstoßes auf dem Wege recht gut ausgewichen werden konnte. Da meint der Reisende: ,Ja, mit solch einem Lichte läßt sich freilich gut reisen, und die Wüste wird uns keine Sorgen machen!‘ 7. Aber was macht der Reisende nun erst für Augen, als der Führer alle Lichtsperrflügel der großen Laterne öffnet und ein wahres Sonnenlicht im Augenblick über die ganze Wüste eine vollkommene Tageshelle verbreitet, so daß selbst die wilden und reißenden, hie und da auf eine gute Beute lauernden Tiere die weidlichste Flucht ergreifen und dafür die friedlichen Vögel des Himmels erwachen und ihre heiteren Liedchen zu singen beginnen, als wäre im Ernste schon die Sonne selbst aufgegangen! – Das wäre das Licht des rechten Führers! 8. Aber nun kommt der Afterführer mit einer wahren Nachtlampe in der Hand und sagt zum Reisenwollenden: ,Komm und laß uns ziehen durch die Wüste!‘ Spricht der Reisenwollende: ,Werden wir mit diesem deinem Lichte in der stockfinstern Nacht wohl auslangen?‘ Und der Führer spricht mit einem mystischen Pathos: ,Freund, wohl einen nur sehr schwachen Schimmer scheint mein Lämpchen zu verbreiten; aber es ist das ein magisches Licht, mit dem man sich in einer noch um vieles finstereren Nacht ganz überaus wohl zurechtfinden kann!‘ 9. Die Reise beginnt. Die Kamele werden alle Augenblicke stutzig und wollen nicht weiter; denn mit solcher Beleuchtung werden ihre Augen nur noch mehr verblendet, so daß sie darauf erst ganz und gar nichts mehr sehen. Sie legen sich und sind um keinen Preis mehr weiter zu bringen. 10. Da spricht der Reisende: ,Aber ich habe es ja zum voraus gewußt, daß es mit solch einem Lichtchen durch die selbst noch so kleine Wüste nicht gehen wird! Was ist nun zu tun? Auf dem traurig aussehenden Wege sind wir einmal!‘ Sagt wieder gravitätisch der in sich selbst sehr verdutzte Führer: ,Die Tiere sind müde und haben – in wenn noch so großer Ferne – Reißwild gewittert und gehen zu unserem Glücke nicht weiter!‘ Sagt der Führling: ,Was dann aber, so die Reißtiere uns auswittern und uns in solcher Nacht einen sehr unliebsamen Besuch abstatten werden?‘ Da versichert dem ängstlichen Führling der bei sich noch um vieles ängstlichere Führer: ,Oh, in solcher Nacht sind wir davor sicher; denn man hat noch nie erlebt, daß je ein Reisender in solcher Nacht wäre von den Reißtieren belästigt worden!‘ – Es kommt wohl glücklicherweise kein solches Tier, besonders am Anfange der Wüste, zum Vorscheine. Und Führer und Führling harren des beginnenden Tages und vertrösten sich, so gut es geht, bis dahin. 11. Ebenso, scheint es mir, geht es auch bei der geistigen Führung, welche von seiten eines Afterführers unternommen wird. In der Wüste und in der Nacht dieses irdischen Lebens, wo Lehrer und Schüler zugleich nichts sehen, vertröstet auch der weise sich zeigende Lehrer seinen Schüler damit, daß dereinst alle die geheimnisvollen Dinge jenseits werden offenbar werden. Aber dabei fürchtet sich der ,weise‘ Lehrer noch mehr vor dem Tode des Leibes als sein unerfahrener Schüler; denn der Schüler hat doch noch zum wenigsten einen blinden Traumglauben, während sein weise sein wollender Lehrer auch diesen schon lange nicht mehr besitzt.“ Kapitel 120 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 120. — Die Zukunft und Reinerhaltung der Lehre des Herrn 1. (Mathael:) „Ich glaube nun mit einer festen Überzeugung, daß wir mit der Ausbreitung dieser Deiner rein göttlichen Lehre eben keine gar zu große Mühe haben werden, und wir Gebieter und irdischen Machthaber schon gar nicht; aber eine ganz andere und mir höchst wichtig vorkommende Frage besteht darin, wie diese Lehre für die Menschheit rein und ohne irgend von den Menschen gemachte Zusätze oder Wegnahmen zu erhalten sein wird. Denn wir sind unser nun viele, die wir diese neue Lehre nicht nur für uns, sondern auch für unsere gar vielen Brüder und Schwestern erhalten haben und sie auch mit allem Eifer auszubreiten suchen! Aber schon wir werden vielleicht in manchen Stücken ganz verschieden den Menschen dies wahrste und reinste Evangelium verkünden, was da schon in der Natur der Sache liegt. 2. Denn man wird mit dem Juden anders, mit dem Griechen und Römer anders und mit dem Perser, Indier, Ägypter und gar mit dem Skythen sehr anders reden müssen, weil ein jeder von ganz anderen Vorbegriffen beseelt ist. Es werden dadurch offenbar allerlei Mischungen geschehen und auch allerlei Färbungen entstehen. Wenn dann etwa nach ein paar Jahrhunderten die Menschen von den verschiedensten Nationen ihre von uns empfangenen Lehren, die offenbar von vielen werden aufgezeichnet werden, miteinander vergleichen werden, – werden sie sich wohl noch so ziemlich gleichschauen?! Oder werden nicht bald die Juden sagen: ,Wir allein haben die ganz reine und wahre Lehre!‘?! Und die Griechen werden erwidern: ,Nein, wir haben die allein wahre Lehre, wie sie aus dem Munde des Herrn geflossen ist!‘ Und werden die Römer nicht dasselbe behaupten und die Armenier wiederum dasselbe?! Ich will hoffen, daß sie im wesentlichen wohl alle nicht zu weit auseinander sein werden; aber im speziellen dürften hie und da denn doch bei dem vollkommen freien Willen der Menschen gar gewaltige Varianten, Klüfte und Falten vorkommen! 3. Wenn das etwa doch mit einiger Sicherheit zu erwarten wäre, so wäre meiner freilich unmaßgeblichen Meinung nach nun wohl dafür irgendeine Fürsorge zu treffen, auf daß am Ende aus dieser herrlichen Lehre nicht ein wahres Chaos werde, aus dem fürder niemand leichtlich klug würde. – Was wäre, o Herr, da Deine Meinung?“ 4. Sage Ich: „Mein lieber Freund, obwohl deine Sorge deinem ganz redlichen, bekümmerten Herzen entstammt, so muß Ich dir aber dennoch die Bemerkung machen, daß diese deine Fürsorge ein wenig verfrüht ist! Daß diese Lehre bei allen Nationen in den späteren Zeiten nicht so rein verbleiben wird, wie sie nun aus Meinem Munde zu euch gekommen ist, das kann als etwas ganz Bestimmtes schon zum voraus angenommen werden. 5. Es werden auch gar bald nach uns eine Menge geschriebener Evangelien zum Vorscheine kommen, von denen ein jedes behaupten wird, die reine Wahrheit zu enthalten, und von denen ein jedes einem andern, dasselbe behauptenden geschriebenen Evangelium gar nicht gleichsehen wird. Ja, es wird noch ein viel Widrigeres geschehen: Der wider Mich zeugende Fürst der Lüge wird auch noch dazukommen und wird sogar große, wenn auch nur falsche Zeichen tun! Er wird in den Acker, darein Ich nun den reinsten Samen gestreut habe, den argen Samen von allerlei Unkraut legen, um zu ersticken den edlen Weizen. 6. Aber es wird das alles Meiner wahren und reinsten Lehre an und für sich gar keinen Eintrag machen; denn das hier von Mir zu euch gesprochene Wort wird von euch auch wieder weitergesprochen und -besprochen werden, und ihr selbst werdet euch nicht buchstäblich genau mehr Meiner Worte bedienen, was auch durchaus nicht mehr nötig ist. Aber der innere Geist wird dennoch verbleiben. 7. Wer an Mich glauben und in Meinem Namen aus dem Wasser und aus dem Geiste getauft wird, der wird auch Meinen Geist überkommen und dann wandeln im Lichte der reinsten Wahrheit für zeitlich und ewig. Bei dem wird dann auch diese Lehre sich in aller ihrer Reinheit wie von neuem wieder finden. Wer aber zu solcher Gnade nicht vordringen wird, der wird das reine Licht der ewigen Wahrheit Meiner Lehre ohnehin nie fassen und begreifen, und es wird da einerlei sein, mit welcher Kost er seinen geistigen Magen vollstopfen wird. 8. Glaube du es Mir! Und so da jemand jedes Wort buchstäblich innehätte gerade also, wie Ich es ausgesprochen habe, hätte aber den Geist dazu nicht empfangen, um durch ihn dann erst in die Tiefen zu dringen, allwo in Meinen Worten Licht, Kraft und Leben walten, so nützeten ihm Meine Worte ebensowenig, als jemandem die langen Gebete der Pharisäer etwas nützen! 9. Hat aber jemand den Geist Meiner Worte in sich, so benötiget er des Buchstabens nimmer. Wer aber den Geist hat, der hat auch die Lehre rein. Ich aber werde im Geiste verbleiben bei Meinen stets nur wenigen, aber wahren Bekennern bis ans Ende der Zeiten dieser Erde. Und so, Freund Mathael, wird schon dafür gesorgt sein, daß Meine Lehre auch stets ganz rein erhalten wird!“ Kapitel 121 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 121. — Ohne Täter des Wortes — keine Kenner des Wortes! 1. (Der Herr:) „Was dem äußern Menschen nötig zu wissen und zu glauben ist, das wird ohnehin – dort siehe hin! – von Meinen zwei Schreibern auf Mein Geheiß aufgezeichnet (Matthäus und Johannes. Anmerkung J. Lorbers). Wer das annehmen und danach tun wird, der wird auch zum Empfange Meines Geistes vordringen. Hat er den, so braucht er dann fürs Weitere nichts mehr. 2. Bleibet er aber bei dem, was er von Mir vernommen hat, lau und beeifert sich nicht, danach vollkommenst tätig zu werden, nun, so wird er wohl den Buchstaben haben, so wie ihn Meine beiden Schreiber aufzeichnen, und wie ihn auch für dich und für noch etliche der Raphael aufgezeichnet hat; aber zum Geiste, der tief innerhalb des Buchstabens rastet und ruht, wird er nimmer vordringen. 3. Es wird da niemand etwas nützen, nur gläubig zu rufen: ,Herr, Herr!‘; denn vor Mir werden solche Bekenner stets ebenalso dastehen wie Wesen, die Mich nicht kennen und auch von Mir nicht erkannt werden. 4. Ich sage es euch für alle Ewigkeiten als von Gott aus wahr: Wer nicht vollkommen ein Täter Meiner Lehre wird, sondern bloß nur ein Hörer und dann- und wanniger Bewunderer und Lobpreiser derselben verbleibt, der bekommt Meinen Geist nicht, und Meine ganze Lehre nützt ihm also im Grunde wenig oder nichts! Denn wird er nach der Ablegung des Leibes endlich ganz nackt als Seele dastehen, so wird er von Mir und von Meiner Lehre ebensoviel wissen, als hätte er auf der Erde auch nie eine Sterbenssilbe davon vernommen, was aber auch eine ganz lebensnatürliche Erscheinung ist. 5. So zum Beispiel jemand von der großen Kaiserstadt Rom auch so manches und sogar vieles hat reden hören, weiß auch den Weg dahin und hat auch die Mittel und die Gelegenheit, dahin zu reisen, um sich die große Stadt nach Muße anzusehen und alles darin kennenzulernen – ja, er wird zu solchem Unternehmen sogar zu öfteren Malen von seinen Freunden, die schon in Rom waren, aufgemuntert! Allein er hat fürs erste nie eine rechte Zeit dazu, dann ist er zu bequem und scheut die möglicherweise vorkommen könnenden Reiseungemächlichkeiten und sagt am Ende: ,Ei, wozu die Reise nach Rom? Meine Freunde haben mir diese große Stadt ohnehin schon so haarklein beschrieben, daß ich sie nun in meiner Phantasie so ganz erschauen kann, als wäre ich selbst schon viele Male in Rom gewesen!‘ 6. Das bildet sich unser Mann wohl so recht gut ein. Lassen wir ihm aber heute nur ein möglich ganz getreues Abbild von der Stadt Rom vorlegen, aber ohne eine Unterschrift, was es sei und vorstelle, – und unser die Stadt Rom ganz zu kennen Vorgebende wird das Abbild ebenso ansehen wie ein Ochse ein ganz neues, ungewohntes Tor! Und lassen wir ihn jahrelang raten, so wird er mit voller und überzeugender Bestimmtheit dennoch nie angeben können, daß dies ein gelungenes Abbild der Stadt Rom ist! 7. Ich sage aber noch mehr: Lassen wir diesen Menschen zufällig wirklich nach Rom kommen, – aber allein, und so, daß ihm in Rom selbst auch niemand sagete, daß er sich nun in Rom, sondern in einer ganz andern Stadt befinde –, so wird er das am Ende glauben und somit den ganzen, großen Wald vor lauter Bäumen nicht sehen! 8. Es ist sonach durchaus nicht genug, daß der Mensch etwa vom Hörensagen oder durchs Lesen von allerlei Beschreibungen sich irgend Kenntnisse verschafft von was immer. Alle diese Kenntnisse bleiben stumm und ohne einen Lebenswert, so sie nicht durch die Tätigkeit mit dem Leben der Seele in einen Verband gebracht werden. 9. Wenn jener Mensch, so er von der Stadt Rom gar viele ihm merkwürdige Dinge vernommen hat, sich dann zur Reise dahin anschickt und dann auch wirklich dahin reist und dort alles in Augenschein nimmt, was er nur immer in Augenschein nehmen kann, so wird er darauf die volle Wahrheit tiefst eingeprägt auch in seiner Seele haben und wird sich darauf nimmer eine andere Vorstellung von Rom machen können, als wie er diese Stadt selbst geschaut hat. 10. Hätte er aber Rom nie selbst geschaut, so würde sich seine Vorstellung auch mit einer neuen und veränderten Erzählung über die Gestalt der Stadt Rom allerweidlichst verändert haben; ein phantastisches Bild würde das andere verdrängen, und das so lange fort, bis er am Ende sich von der Stadt schon gar keine nur einigermaßen haltbare Vorstellung zu machen imstande wäre. 11. Hat er aber einmal, wie gesagt, Rom selbst gesehen, so mögen nun Hunderte von Schwätzern zu ihm kommen und ihm ganz neue und seltsame Beschreibungen von der Gestalt der Stadt Rom machen, so wird er darüber nur lachen und sich zuweilen über die lügenhafte Unverschämtheit einiger sich berühmt zu machen bestrebender Tagediebe und müßigen Pflastertreter nur ärgern und sie alle zur Türe allerweidlichst hinausweisen; denn in ihm lebt nun die wahre Gestalt Roms tatsächlich und kann durch gar keine andere, bloß erdichtete Vorstellung verdrängt werden. 12. Aber wie möglich nun also? Weil er durch seine Mühe und Arbeit sich die volle Wahrheit in seine lebendige Seele und nicht bloß in sein Gehirn eingeprägt hat! Er hat sonach den wahren Geist der Sache in seine Seele aufgenommen; das treuwahre Bild lebt nun in ihm und kann durch kein äußeres Irrbild mehr getötet und zerstört werden, weil es ein wahres Lebensbild geworden ist. 13. Wie aber dieses Gleichnis sehr klar den Unterschied zwischen dem trügerischen Scheine und der vollen Wahrheit in jeder Hinsicht und Beziehung zeigt, woraus ein jeder auch gar leicht und gründlich ersehen kann, daß auch eine noch so ganz richtige Beschreibung Roms dennoch die eigentätige Überzeugung weit hinter sich läßt, weil die dadurch hervorgerufene Vorstellung doch nur eine eingebildete ist und durch eine andere, anders begründete ganz gut verdrängt werden kann, weil sie zu keinem lebendigen Bilde in der Seele geworden ist, – eben- und geradealso geht es mit Meiner Lehre.“ Kapitel 122 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 122. — Die Wichtigkeit des Tatchristentums 1. (Der Herr:) „Ihr möget sie von Wort zu Wort mit ehernen Schriftzeichen für alle Zeiten der Zeiten aufzeichnen, so daß kein Häkchen davon abgeht, und könnet sie also predigen und vorlesen allen Völkern, und alle Völker sollen aus vollem Halse rufen: ,Ah, siehe da, das ist eine gar sehr vortreffliche Lehre und ist eines Gottesmundes würdig!‘, aber es will dennoch niemand Hand ans Werk legen und vollauf nach ihren Grundsätzen und Forderungen tätig werden, – nützet da dann diese Meine noch so rein aufbewahrte Lehre jemandem etwas? Ich sage es euch: Gar nichts nützt das! Oder nützt jemandem, der krank ist, eine Arznei etwas, wenn er sie nicht einnimmt und gebraucht nach der Vorschrift des wohlerfahrenen Arztes?! 2. So aber jemand nur einiges Wenige weiß von dieser Meiner Lehre und tut aber sogleich danach, so wird er davon schon offenbar einen größeren und lebendigeren Nutzen haben als der andere, der zwar mit aller Ehrfurcht von Mir und Meiner Lehre spricht, aber nie bei sich selbst sich zur Tat danach entschließen kann. Denn der erstere wird durchs Handeln nach dem Wenigen, das er vernommen hat, eben das Vernommene in seiner Seele beleben, und es wird aus dem kleinen Samenkorn bald eine große Ernte aus dem lebendigen Geiste erfolgen, die keine böse Macht je mehr zu zerstören imstande sein wird, während der zweite Lobredner und treue Aufbewahrer Meiner Lehre, vom geistigen Hunger geplagt, auch alle andern Lehren zusammenscharen und dabei dennoch des geistigen Hungers sterben wird. Wird Mich dann drüben seine Seele erkennen, wenn sie hier durch ihre Tätigkeit sich den wahren Geist Meiner Worte nicht in aller Wahrheitsfülle zu eigen gemacht hat? 3. Ich setze nun den Fall, es wüßte jemand von Meiner Lehre nicht mehr als das nur, daß man Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben soll, und dächte darüber also ganz ernstlich: ,Sieh, das ist eine gute Lehre! Es muß ein allerhöchstes Gottwesen geben, das nach allem dem, was da von Ihm erschaffen ist, als sehr gut und überaus weise dasteht, lebt und sich bewegt. Dieses sonach überaus gute, weise und allmächtige Wesen muß man also auch mehr achten, schätzen, ehren und lieben als alles andere in der Welt. Mein Nebenmensch ist so gut wie ich ein Mensch und vom Schöpfer mit den gleichen Rechten in diese Welt gesetzt. Er darf daher nicht unterschätzt werden, sondern ich bin durch die Vernunft sogar genötigt, ihm das zu erweisen, was ich mir selbst erweise. Denn unterschätze ich ihn, so unterschätze ich auch mich, weil ich auch nur ein Mensch und nichts Weiteres mehr bin. Ich erkenne das als einen obersten Lebensgrundsatz und will ihn daher auch vorerst für mich selbst strenge tatsächlich beachten!‘ 4. Dieser Mensch tut nun das und sucht auch seine Umgebung dazu zu bewegen, teils durch sein Beispiel und teils durch seine ganz einfache und schlichte Lehre, und bildet so sein Haus zu einem wahren Muster wahrer und gottergebener Menschen aus. Was sind aber in Kürze die Früchte solch eines löblichsten Unternehmens? Die Menschen leben in Frieden. Keiner erhebt sich über den andern. Der Verständige gibt sich in aller Geduld die ernste und mit aller Liebe erfüllte Mühe, den Unverständigen zu sich heraufzubilden, und macht ihn auf alle die ihm bekannten Wunder in der Schöpfung aufmerksam und freut sich, den Schwächeren gestärkt zu haben. 5. Weil solches alles aber da in der Tat geschieht, so wird das auch ins Leben der Seele aufgenommen; die Seele wird dadurch dann offenbar stets tätiger und lebenskräftiger.“ Kapitel 123 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 123. — Die Weisheit als Wirkung der Liebetätigkeit 1. (Der Herr:) „Je tätiger es aber in der Seele zuzugehen anfängt, desto heller wird es auch in ihr; denn das Grundelement des Seelenlebens ist das Feuer. Je heftiger aber irgend dieses Element zu wirken beginnt, desto mehr Licht verbreitet es auch in und aus sich. Wird sonach die Seele stets lebensfeuriger, so wird sie auch lebenslichter und -heller und fängt an, aus solchem ihrem erhöhten Lebenslichte auch stets mehr und mehr die inneren Lebensgeheimnisse zu durchschauen und zu begreifen. 2. Dieses tiefere Schauen und Begreifen verschafft der Seele wieder einen neuen Mut, Gott noch viel inniger zu lieben und zu bewundern, und diese Liebe ist dann schon ein erster Funke des Gottesgeistes in der Seele; diese wächst und mehrt sich gewaltig, und kurze Zeit darauf werden die Seele und der Geist Gottes völlig eins, und die Seele wird dann durch den Geist Gottes in alle Wahrheit und Weisheit geleitet. 3. Wenn nun so ein Mensch dann in alle diese Weisheit gelangt, wie Ich euch nun mehrere Tage hindurch in einem fort gepredigt und tatsächlich gezeigt habe, saget Mir, ob daran wohl etwa das die Schuld war, daß der Mensch etwa jegliches dieser Meiner an euch ergangenen Worte von Häkchen zu Häkchen genau und unverändert überkommen hatte! O nein! Ihm kam nichts zu Ohren als bloß die beiden Gesetze der Liebe; die genaue, gewissenhafte und tatsächliche Beachtung derselben nur hat ihm alles andere erworben! 4. Da sind nun welche unter euch, die da bei sich, trotzdem Ich euch die Sache doch gewiß sehr handgreiflich klar dargestellt habe, fragen und sagen: ,Ja, wie möglich kann denn die tatsächliche Beachtung der beiden Gebote die Seele zu einer solchen Weisheitshöhe erheben?‘ Und Ich sage es euch: Darum, weil die Seele schon von Anbeginn an also eingerichtet ist! 5. Wie wird denn eine Traube reif und süß und geistig – und ist doch nur ein ganz schlichtes Naturgewächs? Der Sonne Licht und Wärme bewirken das. Durch das Licht und durch die Wärme werden die Naturgeister in der Rebe stets tätiger und tätiger. Dadurch aber, daß sie stets tätiger werden und gewisserart stets emsiger sich durcheinander reiben und treiben, werden sie in sich selbst auch stets feuriger und in sich leuchtender. Dadurch aber, daß sie auch in sich stets heller und leuchtender werden, steigert sich auch offenbar ihre gegenseitige Spezialintelligenz; je heller aber ihre Intelligenz wird, desto mehr erkennen sie sich als einer und derselben Ordnung angehörig und fangen an, sich zu ergreifen, zu ordnen und zu einigen. Ist dieses geschehen im Vollmaße, so ist die Traube auch reif und wohl genießbar geworden. 6. Hat man den Saft dann gesammelt und in einem Gefäße wohl aufbewahrt, so werden seine wohlgeordneten Naturgeister nun nicht mehr dulden, daß irgendein fremder Körper, der in sich Naturgeister einer ganz andern Ordnung birgt, die einmal angenommene gute Ordnung der geordneten Naturgeister des Traubensaftes störe. Sobald sich etwas Fremdes, einer andern Ordnung Angehöriges, im Moste befindet, so gärt und braust er so lange, bis das Fremde aus ihm geschafft ist oder sich völlig in seine Ordnung gefügt hat. Ist das geschehen, so erwacht dann erst des inneren Lichtes und der inneren Wärme Geist aus der guten Ordnung der gesamten Naturgeister des rein gewordenen Rebensaftes, und aus dem früher noch sehr unreinen Moste ist dadurch ein geistig starker und reiner Wein geworden. 7. Das alles ist demnach eine Wirkung der Sonne, das heißt ihres Lichtes und ihrer Wärme. Und ebenalso geht es mit dem Menschen und seiner Seele! Kann er durch die Beachtung eines Gesetzes der besten Ordnung aus Gott seine Seele in eine stets größere Tätigkeit versetzen, so wird es in ihr auch in allen ihren Sphären des Lebens heller und lebenswärmer werden. Sie wird dadurch sich selbst stets heller und reiner erkennen und ebenso die göttliche Kraft, die in sie stets mehr und mehr einfließt und in ihr auch ein stets erhöhteres Leben zeihet. 8. Erkennt sie aber diese Kraft, so erkennt sie auch Gott, von dem diese Kraft ausgeht. Wenn sie das aber notwendig erkennen muß, so muß sie Gott auch stets mehr und mehr lieben. Mit dieser Liebe scheidet sie dann selbst alles Fremdartige aus ihrer stets reineren und vollkommeneren Lebensordnung und wird stets einiger mit der Ordnung des Geistes Gottes in ihr; wie aber das der leichtbegreifliche Fall ist und ganz sicher eintreten muß, so versteht es sich dann ja schon von selbst, daß solch eine Seele dann als vom Geiste Gottes ganz durchdrungen in jeglicher Art, Kraft und Stärke zunehmen muß und so unfehlbar ein wahres Kind des allerhöchsten Gottes wird. 9. Wenn solch eine Seele dann endlich einmal den Leib verläßt und im großen Jenseits mit dem notwendig allervollendetsten Bewußtsein anlangt, so wird sie auch Gott sicher sogleich erkennen, da sie schon hier völlig eins mit Ihm geworden ist und Ihn zum vollsten und lebensklarsten Bewußtsein in sich gebracht hat, und das aus dem handgreiflichen Grunde, weil des Geistes Gottes doch ewig sicher allerklarstes Bewußtsein nun gewisserart zum hellsten und vereinigten Bewußtsein der Seele selbst geworden ist.“ Kapitel 124 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 124. — Vom Vielwissen ohne Lebenstat 1. (Der Herr:) „Wenn sich aber das alles nur also und ewig nie anders verhalten kann, wie läppisch erscheint da eure Sorge um die Reinerhaltung eines an euch ergangenen Wortes! Nur sehr weniges davon bedarf der Mensch, ein kleinstes Senfkörnlein nur; wenn er es ins Lebenserdreich seines Herzens legt und es dann emsig und tätig pflegt, so wird daraus ein Baum erwachsen, unter dessen Ästen auch die Vögel der Himmel ihre Wohnung nehmen werden. 2. Haben die Pharisäer etwa nicht die Bücher Mosis und die Propheten noch ganz rein, daran kein Häkchen mangelt?! Was nützt ihnen aber das? Sie sind dennoch reißende Wölfe, die in Schafspelzen einhergehen, um desto mehr Verheerung auf den friedsamen Lämmerweiden anzurichten! 3. Ich sage es euch: Alles Äußere, wenn an und für sich noch so rein, tötet; nur der Geist hat das Leben und belebt alles, was er durchdringt. Ihr werdet Meine Lehre darum auch ganz kurz und leicht zusammenfassen, insoweit sie den Menschen im allgemeinen nötig ist. Wer danach tätig sein wird, der wird auch nach dem Maße seiner Tätigkeit den Geist aus Gott in sich erwecken, und dieser wird dann erst beleben im Lichte und Feuer aller Wahrheit die Seele, und diese wird geleitet werden in alle Wahrheit und Weisheit aus Gott und wird das und noch unaussprechbar mehreres, was Ich euch nun gezeigt habe, in und aus sich allerklarst erfahren. 4. Denket euch nun, Ich wollte euch Meine ganze Schöpfung so ganz analytisch vom Größten bis zum Kleinsten damit wunderbarst enthüllen, daß Ich viele tausend Meiner Engel beriefe und ihnen geböte, alles auf die ihnen mögliche blitzschnellschreiberische Weise aufzuschreiben! Fürs erste braucheten wir so viel des weißen Schreibleders, daß dasselbe wahrlich in einer ganzen Hülsenglobe bei weitem nicht Platz hätte; fürs zweite aber, wären alle die endlos vielen Häute klein beschrieben, saget, bis wann ihr mit dem Durchlesen aller solcher Schriften zu Ende kämet! Ich hoffe nun, daß ihr eure Torheit schon so ein wenig werdet einzusehen anfangen! 5. Gehet hin nach Memphis, nach Theben, nach Karnag und nach Alexandrien! Alldort werdet ihr Bibliotheken antreffen, alle möglichst echt und richtig; aber Ich stehe euch dafür, daß kein Mensch sie in fünfhundert Jahren aus- und durchzulesen imstande ist! Es gehörte dazu wahrlich Methusalems Alter, um alle die Schriften und Zeichen nur einmal zu überlesen! Und was hätte dann der davon, der sich die allererstaunlichste Mühe genommen hätte? Er würde das Gelesene endlich schon fleißig von Tag zu Tag, ja am Ende, so er schon so recht verwirrt wäre, von Stunde zu Stunde und von Minute zu Minute ganz rein vergessen und daraus für sein Leben aber auch nicht den allergeringsten Gewinn ziehen. 6. Merket ihr nun, was Ich euch mit dieser Meiner Lehre für einen ganz andern Weg zeigen will, auf dem man in der kürzesten Zeit, so man es nur recht will, sich in alle Weisheit der Himmel versetzen kann?! 7. Dieser Weg bin Ich, und die Wahrheit und das Leben. Wer Mich wahrhaft liebend in seine Seele aufgenommen hat, aber nicht nur gläubig bloß dem vernommenen Worte nach, sondern vollkommen der Tat nach, zu dem werde Ich allzeit im Geiste kommen und werde Mich ihm offenbaren und werde ihn erleuchten wie eine hell aufgehende Sonne die früher finsteren Gefilde der Erde. 8. Mit einem innern geistigen Blicke wird er mehr vom tiefsten Grunde aus kennenlernen denn durchs Lesen in zehnmal hunderttausend Jahren, so es einem Menschen gegeben wäre, so lange zu leben. 9. Ihr selbst habt nun seit mehreren Tagen, die Ich stets lehrend und handelnd unter euch zugebracht habe, doch so manches vernommen und gesehen, und es sind eure Seelen dadurch sehr geweckt worden, und in eure Herzen ist Liebe, Glaube und volles Vertrauen eingezogen; aber so ihr es bei dem allein bewenden ließet, da hättet ihr fürwahr noch wenig Nutzen für eure Seelen, und euer Erkennen und Wissen würde bei dem, was ihr nun habt, verbleiben. 10. Ihr müsset von nun an erst selbsttätig werden nach Meiner Lehre, dann wird eure Seele lebendiger und lichtvoller werden und dann erst wird Mein Geist in euren Seelen Wohnung nehmen und wird euch leiten in alle Weisheit. 11. Darin also bestehet die neue Schule des wahren Lebens und die allein wahren Erkenntnisse Gottes und seiner selbst, und darum heißt Meine Lehre ein wahres Evangelium (deutsch = "Gute, frohe Botschaft", weil sie die Menschen lehret gehen auf dem allein rechten und wahren Wege zur Erreichung des wahren, ewigen Lebens und zur Erreichung der einzigen, wahren Liebe und Weisheit aus Gott. 12. Klein zwar ist die Lehre, und so sie in ein Buch geschrieben wird, so kann sie von jedermann, der des Lesens kundig ist, in sehr wenigen Stunden durchgelesen werden. Das noch so eifrige Durchlesen allein aber wird auch niemand irgend zu mehr etwas nützen, als daß er sich bloß mit Meiner Lehre dem Außen nach bekannt gemacht hat, – was wohl vor allem zu geschehen hat. 13. Denn es ist dieser Akt gleich einem notwendigen ersten Schritt bei einer Reise; denn sollte Ich von hier etwa nach Damaskus reisen, mache aber nie einen ersten Schritt, so versteht es sich von selbst, daß Ich auch den zweiten Schritt nicht machen kann und darauf die vielen künftigen noch weniger, die Mich bis nach Damaskus bringen sollen. Aber mache Ich auch den ersten Schritt noch so kernfest und etwa darauf auch den zweiten, dritten und vierten, so nützet Mir das doch nichts, so Ich darauf stehenbleibe und es für zu mühevoll finde, die Schritte so lange fortzusetzen, bis Ich Damaskus erreicht habe. 14. Ich habe es euch nun allerklarst gezeigt, was ihr zu tun habt, um wahrhaft das ewige Leben und alle seine Gerechtigkeit zu erreichen. Tut also danach, so wird Meine Verheißung an euch allen in die vollste Erfüllung gehen; denn aus all dem vielen, das Ich euch bisher geoffenbart habe, ist das wohl das Größte und am meisten Beachtenswerte für euer Leben, was Ich euch nun gesagt und geoffenbart habe. 15. Ich habe euch ja gezeigt und geoffenbart gar viele Wunder Meiner Schöpfungen, und ihr habt von Mir sonach überaus viel gelernt; aber ihr wisset nun nur das, was ihr gehört und was ihr gesehen habt. Weiter hinaus wisset ihr aber dennoch nichts. Aber mit der gegenwärtigen Offenbarung habe Ich euch haarklein und handgreiflich klar gezeigt, was ihr und ein jeder zu tun habt, um zur unbegrenzten Selbstanschauung aller der Wunder der endlos großen Schöpfung Gottes zu gelangen, die dann nicht mehr vergehen, sondern ewig bestehen wird.“ Kapitel 125 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 125. — Die Notwendigkeit der Selbstprüfung 1. (Der Herr:) „So tut denn nun emsigst danach; nehmet euch alle Mühe und prüfet euch, ob ihr nichts unterlasset, auf daß ihr am Ende nicht sagen müsset: ,Da, sieh her, nun habe ich volle zehn bis zwanzig Jahre hindurch alles getan, was mir die neue Lehre vorschrieb, und dennoch stehe ich stets gleich auf einem und demselben Flecke, verspüre noch immer nichts von einer besonderen Erleuchtung in mir, und vom sogenannten ewigen Leben empfinde ich auch noch ganz blutwenig in mir! Woran fehlt es denn noch?‘ 2. Ich aber sage zu euch darum: Prüfet euch sorgfältig, ob nicht noch irgend starke weltliche Vorteilsgedanken euer Herz beschleichen, ob nicht zeitweiliger Hochmut, eine gewisse, zu überspannte Sparsamkeit – eine jüngste Schwester des Geizes –, die Ehrsucht, richterlicher Sinn, Rechthabelust, fleischlicher Wollustsinn und dergleichen mehreres euer Herz und somit auch eure Seele gefangenhalten! Solange das bei dem einen oder dem andern der Fall ist, wird er zu der Verheißung, das heißt zu ihrer vollen Erfüllung an ihm, nicht gelangen. 3. Denn betrachtet nur den Most und den reinen, geistvollen Wein in einem Fasse oder Schlauche! Solange sich grobe und fremde Bestandteile im Moste befinden, wird er gären und zu keiner Reinheit gelangen, sind aber diese samt und sämtlich einmal hinausgeschafft, so wird es ruhiger und ruhiger im Fasse, der Most klärt sich und wird zum reinen, vollgeistigen Weine. 4. Es wird oft so manchem gar nicht vieles fehlen von der vollen Besitznahme des Gottesreiches in seiner Seele, und dennoch wird er es nicht einnehmen, weil er sich zu wenig prüft und nicht acht darauf hat, was etwa noch Irdisches an seiner Seele klebt. Wird er sich aber sorgfältiger prüfen, so wird er bald finden, daß er entweder noch sehr empfindlich ist und ihn gar bald eine Kleinigkeit beleidigt. 5. ,Ja‘, sagt da jemand, ,soll ein Mensch denn gar kein Ehrgefühl haben?‘ O ja, sage Ich, der Mensch kann allerdings ein Ehrgefühl haben, aber das muß von der edelsten Art sein! Hat dich irgendein noch schwachgeistiger Mensch beleidigt, so werde ihm darum nicht gram, sondern gehe hin und sage zu ihm: ,Freund, mich kannst du mit nichts beleidigen; denn ich liebe dich und alle Menschen! Die mir fluchen, die segne ich, und die mir Übles tun, denen tue ich nach allen meinen Kräften nur Gutes! Aber es ist nicht fein, daß ein Mensch den andern beleidigt; darum unterlasse das für die Folge zu deinem höchst eigenen Heile! Denn du könntest bei deiner stets wachsenden Beleidigungssucht einmal an einen kommen, der dir die Sache sehr übelnähme und dir dann große und gewiß sehr unliebsame Ungelegenheiten bereiten könnte, und du müßtest es dann nur dir selbst zuschreiben, daß dir Unangenehmes begegnet ist!‘ 6. Werdet ihr mit einem, der euch beleidigt hat, ohne den geringsten Groll im Herzen also reden, so habt ihr das edle und göttliche Ehrgefühl in eurem Herzen vollkommen gerechtfertigt. Sowie ihr aber darob noch so eine Art kleinen Grolles in euch merket und werdet auf den Menschen bitter und unfreundlich, so ist das noch eine Folge eines kleinen, in eurer Seele verborgenen Hochmutes, der allein noch lange gut genügt, die Vereinigung eurer Seelen mit Meinem Lichtgeiste in euch zu verhindern. 7. Oder es spricht einen von euch mehrere Male ein und derselbe Arme um ein namhafteres Almosen an. Ihr habet es wohl und könntet dem Armen noch tausendmal soviel geben, als ihr ihm schon gegeben habt; aber es berührt euch seine gewisserartige Unverschämtheit bitter, und ihr weiset ihm die Tür mit dem Bedeuten, er solle nicht so oftmals kommen und denken, daß man ihm allzeit, so oft es ihm einfällt, ein Almosen verabreichen wird! 8. Ja sehet, das ist für einen Weltmenschen wohl eine ganz vernünftige Rede, und es geschieht dem Bettler so eine kleine Zurechtweisung recht; aber derjenige, der dem Armen also begegnet, ist dennoch noch lange nicht reif zu Meinem Reiche, der Ich Meine Sonne alle Tage aufgehen und scheinen lasse über gute und böse Menschen und zum Frommen aller Kreatur. 9. Derselbe Strahl, der die vergoldeten Paläste der Könige verherrlicht und in der Rebe den edelsten aller Säfte reinigt, reift und sehr versüßt, leuchtet auch über Pfützen und Kloaken und ärgert sich nicht an dem Gequake der Frösche und an dem Gezirpe der Grillen. Eine solche Zurückhaltsamkeit hat hinter sich noch etwas Karges, und die Kargheit und die zu ökonomische Sparsamkeit ist eben nicht sehr weit vom Geize entfernt und trübt den Lebensmost der Seele; und solange das noch ununterbrochen der Fall ist, wird aus der Seele kein reiner und geistvoller Lebenswein. 10. Wer aber als wohlhabend im Geben nur eine recht große Freude findet und den Armen gar nicht ansieht darum, daß er ihm schon zu öfteren Malen eine kleine Gabe verabreicht hat, der ist dann in diesem Punkte schon fähig, in Mein Reich überzugehen, so er etwa keines andern kleinen Fehlers in seiner Seele gewärtig ist. 11. Darum sagte Ich zu euch, daß ihr euch stets in allem genau erforschen und euch auf den Lebensstandpunkt erheben sollet, auf welchem ihr es in euch hell und lebendig wahrnehmet, daß ihr von allen irdischen Schlacken frei seid.“ Kapitel 126 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 126. — Die Nächstenliebe als Regler der Sparsamkeit 1. (Der Herr:) „,Ja‘, sagt wieder einer von euch bei sich, ,es wäre schon alles recht mit der Selbstprüfung; aber woher das allzeit richtige Maß des reinen Gefühls und Gewissens? Der Mensch wächst von der Wiege in die volkssittlichen Gefühle hinein und findet alles recht, was er als solchen Gefühlen vollkommen Rechnung tragend tut; ja, täte er denselben zuwider, so vermeinete er eine Sünde zu begehen.‘ 2. Es sei bei einem Volke die Sparsamkeit eine anempfohlene und angepriesene Hauptsitte und laute: ,Wer in der Jugend und Manneszeit spart, der darf im Alter nicht darben, und wer da nicht arbeitet und spart, der soll auch nicht essen!‘ 3. Meine lieben Freunde! Diese an sich durchaus nicht unlöblichen Grundsätze sind mir recht wohl bekannt. Sie können und sollen überall, wo ein Volk in Gemeinden zusammen lebt, bestehen und aufrechterhalten werden, aber stets im lebensedelsten Sinne. Damit sie aber nur in solchem Sinne unter den Menschengesellschaften bestehen und nie unter- und nie übertrieben werden, so muß ihnen ein haltbarer und sehr verläßlicher Regulator an die Seite gestellt werden. Was aber soll diesen Regulator abgeben? Nichts und niemand als allein die wahre und reine Nächstenliebe, deren vernünftiger oberster Grundsatz darin zu bestehen hat, daß man dem Nächsten gerade alles das von Herzen wünsche und tue, was man natürlich vernünftiger- und weisermaßen wünschen und wollen kann, daß die andern es auch unsereinem tun und erweisen möchten. 4. Wer diesen Grundsatz so recht betrachtet, der wird daraus bald gewahr werden, daß er wie kein anderer alle Menschen zu einem gewissen Fleiße und auch zur wahren und lebensedlen Sparsamkeit anspornen wird; denn ist es mir unangenehm, daß ein anderer an meiner tätigen Seite einen Müßiggänger macht, so soll ich auch an seiner Seite keinen Müßiggänger machen! 5. Wird dies ein jeder aus wahrer, lebensedler Nächstenliebe tun, so wird es in einer Gemeinde bald sehr wenige geben, die man ,Arme‘ nennen könnte. Außer den Lahmen, Bresthaften, Blinden, Tauben und Aussätzigen wird es wenige mehr geben, die der Gemeinde zur Last würden; aber die sollen dann wohl mit dem freudigsten Herzen zuvorkommend verpflegt werden. 6. Dann wird es in einer Gemeinde einen oder auch mehrere Lehrer geben, die da nicht Zeit haben, sich mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt zu verschaffen. Diese sollen denn von der Gemeinde dahin versorgt sein, daß sie nicht nötig haben sollen, die Zeit, die für den Unterricht eurer Kinder und euer selbst bestimmt ist, mit der Feldarbeit zuzubringen! Das ist auch ein Akt einer besonderen Nächstenliebe, der hoch obenan steht. Denn der, der euch allertätigst mit den geistigen und somit wahrsten Lebensschätzen versorgt, den sollet ihr wohl nicht in seiner leiblichen Sphäre darben lassen. 7. Wer aber eine solche Gnade von Mir hat und berufen ist, den Menschen in Meinem Namen ein Lehrer zu sein, der bedenke aber, daß er die Gnade von Mir umsonst überkommen hat und sich daher für die Weiterausteilung nicht soll ein Entgelt bezahlen lassen! Ein echter Lehrer wird auch das, was er von Mir umsonst überkommen hat, auch umsonst weitergeben. Aber die Beteilten sollen dann aus wahrer Liebe zu Mir den Lehrer, den Ich zu ihnen gesandt habe, wohl aus ihrem eigenen Antriebe mit aller Liebe aufnehmen und ihn in keiner Art darben lassen; denn es versteht sich ja von selbst, daß das, was sie einem Gesandten von Mir tun, also angesehen wird, als hätten sie es gerade Mir Selbst getan! 8. Aber was sie da tun, das sollen sie stets mit großer Freude tun, auf daß das Herz des Lehrers nicht traurig werde ob der Härte der Herzen der Gemeindeglieder, und er sehe mit freudigem Herzen, wie Mein Wort aus seinem Munde sogleich anfängt, die edelsten Früchte des wahren, innern Lebens zu tragen. 9. Ihr sehet nun, daß die wahre, edle und – sage – vernünftige Nächstenliebe für dies irdische Leben der allerverläßlichste Visierstab ist, um zu erforschen, ob und wie rein es in der Seele aussieht. Gebrauchet ihn daher vor allem, und ihr werdet davon ehest die segensreichsten Früchte für die Scheunen des ewigen Lebens im Lichte Meines Geistes in euch ernten! – Was meinst du, Mathael, nun wohl in bezug auf die Reinerhaltung dieser Meiner nun an euch ergangenen Lehre? Ist sie so allen Menschen bis ans Ende der Zeiten rein zu erhalten oder nicht?“ 10. Sagt Mathael, ganz ergriffen von der Wahrheit Meiner Worte: „Herr, nur eine kurze Rast, und ich will Dir danken auch mit der Zunge für diese zu großwichtige Aufhellung und Zurechtweisung aller meiner Bedenken! Ja, dies Lob muß laut ausgesprochen werden! Aber nun ist mein Herz noch zu ergriffen und zerknirscht, darum nur eine kleine Rast meiner Seele, o Herr, Du ewig Weisester!“ Kapitel 127 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 127. — Die Liebe als wahrstes Gotteslob. Des Herrn Gleichnisse von der Erde und von der Anpflanzung 1. Nach einer Weile hatte sich unser Mathael wieder gesammelt und wollte so ein recht großartigstes dithyrambisches Lob Mir vorzudeklamieren anfangen. 2. Ich aber sagte zu ihm: „Freund, was du hier offen aussprechen willst, weiß Ich vom Alpha bis zum Omega schon lange und zum voraus; daher magst du das wohl unterlassen! Ich bin kein Freund von solchen großartigen Lobessprüchen. Der Mir allerangenehmste Lobesspruch ist der, daß du Mich wahrhaft liebst in aller Lebenstiefe deines Herzens! 3. Wenn du bei deinem Volke sein wirst, da kannst du schon in aller Begeisterung groß reden von Mir, und Ich werde es dir vergelten mit allerlei Gnadengaben für Herz, Seele und Geist; aber hier in Meinem Angesichte ist so etwas um so weniger nötig, als alle die andern Anwesenden Mich ohnehin ebensogut erkennen wie du und Mir auch, dir ganz gleich, die Ehre geben. 4. Glaube du es Mir: Etwas Größeres, Erhabeneres und Gottes Würdigeres als da sind Davids Psalmen und Salomos Hoheslied, ist seit Noah auf der Erde nicht geschrieben und gesungen worden. Aber darum sind Mir David und Salomo nicht werter und angenehmer geworden! Salomo ist am Ende gar aus aller Meiner Gnade durch sich selbst gekommen, und den David machten nicht seine Psalmen zum Manne nach dem Herzen Gottes, sondern nur das, daß er Meinen Willen erkannt und freiwillig danach gehandelt hat. Weil er aber das tat, so bekamen seine Psalmen erst dadurch auch einen Wert vor Mir. Du siehst also nun, was allein vor Mir einen Wert hat. Tue sonach das, und du wirst Mich dadurch am meisten ehren zu Meiner wahren Freude und zum wahren Nutzen deiner Seele! 5. Nun aber muß Mein Roklus einmal her; denn Ich sehe, daß er noch etwas auf dem Herzen hat und davon eine nähere Erklärung möchte, die ihm denn auch zuteil werden soll. Roklus, komme Mir näher, denn Ich habe mit dir noch so manches abzumachen!“ 6. Als Roklus solchen Ruf vernahm, eilte er schnell zu Mir hin und sagte: „Herr und Meister, hier stehet schon allerdienstfertigst vor Dir dein letzter und allernutzlosester Knecht! Gebiete, o Herr, und ich werde alsogleich allergenauest danach handeln! Denn ich habe Deine früheren Worte allergenauest vernommen, habe sie im Liebefeuer meines Herzens geprüft und fand darin sogar alles naturgemäß wahr, was Du, o Herr, gelehrt und allertreuest und klarst gezeigt hast. Wissen und Erkennen muß freilich wohl das erste sein, – aber dann kommt sogleich das Handeln danach; denn alles Wissen und Erkennen hat ohne das Handeln gar keinen Wert! Davon bin ich nun so vollkommen überzeugt, daß mich alle Weisen der ganzen Erde auf keine andere Überzeugung nur um ein Haarbreit hinüberleiten könnten. Darum gebiete, o Herr, nur, und ich werde eiligst meine Hände ans Werk legen!“ 7. „Ja, ja“, sage Ich, „wohl haben wir eine große Arbeit vor uns, und der Arbeiter gibt es noch wenige! Groß könnte die Ernte ausfallen, die Saaten sind reif geworden; aber der Schnitter und Ährenleser gibt es wenige nur. Darum ist es hoch an der Zeit, die Hände ans Werk zu legen, daß das Weizenkorn in Meine Scheuer gebracht wird, ehe da kommen die Stürme und ausschlagen und zerstreuen das edle Lebenskorn und die Vögel dann kommen und ihren Heißhunger damit stillen. 8. Wohl steht noch so manche Zeder auf Libanon, unter deren Ästen einst Samuel gebetet hat. Damals waren diese Bäume noch Jünglinge voll Kraft und Üppigkeit, und die wutentbrannten Stürme versuchten vergeblich ihren Unmut an ihnen zu kühlen. Doch das Alter wird gebrechlich und morsch die Sehnen seines gebleichten Lebens! Darum haben die alten Zedern Libanons nun wohl hier und da in manchem Aste noch eine Kraft und trotzen noch so manchem Sturme mit ihrem gesunden Teile; aber mehr denn zwei Dritteile der Äste sind schon abgefallen, und die jetzt noch seienden – kaum ein Drittel – sind nur zur Hälfte mehr gesund und gewähren nur noch den Affen eine notdürftige Unterkunft und einen schwachen Schutz vor den Stürmen, die am Libanon daheim sind. Nun hast du eine überreife Saat zum Einernten und als ein einsichtiger Forstmann den Libanon neu zu bepflanzen mit jungen Zedern; aber wie es anstellen, um fertig zu werden vor der Zeit der großen Stürme? – Verstehest du Mich wohl, Mein Freund?“ 9. Roklus macht große Augen und sagt: „Herr, daß Du diesmal ganz rein griechisch gesprochen hast, das habe ich wohl verstanden; aber vom eigentlichen Sinne Deines Wortes nicht eine Silbe! Wo hast denn Du, o Herr, auf der Erde einen Acker, der nun voll reifen und schnittbaren Weizens wäre? Sage mir ihn an, und morgen sollen sich schon tausend Schnitter und Ährenleser auf demselben alleremsigst herumtummeln, und die kommenden Stürme werden dann ganz gut über die dürren Stoppeln dahinzubrausen haben! 10. Was geht uns aber der nun schon sehr zedernarme Libanon an? Die ihn besitzen, sollen sehen, wie sie ihn neu beforsten werden, und die vielen Affen haben lange gut herumspringen auf den dicken und noch sehr starken Ästen und Zweigen der alten Schutz- und Samenzedern Samuels, Davids und Salomos! Ich meine, daß es da schon besser wäre, sich viel eher der wahren Kultur der Menschen möglichst zu befleißigen und den Libanon in der Ruhe zu lassen. Deinen allenfalls irgend bei Nazareth im Besitz oder etwa bloß nur in der Pacht habenden Acker nehme ich gleich über mich, und morgen am Abende steht kein Halm mehr auf offenem Felde einem kommenden Sturme preisgegeben! Darum gebiete Du, o Herr, nur, und in etlichen Stunden setze ich gleich und leicht sechstausend Hände in Bewegung.“ Kapitel 128 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 128. — Der geistige Sinn der beiden Gleichnisse 1. Sage Ich: „Mein Freund, sieh, die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihre Löcher; aber Ich, als nun des Menschen Sohn, habe auf dieser Erde auch nicht einmal einen Stein, den Ich als weltgesetzlich eigen unter Mein Haupt legen könnte, – geschweige ein irdisch mit Weizen vollbebautes Feld, das nun der Schnitter bedürfte! 2. Der ,Acker‘, den Ich meine, ist diese Welt, und der reife ,Weizen‘ auf demselben sind die Menschen, und die ,Schnitter‘ sollen sein, die Ich Meine Jünger nenne. Diese sollen hinausgehen in alle Welt und bekehren die Menschen und auf den rechten Weg bringen alle, die auf Ab- und Irrwegen wandeln und ein sicheres Asyl mit dreimal verbundenen Augen suchen, aber keines finden können. 3. ,Reif‘ sind sie, weil in ihnen das Streben nach einem höheren Ziele wach und lebendig geworden ist. Alle suchen die lebendige, mit aller Seligkeit gekrönte Ruhe – aber auf irreführenden Wegen – und erreichen somit trotz ihres Suchens nichts als am Ende des Leibes Tod; darüber nach jenseits hinaus ist bei jedem tiefste Nacht. 4. Solange der Mensch in sich ein solches Bedürfnis nicht fühlt, sondern ganz einem Tiere gleich unbekümmert für seine Lebenssphäre, in was sie auch übergehe, fortlebt und ißt wie ein Polyp auf dem Meeresgrunde, in dem ist noch keine Reife für eine höhere Offenbarung vorhanden; aber Menschen, wie es nun deren überaus viele gibt, sogar unter den Heiden, auf nahe ein Drittel der bewohnten Erde, daß sie suchen allerlei, sich auch voll Gier nach dem Besitze einer wenn auch geträumten Seligkeit sehnen, oft begraben in allerlei Leidenschaft, sind eine für eine höhere Sehe, für die Wahrheit, also für Mein Reich, reife ,Saat‘, und es bedarf da vieler Schnitter, Lehrer aus Meiner Schule, ausgerüstet mit aller Liebe, Geduld, Sanftmut, Weisheit und Kraft. 5. Und siehe, solcher gibt es nun noch wenige; außer euch gibt es keine irgend mehr, außer den Mohren, die hier waren und sich für ihren Stamm das nötige Licht geholt haben und in ihrem Lande auch damit gut wirken werden! Darum sollet ihr wenigen von nun an eure Hände nicht in den Schoß legen, sondern arbeiten ohne Rast und Ruhe, auf daß sich stets mehre die Zahl der Schnitter auf dem großen Lebensacker Meiner Saat! – Das ist es, was Ich dir damit habe sagen wollen, als Ich zuvor sprach von Meinem Acker, von der reifen Frucht und von der dafür zu kleinen Anzahl der Schnitter. 6. Was aber den alten ,Libanon‘ mit seinen Zedern betrifft, so stellt er dar die Schrift von Moses bis auf diese Zeiten her. Sie besteht wohl noch, aber ihre Bilder sind alt und morsch geworden gleich den früher so herrlichen Zedern, aus denen der alte Tempel zu Jerusalem, zuallermeist innerlich, ist erbaut worden, und aus deren Holze schon lange früher die wunderbare Arche des Bundes ist erbaut worden. 7. Die ,Zedern‘ bezeichnen sonach die Worte und die Gesetze in der Schrift. Einst, als die Zedern auf dem Libanon noch jung und kräftig waren, schafften sie viel Nutzen den Menschen, und ein Richter Samuel konnte wahrhaft beten unter ihren Ästen. Aber die irdische Gewinnsucht der Menschen hat den schönen Libanon nahe ganz entzedert, und es wuchs an der alten und vollgesunden Zedern Stelle nur zu bald allerlei wildes Gesträuch, und selbst die alten, noch übriggebliebenen Zedern mit ihren vielen morsch gewordenen Ästen dienen nun nur mehr den Affen als den Menschen zum Schutz und Gewinne, – aber das natürlich nur wie zufällig; denn der Affe kann den Wert einer Zeder nicht erkennen und somit auch nicht schätzen und weiters zweckdienlich bestimmen. 8. Und so ergeht es nun der alten Schrift und den Propheten. Man verehrt das alte Buch auf einem Altare und betet es wie eine Gottheit haarsträubend dumm und blind an und kümmert sich weiter um den Inhalt gar nicht, und noch weniger und noch seltener, um danach zu handeln. Da gleicht ein solcher Mensch (ein Pharisäer) ja ganz dem Affen, der ganz munter auf den dicken Ästen herumhüpft und den, der ihn davon vertreiben wollte, gleich mit den dicksten Prügeln bewirft und ihn zur Flucht nötigt, weil der Affe ein Affe ist und den kostbaren Baum zu einem ganz andern Zweck gebraucht, als welcher im Baume selbst von der Natur aus zu suchen und zu finden ist. 9. Und also ist die Schrift den Menschen nichts mehr, als eine morsche Zeder den Affen, und der ganze Libanon ist nun wucherisch überwachsen mit allerlei wilden und oft giftigen Gesträuchen. Diese gleichen den verderblichen und überaus schlechten Menschensatzungen, die da an die Stelle der Gesetze Gottes getreten sind, und gleichen ferner noch den fein und geschmackvoll übertünchten Gräbern der Propheten, die inwendig voll Todes, Moders und Ekelgeruches sind, während das in den Büchern aufgezeichnete lebendige Wort der Propheten unbeachtet bleibt in der Sphäre, in der es eben beachtet werden sollte. Man betet es als ein Heiligtum an und reibt dem, der da unwürdig das Buch der Propheten anrührt, die Hände mit Salz blutig; aber daß man die Worte der Propheten beherzigte und danach handelte, – oh, davon ist keine Spur irgend wahrzunehmen! Was ist da dann die sogenannte Heilige Schrift? Nichts als der mit wildem Gestrüpp überwachsene Libanon, nun eine Wohnstätte der Affen und nicht mehr gottbegeisterter Menschen! 10. Es kann mit der Weile mit der Lehre, die Ich nun gebe, wohl auch so werden, daß man sie als eine heilige Reliquie wie einen Götzen anbeten wird und wird gar leichten Sinnes und Gewissens sich weiter gar nicht kümmern um den inneren Sinn und Geist eben dieser Meiner Lehre, sondern man wird sich richten nach den Satzungen der Menschen und wird sagen: ,Was Weiteres brauchen wir?‘ 11. Aber dann wird auch kommen jene große Trübsal, von der der Prophet Daniel geweissagt hat, als er auf der heiligen Stätte stand, indem er sagte: ,Es wird aber in jener Zeit eine Trübsal unter den Menschen sein, wie sie nicht war vom Anbeginne der Welt!‘ – Ich meine nun, daß du Meine früheren zwei Bilder wohl verstehen wirst!“ Kapitel 129 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 129. — Die geistige Reife der Schnitter des Herrn 1. Sagte Roklus: „Ja Herr, nun verstehe ich's auf ein Haar; aber mir macht dieses Verständnis nun ein gar wehmütiges Gefühl! Was aber die gegenwärtig zu geringe Anzahl der gewissen Schnitter betrifft, so hast Du, o Herr, sicher noch der Raphaele in schwerster Menge im Hintergrunde. Diese könnten ja in der Gestalt des Raphael zu den Menschen treten und sie gleich also bekehren, wie der Raphael mich von meinem Atheismus auch ganz radikal bekehrt hat, und die ganze Sache wäre binnen wenigen Stunden auf der ganzen Erde abgemacht! Ich bin ja doch auch ein Mensch, und es hat mir diese Unterweisungsart nicht im geringsten geschadet; also wird sie auch allen andern Menschen ebensowenig oder vielleicht noch weniger schaden.“ 2. Sage Ich: „Ganz gut, Mein Freund, das wird zum Teil von nun an auch sehr häufig geschehen, aber nur an Menschen von deinen Kenntnissen, Erfahrungen und von deinem ganz nüchternen Gerechtigkeitssinne. Allein solcher Menschen gibt es eben nicht gar viele auf der Erde. Die möglich reinsten und besten von der ganzen Erde befinden sich nun samt und sämtlich hier; denn Ich habe es also gewollt, daß sie alle von weit und nah sich hier um Mich versammeln sollen. 3. Ich Selbst habe schon lange vorher ihre sämtlichen Umstände also vorgesehen und eingeleitet, daß sie denen zufolge gerade um diese Zeit allhier eintreffen mußten, um von Mir Selbst und von Meinen Engeln unterrichtet zu werden. Sie haben auch alle, gleich wie du, den Unterricht LINEA RECTA (geraden Weges) aus den Himmeln empfangen; aber das sind nun auch schon alle beisammen! 4. Für alle andern würde diese allerhöchste und geistig allernötigendste Unterrichtsweise gar nicht taugen und würde ihnen offenbar mehr schaden als nützen, weil sie alles das, was hier gelehrt wurde, als notwendige Folge der dabei geschehenen Wunder glauben müßten, wodurch es dann mit der freien Erkenntnis und mit dem freien Willen entweder für immer oder zum mindesten für sehr lange gar wäre. Bei euch fällt diese Sorge hinweg, weil ihr in gar vielen Dingen eine sehr wohlgegründete Erkenntnis und eine übergroße Erfahrung habt. 5. Sage, ob dich auch nur ein Wunder gewisserart in eine Verwirrung brachte! Du gingst bei deiner eigenen Wundermacherei lediglich von dem Grunde aus, daß es auf der ganzen Welt kein übernatürliches Wunder geben könne; aber es gäbe Menschen, die durch ihre Talente und Fähigkeiten so manches den geheimen Kräften der Natur abgelauscht haben, es dann selbst ins Werk setzen und also die andern Schafe von Menschen notwendig in ein höchstes Erstaunen setzen müssen, weil die von der allerweitesten Ferne hin gar keine Ahnung haben können, wie ein gesehenes Wunder mit ganz natürlichen Kräften stattfinden kann. 6. Für einen Menschen, wie du einer bist, ist gar kein Wunder bindend; denn er wird sich nur gar bald ganz geheim zu erkundigen anfangen und sagen: CUR, QUOMODO, QUANDO, QUIBUS AUXILIIS?, ["Warum, auf welcher Weise, wann, mit welchen Hilfsmitteln?"] wie es auch bei dir der Fall war. Es nahm dich die plötzliche Herstellung des ganz neuen Hauses, Gartens, des Hafens und der fünf Schiffe gar nicht ganz besonders wunder; denn du hast ja in Indien einen Magier kennen gelernt, der gleich ganze Gegenden auf einen Wink daherzauberte. Warum sollte es hier nicht jemand geben, der einen Garten samt Haus und den Hafen samt den Schiffen auf einen Wink herstellen sollte?! 7. Raphael hatte mit dir zu tun, um dich eines möglichen Bessern zu belehren; aber du warst damit dennoch nicht völlig zufrieden, sondern fingst gleich an, weiter zu forschen, und es mußte dir der geistige Grund ganz aufgedeckt werden, wie auf dem also rein geistigen Willenswege solch eine Tat als denkbar möglich sei. Solches ward dann dir und allen, die hier anwesend sind, bis auf den innersten Grund gezeigt, und du warst damit sicher zufrieden; denn sonst hättest du sicher nicht selbst den Beisatz beinahe nach einer jeden Erklärung gemacht und gesagt: ,Das ist mir nun handgreiflich klar!‘ Und was du also beteuertest, das war dir auch klar; denn mit einer Unklarheit und mit einem Mysterium hattest du dich nie begnügt! Und sieh, wie du, so auch die ziemlich vielen hier; alle waren nicht zufrieden, nur die Oberfläche des Meeres zu schauen, sondern sie wollten es auch erfahren, was es in seinem tiefen Grunde birgt! 8. Und das ist recht also, denn nur solche Menschen, die schon eines höchst geweckten und hellen Verstandes sind, können solch eine tiefere Lebensoffenbarung erfassen und begreifen und dabei dennoch frei bleiben in ihrem Erkennen und Wollen, und nur solche Menschen kann Ich dann auch als wahre Schnitter auf dem großen Acker Meiner Menschensaat brauchen. Aber zähle du sie nun selbst, und du wirst für die große Erde ihrer wahrlich nicht zu viele finden! 9. Wenn Ich denn sage, daß die Ernte reif und groß ist, es aber der Schnitter nur sehr wenige gibt, so wirst du nun hoffentlich den Grund davon schon auch ganz leicht einsehen. Für euch Fähigen habe Ich auch nichts im Hintergrunde behalten und habe euch gezeigt und enthüllt die ganze Unendlichkeit und die Ewigkeit in ihren Hauptzügen, so weit und so tief, als es für eure eben nicht sehr scharf verständigen Begriffe nur immer möglich war, und habe euch auch gezeigt bis zur Handgreiflichkeit klar, was euch dann erst Mein Geist in euch alles enthüllen wird. 10. Das alles aber konnte Ich, wie gesagt, nur euch zeigen und sonst nun wohl keinem Menschen mehr auf der ganzen lieben Erde, weil sie dazu die erforderliche vorurteilsfreie Fähigkeit gar nicht besitzen und noch gar lange nicht besitzen werden, weil sie einesteils noch zu sehr von allerlei Aberglauben gefangen gehalten sind und andernteils zu tief in den allerselbstsüchtigsten und schmutzigsten Weltgewinnsinteressen herumwühlen, und weil ihnen darum alle noch so rein geistigen Erscheinungen fürs erste gar kein Bedürfnis und fürs zweite nur etwas zum Leben gar nicht Nötiges sind und zumeist auch nur als etwas sehr Lästiges, den freien Handel und Wandel Hemmendes sich darstellen. 11. Willst du etwa zu denen einen Engel Raphael senden?! Ich sage es dir, eine und die andere Art dieser Menschen haben für solch außerordentliche Erscheinungen erstens keine Fähigkeit, zweitens keinen Sinn, und drittens würde ihnen so etwas um vieles mehr schaden als nützen! 12. Die Aber- und Blindleichtgläubigen würden das alles freilich wohl nur zu schnell glauben, sich aber von Mir und dem Raphael und am Ende sogar auch von euch, als Meinen Freunden, Abbilder machen, ihnen Tempel erbauen und uns dann gleich ihren Götzen verehren und anbeten. Die eigentlichen Weltsudelmenschen aber würden uns als Betrüger und arbeitsscheue Faulenzer hinwegtreiben, und würden wir sie mit der göttlichen Macht und Kraft zu behandeln anfangen, so würden sie uns dennoch nicht anhören, sondern als nach ihren Begriffen der menschlichen Gesellschaft sehr schädliche Feinde zu töten und auszurotten suchen, wie es Mir Selbst am Ende noch begegnen wird. 13. Du siehst nun aus dem ganz leicht, wie viele der tauglichen Schnitter wir nun auf der lieben, großen Erde zählen! Was anderes ist dann da wohl zu tun, als selbst Hand ans Werk zu legen und fest zu arbeiten, solange es nur immer des Tages heitere Helle gestattet; denn ist einmal die Nacht völlig hereingebrochen, so wird darin wohl niemand leicht zu arbeiten vermögen. Wir sind daher hier schon alle beisammen und werden heute bald nach dem Aufgange der Sonne samt und sämtlich unsere Hände an das große Werk legen.“ Kapitel 130 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 130. — Lehrwinke des Herrn für die Ausbreitung des Evangeliums 1. (Der Herr:) „Wir wollen auch durchaus nicht laut im vorhinein sagen und behaupten: ,So und so wird es gehen!‘; denn soll das große Werk gelingen, so darf selbst Ich nicht einen scharfen Blick in die zweite Zukunft tun, auf daß zwischen Mich und die von Mir geschaffenen Menschen ja nicht das Geringste trete, das da irgendeinen Einfluß auf der Menschen freiesten Willen zu nehmen imstande wäre. 2. Wir haben darum unserseits nichts zu tun als bloß nur zu lehren den Menschen die volle Ankunft des Reiches Gottes, der reinen Liebe und Wahrheit, im nötigen Falle mit einer kleinen Zutat irgendeines Wunders, das sich aber stets nur als eine Wohltat und nie als irgendeine Strafe oder gar zornsprühende Rache zu erweisen hat, und das sogar dann nicht, so wir von den blinden und somit auch sicher sehr undankbaren Menschen das größte Ungemach zu erdulden bekämen. Wer von euch das täte, der würde statt des Guten nur Böses erzeugen, und Ich wäre genötigt, ihm alle Meine Gnade zu entziehen und ihn am Ende mit zornigen Augen anzusehen. 3. Diese Meine Lehre ist sonach ganz ohne allen äußeren und noch weniger durch einen inneren Zwang den Menschen und Völkern in der ganzen Welt zu geben, und die Wunder sind nur dort zu wirken, wo die Menschen fürs erste einen lebendigen, das ganze Herz überzeugend festen und durch gar keine äußeren Zweifel mehr unterspickten Glauben haben und sonst viele Erfahrung und viele Kenntnisse in den verschiedenen Dingen besitzen. 4. Vor sehr leicht- und abergläubischen Menschen haben keine Wunder zu geschehen, weil ihnen diese sogleich jeden Funken ihres ohnehin schwachen freien Willens raubeten! Und da wäre für sie dann diese Meine neue Lehre aus den Himmeln um gar nichts dienlicher als ihr alter Aberglaube; denn sie fingen alsbald an, den Worten aus den Himmeln eine besondere, göttlich-magische Wirkung unterzuschieben, sie auf sich einwirken zu lassen und sich ganz passiv in allen Dingen und Stellungen zu verhalten und alle Handlung nach der Lehre einen ganz frommen und guten Mann sein zu lassen. 5. Ja, am Ende würden sie gerade also träge werden, wie es da heutzutage gar viele der wohlhabenden Juden gibt, die sogar zu träge sind, selbst zu Gott zu beten, sondern sie zahlen die Pharisäer und auch andere Leute, daß diese für sie beten, da sie selbst viel zu wenig Zeit dazu hätten und es auch viel zu unbequem für sie wäre, die vielen, viele Ellen langen Gebete selbst herunterzumurmeln. 6. Wenn es aber einmal mit dieser Meiner Lehre so elend weit gekommen sein sollte, dann freilich kann ein alles auf den alten Wahrheitszustand zurückführendes, allgemeines Gericht, wie zu den Zeiten Noahs, nicht mehr ferne sein. 7. Darum lehret alle Menschen die reinste Wahrheit und lasset alles Mystische und Wundermagische himmelweit beiseite, ansonst da alles weit gefehlt wäre! Denn so ein Mensch aus der Tätigkeit seines freien Willens kommt und in eine Art frommer Trägheit übergeht, so hört er ja auf, ein Mensch zu sein, sondern steht unter der Würde eines Tieres und gleicht einem tauben und wilden Gesträuche, das da unter der äußeren Einwirkung des Lichtes der Sonne und ihrer Wärme bloß nur als ein Wildling fruchtlos vegetiert und nahezu gar keiner erforderlichsten Selbsttätigkeit mehr fähig ist. 8. Bei solchen Menschen erkaltet dann auch die Liebe, und der arme Nächste ist ihnen am Ende eine lästige Fliege geworden, die sie in ihrem weltlichen Behaglichkeitsschlummer stört. Und was aber die Liebe zu Gott betrifft, so zahlen sie dafür dann allerlei Opfer und Gebete. O sage, wie sieht's dann bei solchen Menschen mit dem Reiche Gottes in ihrem Herzen aus?! Ich sage nicht, daß dieser Zustand gerade notwendig bei späterhin Beteiligten dieser Meiner Lehre also, wie nun bei den Pharisäern und Juden, eintreten werde; aber er kann eintreten, und das nicht in von jetzt zu ferner Zukunft, so ihr als die Austräger dieser Lehre nicht völlig klug zur Genüge zu Werke gehet. 9. Denn Ich mache euch ja auch zu keinen gebundenen, sondern zu ganz freien Boten zur Verkündigung des Reiches Gottes auf Erden. Wohl sollet ihr von Mir allzeit die Weisung, was da oder dort zu tun und zu reden sein soll, überkommen, – aber niemals eine Willensnötigung dazu, da ja ihr vor allem auch Meine lieben und nun völlig ganz ersten Kindlein seid! 10. Ich werde weder euch noch jemand andrem je Meinen Willen nach Meiner Weisheit aufdrängen, sondern ihn nur bekanntgeben durch Worte und durch Rat; da müsset ihr ihn erst selbst durch euren Willen und durch die Tat zu dem eurigen machen, und zwar durch allerlei Selbstverleugnung in den verschiedenen Dingen dieser Welt. 11. Denn ihr wisset es nun ja doch, daß alle Welt und ihre mannigfache Materie des Geistes und der Geist ewig nicht der Materie wegen da ist; und so wäre es denn auch mehr als höchst dumm von euch, so ihr euch, als schon mehr denn zur Hälfte eures Seins in den Geist übergegangene Menschen, für die Materie entscheiden möchtet. Aber irgend von Mir genötigt werdet ihr zu einer völligen Entscheidung für den Geist durchaus nicht; denn jede Nötigung ist und bleibt eines jeden Menschen höchst eigene Sache, weil eben davon sein ewiges Leben abhängt. 12. Das Wissen und das noch so ungezweifelte Glauben allein hilft niemandem etwas, sondern nur das Handeln danach! Darum sollet ihr auch die Menschen, die in der Folge von euch die Wahrheit aus Mir werden kennenlernen, vor allem zur Tätigkeit danach ermahnen; denn ohne solche könnten die in der Lehre enthaltenen Verheißungen ebensowenig je erfüllt werden, als ein Mensch sicher niemals nach Damaskus kommen wird – wenn ihm der Weg dahin auch noch so bekannt ist und er auch den allerfestesten und überzeugendsten Glauben hat, daß der ihm wohlbekannte Weg nahe ganz geradlinig nach Damaskus führt –, so er nie einen Schritt auf demselben machen will, oder wenn er sich auch öfter vornimmt, die Reise werktätig in der Wahrheit zu unternehmen, aber, im Grunde durch allerlei kleine Geschäfte verhindert, dennoch nie zum Betreten des Weges nach Damaskus kommt.“ Kapitel 131 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 131. — Das Handeln nach der Lehre und Gottes Verheißungen. Vom Zeremoniendienst 1. (Der Herr:) „Es ist also vor allem von euch bei euren künftigen Jüngern darauf zu sehen, daß sie nicht eitel Hörer und Glauber der neuen Lehre, sondern allereifrigste Täter nach der empfangenen und als überzeugend wahr angenommenen Lehre werden; denn erst dadurch wird dann diese Lehre in jedem Menschen zur Vollwahrheit werden, wenn er an sich auch die Erfüllung der in ihr stehenden Verheißungen wahrzunehmen anfängt und sich dann endlich selbst zuzurufen anfangen muß und sagen: ,Ja, die Lehre ist wahrhaft aus Gott, weil sich bei mir durch die tatsächliche Beachtung eine darin vorkommende Verheißung um die andere in aller Tat und Wahrheit zu erfüllen anfängt!‘ 2. Hat es jemand einmal dahin gebracht, so hat er es schon gewonnen und mit ihm Meine Lehre auch als Beispiel für viele andere, die noch im Probieren stehen, aber noch zu keiner Wirkung haben gelangen können. Sie werden, dadurch ermuntert, selbst eifriger Hand ans Werk zu legen anfangen, was ihnen erst die Früchte, wenn anfangs auch noch so spärlich, wird zu tragen anfangen. 3. Darum also seid in der Verbreitung und Austragung Meiner Lehre ja schlau und klug wie die Schlangen und Füchse, aber dabei stets so sanft wie die Tauben, deren oft zornscheinendes Girren und Murren nichts als eine verhüllte Liebe ist, darum denn auch den Alten die Taube schon als ein Symbol der Liebe galt. 4. Es kommt nun hauptsächlich auf euch an; wie ihr es anlegen werdet, so wird es dann auch fortbestehen. Werdet ihr nur irgendeinen kleinen Fehler bei der ersten Anlegung begehen, so wird daraus in einigen Jahrhunderten schon ein ganzer Berg von einer Sünde wider die rechte Ordnung sich herausstellen. 5. Daher laßt euch ja durch nichts irgend altgebräuchlich Venerables (Ehrwürdiges) irreleiten! Weder der Sabbat noch der Neumond, noch die Schrift, noch der Tempel, noch die Gräber der Propheten, noch die Orte, an denen Ich Selbst mit euch wirkte, noch die pure Magie Meines Namens, noch die Tempel, noch die Häuser der Patriarchen oder gewisse Stunden des Tages und dergleichen äußeres tolles Zeug mehr führe euch auf irgendeinen Abweg von der hier vernommenen Wahrheit! 6. Denn das alles war bis jetzt nur ein vorbildlich Entsprechendes von dem, was nun vor euch stehet im hellsten Lichte und als die reinste und unverhüllteste Wahrheit; es war nur eine große Zeichenschrift, über den weiten Boden der Erde hin geschrieben, und ein großer Brief des Vaters im Himmel an Seine Kinder auf dieser Erde, der aber nun entsiegelt vor euch offen liegt, und den ihr nun alle gar wohl habt lesen können. Aber dieser Brief hat nun für weiterhin weder einen Wert, noch eine das Leben bedingende Bedeutung. 7. Alles ist nun die Liebe zu Gott und zum Nächsten, aber etwa nicht nur in der Theorie, sondern wahrhaft in der Tat, und dazu bedarf es weder eines Sabbats noch eines Neumonds, noch eines Tempels, noch einer besonderen Zeit oder irgendeines verbrämten Kleides, noch irgend langer unsinniger Gebete, noch irgendeines unsinnigen Sühnopfers, keiner Ochsen, Kälber und Böcke zur Schlachtung und Verbrennung, sondern allein der Liebe, die Ich euch nun schon so oft enthüllet habe. 8. Werdet also als die Ausbreiter dieser Meiner Lehre nirgends und niemals schwach in was immer für einer alten Satzung, nicht einmal in der Wahl der Speisen; denn was zum Munde hineingeht mit Maß und Ziel, verunreinigt den Menschen niemals, sondern nur das verunreinigt den Menschen, was vom Herzen durch den Mund zum Schaden des Nebenmenschen herauskommt! So werdet ihr mit dieser Lehre den wahren Segen und das wahre Heil den Menschen geben für bleibend, das in tausend Jahren und abermals tausend Jahren ebenso rein dastehen wird, wie Ich Selbst es nun euch gebe und gegeben habe! 9. Werdet ihr aber nur irgendeine alte Zeremonie mit dieser Meiner Lehre verbinden und zu halten anfangen gewisse Gedächtnistage und irgendeine Kleinigkeit nur aus dem Tempel, so wird sich das dann von Jahr zu Jahr vergrößern und in mehreren Jahrhunderten zu einem wahren euch bekannten Augiasstalle werden, der am Ende wieder durch ein allgemeines Gericht wird gereinigt werden müssen.“ Kapitel 132 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 132. — Die Erlösung vom Joche des Zerernoniendienstes und des Gesetzes 1. (Der Herr:) „Ich gebe euch damit eine Gottes- und Lebenslehre, die von jeder Zeremonie so ferne ist wie ein Himmelspol vom andern; da bedarf es keines Sabbats, keines Tempels, keines Bethauses, keiner Faste, keines eigenen Aaronsstabes und -rockes, keiner zweihornigen Kopfbedeckung, keiner Bundeslade, keines Rauchfasses und keines gebenedeiten und noch weniger eines verfluchten Wassers! In dieser Lehre ist der Mensch in sich alles in allem und braucht sonst nichts als nur sich selbst. 2. In den alten, vorbildlichen Lehren war der Mensch nur ganz teilweise als sich mehr und mehr veredelnd und zum wahren Geistmenschen heranbildend noch ganz materiell dargestellt, und es war darum denn auch nötig, ihn in allerlei dem Geiste entsprechenden Formen, Gefäßen und zeremoniellen Handlungsweisen darzustellen. 3. In dieser Meiner neuen Lehre aber ist der Mensch, wie auf einen Punkt, in eins vollkommen vereint in sich und mit sich, so wie auch Ich Selbst mit aller Meiner früheren urewigen und unendlichen Gottheit hier wie auf einem Punkt vereint vor euch stehe und Selbst zu euch sage, daß von jetzt an das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit nicht mehr im Tempel zu Jerusalem oder auf Garizim zu suchen und alldort Gott anzubeten sein wird, sondern solchen Gottesdienst wird man tun können überall, da ein Mensch ist! 4. Des Menschen Herz wird sein der lebendige Tempel des wahren, einigen und einzigen Gottes, und die werktätige Liebe wird sein der allein wahre Gottesdienst, und die Liebe zu Gott wird sein dessen ganz allein wahre Anbetung! 5. Da aber weder eine wahre Liebe zu Gott ohne die werktätige Nächstenliebe und diese nicht ohne die wahre Liebe zu Gott denkbar ist, so sind die beiden Lieben im Grunde des Grundes auch nur eine Liebe und somit eine und dieselbe wahre Anbetung Gottes. Wer das in sich hat, der hat alles, alles Gesetz und alles Prophetentum, im eigenen Herzen vereint und hat weiter durchaus nichts irgend mehr vonnöten. 6. Ich hebe hiermit denn alles Alte samt dem Gesetze Mosis auf, nicht etwa, als wäre es fortan nicht mehr zu beachten – das sei ferne –, sondern nur insoweit, als es da bis jetzt war eine äußere, mit irdischen Strafen belegte Nötigung, so und so zu handeln; denn also war das Gesetz ein jedem Menschen im Genicke sitzender Richter und war ein bleibendes Gericht, dessen sich kein Mensch entschlagen konnte. Ein Mensch aber, der gedrückt unter der Gesetzeslast steht, stehet dadurch ja auch offenbar im fortwährenden Gerichte; der aber im Gerichte steht, ist geistig tot und verflucht von der inneren, göttlichen Lebensfreiheit. 7. Nur wenn das Gesetz sein eigen wird und der Freiheit des eigenen freiesten Willens untersteht, dann hat alles Gericht und aller Fluch und Tod beim Menschen ein Ende, und Ich bin eben darum hauptsächlich in diese Welt gekommen, um allen Menschen die Erlösung vom Joche des Gesetzes, des Gerichtes, des Fluches und des Todes zu bringen, und darum auch nehme Ich von nun an alles Äußere weg, gebe euch somit wahrhaft euch selbst zurück und mache euch eben dadurch erst wahrhaft zu wahren Gotteskindern und zu Herren über alles Gesetz und Gericht. 8. Werdet ihr, und also auch eure Jünger, gleichfort unverändert in dieser Norm verbleiben, so wird auch nie ein Gericht über euch zu kommen imstande sein, weil ihr ja über dem Gerichte stehet; sowie ihr aber nur in einem oder dem andern Stücke euch ein altes, äußeres Gesetz werdet anfügen lassen und irgend noch anhangen einem alten, äußeren Formenkleckse, so werdet ihr euch auch wieder einem Gerichte unterstellen, und der Tod wird so weit in euch greifen, als wieweit ihr euch selbst einem alten Formengesetze unterstellt habt!“ Kapitel 133 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 133. — Das Verhältnis der Kinder Gottes zu den politischen Staatsgesetzen 1. Sagt hier Roklus: „Ja, Herr, wie sieht es denn dann mit der Haltung der politischen Staatsgesetze aus? Denen muß man sich doch fügen, wenn man einerseits noch so sehr Herr über sich geworden ist? Oder kann man auch mit diesen Gesetzen es also machen wie mit denen des großen Propheten Moses?“ 2. Sage Ich: „Aber Freund, wie kann man Anordnungen eines Staates Gesetze nennen? Gesetze sind ja nur der kundgemachte Wille Gottes; deine Staatsgesetze aber sind bloß nur der höchst wandelbare Wille eines Menschen und können nie mit etwas anderem zu tun haben als mit den alleräußersten und materiellsten Leibeslebensdingen. Wenn sie gut sind, so wirst du sie auch billigen und annehmen mit deinem freiesten Willen, und hast du das, dann bist du schon ein Herr der Staatsgesetze und kannst durch sie in kein Gericht mehr kommen. Sind sie aber schlecht, so steht es dir ja frei, dich davon loszumachen und dahin zu ziehen, wo es weisere Gesetze gibt, oder den Gesetzgeber allersanftest auf das Mangelhafte einiger Gesetze aufmerksam zu machen und ihm einen rechten und guten Rat zu geben. Wird er den Rat annehmen, so werdet ihr gut zu bleiben haben; nimmt er in seinem herrscherischen Hochmute den Rat aber nicht an, dann ziehet weiter! Denn die Erde ist groß und hat viele Länder und Völker und Reiche und Könige und Fürsten. 3. Seid ihr einmal rein in eurem Innern, dann wird euch auch alles rein sein; denn dem Reinen sind alle Dinge darum rein, weil er den Grund von allem erschauen kann, was soviel sagen will als: Dem Sehenden ist am Tage alles erleuchtet, und selbst die Nacht ist für den Scharfsehenden nicht lichtlos, während dem Blinden alles finster ist und der Tag bei ihm keinen Vorzug vor der Nacht hat. 4. Wer also in seinem Innern einmal in der völligen Ordnung ist, der ist auch ein Herr über alle Unordnung, die nur irgend in der Welt so oder so vorkommen kann. Weil er aber ein Herr ist und in sich in keine Unordnung mehr geraten kann, so mag und kann er im Grunde wohl in jeder politischen Gesellschaft bestehen, möge sie so oder so bestellt und beschaffen sein; denn er sieht es ja klar, wohin er seine Schritte zu stellen hat. 5. Ich Selbst bin ja nun auch auf dieser Erde und füge Mich, Meiner äußeren Persönlichkeit nach, in die von dem römischen Kaiser vorgeschriebene Ordnung und lehne Mich nirgends, nicht einmal dem Anscheine nach, wider dieselbe auf! Verliere Ich etwa dadurch in Meines innersten Gottwesens Ordnung? O mitnichten, – Ich bin, der Ich bin, unverändert, und Mein Rat wird auch von denen angenommen, die des Herrschers Macht in ihren Händen tragen, und bin darum ein Meister und Herr über sie, und niemand fraget Mich und saget: ,Herr, wie tust Du das?‘ 6. Glaubet es Mir, daß einer, der wahrhaft ein Herr seiner selbst geworden ist, auch gar leicht ein Herr über ein ganzes Volk werden kann; und niemand wird zu ihm sagen: ,Freund, wie magst du solches tun?‘ Denn die Menschen werden ihn selbst dazu machen, indem sie scharenweise zu ihm hineilen werden und werden sich Rates erholen. Was ist aber ein weiser Ratgeber anderes als ein weiser Gesetzgeber? Wer aber Gesetze gibt, der wird doch ein Herr sein über die, die von ihm die Gesetze überkommen haben! Oder sind Ouran, Mathael, hier Mein edler Freund Cyrenius, Kornelius, Faustus und Julius nicht Machthaber und Gebieter und haben dennoch Gesetze von Mir angenommen und nennen Mich ihren Herrn? Warum taten sie denn das? Weil sie die Wahrheit und ihre Kraft und Macht an Mir mehr denn zur Genüge haben ganz hellst kennengelernt! Was Ich aber nun rede und tue, das und noch ein Mehreres und Größeres werdet auch ihr in jüngster Zeit schon tun und werdet somit auch auf der ganzen lieben Erde ganz dieselben Wirkungen hervorbringen müssen. 7. Freilich gehört dazu auch jener entschiedene Mut, der sich vor dem Tode des Leibes nicht fürchtet; wie aber sollte sich der davor auch fürchten, der in der höchsten Klarheit das ewige Leben in sich trägt und ganz vollkommenst ein Herr des Lebens in sich selbst geworden ist und gar wohl wissen muß, daß erstens diejenigen, die wohl den Leib töten können, der Seele und ihrem ewigen Lebensgeiste durchaus keinen Schaden mehr zuzufügen vermögen, und daß zweitens die Seele mit dem Wegfalle des schweren Leibes für ewig einen nie aussprechbaren Gewinn macht, den alle Schätze dieser Erde ewig nimmer aufzuwiegen irgend imstande wären! 8. Wer aber solches in sich selbst in höchster und tiefster Lebensgrundklarheit erschaut, nun, der wird dann ja doch etwa keine Furcht vor dem Tode des Leibes haben?! Und hätte er dann noch welche, so gliche er ja doch offenbar einem Toren, der darum weinen möchte, daß man ihn von der Zwangsjacke befreie und ihn an Stelle derselben bekleide mit dem Kleide der höchsten und ungezwungensten Freiheit und Klarheit des ewigen Lebens! Das aber ist nicht denkbar möglich, daher es euch auch zur rechten Zeit am erforderlichen Mute sicherst nicht gebrechen wird. 9. Sehet also vor allem vollkommen Herren über euch selbst zu werden, so werdet ihr auch Herren sein über alle Gesetze und über alles Gericht und fern von jedem Fluche irgendeines dummen Weltgesetzes! 10. Das, was ihr aber selbst werdet, das suchet auch emsigst, daß es auch alle diejenigen werden, die von euch die innerste Ordnung des Lebens werden kennenlernen, – dann werden sie eure wahren Freunde und Brüder werden und werden keine andern Gesetze mehr geben, weil sie gleich euch einsehen werden, daß das innerste Lebensgesetz alle andern aufwiegt und völlig unbrauchbar macht!“ Kapitel 134 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 134. — Grundzüge der Kindererziehung 1. Sagt Roklus: „Herr, das ist alles allerreinstes Gold, und die Wahrheit alles dieses läßt sich nun schon mit Händen greifen! Also muß in alle Ewigkeit der Ewigkeiten diese Lehre ja diamantrein verbleiben und wird in der Fortpflanzung meines Institutes auch also verbleiben, wofür ich und meine Gefährten alle Sorge verwenden werden! 2. Aber nun habe ich an der Seite noch so ein ganz kleines Häkchen; weiß ich da auch noch, was ich zu tun habe, dann ist alles in der diamanfestesten und allerreinsten Ordnung, wie ich mir dieselbe nun einmal nicht anders vorstellen kann! Es fragt sich bezüglich der Erziehung der Kinder in deiner Lehre! Soll man bei ihnen auch jede bildliche Versinnlichung einer ihnen beizubringenden Sache möglichst vermeiden?“ 3. Sage Ich: „Allerdings, denn bildliche Vorstellungen bleiben nirgends so fest haften als eben im Gemüte der Kinder und sind nachher schwer ganz aus ihnen zu entfernen! 4. Lehret sie nur zuerst ganz mechanisch lesen, schreiben, rechnen; dann enthüllet vor ihnen noch die Gestalt der Erde und zeiget ihnen gleich überall den wahren Grund, insoweit sich dieser für sie geziemt, und insoweit sie denselben zu fassen imstande sind! Bereichert sie mit allerlei nützlichen Kenntnissen, und lasset sie auch mit euch allerlei kleine Erfahrungen machen, und begeistert sie für alles Gute und Wahre. 5. Und glaubet es Mir, daß die Kinder das Gute und Wahre viel eher begreifen als alle die oft sinnlosen und weitwendigen Foppereien, aus denen sie dann erst selbst irgend tiefliegende Wahrheiten herausentziffern sollen, was sie ermüdet und am Ende untätig machen muß! Übrigens werdet ihr alles das, so Mein Geist in euch selbst euch in alle Wahrheit leiten wird, im hellsten Lichte schauen und erkennen, was da zu tun sein wird! – Hat jemand von euch nun noch etwas zu fragen, so frage er; denn der kommende Tag Meiner Weiterreise naht, und Markus fängt an, für das Morgenmahl zu sorgen!“ 6. Sagt Roklus: „Herr und Meister von Ewigkeit! Ich weiß nun, um ganz aufrichtig zu reden, wie ich's auch nun nimmer anders kann, mag und will, wahrlich um nichts mehr, darum ich Dir noch mit irgendeiner Frage zur Last fallen sollte; denn nun ist mir schon einmal alles klar dadurch, daß mir der Weg klar geworden ist. Freilich könnte ich nun noch um zahllos vieles fragen, was mir bis jetzt ein undurchdringliches Rätsel ist; aber ich weiß nun ja aus Deiner Verheißung, daß mir das alles werden wird, und so wäre nun ein weiteres Fragen um so Mannigfaches noch ein wahrhaft leeres Strohdreschen! 7. Das Größte ist nun, daß uns der Weg völlig bekannt ist, den wir zu gehen haben, um zu der lange ersehnten Herrschaft über uns selbst zu gelangen. Haben wir diese, so haben wir dann ohnehin alles; haben wir aber diese nicht, so nützt uns auch das stückweise Wissen wenig oder nichts. Ich für meinen Teil wüßte es wahrlich nicht, wonach ich nun noch fragen sollte! Ich will aber damit nicht etwa auch jemand anderem sagen oder raten, daß er nun auch um nichts Weiteres mehr fragen solle! 8. Ich aber danke Dir, o Herr, für dieses übergroße Licht, das Du mir nun gnädig hast zukommen lassen; Dir von nun an ganz allein alle meine Liebe und alle Ehre! Ich trete mit Deiner gütigsten Erlaubnis nun gleich wieder zu meinen Gefährten und werde mich mit ihnen sehr beraten, wie wir nun in Deinem Namen unser Institut regenerieren werden. Denn darinnen muß alles das Jetzige ausgemerzt und Dein Wort tatsächlich eingeführt werden!“ 9. Hier wollte Roklus gehen; aber Ich sagte zu ihm: „Weile noch; denn Ich habe noch einiges mit dir abzumachen!“ Kapitel 135 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 135. — Die Verlegenheit des Essäerinstitutes 1. Sagt Roklus: „O Herr, da gibt es vielleicht wohl keinen zweiten, der noch lieber bei Dir verweilte denn eben ich! Was es auch sei, alles, von Dir ausgehend, ist meinem Herzen stets die höchste Wonne und Seligkeit! Ich brenne vor Begierde, noch ein mehreres von Dir, etwa gar wegen der Restituierung (Erneuerung) unseres Institutes, zu erfahren!“ 2. Sage Ich: „Ja, Freund, du hast es wohl erraten! Da klebt noch so manches, das dir bei deiner Arbeit einige Bedenken erzeugen würde, und ihr dadurch in eurem Rate uneins werden könntet; daher wird es gut sein, wenn Ich Selbst dir darüber einige Winke mitteile! 3. Vor allem gebe Ich dir die einstweilige Zusicherung, daß Mein Diener Raphael zuzeiten zu dir kommen und euch behilflich sein wird mit Rat und Tat. Für die anderen Zeiten hat er schon ohnehin seine allerbestimmtesten Weisungen und weiß, was er in der Zeit Meines Verweilens auf dieser Erde zu tun hat, und wo er sich zeitweilig aufzuhalten hat. Diese Meine dir gemachte Zusicherung gilt aber nur für die außerordentlichsten Fälle, die sich in eurem Institute in der Restitutionszeit ereignen könnten. 4. Was du aber selbst zu tun haben sollst, das werde Ich dir nun noch so in ganz kurz gehaltenen Winken mitteilen. Ihr habt eure unterdessen äußerst pfiffig eingerichtete Totenerweckungsanstalt noch, wie sie war und noch ist; zugleich befinden sich dort jetzt gerade hundertsieben Kinder von drei bis vierzehn Jahren, darunter etwas über die Hälfte Mädchen. Ihr seid nun in einer großen Verlegenheit, da ihr in allen euren Menschenpflanzungsanstalten kaum zwanzig Ähnlichkeiten habt und nun Boten mit gemalten Ebenbildern in alle Weltgegenden ausgesandt habt, daß sie um jeden Preis ähnliche Kinder ankaufeten. Aber diese Boten machen schlechte Geschäfte; denn wenn sie auch irgendwo etwas Ähnliches antreffen, so wird es ihnen um keinen Preis verkauft, und etwas Unähnliches können sie doch nicht brauchen. – Was sagst du zu solch einer Bescherung?“ 5. Hier kratzt sich Roklus ganz gewaltig hinter den Ohren und sagt: „Ja, Herr, wenn so – was sehr leicht begreiflich ist –, dann ist das Institut in einer Hauptklemme! Es war freilich eine große Torheit, und zwar wider meinen Willen, auf einmal so viele verstorbene Kinder aufzunehmen; aber unser erster Geschäftsführer, namentlich in der Sphäre der Wiederbelebung der Kinder, gab mir die Versicherung, daß es ganz gut gehen werde. Allein es sah die Geschichte nur zu bald ganz anders aus! Kaum zwanzig Ähnlichkeiten; und die andern?! Die können wir mit der Laterne suchen, mit der dereinst der Zyniker die Menschen am hellen Tage gesucht hat! 6. Der Geschäftsleiter sandte freilich gleich nach allen Richtungen wohldotierte Boten aus; aber wenn die Sache also geht, so sind wir mit unserem ganzen Institute verlesen und müssen zum fröhlichen Hohngelächter der neidischen und allereifersüchtigsten Pharisäer in die größte Verlegenheit geraten, zumal sich eben diesmal mir wohlbewußtermaßen einige Kinder der Pharisäer darunter befinden sollen, mit denen uns die Eifersüchtigen gewiß nur auf den Zahn zu fühlen sich vorgenommen haben! 7. Ei, ei, das ist wahrlich eine sehr schlimme Sache und kann mir in meinen nun fest gefaßten Absichten, fürderhin bloß nur in Deinem Namen zu wirken, sehr hinderlich werden! Was ist da nun vernünftigermaßen zu machen? Mir bleibt da schon der Verstand stillestehen! Du, o Herr, könntest uns da freilich aus der Verlegenheit helfen, so es Dein heiliger Wille wäre, und könntest es auch tun, zumal wenigstens wir mit dem Institut nie wissentlich und mit Willen nur im geringsten irgendeine eigentlich böse Absicht verbunden haben! 8. Unsere unverschuldete Unwissenheit aber kannst Du als ein allerliebevollster Gott, Herr und Meister uns ja doch nicht zur Last legen? Und sollte auch Deine ewig nie ermeßbare Weisheit an uns selbstverschuldete Flecken finden, für die wir wahrlich nicht können, so ist ja Deine noch unermeßlichere Liebe mächtig endlos mehr denn zur Genüge, um dieselben hinwegzufegen! Ich und alle meine Hauptgefährten setzen nun einmal alle unsere Hoffnungen auf Dich und vertrauen festest darauf, daß Du uns diesmal aus der allerriesenhaftesten Verlegenheit helfen wirst, wofür wir Dir aber auch das glühendste Versprechen dahin machen, daß es zu allen Zeiten unsere Sorge sein wird, Dein heiliges Wort für alle Zeit so rein zu erhalten, wie wir es nun von Dir unter der größten Dankbarkeit unserer Herzen vernommen haben!“ 9. Sage Ich: „Aber warum nennst du denn das eine gar so große Verlegenheit, da du doch treuwahr genug Meine möglichste Hilfezusicherung auf das allerhandgreiflichste überkommen hast?! Denn was Ich jemandem verheiße, das halte Ich auch gewisser noch, als wie gewiß die Sonne täglich aufgehen muß und stets eine Hälfte der Erde erleuchtet, ob die Oberfläche der Erde heiter oder mit Wolken und Nebeln getrübt ist! – Bis wann sollten denn die hundertsieben Kinder wieder lebend in die Häuser ihrer Eltern zurückkehren?“ 10. Sagt Roklus: „Herr, was soll, was kann ich Dir anderes darauf antworten als: O Herr, Dir sind alle Dinge nur zu wohl bekannt und somit gewiß auch unsere Torheiten!“ 11. Sage Ich: „Jawohl, da hast du Mir eine ganz gute Antwort gebracht! Da habt ihr wahrlich eine große Torheit dadurch begangen, daß ihr für eure fingierten Wiederbelebungen viel zu kurze Fristen gesetzt habt! Ihr seid dazu wohl durch einige glückliche Versuche ermuntert worden und habt natürlich die Erfahrung machen müssen, daß für euer Institut eine möglichst kurze Wiederbelebungsfrist nicht nur die am wenigsten kostspielige, sondern auch sicher die anzuempfehlendste ist, weil die ganze Sache an Wunderbarkeit gewinnt, – versteht sich von selbst, nur dem Ansehen nach! 12. Hättet ihr der ähnlichen Kinder zur Genüge, so ließe sich nach eurer Art die Sache wohl noch etwa ausführen; aber weil euch zu dem Behufe gerade die Hauptsache zu eurem feinen Betruge fehlt, so ist es wohl begreiflich, daß ihr dadurch in eine riesenhafteste Verlegenheit geraten seid. Ich könnte euch für diesmal freilich wohl aus der großen Verlegenheit helfen; aber dann müßte Ich euch ja doch offenbar betrügen helfen, und sehet, das ginge denn doch wohl nicht an, so überlieb ihr Mir nun alle seid! Es muß da, als der Sache angemessen, ganz etwas anderes geschehen!“ Kapitel 136 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 136. — Das Verbot der betrügerischen essäischen Totenerweckungen 1. (Der Herr:) „Sieh dort an der linken Seite des Cyrenius, der nun ein wenig schlummert, den Knaben; sein Name ist Josoe! Der lag schon stark über ein Jahr im Grabe, und seine Knochen waren ohne Fleisch. Er lag unweit von Nazareth in einer Gruft, und Ich gab ihm das Leben wieder, und niemand sieht es ihm nun an, daß er im Grabe schon ganz verwest gelegen ist! 2. Was Ich dem tun konnte, das könnte Ich schon wohl auch deinen hundertsieben Kindern tun, und zwar nun auf der Stelle und im schnellsten Augenblick! Aber es wäre euch damit eben auch nicht viel gedient; denn dadurch kämen die Kinder vor dem anberaumten Termin in die Häuser ihrer Alten. Es müssen darum die Termine genau eingehalten werden, auf daß nun bei dieser Sache ja keine neue Lüge mehr kreiert werde. Dann aber soll Mein Diener zu euch kommen und die wirklichen Kinder, freilich etwas wider Meine Ordnung, ins irdische Leben zurückrufen, und zwar in Gegenwart ihrer zu dem Zwecke dahin zu berufenden Alten, auf daß auch sie dadurch wie durch einen mächtigen Stoß in ihrer großen Blindheit erkennen mögen, daß nun das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist. 3. Was du aber bei jener Gelegenheit zu sagen haben wirst, werde Ich, wo Ich auch leiblich sein werde, dir schon in den Mund legen; aber darauf mache Ich dich für jetzt und für die Folge ganz ernstlich aufmerksam, daß du, und niemand aus deinem Institute, irgend mehr verstorbene Kinder zur Wiederbelebung annimmst, auch um die Schätze aller Welt nicht. 4. Denn so Ich ein Kind sterben lasse, so hat das sicher seinen höchst gewichtigen Grund, und es wäre da wider Meinen Willen und wider Meine Ordnung, solche Kinder wieder irdisch zu beleben. Nun, was diese nunmaligen hundertsieben Kinder betrifft, so habe Ich das schon seit gar langem vorgesehen, und es geschieht demnach das nicht wider Meinen Willen und im weiteren Sinne auch gerade nicht wider Meine Ordnung; aber für die Folge darf, höchst selten, so etwas nur geschehen, so du oder irgend jemand deiner Nachfolger unmittelbar von Meinem Geiste dazu aufgefordert wird. 5. Kranke heilen ein-, zwei-, auch dreimal könnet ihr, soviel ihr nur immer wollt; aber mit der Erweckung der durch den Tod des Fleisches Verstorbenen gebet euch ja nicht mehr ab! Denn ihr machet dadurch unter den vom Fleische freigewordenen Seelen ein viel ärgeres Ungetümswesen als der ärgste Mörder und Straßenklepper unter den Menschen, die noch auf dieser Welt ihre Zeit zu leben haben. 6. Für welch ein größtes Unglück hält man's auf dieser Welt, so da jemand getötet wird! Aber für ein viele tausend Male ärgeres Unglück wird's jenseits angesehen, so eine schon dort seiende, freie Seele wieder in ihren sterblichen, stinkenden und schwerfälligen Leib irgend zurückzukehren genötigt wird! Daher tätet ihr niemandem etwas Gutes, so ihr ihn wieder in dies irdische Leben zurückriefet. 7. Es gibt dort wohl arge Seelen, die man geradeweg Teufel nennen kann. Diesen geht es drüben sicher um zehntausend Male schlechter, als es einem noch so armen und verfolgten Bettler auf dieser Erde ergeht; aber unter allen den vielen, deren Zahl ganz gut bis jetzt zu zehntausend Millionen nach arabischer Zählweise angenommen werden kann, ist keine, die noch einmal den Weg des Fleisches durchmachen möchte. Wenn aber schon die Unglücklichen nimmer zurück auf diese Erde wollen, um wie vieles weniger die jenseits Glücklichen! Daher lasset euch das wohl gesagt sein, und erwecket Mir ja keine Toten mehr! – Hast du das nun auch verstanden?“ 8. Sagt Roklus: „Ja, Herr, das habe ich ganz wohl verstanden, und ich kann Dir auch ewig nie zur Genüge dankbar sein für die außerordentliche Abhilfe unserer großen Verlegenheit; wir aber haben uns eigentlich mit dem wahren Wiederbelebungsgeschäfte ja ohnehin nie abgegeben, da unsere Wiederbelebungen ja im Grunde nichts anderes waren als ganz geheime Betrügereien zum Besten der trauernden Menschheit nur, das heißt, insoweit wir früher mit unserem beschränkten Verstande ein Bestes der Menschen uns denken konnten! Wir hatten im Grunde äußerst wenig Nutzen davon, da uns die Erhaltung der Menschenpflanzungen und deren zuweiliger Ankauf, das heißt von Menschenkindern, stets ganz entsetzlich viel kostete. 9. Bei unseren Wiederbelebungen haben die Menschen im großen Jenseits ganz gewiß keine Störung erlitten, und so meine ich, daß, den kleinen Betrug abgerechnet, wir damit fürs Seelenreich gar wenig irgend störend Arges angerichtet haben; denn die Seelen der Verstorbenen sind von uns aus ja nie genötigt worden, in diese Fleischwelt zurückzutreten!“ 10. Sage Ich: „Das ist zwar wohl wahr; aber etwas Störendes hat solche eure Manipulation für die Geisterwelt denn doch auch noch immerhin bewirkt. Denn das verstorbene Kind ist einmal ganz gut zu einem Bürger der Geisterwelt geworden. Nun sind aber nach der Zeit auch seine Eltern für diese Erde gestorben, und das falsche Kind auch; da kamen sie bei günstigen Umständen wie gewöhnlich drüben auch bald zusammen. 11. Nun, was mußten sich die überraschten Eltern in der andern Welt von eurer Wiederbelebungsweise wohl denken, so sie dort mit einem rechten und mit demselben falschen Kinde, das sie auf der Welt als unwiderruflich für das echte hielten, offenbarst nur zu bald zusammenkamen? Denke darüber selbst so ein wenig nach! 12. Denn drüben wird alles auf dieser Welt noch so verborgen Gehaltene bis auf die kleinsten Kleinigkeiten offenbar werden. Was jemand hier noch so geheim und verborgen tut, wird ihm jenseits dennoch von den Dächern herab, wie man zu sagen pflegt, geoffenbart werden, und das höchst laut vor Millionen Augen und Ohren! Nun denke du, als ein falscher Wiederbeleber, dich aber auch in die Sphäre solch einer Offenbarung! Wie gedenkest du dich dabei dann auszunehmen und zu befinden? 13. Wenn Menschen mit ihren höchst beschränkten Wahrnehmungssinnen in dieser Welt so manchen Unfug recht gut erkennen, beurteilen, ihn richten und endlich auch ganz gehörig bestrafen, wo ihnen eigentlich doch noch zumeist die innere Wahrheitskraft mangelt, um wieviel mehr dort, wo die Wahrheit stets als eine der allerunbesiegbarsten Kräfte ganz allein den Herrn über alle seienden Dinge macht! 14. Siehe, unter den kleinen Raubvögeln gibt es einen, der den Namen von seinem Gesange hat und somit Kuckuck heißt! Diesem Vogel ist die Brutträgheit instinktmäßig angeboren. Er legt daher seine Eier, wo er nur mag und kann, in die Nester verschiedener anderer Vögel und verschont da sogar die Nester der Sperlinge nicht. So diese ärmeren Vöglein nun sehen, daß statt ihresgleichen nur Kuckucke zum Vorscheine kommen, so machen sogar sie als unvernünftige Tiere ganz verdutzte Augen und fangen an, sich vom Neste stets mehr und mehr fernzuhalten, und vernehmen sie dann irgendeinen Kuckuck schreien, so fliegen sie ihm in Scharen und Scharen zu und nach und verfolgen und necken ihn auf alle mögliche Art. 15. Nun, so sich schon die vernunftlosen, bloß nur mit einer instinktmäßigen Intelligenz begabten Tiere an einem Betrüger rächen, um wieviel mehr ist das bei den vernünftigen Menschen der sicher zu erwartende Fall, und um noch wie vieles mehr bei den Geistern, vor denen kein Betrug mehr statthaben kann, da ihre Einsicht und Erkenntnis eine zu klare geworden ist!“ Kapitel 137 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 137. — Die Grundsätze des neugeordneten essäischen Institutes 1. (Der Herr:) „Du siehst daraus, daß drüben alles offenbar werden wird und auch werden muß, ansonst die zahllos vielen und verschiedenen Vereine der Geister unmöglich bestehen könnten. Und nun fragt sich's denn, was der drüben für ein Gesicht machen wird, der hier bei den Menschen in einem großen Ansehen gestanden ist ob seiner wunderbaren Verrichtungen, und bei dem es sich jenseits sogleich nur zu klar zeigen wird, daß alle seine Wundertaten ein an und für sich ganz gemeiner Betrug waren; und war der Betrug selbst noch so gut gemeint, so mußte er aber dennoch bezahlt werden und ward dem blinden Käufer als eine echte Ware verkauft – und das um ein oft sehr großes Geld! 2. Und siehe, das und nichts anderes war denn auch eure bisherige Wiederbelebungsweise, besonders der Kinder! Eure monatlichen öffentlichen Wiederbelebungen in den bewußten unterirdischen, katakombenartigen Gewölben sind eine schon zu dicke Betrugskombination, um davon zu reden; denn da habt ihr ja Menschen in eurem Solde, die sich allmonatlich einmal auf den gewissen Särgen als tot seiend zu verstellen haben und auf euer ihnen bekanntes Kommandowort sich im Angesichte mehrerer blindgläubiger Zuseher von den Särgen zu erheben und sich dann aber auch sogleich also zu verlaufen haben, daß sie von keinem der oft vielen Zuseher und Bewunderer um ihr Befinden und um ihren allfälligen Namen und Wohnort befragt werden könnten. 3. Weißt du, dieser vögellockerische Betrug ist zu gemein, um davon weiter irgendein Wort zu verlieren; aber da dadurch doch viele bewogen worden sind, euch ein ihnen verstorbenes, liebes Kind zur Wiederbelebung zu übergeben, so kommt er dennoch auch in die Betrachtung und ist sehr geeignet, euch auch jenseits noch sehr lästige Mucken zu machen. 4. Aber wie gesagt, was bei euch bis jetzt geschah, das will und werde Ich auf Meine Schultern nehmen und alles gutmachen für euch; aber für die Zukunft darf weder das eine noch das andere, was nur den allerleisesten Zug und Geruch nach einem Betruge hat, in eurem Institute um keinen Preis der Erde mehr vorkommen, so ihr wollt, daß Ich, als beständig mit Händen zu greifen wirkend, im selben verbleiben soll im Geiste bis ans Ende der Zeiten dieser Erde. 5. Die vollkommenste Liebe und Wahrheit herrsche darin, und kein noch so kleiner Betrug komme je vor, so wird dieses Institut bleiben für alle Zeiten; und sollte es auch dann und wann neidische und finstere Verfolger haben, so werden sie ihm dennoch nichts anhaben können! 6. Es wird zwar in diesem Lande auch von keinem langen Bestande mehr sein, so wie auch diese Meine Lehre nicht – denn dies Land wird zertreten werden von den allerfinstersten Heiden –; aber in Europa wird dereinst ein Hauptsitz aller derer werden, die an Meinen Namen glauben und hoffen werden, und da werdet ihr euch auch in mehreren Filialinstituten befinden, unter manchen Herrschern beliebt und sehr angesehen, unter manchen bloß geduldet; nur wenige Blinde werden euch treiben über die Grenzen ihres Reiches. Aber die das tun werden, die werden sicher von einem oder dem andern Ungemache gedrückt und von selbem fürder nicht leichtlich los werden. Aber auch jene Reiche, die euch bloß so hin nur dulden werden, werden sich in keinem zu blühenden Wohlstande befinden. 7. Das binde Ich nun als eine Segensgabe an euch, daß ihr stets die rechten Baumeister bleiben werdet, und wo man euch mit Liebe und Ehren aufnehmen wird, wird das Reich eine gute und haltbare Grundfeste bekommen. Nicht zu Ärzten will Ich euch für künftighin machen, sondern zu Bauleuten, die da überall aus den allerfestesten Edelsteinen die Mauer eines neuen, himmlischen Jerusalems aufführen sollen und viele der herrlichsten Wohnungen in dieser Stadt, die nun wohl einen Anfang genommen hat, aber nach der Anfangsmauer ewigfort weiter und weiter erbauet werden soll. 8. Da ihr aber nun Meine Maurer und freien Bauleute seid und Ich Meine Stadt aus den festesten Edelsteinen erbauet haben will, so werdet ihr und du, Mein Freund Roklus, ja doch sehr leicht einsehen, daß Ich keine gemeinen Kalk-, Sand- und Backsteine brauchen kann; darunter verstehe Ich aber eben allerlei Lug- und Trugwerke, die nicht bleiben können für ewig. Nur die reinste und aller Makel barste Wahrheit ist derjenige Diamantstein, der aller Ewigkeit den steten und gleichen Trotz bieten kann. 9. Ihr werdet wohl vielfach in die Versuchung kommen, oft eine andere Miene zu machen, als wie ihr sie der Wahrheit eurer Gefühle nach machen solltet; aber lasset euch da ja nicht verlocken und trüget auch niemanden mit euren Augen, – sondern die vollste Wahrheit spreche sich in allem aus, was ihr seid, und was ihr tut, so werdet ihr auch stets Meiner Gnade, Macht und Weisheit gewärtig sein. 10. Verheißet nie jemandem etwas, das ihr etwa späterhin nicht erfüllen könntet oder aus gewissen Gründen nicht wollt; denn wahrlich sage Ich es euch: Nichts kommt einem Menschen bitterer und ihn bedrängender vor als eine ihm gemachte Verheißung, die aber späterhin ganz stillschweigend nicht gehalten wird! Denn wäre ihm keine Verheißung gemacht worden, so hätte er sich auch nicht darauf verlassen, hätte etwas anderes unternommen, womit er sich irgendeine Hilfe oder einen anderweitigen Nutzen verschafft hätte. Da er sich aber auf die Verheißung fest verlassen hat, die ihm gemacht, aber nicht gehalten ward, so ist er ja dadurch in eine verzweiflungsvolle Lage versetzt und sitzt dann traurig enttäuscht zwischen zwei Stühlen auf dem blanken Sande und verwünscht zumeist jene, die ihn durch ihre Verheißung nun ins größte Unglück gestürzt haben. 11. Was ihr demnach jemandem verheißen habt, das müsset ihr sogar auf Kosten eures irdischen Lebens halten, ansonst Ich kein bleibendes Mitglied eures Institutes sein könnte! Bedenket aber wohl, Wer Der ist, der euch dieses Gebot gibt! Er ist ein ewiger Herr über alles, was Leben und Tod heißet; und würde Ich nichts ahnden noch in dieser Welt, so doch das ganz gewiß, so ein Mensch dem andern etwas verspricht, dann aber aus irgendeinem gewöhnlich selbstsüchtigen Grunde es nicht hält! 12. So du dem, der dir einen Dienst erwiesen hat, den verheißenen Lohn vorenthältst, so begehst du eine größere Sünde, als so du jemanden bestohlen hättest! Hat er seinen Dienst lau und schlecht verrichtet, so kannst du ihn wohl daran erinnern und ihm sagen, daß er ein künftiges Mal einen solchen Lohn nicht mehr zu gewärtigen habe, so er nicht mit dem erforderlichen Fleiße seinen bedungenen Dienst verrichten werde; aber für den noch so lau verrichteten Dienst mußt du ihm dein Wort halten, auf daß er erfahre, daß in dir der Geist der vollen Wahrheit lebt und wirkt! 13. Aus diesem Grunde helfe auch Ich euch eure hundertsieben toten Kinder in der vollsten Wahrheit erwecken, auf daß ihr nicht als Lügner und treulose Versprecher vor jene zu stehen kommt, denen ihr das Wiedererwecken ihrer verstorbenen Lieblinge auf das allerheißest Wahre verheißen habt; aber für die Folge nehmet euch ja ganz vollkommen ernstlich zusammen! Denn alles, was ihr wider diesen Meinen leicht zu erfüllenden Rat tun oder unternehmen würdet, würde euch ganz unausbleiblich sehr schlechte Früchte tragen. 14. Kommt euch all das etwa zu schwer vor, weil du dabei eine ganz bedenkliche Miene zu machen anfängst? Sage es Mir nur ganz laut und offen, so du Mir dabei etwas einzuwenden hast! Nun sind wir noch persönlich beisammen und können noch so manches erörtern, was in der Folge offenbar etwas schwieriger würde, da wir uns dann persönlich nicht so bald wieder begegnen dürften! Rede nun, und Ich will dich hören!“ Kapitel 138 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 138. — Des Roklus Versuch, Notlügen zu rechtfertigen 1. Sagt Roklus: „Alles, was Du, o Herr, nun geredet hast, ist nur zu wahr, und es läßt sich dagegen nichts einwenden! Aber da Du allem, was nur den allerleisesten Anschein eines Betruges an sich trägt, auch sogar dann streng entgegen bist, wenn dadurch einem Menschen im vollsten Ernste physisch und geistig geholfen werden könnte, so macht mich das offenbar nun sehr nachdenkend, da bei mir der durch tausend Erfahrungen bewährte Grundsatz feststeht, daß nun gar vielen Menschen durchaus nicht anders als nur auf dem Wege eines feinen Betruges geholfen werden kann, – was ich aber freilich keinen Betrug, sondern eine pure Staatsklugheit nenne. 2. Aufrichtig, Herr, nach meinen auf dieser Erde gemachten Erfahrungen gesprochen, ist gar oft so manchen Menschen nicht anders zu helfen als allein durch einen wohlgemeinten kleinen Betrug! Die Kinder muß man anfangs ja doch immer betrügen, ansonst man mit ihnen ja doch rein nichts ausrichten kann; und was würde man ihnen denn wohl nützen, so man ihnen sogleich mit der reinsten Wahrheit ins Gesicht führe?! Ich habe Dir ja bei einer früheren Gelegenheit die Sache doch auch als ein Mensch klar und deutlich auseinandergesetzt, daß es mir nie darum zu tun war, je einen Menschen zu seinem Nachteile zu hintergehen, sondern allzeit nur zu seinem so oder so gestaltigen Vorteile! Und das tat ich nur, weil ich zu klar zum voraus einsah, daß diesem oder jenem Menschen auf eine andere Weise durchaus nicht beizukommen war. Wenn nun das bei Dir auch als eine Sünde gilt, – ja, Herr, dann wird es wahrlich höchst schwer, ein Mensch zu sein! 3. Zum Beispiel: Ich gehe irgendwohin und treffe auf dem Wege als ein Heide einen stockblinden Erzjuden an, dessen überzelotischer Tempelfanatismus in einem jeden gleich eine ganze Legion der allerärgsten Teufel prognostiziert. Wenn ihn ein Heide anrührete mit seinem Wissen, so ist er ja unrein gleich auf ein ganzes Jahr und ist in solcher seiner eingebildeten Lage der unglücklichste Mensch, weil er da keinen Teil an den vielen Gütern des Tempels nehmen kann und darf. Wenn ich ihm sage, daß ich ein Heide sei – so er mich fragt, wer ich sei –, da läßt er sich eher alle Martern antun als sich von mir über einen höchst lebensgefährlichen Teil des Bergweges führen. Sage ich ihm aber so ganz fest, daß auch ich ein Jude aus Jerusalem sei, so wird er mir mit Freuden die Hand reichen und sich dann ganz allerdankbarst über die höchst gefährliche Wegesstelle führen lassen. Hab' ich den armen Blinden dahin gebracht, wo es für ihn zum Weiterkommen keine Gefahr mehr gibt und ihn schon der Duft seiner nun schon sehr nahen Heimat anzieht und er sich nimmer verirren kann, so empfehle ich mich bei ihm und ziehe frohen Mutes meinen Weg weiter. Der blinde Jude erfährt dann sein ganzes Leben lang von mir nicht eine Silbe mehr, und es wird ihm auch so leicht niemand sagen, daß derjenige Mensch, der ihn einst über die sehr gefährliche Wegesstelle geführt hatte, ein Heide war. 4. Nun sage mir ein vernünftiger und ehrlich wohlmeinender Mensch, ob denn die gewiß höchst unschädliche Lüge nicht klüger und besser war, als so ich dem armen Menschen die Wahrheit gesagt hätte, daß ich nämlich ein Heide sei! Da sage ich Dir und jedermann tausend Male ins Gesicht, daß so eine Notlüge nur ein gelbsüchtiger und völlig gehirnkranker Narr aus dem schwärzesten Pharisäergremium für eine Sünde erklären kann, – aber ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch nimmer und ein Gott sicher noch um so weniger! Denn so hoch und weit verschieden können die diesseitigen und jenseitigen Lebensansichten ja doch nicht sein, daß man als rein geistig das, was alle reine Vernunft auf dieser Erde für gut und billig erkennen muß, als das geradeste Gegenteil ansehen müßte! Denn wenn jenseits für den reinen Geist das schwarz und finster ist, was hier eine stets wohlwollende Seele für weiß und lichthell ansieht, da gehört entweder dieses oder das jenseitige Leben platterdings in ein Narrenhaus. 5. Herr, Du kennst mein ganzes Leben von der Wiege an und wirst mir schwerlich einen Moment in meinem ganzen Lebenslaufe anzeigen, in dem ich's mit jemandem je böse gemeint habe oder gar gewollt habe, jemandem einen noch so kleinen Schaden zuzufügen! Tausendmal will ich aus Deinem allmächtigen Gottesmunde verflucht sein, so mir das erweisbar ist! So ich aber dennoch ein Sünder dadurch geworden bin, daß ich bei besonders geistesschwachen Menschen gar sehr oft zur Politik meine leidige Zuflucht habe nehmen müssen, um ihnen nach meinem Herzensdrange und nach meiner menschlichen Erkenntnis etwas Gutes tun zu können, so muß ich offen gestehen, daß es mir dann sehr unangenehm ist, ein Mensch zu sein; da gestalte Du, o Herr, mich nach Deiner Allmacht nur zu einem Esel um, und Du sollst meinen Dank dafür haben! 6. Meine freilich nur menschlich vernünftige Ansicht ist diese: Ein jeder Mensch tue nach seinem besten Wissen, Erkennen und Gewissen, was ihm Rechtens als das Beste dünkt, sei friedsam und versöhnlich und tue der armen, leidenden Menschheit nach seinen Kräften Gutes, so muß seine Handlung auch von einem Gott als recht und gut und ordnungsgemäß angesehen und anerkannt werden, und kein Gott kann von dem Menschen als unfehlbar Seinem Geschöpfe und Werke mehr verlangen, als wozu und welche Fähigkeiten Er Selbst in ihn hineingelegt hat! Oder ist es möglich, daß ein höchst weiser Gott noch mehr von Seinem Werke fordern kann, als was und wieviel Er in dasselbe gelegt hat? Ich glaube, daß dies so hübsch schwer hergehen möchte und ungefähr das Gesicht hätte, als wenn jemand allen Ernstes aus einem ganz kleinen, kaum einen Eimer haltenden Fasse oder Schlauche zehn Eimer herausgießen wollte. Ich bitte Dich darum, o Herr und Meister, Dich in dieser Hinsicht wohl klarer auszudrücken; denn also, wie ich Dich ehedem verstanden zu haben glaube, ist nach Deiner Lehre gar keine nur einigermaßen vernünftige menschliche Existenz auf dieser Erde denkbar! 7. Ja, die Wahrheit, die heilige, muß den Menschen werden; sie müssen das Haus und seine Ordnung und Gerechtigkeit genauest kennenlernen, darin sie wohnen und eigentlich nach Deiner Verheißung ewig wohnen sollen. Aber die nackte, wenn auch noch so reine Wahrheit kommt mir wenigstens wie eine zwar sehr heilsame, aber sonst überaus bittere Arznei vor, die jeder nur einigermaßen mehr empfindsame Gaumen gleich wieder ausspuckt, wie sie ihn nur berührt hat. Was tut man aber? Man umhüllt die bittere Arznei mit etwas Süßem und Angenehmem, und der Kranke wird sie dann leicht hinabschlucken und ohne ein Fieber in seinen Magen bekommen, wo sie dann bald ihre heilsamen Wirkungen beginnen wird! Und das, meine ich, sollte auch mit dem Mitteilen der Wahrheit sein! Man gebe sie nie, besonders anfänglich, je anders denn verhüllt und enthülle sie erst so nach und nach! Da wird sie meines Erachtens eine beste Wirkung sicher nie verfehlen. Gibt man sie aber gleich enthüllt und nackt, so wird man gar oft und zuallermeist mehr Schaden verursachen als irgendeinen wahren Nutzen bezwecken. 8. Ich will hier kein Wort etwa zur Beschönigung unserer natürlichen Wunder fallen lassen und bin selbst der vollkommen überzeugten Meinung, daß wir uns da zu weit gewagt haben; aber das kann ich immer mit meinem besten Gewissen hinzufügen, daß wir selbst damit nie jemandem geschadet, sondern, nach unserem wohlerwogenen Wissen, stets nur, gewöhnlich doppelt, genützt haben. Erstens haben wir damit nur die Tränen oft gar zu trauriger Eltern getrocknet, was doch ganz gewiß nichts Schlechtes ist und sein kann, und zweitens haben wir damit Kinder ganz blutarmer Eltern allerbestens für die ganze Zeit ihres Erdenlebens versorgt und sie auf den Standpunkt gesetzt, daß sie in Häusern reicher Menschen den besseren Sitten der gegenwärtigen Weltordnung gemäß auch eine bessere Erziehung erhielten, während sie sonst in der größten Armut ohne alle Bildung zu wahren menschenähnlichen Tieren herangewachsen wären, wie es in dieser Zeit an solchen Beispielen wahrlich keinen Mangel gibt. Da entsteigt kein Engel den lichtvollen Himmeln und nimmt sich unterweisend solcher ärmsten Halbtiermenschen an; und tun wir doch offenbar besseren und gebildeten Menschen nach unserem besten Wissen, Erkennen und Gewissen solchen in einer möglichen Art und Weise etwas, so laufen wir Gefahr, vor Gott zu sündigen und von Ihm als Betrüger der Menschen erklärt zu werden! 9. Herr und Meister, Du hast gut lehren und reden, denn Dein Wille ist der Direktor der ganzen Unendlichkeit! Aber wir schwachen Menschen, wir Nichtse gegen Dich, fühlen nur stets den Druck, aber selten oder nie eine Erleichterung, und haben noch obendrauf die allerschiefsten Erwartungen dereinst im Jenseits. 10. Herr und Meister, wahrlich, Deine Lehren haben mich ehedem ganz aufgerichtet, und ich war voll der beseligendsten Erwartungen; nun aber bin ich ganz niedergedonnert und weiß mir nicht zu helfen, weil Du von mir Dinge verlangst, für deren Erfüllung ich mich mit meiner Vernunft nicht aussehe (auskenne), und wider meine Vernunft kann ich nicht handeln!“ 11. Hierauf ward Roklus still und redete gar nichts. Kapitel 139 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 139. — Die Berechtigung der Vernunft und der Klugheit 1. Hier fragte Mich Cyrenius: „Ja, was ist denn das nun auf einmal? Roklus war bis jetzt schon wie ein wahrer Grundstein zur neu zu erbauenden heiligen Stadt, und nun ist er auf einmal wie total umgewendet, trotz dem, daß Du ihm alle Hilfe verheißen hast!“ 2. Sage Ich: „Das ist und bleibt er, trotzdem er Mich nun nicht ganz richtig aufgefaßt hat! Aber Ich sah das noch in ihm und versetzte ihn in den Zustand, das noch aus sich zu schaffen. Aber es wird nun die Sache gleich ein ganz anderes Gesicht bekommen, wie du dich davon gleich überzeugen wirst!“ 3. Hier wandte Ich Mich ganz freundlich an den Roklus und sagte: „Aber, Mein lieber Freund, wenn du die Sache nahe ganz verkehrt auffassest, so kann dir da kein Gott helfen, solange du dein eigenes Verständnis von früher her einer nachträglichen höheren Erleuchtung entgegenstellst! Das Schönste an der Sache aber ist das, daß du gerade das ganz lebensernstlich behauptest, was Ich von dir eigentlichst haben will! Wenn Ich dir zuvor Selbst die Klugheit der Schlangen und Füchse anempfohlen habe, wie könnte es Mir darauf beifallen, sie dir nun zu verbieten?! 4. Wie die Kinder zu behandeln und zu unterweisen sind, habe Ich am gestrigen Tage doch hinreichendst gezeigt; und bist du auch nicht bei allem zugegen gewesen, so hast du es doch durch Meinen Schnellschreiber geschrieben in den Händen! Da gibt es dann ja schon gar nichts mehr, was dich in irgendeiner Sache beirren könnte, von der man, was nur irgendeinen Unterricht anbelangt, sagen könnte: ,Siehe da, das ist unverständlich!‘ oder: ,Es taugt für diesen und jenen nicht!‘ 5. So auch, wenn ihr mittels natürlicher Arzneien einen Kranken heilen möchtet und auch könntet, der Kranke aber oft eine entschiedene Antipathie gegen ein Medikament hat und solches um keinen Preis der Welt einzunehmen vermag, ihr aber vollkommen überzeugt seid, daß dem Kranken nur einzig und allein das gewisse Medikament sichere und schnelle Heilung verschaffen muß, so versteht es sich ja von selbst, daß ihr dann ein solches Medikament ohne weiteres anders benamsen und es auch mit etwas anderem vermengen könnet, auf daß es der Kranke nicht als das ihm Widerwärtige erkennt und zu seinem großen Nachteile von sich weist. 6. Was aber weiter die Beibringung dieser Meiner Gottes- und Lebenslehre betrifft, da sage Ich euch noch ganz eigens hinzu: Seid äußerlich mit allen alles, was sie sind, um sie euch alle zutraulich zu machen und zu gewinnen für Mein Reich! Seid mit den Juden Juden, mit den Heiden Heiden, lachet mit den Lachenden, und weinet mit den Weinenden, seid schwach und voll Geduld mit den Schwachen, und zeiget es dem Starken, daß auch ihr stark seid, auf daß ihn das Bewußtsein seiner Stärke nicht aufblähe und hochmütig mache! Nun, das wird dir, Mein lieber Freund, ja etwa doch genügen, um zu wissen, was Gottes allerhöchste Weisheit, als auch die Schöpferin eurer reinen Vernunft, von euch haben will! 7. Glaube du Mir, Meine Weisheit ist nie irgend wider eines Menschen ganz gesunde, nüchterne und vorurteilsfreie Vernunft! Denn diese muß es ja beurteilen, was da irgend vollkommen Rechtens ist! 8. Eine Wahrheit, wenn auch noch so verhüllt, ist und bleibt für sich dennoch ewig Wahrheit und wird dereinst als solche offenbar werden. Freund, eine Wahrheit, so es irgend die Notwendigkeit erheischt, kannst du verhüllen und ummänteln, wie du nur immer magst und kannst; das hängt alles von der Fassungskraft desjenigen ab, dem die Wahrheit gepredigt wird. Kinder werden mit Milch und Honig und gar weichem Brote gesättigt, während man dem Manne schon eine festere Manneskost reichen kann. Das ist dann ja schon alles in der besten Ordnung, wenn nur das Innere Wahrheit ist; auf die nötige Hülle wird da wenig oder auch gar nicht geschaut noch geachtet. Das wäre auch wahrlich höchst unweise und aller bessern Vernunft zuwider, so irgendein Mensch Meiner Hilfe bedürfte und Ich wohl wüßte, daß er ehrlich ist, ihn aber darum nicht ansehen würde, weil er einen persischen Rock anhat! Eine Wahrheit nötigenfalls verhüllen ist keine Sünde; aber eine offenbare Lüge und einen offenbarsten Betrug in das Kleid der Wahrheit stecken, das ist Sünde und ist von Mir für ewig verpönt! 9. Wenn du nun deine früheren Totenerweckungen betrachtest, so waren sie denn trotz deines guten Willens eine große, aber sehr wohlverhüllte Lüge, da dabei von einer wahren Totenerweckung keine Spur war, und so noch eine Menge, was ihr in eurem Institute alles betrieben habt. Ihr habt es von den Ägyptern und Arabern gelernt, zu berechnen, wann da eine Sonnen- und da eine Mondfinsternis eintreten kann; allein das blieb dem Volke ein Geheimnis. Ihr aber sagtet dann zum Volke: ,Weil du, Volk, unsere Stimme nicht hören willst, so wird der Oberste – der nun du bist! – den Göttern auftragen, an dem und dem Tage die Sonne oder den Mond zu verfinstern!‘ Das Volk versank darauf gleich in eine große Angst, bat und opferte unsinnig, und ihr gabet ihm am Ende nur den Trost, daß die Drohung zwar in jedem Falle vor sich gehen werde, doch werde man sie so unschädlich als möglich zu machen versuchen. – Siehst du, das war denn etwa doch eine allerbarste Lüge, verhüllt in ein ehrwürdiges Kleid der vollen Wahrheit!“ Kapitel 140 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 140. — Verhüllte Wahrheiten und verhüllte Lügen. Falsche Propheten und ihre Wunder 1. (Der Herr:) „Stelle du dir aber nun eine plötzliche Enthüllung vor! Was würde zum Beispiel das Volk mit euch gemacht haben, so Ich Selbst etwa plötzlich demselben dahin ein Lichtlein gegeben hätte und es darauf den wahren Grund einer Sonnen- oder Mondfinsternis ebenso klar wie ihr eingesehen hätte? Die Wirkung davon kannst du dir leicht selbst denken. 2. Hast du aber jemanden mit einer noch so verhüllten Wahrheit auf den rechten Weg gebracht, und er bekommt dann auch ein Licht und sieht nun, daß nur die vollste Wahrheit, wenn auch noch so verhüllt, ihn auf die Linie des wahren Lebens gestellt hat, – was wohl wird dann so ein Mensch dir für alles Gute tun? Ich meine, daß du als ein Mensch voll hellen Verstandes nun den Unterschied wohl einsehen wirst, der da besteht zwischen einer verhüllten Wahrheit und einer verhüllten Lüge. 3. Was Ich dir als eine in eurem Institute nie statthaben sollende Handlung oder Rede bezeichnete, ist eine verhüllte Lüge, aber niemals irgendeine aus wohlweisen Gründen verhüllte Wahrheit. 4. Wenn der Lüge auch eine noch gute Folge zuteil wird und der Wahrheit eine wenigstens scheinbar üble, das heißt, was die Menschen mit ihrem Weltverstande übel nennen, so ist die Wahrheit der Lüge dennoch vorzuziehen; denn die Endwirkung der Lüge wird stets für bleibend eine schlechte und die Endwirkung der Wahrheit eine gute werden. 5. Es sind dem Außenscheine nach die Unterschiede von einer verhüllten Lüge und von einer verhüllten Wahrheit freilich nicht leicht merkbar, gleichwie da auch ein echtes Wunderwerk von einem falschen für den puren, wenig erfahrenen Weltverstand schwer oder auch gar nicht zu unterscheiden ist, weil ein echtes Wunder für den Weltverstand gar nicht zu prüfen ist und die Magier und die falschen Propheten ihre Wunder vom Volke ebensowenig prüfen lassen, als ihr die eurigen habt prüfen lassen. Aber eben darum soll bei euch nimmer irgendeiner noch so geringen Lüge oder irgendeinem noch so kleinen Betruge Raum gelassen werden, auf daß es auf der Erde doch für bleibend ein Institut gebe, in dem allein nur die Wahrheit herrschete und darin ein bleibender Probierstein der Welt gegeben wäre, um am selben das echte Gold aller Wahrheit vom falschen Golde wohl und leicht zu erkennen! 6. Wird das nicht gehandhabt, so wird es in wenigen Jahren nach Mir schon eine ganz erstaunliche Menge von allerlei falschen Propheten und Wundertätern geben, die diese Meine Lehre gänzlich verunstalten werden. Sie, die Falschen, werden sich zwar auch Meines Namens bedienen; aber ihre Lehre wird der Meinen nicht im geringsten gleichen, und ihre Wunderwerke werden von der dir bekannten betrügerischen Art sein und gar viele zu festen Anhängern der falschen Propheten machen. 7. Darum warne Ich euch frühzeitig davor! Horchet darum nicht auf jene, die umherziehend rufen werden: ,Sieh, hier oder da ist der Gesalbte Gottes, – das ist die Wahrheit!‘ Wahrlich sage Ich es euch allen: Die da also reden und schreien und sogar Zeichen tun werden in Meinem Namen, sind nichts denn pur falsche Propheten! Diese höret nicht und kehret ihnen den Rücken! Und kommen sie zu euch, so bedrohet sie, und wollen sie nicht weichen, so bedrohet sie in Meinem Namen, und wirket vor ihren Augen ein wahres Zeichen; sonst aber enthaltet euch soviel als möglich der Wunderwirkerei, die wohl das Auge und das Ohr des dummen Menschen besticht und gefangennimmt, sein Herz aber auf Kosten des Wunders zumeist zu einem fühllosen Steine verhärtet! Die Wahrheit muß für sich zeugen und sprechen und bedarf keines weiteren Zeichens mehr. 8. Das einzig wahre Wunderzeichen aber bestehe in der Selbsterfahrung, die ein jeder machen wird dadurch und darin, daß ihn eben die Wahrheit wahrhaft frei in allem seinem Denken, Wollen und Handeln gemacht hat und geöffnet seine innere Sehe, zu schauen alle Dinge und Verhältnisse, wie sie in der Wahrheit sind, und nicht, wie sie im zerrütteten Gehirn irgendeines angesehen sein wollenden Weltweisen nach Belieben zusammengestellt worden sind. Und nun sage du Mir, Mein Roklus, ob dir die Sache nun klarer ist denn früher!“ 9. Sagt Roklus: „Ja, Herr und Meister, jetzt ist mir alles so völlig klar und einleuchtend helle, daß mir in meinem ganzen Leben noch nie etwas klarer war! Ich habe es mir ja immer gedacht und sogar lebendig gefühlt, daß ein Gott der reinen Menschenvernunft gegenüber nichts aufstellen kann, das ihr ein offenbarer und handgreiflicher Widerspruch sein müßte. Nun aber ist ein jedes dieser Deiner Worte der Vernunft so ganz vollkommen gemäß wie das Licht der Sonne zur Erzeugung des Tages auf der Erde. Ich bin nun ganz im klaren, und unser Institut soll es auch also verbleiben bis ans Ende aller Zeiten!“ 10. Sage Ich: „Nun wohl denn, und so gehe nun hin und sage das auch deinen Gefährten! – Nun wird noch etwas geschehen, dann das Morgenmahl und dann Meine Abreise von hier auf eine Zeit!“ Kapitel 141 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 141. — Demut und Bruderliebe. Roklus und seine Gefährten in Verlegenheit 1. Roklus machte nun eine sehr tiefe Verbeugung und eilte zu seinen Gefährten, die sich unterdessen über allerlei wichtige Hauseinrichtungen ihres Institutes besprochen hatten, die aber genau den Sinn hatten, welchen Ich dem Roklus in Meinen Belehrungen zu seiner Lebensrichtschnur gab. 2. Roklus verwunderte sich auch nicht wenig, als er von seinen Gefährten alles dasselbe vernahm, was er ihnen als etwas ganz Neues und höchst Allerwichtigstes mitteilen wollte – und das aufs von Mir vernommene Geheiß, um dadurch zu zeigen, wie Ich als der Herr ihn zur Verwaltung des so höchst wichtigen Amtes mit ganz besonderen Aufträgen betraut habe. Er wollte als der Chef des Institutes seinen Untergebenen nun denn doch so ein bißchen zeigen, daß er darüber mit Mir Selbst gar sehr vieles und Außerordentliches abgemacht habe und er ihnen das nun alles mitteilen wolle. 3. Aber die Gefährten sagten: „Diese Mühe kannst du dir schon füglichermaßen ersparen; denn wir sind von allem unterrichtet und haben eigentlich noch mehr denn du, trotzdem du mit dem Herrn Selbst verhandelt hast! Da sieh her! Sieh, eine tüchtige Anzahl von Blättern, alle voll angeschrieben! Darin kannst du alles getreu wiederfinden, was der Herr zu dir geredet hat. Du aber machst, wie es uns vorkommt, eben nicht das wohlgefälligste Gesicht darüber; was hast du denn?“ 4. Sagt Roklus: „Ah, ich habe dagegen oder darüber – gar nichts; aber wenn mich der Herr Selbst dazu gewisserart auffordert, mit euch das zu besprechen und abzumachen, was Er mir anvertrauet hat wegen der gänzlichen Restituierung des gesamten Institutes, und ihr nun aber schon zum voraus in allem beinahe besser unterrichtet seid denn ich, so muß ich denn nun ja doch so ein bißchen nachdenken, was der liebe Herr durch diese kleine und freilich sehr unschädliche Fopperei bei mir hat erzwecken wollen!“ 5. Sagt Raphael, der unter den Gefährten sich herumtummelte: „Freund, das werde ich dir gleich erklären; wolle mich nur ganz kurz anhören! Siehe, das sind zwar deine allernächsten Staatsbeamten in, sage, deinem Institute! Der Herr Selbst konnte der vollsten Wahrheit gemäß dir keinen andern Titel geben als den, welchen du vom Staate aus hast und auch haben kannst, da dir deine großen Geldmittel dazu das Recht einräumen müssen. Der Herr aber will, daß alle Menschen sich als Brüder umarmen sollen und nur Ihn allein als den wahrsten Herrn und Meister anerkennen. 6. Dieweil du aber nun schon einmal ein Herr deines Institutes bist, so war es auch ganz in der Ordnung, daß der Herr Selbst dir die Weisung gab, was du künftighin tun und welche Einrichtungen du treffen sollst. Aber ebenso in der Ordnung war es, daß der Herr durch mich deine Gefährten in allem dem gleichzeitig unterweisen ließ, erstens, um dir die unnötige Mühe des Unterrichts zu ersparen, und zweitens, um das gewisse prophetische Hochgefühl, das gar leicht zu einem Hochmütlein werden könnte, in dir zu dämpfen, und drittens, um dir die anbefohlene Besprechung mit diesen deinen Gefährten so leicht und wirksam als nur immer möglich zu machen. 7. Denn der Herr hat damit, daß Er zu dir sagte: ,So gehe hin und sage das auch deinen Gefährten!‘, an dich ja nicht eine Art Aufforderung gemacht, daß sie von dir erst erlernen sollen, was du vom Herrn alles gehört und erlernt hast, sondern, daß du ihnen nur zu sagen hast, daß du selbst das richtig erlernt und vollkommen begriffen hast, was da in der Folge in dem Institute für Veränderungen vorzunehmen sein sollen. Da kommt von dem ja doch wohl nichts vor, daß du, als nun etwa allein in die Sache eingeweiht, die Gefährten erst unterweisen sollst!? Und du brauchst darum ja durchaus keine bedächtige Miene zu machen, so du selbst den Auftrag des Herrn ganz krumm aufgefaßt hast! – Verstehst du mich wohl nun, oder stößt dir etwa noch irgendeine Bedenklichkeit auf?“ 8. Sagt Roklus: „Ja, jetzt bin ich auch da schon wieder ganz in der Ordnung und denke nun über diesen Punkt schon gar nicht mehr nach; aber ganz etwas anderes beschäftigt nun mein Gemüt! Alles werden wir leicht in eine ganz gute Ordnung bringen, – nur mit der Abstellung des Volksglaubens an das, daß wir die Sonnen- und Mondfinsternisse in unserer Gewalt haben, wird es uns ein wenig schwer werden! Denn diese werden immer erscheinen, und wir werden nicht mehr sagen können und dürfen zu jemandem: ,Siehe, dieweil du und dein Volk nicht tun und glauben wolltet strenge und genauest, was wir dir geboten haben, so werden die Götter in der und der Zeit den Mond oder die Sonne verfinstern!‘ Wie werden wir uns aus dieser Verlegenheit helfen? Alles andere ist gut, – nur da finde ich keinen rechten Ausweg! Was meint denn ihr in dieser alleinigen Hinsicht, und was du, mein Freund Raphael?“ 9. Sagt Raphael: „Beratet nur ihr zuerst untereinander; mein Rat wird dann noch immer, so etwa bei euch alle Stricke reißen sollten, zur rechten Zeit eintreffen!“ 10. Sagt einer der Gefährten: „Ja, das ist ein ganz kitzliger Punkt! Da werden wir mit dem Volke eben nicht zum besten auskommen! Das Volk ist nun schon seit einer ziemlichen Reihe von Jahren daran gewöhnt, und so da die Vornehmen nach einer gesehenen Finsternis des Mondes oder gar der Sonne zu uns kommen und uns sicher ganz ernst um den Grund fragen werden, warum wir die Verfinsterung von den Göttern begehrt und warum wir ihnen solches nicht angezeigt hätten, – was werden wir dann auf solche Fragen auf dem Grunde der Wahrheit für Antwort geben, auf daß wir nicht gar zu gewaltig zuschanden werden vor dem Angesichte der Fragenden?“ 11. Sagt ein dritter: „Mit einer so ganz kleinen Hauslüge könnte man sich da schon aus der Pfütze machen; ohne die sehe ich trotz alles Denkens keinen ehrsamen Ausweg. Aber es wird uns nicht allein da, sondern noch an gar manchen anderen Punkten auch haben, und nicht minder als eben bei den Finsternissen! Wir sitzen nun schon ganz ordentlich in der Wäsche! Wir werden an die Schwierigkeiten erst stoßen, so wir an dem alten Gebäude werden zu rütteln und zu bessern anfangen! Wie ein Heuschreckenheer aus Arabien werden uns die unüberwindbaren, zahllos vielen Hindernisse den Weg verrammen von allen Seiten, und wir werden dann nimmer wissen, wo aus, wo ein! Diese Stätte verlassen und sehr weit von hier uns irgendwo niederlassen, das dürfte noch am allergeratensten sein!“ 12. Sagt Roklus: „Ja, ja, wäre schon alles recht; aber was mit diesen unseren Besitzungen und Einrichtungen machen, die man doch auch nicht so ganz leichten Sinnes unseren Widersachern zur freien Einsichtnahme überlassen kann?! Wahrlich, euer Rat würde besonders mir sehr teuer zu stehen kommen! Wir haben Gott den Herrn nun für uns, der ganz allein uns am sichersten aus aller weiters völlig unnötigen Verlegenheit erlösen wird, – dessen ich ganz vollkommen sicher bin! Wohl werden wir noch so manches zu bestehen haben; aber – wie es mir nun so vorkommt – wir werden dadurch sicher eine gar gewichtige Schule durchmachen, aus der wir erst die praktische Einsicht schöpfen werden, was man aus seinem Erdenleben alles hinwegräumen muß und wie, um zum wahren, innersten Leben aus Gott in uns zu gelangen. 13. Darum werden wir dennoch hier bleiben! Wegen all der andern Dinge aber habe ich durchaus keine Furcht; denn da sage ich selbst zu jedermann: Von nun an bleiben die Erweckungen ein für alle Male weg! Warum? Antwort: Gott will es nicht mehr, weil die Menschen nicht danach leben, solch einer besondern Gnade wert zu sein! 14. Die aber nach dem Willen Gottes leben, die werden auch die Einsicht haben, warum ihnen Gott ein oder das andere Kind hat sterben lassen, und werden sich von Seinem Geiste fürder selbst können unterweisen lassen. Dagegen wird niemand etwas einwenden können!“ Kapitel 142 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 142. — Des Roklus Reformvorschläge für das Essäerinstitut 1. (Roklus:) „Was die andern wissenschaftlichen Spielereien betrifft, so können sie ja bleiben; denn davon haben wir ja ohnehin nie einen andern Gebrauch gemacht, als dann und wann den Gästen eine ganz unschuldige Unterhaltung zu verschaffen. Wir können sie aber auch zerstören, so wird niemand etwas dagegen haben können. Vor allem aber muß der künstliche Vollmond weg; denn der ist fürs erste zu plump und taugt nicht einmal mehr zum optischen Betruge für die dümmsten Leute. Die redenden Bäume, Gesträuche, Statuen, Säulen, Quellen und Brunnen werden ausgerottet und an ihre Stelle etwas Besseres gesetzt. Die elektrischen Sachen aber können bleiben, sowie die verschiedenen Brennspiegel; denn diese Dinge gehören in das Fach der Wissenschaft, und man kann mit ihrer Hilfe verschiedene Krankheiten heilen. Dahin gehören auch unsere apothekerischen Künste und die Kunst, Glas zu machen, es zu schleifen und zu glätten. 2. Kurz, was bei uns als irgendeine rein wissenschaftliche Sache der Wahrheit nach besteht, das bleibe, und alles andere hört auf! Und so es aufhört, sind wir darum doch sicher niemandem irgendeine Rechenschaft schuldig; denn das Institut ist unser Eigentum, womit wir nach unserem Belieben zu walten und zu schalten das unbestreitbare Recht durch die Gesetze Roms haben. Wollen wir dem Volke etwas tun, so tun wir es, weil wir es selbst tun wollen, da wir in niemandes Solde oder Dienste stehen. Wir sind Menschen und Herren für uns und haben als selbst Römer und Untertanen den gesetzlichen Schutz so gut wie jeder Römer für uns; dazu besitzen wir noch so viel Schätze und Vermögen, daß wir selbst bei einer krösusartigen Lebensweise unsere Schätze in tausend Jahren nicht aufzehren könnten. Da sehe ich denn sogar in rein weltlicher Hinsicht nicht ein, vor wem wir da schamrot werden sollten! Vor dem Herrn haben wir nun keine weiteren Geheimnisse. Der aber wäre eigentlich der einzige, vor dem wir uns zu schämen hätten; mit Dem aber haben wir die Sache ausgeglichen. Ist Er uns aber nun gut, da Er es sicher zum voraus weiß, daß wir Seinen Willen bis ans Ende der Zeiten so rein, wie wir ihn bis jetzt erhalten haben, in die Erfüllung setzen werden, so wird Er uns auch gut bleiben nicht nur bis ans Ende aller Zeiten, sondern auch ewig jenseits. 3. Sehet und denket es euch, wie höchst töricht es für jeden von uns wäre, so wir etwa darum mit einem Blinden rechten wollten, so er auf einem ihm unbekannten Wege über einen Stein stolperte und also zur Erde fiele und sich beschädigte. Ah, wäre er sehend, da könnte man freilich sagen: ,Freund, wozu hast denn du zwei Augen im Kopfe?‘ Aber dem Blinden kann man nicht solch einen Vorwurf machen; denn er hat die Leuchte des Lebens nicht, und für ihn gehet keine Sonne auf noch unter. Also waren ja auch wir geistig blind, und es konnte uns auch niemand unter die Arme greifen und führen einen rechten Weg! Sind wir aber auf dem Wege, den wir nicht sahen, auch oftmals gefallen, wer kann uns da zu einer uns beschämenden Rechenschaft ziehen?! Wußten wir denn, was wir nun wissen? Von wem hätten wir das wohl erfahren sollen? Nun wir aber wissen, werden wir auch danach handeln, so wie wir bis jetzt nach dem gehandelt haben, was wir wußten. 4. Es handelt sich nun auch gar nicht darum, ob wir nun unsertwegen bei der neuen Umgestaltung des Institutes mit Ehren davonkommen oder nicht, sondern es handelt sich nur darum, daß wir nicht als betrugsverdächtig vor den Augen der Welt erscheinen, weil wir für die Zukunft zum Wohle der Menschen auf dem Felde der Wahrheit arbeiten wollen und werden, und dazu gehört ein gutes Vertrauen und eine gewisse gute Ehre von seiten der von uns zu belehrenden und zu führenden Menschen, was wir um keinen Preis vergeben dürfen, wenn unsere Mühe gute Früchte tragen soll. 5. Es ist demnach schon alles in der ganz guten Ordnung, und wir können alles abschaffen, so wird das eben nichts Auffallendes sein. Nur einzig die Mond- und Sonnenverfinsterungen werden uns, wenigstens im Anfange, ein wenig haben, weil diese sicher fortbestehen werden! Dann wird bald eine Menge von allerlei Menschen kommen, und sie werden sagen: ,Warum lasset ihr denn solche Schrecknisse über uns kommen?! Sind wir Sünder vor euch und den Göttern, warum ermahnet ihr uns denn nicht, auf daß wir Buße wirketen und Opfer brächten euch und den Göttern?!‘ Was werden wir ihnen dann für eine Antwort geben? 6. Seht, da steckt der eigentliche Haken und Spieß! Nun, da ohne eine Notlüge sich mit der reinsten, göttlichen Wahrheit aus der Schlinge zu ziehen, das wird sich sehr schwer machen! Eine Notlüge aber soll nach dem Willen des Herrn wohl nimmer über unsere Lippen kommen! Was ist dann zu machen?! O du ganz verzweifelte Geschichte! Wie gesagt, da stehen einmal meine Ochsen fest am Berge an und mögen das Fuhrwerk nicht weiter hinaufziehen über die steilen Felswände!“ 7. Sagt einer aus der Gesellschaft: „Nun, so frage nun noch den Herrn und Meister über alle Dinge! Der wird dir wohl auch in dieser Hinsicht einen rechten Bescheid geben! Wir können uns darüber schon gleich jahrelang im Kopfe herumtreiben und werden aus ihm dennoch nie etwas Weises herausbringen! Nun aber sind wir noch an der Quelle und können uns da des besten Rates erholen. Wären wir nicht Narren, so wir in solch einer wichtigen Angelegenheit nicht beim allerhöchstweisesten Urheber aller Dinge uns erkundigen möchten, was da zu tun sei, damit wir zum Besten des Reiches Gottes auf Erden vor der blinden Weltmenschheit nicht zuschanden werden?!“ 8. Sagt Roklus: „Du hast wohl allerdings recht, und ich kann das natürlich zum Besten der Ausbreitung Seiner göttlichen Lehre auf jeden Fall tun; aber nur müssen wir denn zuvor ganz ehrbarermaßen wohl auch das bedenken, daß unser eben hierin gestelltes Ansuchen an Seine göttliche Liebe und Weisheit nicht etwa eine an sich selbst schon zu große Torheit ist, mit der wir Ihm füglichermaßen denn etwa doch nicht kommen sollten, indem wir dadurch entweder unsere noch zu große Torheit oder eine viel zu geringe Achtung vor Seiner unbestreitbarsten Göttlichkeit an den Tag legeten!“ 9. Sagt wieder ein anderer aus der Gesellschaft: „Ja, ja, du denkst da ganz recht und billig; aber weißt du, uns allen nützt das nichts! Wenn einer einmal im Wasser um Hilfe ruft, so wird sich da wenig darauf sehen und achten lassen, ob er durch einen unglücklichen Zufall oder aus eigener, selbstwilliger Dummheit hineingefallen ist, – sondern der, dem das Wasser einmal in den Mund zu rinnen anfängt, denkt wahrlich nicht mehr daran, was ihn eigentlich ins Wasser gebracht hat, sondern ,Hilfe! Hilfe!‘ ist sein Angstruf. Ob ihm geholfen werden kann oder nicht, das ist nun denn freilich wohl eine andere Sache und hängt lediglich von der Klugheit derer ab, die der Unglückliche um Hilfe angerufen hat. Das ist so meine Ansicht!“ 10. Sagt Roklus: „Ganz den Nagel auf den Kopf getroffen! Darum werde von mir nun denn auch der Meister aller Meister gefragt! Ich eile zu Ihm hin und werde Ihm unsere Not vorlegen!“ Kapitel 143 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 143. — Des Herrn Rat an Roklus 1. Mit dem begibt sich nun Roklus noch einmal eiligst zu Mir hin und bringt sein bekanntlich etwas mißliches Anliegen bei Mir ganz offen an. 2. Und Ich sage zu ihm: „Nun, nun, wie Ich sehe, so fängst du schon so ein wenig an einzusehen, wie was immer für ein Betrug früher oder später einem Menschen auf jeden Fall gewisse Verlegenheiten bereiten muß! Darum sage Ich euch: Nur die vollste Wahrheit um jeden Preis; denn diese währt am längsten und bereitet niemandem je irgendeine besondere Verlegenheit! 3. Es kann schon sein und ist es auch, daß von solchen Menschen, die nur vom Betruge ihr Leben und Ansehen fristen, die Wahrheit sehr gehaßt und gefürchtet und darum auch verfolgt wird mit Feuer und Schwert! Aber was nützt den Verfolgern aller solcher Wahrheit ihr böser Eifer?! Nur zu bald bricht sich die Wahrheit Bahn, und ihre Feinde liegen beschämt und von jedermann verachtet und gemieden im Pfuhle, aus dem es schwerlich eine Auferstehung zu gewärtigen geben wird! Nun, deine Sache ist ein wenig dumm und läßt sich so leicht nicht also beilegen, daß dir dabei ein Weltexamen ganz erspart werden könnte! Aber es gibt schon dennoch ein Mittel, dieses mit den notwendigen Ehren zu bestehen. 4. Ihr habt dem Volke weisgemacht, daß euch die Götter die Gewalt gegeben haben, die Sonnen- und Mondfinsternisse zu beherrschen. Nun aber saget dem Volke, daß die Götter aufgehört haben zu sein und zu regieren, und daß der eine, wahre, große Gott, dem alle Heiden unter dem Namen ,Dem unbekannten großen Gott‘ auch einen Tempel erbaut haben, nun Selbst in diese Welt, sogar körperlich, gekommen ist und euch solch eine Macht genommen habe und werde fürderhin alles Selbst beherrschen und lenken und niemandem mehr die Leitung der Welt- und Himmelskörper anvertrauen! 5. Auf das werden die Menschen freilich große Augen machen, und es werden welche meinen, daß ihr so ein Amt schlecht gepflegt und euch versündiget habt. Wieder andere werden meinen, zu wenig geopfert zu haben. Noch andere, ein wenig heller Denkende, werden sagen: ,Die geben ganz leicht ein Amt dem großen, unbekannten Gott zurück; denn sie haben sich dasselbe nur eigenmächtig angemaßt, um dadurch desto leichter das blinde Volk im Zaume zu halten, – und die Götter, die ihnen solche Macht eingeräumt haben sollen, waren die Machthaber Roms! Nun ist aber sicher ein Wahrhaftiger irgend heimlich aufgetreten, der sie bedrohet hat, und so legen sie nun leicht ein Götteramt in den Schoß des großen, allein wahren Gottes zurück, das sie als von Gott ihnen anvertraut der Wahrheit nach nie besessen haben. Da sie nun aber schon so ehrlich sind und solches offen bekennen, so ist zu erwarten, daß sie noch mehreres offen bekennen werden, was sehr gut sein wird, da wir dadurch hinter manche Wahrheit gelangen werden. Der Wind, der sie dazu getrieben hat, muß offenbar ein guter Wind sein!‘ Also werden die Helleren denken und sich dabei heimlich in die Faust lachen. 6. Die Pharisäer werden auch ganz geheim jubeln und dem Volke sagen: ,Sehet, das muß Jehova Selbst diesen ärgerlichsten Heiden durch einen mächtigen Propheten angetan haben; der hat sie genötigt, an sich selbst den Völkern gegenüber Verräter zu werden!‘ 7. Aber dann saget ihr: ,Da haben die Pharisäer auch einmal die Wahrheit gesprochen! Dieser mächtige Prophet aber ist kein anderer als der ihnen schon recht wohl bekannte Prophet aus Nazareth! Jesus ist Sein Name, und Er ist irdischermaßen ein Sohn des vielbekannten Zimmermanns Joseph – der aber nur sein Nährvater war –, geboren aus der Maria, der ebenfalls weit und breit bekannten Jungfrau aus dem Hause Joachim und Anna in Jerusalem!‘ Und es sei dies Derselbe, der zu Ostern dieses Jahres alle die schnöden Wechsler und Verkäufer aus dem Tempel mit Stricken in der Hand getrieben habe. Dieser Prophet sei aber offenbar mehr als ein Prophet! Johannes, der ihnen allen bekannte Täufer in der Wüste, habe von Ihm ein rechtes Zeugnis abgelegt, das ihnen auch sehr bekannt sein werde. 8. Und dieser Gesandte Gottes habe euch zwar die euch selbst angemaßte Macht über Sonne, Mond und Sterne abgenommen, aber euch dafür mit einem viel wichtigeren und größeren Amte der Wahrheit nach betraut. Und dieses hohe Amt bestehe darin, daß ihr nun den Völkern allen Ernstes und aller Wahrheit nach verkünden sollet und sagen, daß nun das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist und daß alle, die an den Namen Jesus glauben werden, das wahre, ewige Leben haben sollen! 9. Wenn ihr also reden werdet, dann werdet ihr den Pharisäern, die bis jetzt freilich eure größten Feinde waren, ganz gehörig den Mund stopfen, und sie werden es weislich vermeiden, über eure eingegangene Macht über die Sonnen- und Mondfinsternisse auch nur ein Wort mehr zu verlieren, und das um so mehr, da sie wohl wissen werden, daß ihr gleichfort unter dem Schutze Roms stehet! 10. Nun habe Ich dir dies hoffentlich klar zur Genüge auseinandergesetzt, und du wirst es auch einsehen, daß du darauf nichts Weiteres mehr zu befürchten haben wirst! Da du aber nun den Rat und die Einsicht hast, so gehe nun hin und verkünde das auch deinen Freunden und Gefährten! – Oder hast du etwa noch etwas im Hintergrunde, das dich noch drückt?“ 11. Sagt Roklus: „Nein, Herr und Meister von Ewigkeit, nun drückt mich nichts mehr, und mein Herz ist voll Freudigkeit! Denn nun bin ich mit meinem Institute ganz geborgen, und die Schwarzröcke sollen sich freuen über das Wetter, das wir ihnen machen werden!“ 12. Sage Ich: „Ganz gut; aber gehe nun hin und verkünde das deinen Freunden und Brüdern, damit auch sie deiner Freude teilhaftig werden! Aber es wird euch allen dennoch viele Mühe und Arbeit kosten, dessen ihr vollauf versichert sein könnet. Aber wo es keinen Kampf gibt, da gibt es auch keinen Sieg, und wo keinen Sieg, da auch keine Siegesfreude, die alle Menschen als die höchste preisen! Darum vor allem Mut und Ausharrung, und der Sieg wird nicht unterm Wege steckenbleiben! Dafür stehe Ich als doch gewissest der glaubwürdigste Zeuge und der allersicherste Bürge! – Oder bedünket dir das nicht als genügend?“ 13. Sagt Roklus: „Wem, der Dich, o Herr, wie ich kennt, sollte das nicht genügen?! Ich sage Dir hier nichts als meinen allerinnigsten Dank und gehe nun sogleich zu meinen Gefährten und werde ihnen auch dieses wahrhaftigste Evangelium hinterbringen.“ 14. Mit dem verneigt er sich und eilt fröhlichst zu seinen Gefährten, die unterdessen die Neugierde über die gute oder schlimme Art des Bescheides schon sehr zu quälen angefangen hat. Kapitel 144 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 144. — Das zukünftige Verhältnis der Essäer zum Priestertum 1. Als Roklus das von Mir Vernommene den Gefährten mitteilt, da sind diese darüber höchst erfreut, und der ehedem Redende sagt: „Siehst du, mein Freund, wie gut es war, daß ich dir diesen Einschlag gab, dir darüber beim Herrn Selbst, da Er noch hier ist, des Rates zu erholen! Nun wissen wir, woran wir sind, und was wir zu tun haben, und benötigen keiner Notlüge, – sondern wir treten mit der nacktesten Wahrheit auf und machen doch alle, die uns zur Rede stellen werden, mit wenigen Worten verstummen! Oh, das ist ein großer und heiliger Rat! Ja, ja, wem der Herr Hilft, dem ist wahrhaft geholfen, und es ist ihm somit auch für alle Zeiten wahrhaft geholfen!“ 2. Sagt der noch immer anwesende Raphael: „Ja, da hast du wohl ganz und völlig recht! Es ist euch sehr geholfen durch diesen Rat; aber dessenungeachtet wird es sich mit der Zeit an allerlei Anständen und Versuchungen nicht mangelhaft erweisen in eurem Institute, und ihr werdet zu allen Zeiten – merket euch dies recht wohl! – recht viele Freunde zählen, aber daneben auch stets tausendmal so viele Feinde, die euch zu allen Zeiten verfolgen werden zu einem Zeugnisse wider sie, und auch dafür, daß der Herr Selbst auf dieser Erde von den blindbösen Menschen in einem fort verfolgt worden ist. 3. Denn Ihn hassen alle die Magier von Profession und alle die Priester, welcher Konfession sie auch nur immer angehören mögen, und am allermeisten aber die Templer zu Jerusalem. Da aber eben das Priesterwesen eine stets allerbequemste Lebenskaste der Menschen auf der Erde ausmachte und zu vorteilhaft gestellt war, so wird sich diese wohl nie ganz ausrotten lassen; und es wird gar nicht so lange hergehen, daß selbst Bruchstücke dieser nun neuesten Gotteslehre von allerlei Gaunern und Müßiggängern aufgegriffen werden, und es wird daraus ein Priestertum erwachsen, gegen das selbst das Tempeltum kaum ein leises Schattenspiel ist. 4. Und diesem Priestertume gegenüber werdet ihr stets einen harten Stand haben. Es wird euch zwar nichts tun und nicht irgend etwas anhaben können; aber verfolgen wird es euch auf allen Wegen und Stegen, gleichwie nun die Pharisäer den Herrn verfolgen auf allen Wegen und Stegen. Allein, das wird euch ein rechtes Wahrzeichen sein, daß ihr vollkommen des Herrn seid und Sein Wort in der Schrift und in der Tat rein bewahret; und eben darum werdet ihr euch ob solch eines Zeugnisses auch allzeit hoch zu erfreuen haben. 5. Ihr aber werdet eure Verfolger nicht und nie fürchten, weil ihr allzeit leben werdet unter dem sichtlichen Schutze des Herrn; aber eure Widersacher werden euch fürchten über die Maßen und werden euch darum auch verfolgen. Alle ihre Verfolgung aber wird ihnen so wenig nützen, als es den Templern nützt, daß sie nun den Herrn verfolgen nach allen ihren Kräften, wie ihr sogleich ein Pröbchen hier erleben werdet. Der Herr hat es dir, mein Roklus, schon zum voraus gemeldet, daß da nun noch etwas vor dem Morgenmahle geschehen werde! Was aber, – höre! 6. Die Argen haben es durch einen argen Flüchtigen aus Cäsarea Philippi erfahren, daß der Prophet aus Nazareth Sich hier aufhalte und Sein ,Unwesen‘ treibe, und auch, daß der Oberstatthalter zu Seinen Gunsten sich hier aufhalte. Daher haben sie in aller Eile einen gar verschmitzten Plan entworfen, um dadurch den Herrn zu fangen, indem sie Ihn dem Cyrenius als einen Volksaufwiegler aus tatsächlichen Gründen anzeigen und verhaßt machen wollen. Der Plan ist ganz satanisch fein angelegt, so daß du dich darüber wundern wirst. 7. Sie werden damit, namentlich beim Cyrenius, schlechte Geschäfte machen; aber es wird diese Erscheinung hier eine große Aufregung zustande bringen, abgesehen, daß solch ein Unternehmen hier gleich auf das allerweidlichste breitgeschlagen wird. Ihr werdet dabei selbst ein wenig ins Spiel kommen, aber nicht zum Nachteil, sondern nur zum Vorteil der guten Sache. Darum seid nur fein auf alles gefaßt; eine kleine Viertelstunde noch, und die Geschichte wird losgehen! Unterdessen aber wollen wir uns ganz ruhig verhalten; Cyrenius selbst hat noch keine Ahnung davon, weil es also des Herrn Wille ist! Aber die Geschichte wird eben darum um so auffallender werden. Darum Ruhe nun!“ 8. Es ward nun alles ohne einen Aufruf ruhig, wozu wohl auch der sehr nahe bevorstehende Aufgang der Sonne sehr vieles beitrug; aber hauptsächlich erwarteten da alle etwas Besonderes und horchten darum mit einer gewissen ängstlichen Gier, was da kommen werde. Kapitel 145 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 145. — Pharisäer klagen den Herrn als Staatsaufwiegler bei Cyrenius an 1. Bald aber entdeckten die Söhne des Markus ein Schiff noch so hübsch auf der Höhe herumlavieren, als wüßte der Bootsherr nicht, ob er sich wohl an der rechten Stelle befände, was auch seinen ganz natürlichen Grund hatte, da sich am Ufer des Meeres von Galiläa seit dem gestrigen Tage sehr vieles ganz gewaltig verändert hatte. Der gewaltige Fels im Meere, als ein Hauptsignal, bestand nicht mehr; einen starken Fels und einen gar mächtigen Baum auf dem Schlangenvorberge hatten bekanntlich die Neger nahezu aus dem Dasein geschafft; dazu kam noch das prachtvolle Neuhaus, der Garten und der schöne Hafen mit den fünf neuen, beflaggten Schiffen, – und so kannte sich der Lotse, der das Schiff gen Cäsarea Philippi hätte lenken sollen, nicht aus, wo er sich so ganz eigentlich befand, und lavierte darum schon eine längere Zeit auf und ab und hin und her, um zur Einsicht zu gelangen, wo er wohl wäre. 2. Es fing aber ein starker Ostwind zu wehen an und trieb das Schiff mit unwiderstehlicher Gewalt gerade unserem Ufer zu. In wenigen Augenblicken konnten die scharfsichtigen Söhne des alten Markus schon ganz gut ausnehmen, daß das Schiff Römer und ein paar Pharisäer an Bord trüge. Sie kamen auch gleich zum Cyrenius und gaben ihm solches bekannt. Als Cyrenius solches vernahm, kommandierte er sogleich den Julius, das nach und nach sich dem Ufer stets schneller nahende Schiff in die allerstrengste Sichtung zu nehmen. Als Julius solches vernahm, war er auf einen Pfiff nahezu pfeilschnell mit fünfzig Mann unter Waffen am Ufer und erwartete das Schiff, das auch gar nicht lange auf sich warten ließ. 3. Als die im Schiffe der Römer ansichtig wurden, steckten sie gleich eine weiße Fahne aus zum Zeichen, daß sie keine Feinde seien, und daß man sie ganz unbeirrt ans Ufer steigen lassen könne. Julius aber, als er zwei ihm nicht unbekannte Erzpharisäer unter den Römern wahrnahm, sandte sogleich einen Boten an Mich und an den Cyrenius ab mit der Frage, was da mit den Angekommenen zu tun sei. Land oder Wasser? Die Menschen kämen ihm sehr verdächtig vor. Es scheine, als ob auch die Römer nur vermummte Pharisäer oder doch sicher Herodianer wären. 4. Und des Cyrenius Antwort lautete ganz kurz: „Wer's auch sei! Land!“ 5. Auf dies Kommando wurden die Herangereisten ans Land gesetzt, und Julius erkundigte sich schnell nach den damals üblichen Reisezeichen, die ganz in der gesetzlichen Ordnung von Pilatus in Jerusalem gefertigt waren. Als dieser kurze Legitimationsakt vorüber war, fragte ein Römer den Julius, ob sich der hohe Oberstatthalter noch in dieser Gegend aufhalte. Ein donnerndes ,Ja!‘ war von seiten des schon ganz ergrimmten Julius auf die vorlaute Frage die ehrfurchterweckende Antwort. 6. Hier trat ein Zenturio, der mit im Schiffe war, ganz ernst dem Julius entgegen und fragte ihn: „Was berechtigt dich, uns in solch einem Tone zu antworten?“ 7. Julius, noch ernster als früher: „Hätte ich nicht die gemessensten Gründe dafür, so würde ich dir wohl anderstönend geantwortet haben! Aber dein asiatisch blödes Gesicht sagt es mir, daß du kein Römer, sondern ganz etwas anderes bist! Daher kann dich meine Antwort bei dir selbst eben nicht zu sehr wundernehmen!“ 8. Sagt der Zenturio: „Was bin ich denn, so kein Römer?“ 9. Sagt Julius: „Davon werden wir schon noch nachher reden! Nun bist du einmal in meiner Gewalt und hast dich strengstens meiner Anordnung zu fügen! Mein Name ist Julius, der gestrengste Kommandant Roms in dieser Gegend, und ich bin ein naher Verwandter des hohen Oberstatthalters Cyrenius! Das mußte ich dir ja sagen, dieweil du kein Römer bist; denn wärest du nur von weitem ein Römer, so hättest du mich auch schon von weitem erkannt! 10. Siehst du, so pflegen wir Römer die schlauen Füchse zu fangen! Aber nun nur vorwärts, das Bessere wird schon noch nachkommen! Gelt, die Gegend, nun ein wenig kultiviert, ist euch etwas fremd vorgekommen, – sonst hättet ihr uns schon vor einer Stunde mit eurem unvermuteten Besuche beehrt? Macht aber nichts, ihr seid nun trotz der Fremdartigkeit dieser Gegend gerade auf dem rechten Flecke angekommen! 11. Siehst du, wie ich schon zum voraus alles weiß! Ja, in das Gebiet des Julius kommt man nicht so leicht unangemeldet wie man glaubt! Es geniert euch das zwar ein wenig, daß mir euer ganzes Erscheinen schon verraten ist; aber es macht das ja für so schlaue Köpfe, wie ihr seid, vielleicht eben nicht gar zu besonders viel, was sich natürlich bald zeigen wird! Darum nun nur vorwärts, hin zum hohen Oberstatthalter!“ 12. Hier sagt der Zenturio, sichtbar sehr verlegen: „Was weißt du von uns?! Wer konnte dir etwas verraten haben, das nicht ist?“ 13. Sagt Julius: „Nun kein Wort weiter! Dort befindet sich der Hohe! Darum vorwärts mit euch falschen Römern, – dort das Weitere!“ 14. Der Zenturio, mit seinen etwa acht untergeordneten Kriegsknechten, und zwei ganz ordentliche, wohlgenährte und erzkernfeste Hauptpharisäer begaben sich darauf zu Cyrenius und übergaben ihm dort ein Schreiben, das von Herodes unterfertigt war. In diesem Schreiben stand weiter nichts, als daß in ganz Cölesyrien und einem großen Teile Galiläas und Samarias eine sehr umfangreiche Verschwörung gegen alle Römer entdeckt worden sei. An der Spitze derselben stehe als ein Hauptagitator der berüchtigte Prophet Jesus aus Nazareth, der im geheimen Bunde mit den immer höchst geheim tuenden Essäern zur Verblendung des Volkes allerlei für das gemeine Volk unbegreifliche Wunder wirke und sich dadurch eine Art göttlich-prophetischen Anstriches gebe und sogar die allerfluchwürdigste Dreistigkeit haben solle, sich dem Volke als ein wahrer Gottessohn zu offerieren. 15. (Herodes:) ,Es ist ferner durch mehrere ganz gleichlautende Zeugen aus verschiedenen Gegenden treu und wahr ausgesagt worden, daß dieser heilloseste Volksaufwiegler sich sogar den allerhöchsten römischen Staatsdienern bis zur größten Freundlichkeit genähert habe, samt seiner schon etwa ganz tüchtigen Schar sogenannter Jünger. Aber die geheime Fama verkündet, daß der Ruchlose das bloß darum täte, um sie alle an einem bestimmten Tage gar jählings umzubringen, wonach er sich dann selbst zum Könige aller Juden erheben werde. Nachdem aber nun solches durch den Ratschluß der hohen Götter an mich Sachkundigen verraten wurde, so mache ich dich pflichtschuldigst darauf aufmerksam und hoffe, daß du das deinige zu verordnen und zu tun wissen wirst! – In tiefster Ergebenheit Herodes, Vierfürst – – – nun in Jerusalem.‘ 16. Es ist hier des Raumes wegen der ganze Brief mit seinen vielen Schmähungen nicht wiedergegeben, was auch wahrlich ganz unnötig ist; aber der Hauptsinn ist ganz dargestellt. Kapitel 146 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 146. — Die Entlarvung der falschen Ankläger 1. Als Cyrenius diesen Brief ganz aufmerksam ernstesten Angesichtes durchgelesen hatte, wandte er sich mit mitleidig-freundlichem Blicke zu Mir und sagte: „Aber Herr, ist das auch noch möglich, Dich mir auf eine solch allerschändlichste Weise zu verdächtigen?! Was sagst Du dazu? Denn Du weißt es sicher, was darin enthalten ist!“ 2. Sage Ich: „Berufe den Raphael und den Roklus; denn es wäre nicht fein, daß Ich Mich bespräche mit diesen Sendlingen des Fürsten der Lüge!“ 3. Sogleich berief Cyrenius den Raphael und den Roklus, welch letzteren die Gesandten des Herodes nur zu gut zu kennen schienen; denn sie wandten schnell ihre Angesichter von ihm ab. 4. Als Raphael zum Cyrenius kam, überreichte er ihm ebenfalls eine Rolle und sagte: „Da hast du das Duplikat des angeblich Herodischen Schreibens; lies es und erkenne daraus, daß ich und durch mich auch Roklus schon früher von dieser echt pharisäischen Schändlichkeit unterrichtet waren! Nach der Unterschrift des Herodes, die er aber nicht zu Gesichte bekam, so wie er auch von diesem schmählichsten Plane keine Silbe weiß, befindet sich noch eine ganz kurze Anmerkung, die dich über den ganzen Sachverhalt aufklären wird, und die du darum auch lesen mußt. Hast du aber alles gelesen, dann übergib es den Sendlingen und laß es auch sie lesen! Das Weitere wird sich dann schon von selbst machen.“ 5. Cyrenius nahm diese Rolle in die Hand und las sie schnell durch, auch die Anmerkung, über die er sich nicht genug wundern konnte, da sie gerade das enthielt, was er sich selbst sogleich gedacht hatte. Als er dieses alles gelesen hatte, gab er eben diese Rolle auch dem falschen Zenturio und sagte: „Nun lies auch du dieses vor deinen Gefährten!“ 6. Der Zenturio nahm mit einer sichtlichen Verlegenheit diese Raphaelsrolle und las sie mit einem stets länger werdenden Gesichte, und beim Durchlesen der Anmerkung überfiel ihn sogar ein förmliches Fieber, und alle die Sendlinge fingen an, ganz bedeutend die Farbe zu wechseln, was natürlich dem Scharfblicke des Cyrenius und aller Anwesenden nicht entging. Als der falsche Zenturio die Rolle ganz durchgelesen hatte – und zwar so laut, daß das Gelesene auch seine Gefährten vernehmen mochten –, gab er unter einer tiefen Verbeugung die Raphaelsrolle dem Cyrenius wieder zurück, sagte aber wohlweislich kein Wort dazu; denn er wie seine Gefährten waren durch diese Erscheinung zu enorm betroffen, und ihr Ochsenfuhrwerk stand diesmal knapp an einer Felswand, über die hinüber auch nicht ein allerschlechtester Fußsteig zu entdecken war. 7. Nach einer kurzen Weile des totalsten Stillschweigens unterbrach Cyrenius dasselbe und fragte den Zenturio: „Also, Herodes rät mir, daß ich alles aufbieten soll, des gewissen Propheten habhaft zu werden, und daß ich ihm, wie auch seinen Jüngern, gleich so mir und dir nichts die Köpfe vom Rumpfe schlagen lassen soll?“ 8. Auf diese Frage erfolgte keine Antwort. 9. Da ward Cyrenius erbittert und sagte: „Antwort! – oder ihr sollt mir diesen Frevel auf eine beispiellose Weise büßen! Von wem aus geht der Brief, wer hat ihn verfaßt, wer erfrechte sich, mich mit solch einer kolossalsten Lüge zu traktieren, und welch eine schändlichste Absicht lauert da im Hintergrunde?“ 10. Auf diese sehr energische Frage verloren beinahe alle die Sendlinge die Besinnung; denn sie wußten es, daß sie es mit dem unerbittlichsten römischen Oberstatthalter zu tun hatten. Alle fingen an, wie von einem panischen Schrecken ergriffen zu schlottern und zu fiebern, und von einer Antwort war keine Rede. 11. Da sagte Julius: „Hoher Gebieter, wie wäre es denn, so wir diesen Sendlingen gleich den vom Gesetze bestimmten Lohn – für günstigen Verrat – auszahleten und sie dann nach Sidon ins feste Gewahrsam brächten bis zur Zeit, da die Revolution nach ihrem angezeigten Termine losgehen wird, an welchem Tage ihnen dann der ganze Verratslohn ausbezahlt wird, entweder am Kreuze oder auf dem Blocke? Diesen Römern sieht man's etwa doch schon auf eine ganze Stunde Weges nur zu klar an, daß sie nichts als ein Bündel der allerschlechtesten Pharisäer sind, die ums Geld zu allen Schändlichkeiten käuflich sind!“ 12. Sagt Cyrenius: „Du hast ganz recht; aber da wir hier nicht allein die Herren sind und hier noch jemand anders eine Bemerkung zu machen hat, so wollen wir das mit der möglichsten Ruhe abwarten!“ Kapitel 147 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 147. — Die Verhandlung mit den Pharisäern 1. Hier trat Roklus vor und sagte: „Hoher Gebieter, erlaube mir, daß auch ich diesen Unholden und Kobolden etwas ins Ohr raunen darf; denn in dem Briefe ist auch mein Institut sehr arg angegriffen, was ich als ein Vorsteher desselben unmöglich auf sich beruhen lassen kann! Ich muß sie fragen, wie und wann der von ihnen so berüchtigte und ruchloseste, böse Prophet aus Nazareth die Zauberkünste, mit denen er nun das Volk berücke und verführe, von uns erlernt hat! Bei Gott, wenn sie mir hier auf dieser Stelle diese kolossale Verunglimpfung nicht gutmachen, so vergreife ich mich an ihnen und drehe ihnen allen die Hälse ab, so wahr mir Gott der Herr sicher helfen wird!“ 2. Hier tritt einer der beiden Pharisäer vor und sagt: „Was können denn wir darum, so etwa die ganze Sache nur eine böswillige Erdichtung sein sollte?! Wir haben sie ja nicht geschrieben und noch weniger irgend verfaßt! Sehet diese an, die uns gesandt haben; wir, als pure Boten, sind ja etwa doch wohl niemandem eine Rede und Antwort schuldig! Wir erwarten bloß eine rechte Antwort, die wir denen zurückzubringen haben, die uns hierher gesandt haben. Das, glaube ich, sollte der langen Rede kurzer Sinn sein!“ 3. Sagt Roklus, durch Raphael animiert: „Gut; aber was hat denn dann zu geschehen, so wir's euch an den Fingern erweisen können, daß eben nur ihr die Verfasser eures schnöden Briefes seid, und daß ihr, so euch dies Werk gelänge, aus der großen Goldkasse des Tempels eine Vergütung von tausend Pfunden Goldes AD PERSONAM zu gewärtigen habt?“ 4. Sagt der Pharisäer, laut aufschreiend: „Wer kann uns einer solchen Schändlichkeit zeihen? Der Brief ist von Herodes unterfertigt!“ 5. Hier beruft Roklus den Zinka und sagt: „Wie kein zweiter in der Welt kennst du deines Gebieters Schrift. Sage, ist das sein Namenszug?“ 6. Zinka betrachtet den Brief und sagt: „Nicht von der allerweitesten Ferne! Denn Herodes kann eigentlich gar nicht schreiben, sondern zur Not nur griechisch lesen. Für die Unterfertigung seines Namens hat er eine Art Siegel, das er den Urkunden aufdrückt; somit muß diese Unterschrift falsch sein! Dafür meinen Eid bei allem, was ihr nur wollt!“ 7. Sagt darauf Roklus: „Nun, du weiser, gottesgelehrter und allerwahrhaftigster Pharisäer im Namen Mosis und Aarons, wie wird's dir denn nun zumute? Gelt, jetzt wäre es dir schon lieber, du säßest daheim bei einem fetten Mahle, als hier unter so glorreichen Auspizien (Vorzeichen)! Ja, ja, es ist schon nicht anders: Wenn der Mensch mit dem nicht zufrieden ist, was ihm Gott der Herr beschert hat, da muß er sich dann schon fügen in das Schicksal und seine Tücken! 8. Ja, ja, der verruchte Prophet aus Nazareth will euch denn schon durchaus nicht gefallen, weil Er durch Seine heiligsten Wahrheitslehren euch einen starken Eintrag zu machen droht! Da steckt der Faun begraben! Aber es ist nun einmal also geworden und wird schon ewig nimmer anders werden, auch dann nicht, so es Ihm einmal wohlgefiele, um euch dadurch einen Gefallen zu erweisen, Sich von euch so ganz gemütlich töten zu lassen, wenigstens PRO FORMA, denn Er, als das Leben Selbst von Ewigkeit, kann unmöglich je getötet werden. – Ich habe nun geredet; jetzt ist die Reihe an dir! Was sagst du nun zu allem dem?“ 9. Der Pharisäer stand nun wie versteinert da, und niemand von den Sendlingen getraute sich mehr, auch nur eine Silbe zu reden. 10. Nach einigen Augenblicken beschied Cyrenius, der dazu geheim einen Wink von Mir erhielt, die beiden Erzpharisäer allerschlauestermaßen zu sich und sagte zu ihnen: „Beruhiget euch nun! Der Sturm ist vorüber; stoßet euch nicht an unserem anfänglich stets gleichen römischen Ernst! Es kommt nun die zweite Besprechungsphase, in der ich von euch nicht Fiktionen mit falschen Unterschriften, sondern die reine, volle Wahrheit vernehmen will. Nur durch die Wahrheit könnet ihr aus meiner sonst unerbittlichen Gewalt befreit werden, – sonst ist Kerker, Kreuz und das Beil unfehlbar so gewiß euer Los, als wie gewiß ich Oberstatthalter von allen asiatischen Provinzen Roms bin. 11. Redet ihr aber die Wahrheit, wie sie auch lauten mag, und welchen Sinnes sie auch sei, so möget ihr auf mein römisches vollstes Ehrenwort rechnen, daß ich euch ganz frei und unbeanstandet abziehen lasse. Wählet nun, was ihr wollet! Wollt ihr bei dieser Lüge beharren, so wisset ihr's nun aus meinem Munde, was euch unfehlbar erwartet; denn hier in Asien bin ich im Namen des Kaisers vollkommen unumschränkter Gebieter, und zweihundertsechzigtausend Krieger harren jede Stunde des Tages auf meine Befehle. So euch das früher etwa noch fremd war, da wisset ihr es nun, wie die Sachen stehen. Wer wird mich zur Verantwortung ziehen, so ich bloß aus Laune alle Juden durchs Schwert hinrichten ließe?! An Macht und Gewalt fehlt es mir nicht! – Wo kann sich in ganz Asien eine Verschwörung anzetteln, von der ich nicht binnen längstens acht bis vierzehn Tagen die vollste Kunde hätte?! Dann aber das schrecklichste ,Wehe!‘ den Aufständischen! 12. Wäre nach euren Aussagen irgendeine noch so geringe Emeute (Meuterei) noch so geheim vorbereitet, so wüßte ich wahrlich darum, und meine vielen Büttel würden sogleich vollauf zu tun bekommen. Es ist demnach solche eure mir hier gemachte Denunziation ebenso wie die Unterschrift des Herodes, eine arge Lüge, durch die ihr mich, wenn ich ein Blinder wäre, zu einem ganz andern Zwecke benutzt haben würdet. Allein, daß das bei mir durchaus nicht angeht und nie angehen wird, davon habt ihr nun hoffentlich schon eine ganz gediegene Überzeugung. Darum heißt es nun: mit der Wahrheit heraus, auf daß ich allerklarst sehe, auf welchem Grunde und Boden ich mit euch stehe! Aber nur ganz wohl gemerkt: Seht, so rein, wie nun die Sonne über den Bergen jenseits des Meeres aufgeht, ebenso rein muß die Wahrheit dessen sein, was ihr mir nun sagen werdet, – so werde ich euch auch mein Wort halten! Redet nun!“ 13. Hier machten die beiden Pharisäer, sowie auch die falschen Römer, die auch zur Hälfte Pharisäer und zur Hälfte Herodianer waren, ganz entsetzlich verzweifelte Gesichter; denn nichts kommt einem Menschen verwünschter vor, als so er sich selbst anklagen und offen seine allerschnödest bösen Absichten bekennen muß. Und so war es nun auch mit diesen Pharisäern der Fall. Aber was wollten sie tun? Des Cyrenius Unerbittlichkeit, wie auch seine strengste Gerechtigkeit, war bekannt, und es ließ sich demnach hier offenbar nichts machen, als die volle Wahrheit zu beichten. Kapitel 148 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 148. — Das Geständnis des Pharisäers 1. Demnach faßte der eine Pharisäer den Mut und fing an, also zu reden: „Allerhöchster und unerbittlich gestrengster Herr und Gebieter über alle Lande Asiens und Afrikas zum größten Teile! Da uns denn nun nichts anderes übrigbleibt, als die volle Wahrheit zu bekennen, so muß ich im Namen aller meiner Gefährten denn doch offen bekennen, daß der Brief eine pure Fiktion war, und daß wir den berüchtigten Propheten aus Nazareth des bloßen Brotneides wegen auf das entschiedenste als unsern größten Feind verfolgen. Denn er wirkt Zeichen, die alles bisher Dagewesene im allerhöchsten Grade übertreffen; dazu lehrt er schnurstracks wider den Tempel und seine Gesetze, die doch nicht von uns sind. 2. Auf dem Berge Sinai empfing vor ungefähr tausend Jahren Moses Gesetze aus der feurigen Hand Gottes, und nachträglich noch eine Menge staatlicher Lebensverordnungen. Unter den Gesetzen ist Nummer eins ein allerwichtigstes, dahin lautend: ,Du sollst nur an Mich, deinen alleinigen und einigen wahren Gott, glauben und keine fremden Götter neben Mir anbeten und verehren; denn Ich allein bin dein Gott und dein Herr!‘ Der Prophet (aus Nazareth) aber gebe vor, daß er eben und niemand anders ein wahrer Sohn Gottes und gar ein Gott Selbst sei, und berufe sich dabei auf die Aussagen der Propheten, die er ganz willkürlich auf sich bezieht, und auf das Zeugnis seiner Taten. 3. Wenn das so ganz ungestraft dahingehend gelassen wird, so ist es mit der als göttlich erweisbaren Anstalt zu Jerusalem in wenigen Jahren vollkommen am Ende! Was dann? Wie werden wir von Gott Bestellte vor dem Volke dastehen und von was fürderhin leben, da wir von Gott aus gesetzlich nie einen Acker noch einen Weinberg besitzen durften? Auf der einen Seite haben wir die von uns abgefallenen Samariter, die Sadduzäer und die Halbheiden, auf der andern Seite die Essäer, die nun bald schon das halbe Volk für sich haben, – und nun kommt auch noch der Galiläer dazu! Das muß uns denn am Ende doch ein wenig zuviel werden! 4. Auf Sinai, unter Blitz und Donner, hat Jehova durch Moses und Aaron uns Gesetze gegeben, hat sie sanktioniert und hat, sage, mit uns einen ewigen Bund errichtet und uns strengst verpflichtet, diesem Bunde treu zu verbleiben. Er, der Allmächtige, verhieß uns die größten Lebensvorteile, so wir dem Bunde und dem Gesetze treu verbleiben, aber auch die größten Nachteile, wenn wir den Bund leichtsinnig brechen. Er gab uns aber auch das Recht, unsere Widersacher mit Feuer und Schwert zu verfolgen, wie solches auch Josua bei Jericho und später der große König David mit den Philistern gemacht haben, wo sogar nach Jehovas Geheiß der Kinder im Mutterleibe nicht geschont werden durfte. 5. So aber Jehova nun wider Seine Verheißungen und Beteuerungen, vielleicht ob unserer Sünden und unserer Lauheit und Duldsamkeit gegen unsere Widersacher, den alten Bund auflösen und uns schon völlig verlassen wollte, so würde Er das doch sicher auf eine Ihm leicht mögliche großartige Weise tun, auf welche Er mit uns vor ungefähr tausend Jahren den Bund errichtet hat, auf daß dann jedermann bestimmt und ungezweifelt wüßte, wie er daran ist! Nun aber ist das bisher noch lange nicht geschehen; wie kann sich dann ein noch so außerordentliche Dinge leistender Magier je unterfangen, gegen uns als eine stets gleichfort bestehende Satzung Gottes auf das allerschmählichste zu agieren anzufangen?! 6. Er solle die Kranken gesund machen, so viele er will, und solle zur Belustigung der Menschen auch Berge versetzen und andere noch so großartige Dinge verrichten; aber gegen den Tempel und seine heiligen Geheimnisse solle er nicht losziehen! Er aber tut solches stets mehr, untergräbt den Glauben und das Vertrauen des Volkes, nun besonders der Galiläer, zum Tempel gänzlich, so, daß uns diese gar häufig den Zehent nicht mehr geben wollen und uns obendrauf noch als größte und abgefeimteste Menschen- und Volksbetrüger verschreien. Sind wir das, so zeige es uns Jehova durch den Mund eines ordentlichen Propheten an, nicht durch einen galiläischen Zauberer, der sich für einen der größten Propheten, ja sogar für einen Sohn des Allerhöchsten ausgibt, da es doch geschrieben steht, daß aus Galiläa, das zu sehr von den Heiden unterspickt ist, nie ein Prophet aufstehen kann, und um so weniger ein Sohn Gottes, aus den Himmeln kommend! 7. Wenn wir aber, erstens durch Gottes Gesetz und zweitens durch den offenbarsten Drang der Umstände, genötigt sind, solch einen der alten Sache Gottes höchst gefährlichen Menschen zu verfolgen und wo möglich mit allen Gottesrechten mit unseren Händen aus dem Wege zu räumen und von der Erde zu vertilgen, tun wir da unrecht, wenn wir uns hierzu in dieser Zeit leider so manchen politischen Mittels bedienen müssen, um das uns überaus gefährliche Subjekt zu vertilgen?! Ich meine, daß du an der vollen Wahrheit dieses unseres wohlbegründeten, offenen Bekenntnisses nun keinen Zweifel mehr hegen wirst!“ Kapitel 149 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 149. — Des Cyrenius Zeugnis für den Herrn 1. Sagt Cyrenius: „Das nun wohl ganz und gar nicht; denn diesmal hast du die vollste Wahrheit, die sonst dem Munde eines Pharisäers nicht leichtlich entkommt, geredet und hast mein Gemüt wieder so recht heiter gestimmt! Übrigens aber muß ich dir denn bei der Sache, die deinen gar so gefährlichen Propheten oder gar Gottes Sohn betrifft, doch fürs erste die Bemerkung machen, daß Er bei euch leumundlich sehr verleumdet sein muß, und fürs zweite dir offen bekennen, daß ich den Höchstdenkwürdigen sehr wohl kenne und dir die offene Versicherung geben kann, daß Er ein höchst unschädlicher Mensch ist, der sich alle Mühe gibt, seinen Nebenmenschen nur zu nützen und sogar seinen allerärgsten Feinden, die offenbar ihr seid, trotzdem ihm alle eure großen Betrügereien, von denen weder einem Moses noch einem Aaron je etwas geträumt hat, nur zu wohl bekannt sind. 2. Oh, Er ist ganz Jude, aber nur im reinsten und echt mosaischen Sinne! Wo aber ist Moses, und wo ihr mit euren neuen Menschensatzungen? Er ist also wider das Nichtmosaische an euch, aber nicht wider euch selbst! Zu mir sind vom Volke aus schon eine so große Menge der empörendsten Klagen wider eure schnödesten Handlungen und Betrügereien gekommen, daß ich es mir wahrlich schon einige Male vorgenommen habe, euch mit bewaffneter Hand für alle Zeiten das Handwerk zu legen. Nur Er hat mich davon abgehalten! Wäre Er, der Sich meiner höchsten und vollsten Freundschaft bewußt ist, euer Feind, so hätte Er sicher nur eine größte Freude daran, so Er euch durch meine Hand in kürzester Frist ganz vom Schauplatze dieser Erde vertilgt haben könnte; allein gerade das Gegenteil! 3. Er bedauert eure große Verblendung, die ihr aber selbst angelegt habt. Er möchte euch nur zu der Wahrheit und zu dem einen, wahren Gott zurückführen, von dem ihr euch durch eure zahllosen Weltgelüste abgewendet habt, und mit euch den alten Bund erneuern; aber verderben will Er euch durchaus nicht. Wenn aber das Sein allerregster Wunsch und Wille ist, wie ist Er dann euer Feind? Hättet ihr Seine Mittel in euren Händen, wie oftmals hättet ihr Ihn schon getötet! Tut Er an euch etwas Ähnliches, wo Ihm doch dazu tausend der allerkräftigsten Mittel alle Stunden des Tages zu Gebote stehen?! Wie es in meiner Gewalt ist und steht, so habe ich auch Ihn einem höchst scharfen Examen unterzogen, welches Er auf das allerglorreichste bestanden hat. 4. Ich habe in Ihm eben jenen Menschen gefunden, den ich vor – sage – dreißig Jahren vor der grausamsten Verfolgung des alten Herodes gedeckt habe, und Er ist Ebenderselbe, der vor dreißig Jahren, als mein Bruder Augustus die Volksbeschreibung und -zählung im ganzen, weiten Römerreiche und somit auch im Judenlande einführte, zu Bethlehem in einem Schafstalle von des Zimmermanns Joseph jungem Weibe unter allerlei wunderbaren Erscheinungen geboren, von den Weisen des Morgenlandes durch einen sie dahin führenden großen Schweifstern erkannt und als ein künftiger König der Juden begrüßt und beschenkt, schon damals als eine ganz besondere Erscheinung für die Menschen dieser Erde von den erstaunten Hirten besungen ward, dessen ihr euch wohl noch ein wenig erinnern dürftet! 5. Sollte euch davon, obwohl ihr schon die sechzig Jahre Alters zählen dürftet, nichts zu Ohren gekommen sein, so steht hier mein Bruder Kornelius, der damals eben in Bethlehem das römische Beschreibungsgeschäft leitete, als ein sogar noch sehr wohl lebender Zeuge vor euch und nebst ihm ich selbst, der ich auch schon an dem kaum vierzehn Tage alten Kinde derartige Göttlichkeitsindizien wahrzunehmen und zu erfahren die höchst unerwartete Gelegenheit fand, die mich unter dem größten und ehrfurchtsvollsten Staunen keinen Augenblick in einem Zweifel ließen, daß dies Kind alleroffenbarst mehr als irgendein noch so vollkommenes Menschenkind sei. 6. Als ich nun in meinem Greisenalter das damalige Kindlein als einen Mann voll Geist und göttlicher Wunderkraft wiederfand, fand ich auch bald und leicht, daß Er eben aus dem besprochenen Kinde hervorgegangen ist, und es wird hoffentlich nicht schwer zu begreifen sein, daß ich dann selbst vor Ihm mein greises Haupt in der allertiefsten Ehrfurcht und Liebe zu beugen genötigt war, und das durch mein höchsteigenes Gefühl. 7. Und diesen Mann verfolget ihr so hastig und wollet Ihn gänzlich verderben und vernichten?! Oh, ihr allerunsinnigsten und blindesten Toren! Hat denn nicht Moses von Seiner Ankunft geweissagt und nach ihm nahezu alle großen und kleinen Propheten, die eure Väter in ihrer allererbärmlichsten Dummheit auch mit Steinen erschlugen, so wie ihr nun Diesen auch erschlagen möchtet?! Ihn, der allein euch allen helfen kann und auch will, verfolget ihr nun sogar schon mit aller List, heißet Ihn ein Scheusal, sprechet über Ihn den ärgsten Fluch aus und wollet Ihn dazu noch töten?! 8. Ihr habt diese Gegend, die ihr suchtet, nicht erkannt, weil der große, gefürchtete Fels aus dem Dasein verschwunden ist und diese ganze, ehedem überaus wüste Bucht in ein wahres Eden umgestaltet ward. Wer aber bewirkte das? Ich und alle hier Anwesenden sind Zeugen, daß dabei keine Menschenhand auch nur mit einem Finger betätigt war. Er war und ist unter uns und bewirkte solches Wunder bloß durch Seinen Willen! 9. Hier an meiner Seite steht ein Knabe; Josoe ist sein Name. Er lag schon beinahe zwei Jahre im Grabe, und nichts als die in Verwesung übergehenden Knochen waren von ihm noch vorhanden. Und dennoch war es dem von euch so bitter und hartnäckig verfolgten Manne ein leichtes, ihn bloß durch ein Wort also zu gestalten und wiederzubeleben, wie er nun da vor euch steht! 10. Dahier am Tische sitzen meine beiden Töchter, die mir durch arge Sklavenhändler geraubt wurden. Sie fielen bei einer Überfahrt übers Meer durch einen Sturm ins Wasser und schwammen, von den Unmenschen geknebelt, vollkommen tot auf der weiten Oberfläche des Meeres umher. Bei einem vorgestrigen Fischfangzuge, den wir alle mitmachten, wurden sie aufgefunden und hierhergeschafft. Eures Feindes Wort gab – Ihm allein alle meine Ehre! – ihnen also, wie ihr sie da sehet, das Leben wieder! 11. Nun frage ich euch, ob das wohl auch ein Magier zustande brächte, oder ob diese Zeichen in sich nicht schon großartiger sind als jene, die zur Zeit Mosis in der Wüste vollführt wurden! Was ich euch sage, das ist so streng wahr, wie ich selbst Cyrenius heiße, und es kann solches mit vielen hundert Zeugen noch mehr bekräftigt werden; und den Täter solcher Werke nennet ihr gewisserart ein Scheusal, verfolget Ihn und wollet Ihn sogar töten?! Welch ein kaum begreiflicher Grad von der allerblindesten Dummheit gehört doch wohl dazu!“ Kapitel 150 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 150. — Die Dummheit und Blindheit der Pharisäer 1. Sagt der Pharisäer: „Allerhöchster und gestrengst gerechter Gebieter! Wir sind Schriftgelehrte und haben die Chronik studiert; daher glaube ich, daß wir denn doch nicht gar so dumm sein sollten!“ 2. Sagt Cyrenius: „Seht, selbst diese eure Bemerkung war so dumm als möglich, und ebenso dumm eure Art und Weise, den Heiligen aus Nazareth zu fangen! Denn das hättet ihr euch bei einem Quentchen Verstand denn doch wohl denken können, daß wir Römer einen in sogar schlecht gemachter römischer Kleidung vermummten Juden von einem wirklichen Römer unterscheiden werden und nur zu geschwinde begreifen, daß dahinter eine so recht abgefeimte Lumperei steckt! Also hättet ihr euch wohl auch denken können, daß ich des Herodes Unterschrift wohl etwa nur zu gut kennen werde! Also hättet ihr euch wohl auch vorstellen können, daß ihr von mir auf der Stelle durchschaut und erkannt werdet in eurer gar argen Absicht, und daß darum euer Unternehmen ein höchst dumm gewagtes war, das euch um alles, sogar um euer bißchen Fleischleben, das euer größtes Heiligtum ist, hätte bringen können! Ich sage es euch: Wahrlich, das hätte ein Kind, von einigem Mutterwitze beseelt, euch mit Bestimmtheit voraussagen können, wie es euch mit eurem Unternehmen ergehen wird! Aber nein, – es ist ja gerade zum Schwindligwerden! Ihr hochweisen Schriftgelehrten habt das nicht zum voraus einzusehen vermocht! 3. Wisset ihr aber, worin das seinen Grund hat? Ich werde ihn euch sagen: Der schwelgende Prasser, dessen Magen noch nie eine Leere verspürt hat, kann sich unmöglich die Empfindung eines hungrigen Magens vorstellen; dem Tauben kommt es gar nie in den Sinn, wie es dem zumute wird, der die Harmonie einer rein gestimmten Äolsleier vernimmt; also kann sich auch der Stockblinde keinen Begriff von dem Eindrucke des Sehens und Schauens machen, und es ist in seinem Gefühle, als wären alle Menschen blind. Und ebenso und eigentlich noch ärger ergeht es dem geistig blinden und in der Wahrheit dummen Menschen! Er hält nicht nur alle Menschen für ebenso dumm, wie er selbst es ist, sondern für noch viel dümmer; denn sich hält er ja gar nicht für dumm, sondern für sehr weise nur. Er kann es gar nicht begreifen, wie möglich auch der B ebenso verständig und weise sein könnte, wie er selbst als A sich fühlt. Und darin liegt dann eben der Grund, warum solche höchst eingebildet dummen Menschen bei irgendeinem Unternehmen die Sache schon so dumm als möglich angreifen, wie ihr das soeben nur zu handgreiflich klar hier vor mir an den Tag gelegt habt. 4. Weil ihr aber eben so dumm seid, so begreifet ihr ja auch unmöglich die unnennbar großen Zeichen dieser Zeit, wie ihr auch trotz aller eurer so hoch gepriesenen Schriftgelehrtheit gar keinen Dunst von dem habt, was Moses und alle die andern Seher von dieser jetzigen Zeit, und namentlich von dem Messias der Juden und Seinem Reiche auf Erden geweissagt haben. Es ist daher das wie dies euer Unternehmen nur eurer zu großen und groben geistigen Blindheit zuzuschreiben; denn bei einigem Geisteslichte müßtet ihr denn ja doch um eures Jehova willen einsehen, daß gegen eine Macht, wie da ist die unsrige, von eurer Seite wohl ewig nichts mit Erfolg auszurichten sein wird, und noch weniger gegen einen von dem allmächtigsten Geiste Gottes erfülltesten Manne, der es nur ganz leise zu wollen braucht, – und die ganze Erde ist in einem Augenblick aus dem Dasein verschwunden! 5. Wahrlich, sage ich es euch: fünfmal hunderttausend solche Menschen, wie ihr es seid, fürchte ich mit hunderttausend Mann geübter Krieger nicht; aber was würden mir tausend Male soviel Krieger gegen den allmächtigen Willen solch eines Mannes nützen? Ein Gedanke von Ihm, und sie sind nicht mehr! Und ihr wollt mit eurer List und Staatsklugheit solch einen Gottmenschen fangen und gar töten, – und das ohne irgendeinen haltbaren Grund auch noch dazu? Saget es mir nun aber ganz aufrichtig, ob ihr nun eure gar zu große und grobe Dummheit noch nicht einsehet und nun schon ordentlich mit den Händen greifet!“ 6. Sagt der Pharisäer: „Wenn ich offen zu dir reden dürfte, wollte ich dir auch einiges sagen, was vielleicht dir, höchster Gebieter, in dieser Sache auch ein wenig die Augen öffnen möchte; aber man kann mit dir nicht reden und rechten, wie solches wir Weisen des Tempels unter uns zu tun pflegen! Dürfte ich aber ungestraft mit dir so ganz von der Leber weg reden, so würdest du dann vielleicht auch sehr große Augen zu machen anfangen!“ 7. Sagt Cyrenius, sogar mit einer Art verhaltenem Lächeln: „Wahrlich, dir gestatte ich ganz frei zu reden; keine Strafe soll deinen Worten folgen!“ Kapitel 151 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 151. — Die Tempelmoral des Pharisäers. Die Wunder Mosis in pharisäischer Beleuchtung 1. Hier nahm der Pharisäer einen ordentlichen Anlauf, stellte sich ganz gerade auf und fing an, folgendermaßen zu reden: „Höchster Gebieter! Du weißt viel, und dein Verstand erglänzt wie ein reinster Diamant im Sonnenlichte; aber ich weiß auch etwas, so ich es nach unserer Sitte auch nicht immer zur Schau trage und eigentlich auch nicht tragen darf! Wo es aber not ist, da soll es auch offenbar werden! So der Mensch einem Institute einmal auf dieser lieben Erde angehört und leider durch Geburt, Sitte, Gesetz und durch den irdischen Drang der Umstände genötigt ist, des lieben Magens wegen zu seiner Standarte zu schwören, so ist man dadurch auf dieser Welt geistig schon so gut wie gestorben. Im Anfange freilich wohl noch nicht ganz; aber so nach und nach immer mehr! 2. Denn wenn man vor den Augen der Menschen ohne Unterschied mit allen Mitteln irdischer Gewalt fort und fort genötigt wird, ein X für ein U zu machen, dann hört alles Denken auf! Man muß sich selbst eines jeden helleren Gedankens wegen ordentlich zu verfluchen anfangen und sagen: ,Fahre hin, du reines Licht der Himmel! Bin ich verdammt, ein Teufel zu sein, so sei ich auch ein Teufel! Ob listig oder dumm, darauf kommt's dann wahrlich nicht mehr an! Muß ich ein X statt ein U sein, so bin ich's; ich kann derlei alte Verhältnisse unmöglich ändern!‘ 3. Mit der Zeit lebt sich der Mensch in seine Teufeleien so ganz gemütlich hinein und denkt sich: ,Weil du schon zu einem Narren geboren bist, auch als ein solcher erzogen warst, so bleibe, was du bist! Ist dein Magen gut, so ist dann aber auch schon alles gut! Iß und trink und genieße das Leben, solange und wie es sich nur immer bestens genießen läßt!‘ Kommt dann der letzte Tag, die letzte Stunde, dann sind alle Fesseln gelöst, und alle Gesetze haben für den für ewig aufgehört, der in sein Nichts zurückgekehrt ist! 4. Lüge und Wahrheit reichen sich da allerfreundlichst die Hände, wo die volle Nichtigkeit alles Seins zu Hause ist. Unter solchen allersichersten und vollwahrsten Aussichten ist es dann wohl höchst gleich, unter welcher Narrenkappe man das Leben auf dieser Erde durchgemacht hat. Solange man aber lebt, sollte man dennoch des eigenen irdischen Wohles wegen sorglichst alles hintanzuhalten trachten, was einem das bißchen Leben verbittern und unangenehm machen kann; alles andere ist Fabel und Schimäre. Wer das Leben aber für etwas Höheres ansieht, der betrügt sich nur selbst. 5. Diese Ansicht stelle ich aber nicht als eine in der Natur der Dinge begründete Sache, sondern nur als Folge auf, da nahezu ein jeder Mensch, der fix irgendeiner Weltnarrenkaste angehört, zu dieser Ansicht gelangen und sich endlich ganz hineinleben muß, weil er nicht anders denken, reden und handeln darf, als wie es ihm die stereotypen Kastengesetze vorschreiben. Ich kann ein oder tausend Male allerhellst überzeugt sein, daß es sich mit dem Nazaräer gerade so verhält, wie dein hoher Mund es mir ehedem bekannt gemacht hat; was nützt mir das dann? Solange ich ein geschworenes Mitglied der Kaste bin, bleibt mir doch sicher nichts übrig, als mit ihr aus vollem Halse zu heulen: ,Nieder mit ihm! Denn er ist ein Gefährder unseres Institutes und beschränkt dessen notwendige Einkünfte!‘ 6. Ich kann mir, ganz bei mir heimlichst, freilich denken: ,Die Gesamtkaste will es und hat durchs Los dich zu ihrem Werkzeuge gemacht! Und so ziehe ich denn auch aus und handle blind nach den erhaltenen Vorschriften, über die hinaus oder unter die ich nichts irgend nach meiner Privatansicht unternehmen kann und darf!‘ Ferner denke ich mir aber noch geheimer: ,Ist an dem zu Verfolgenden etwa im Ernste etwas, so wird er mit uns bald fertig werden, und wir werden als die Besiegten unsere geweihten Gemächer wohl kaum mehr zu sehen bekommen; ist aber weiter nichts an ihm als eine neue Maulmacherei, wie sie uns schon tausend Male vorgekommen ist, dann ist er ganz gut weg, wenn man seiner nur habhaft werden kann! Denn was bezweckt er? Nichts als die Gründung eines neuen und vielleicht noch ärgeren Kastentums!‘ 7. Oh, im Anfange sieht alles gar so göttlich aus! Sehen wir an das Leben Abrahams und seiner ersten Nachkommen! Man sieht die Gottheit mit ihnen gar oft sichtbar umgehen und sie den Weg der Gerechten führen, – nota bene, wir waren freilich nicht dabei! Aber zu der Zeit Mosis, – wie haben da die Kinder Abrahams ausgesehen! Moses war wieder einmal einer, der die alten Weisen Ägyptens ganz gehörig durchstudiert haben muß! Er war in alle Schwächen des ägyptischen Hofes eingeweiht, hatte wahrscheinlich den Durst bekommen, selbst Herrscher dieses Reiches zu werden und räumte sich zu dem Behufe die legitimen Prinzen des Pharao aus dem Wege. 8. Der erste Plan mißlang. Er ergriff die Flucht und ersann einen andern Plan, um sein stammverwandtes, aber sonst unters Tierreich gesunkenes Volk durch geheime Propagandisten gegen den von der Wollust entmannten Pharao gehörig aufzustacheln. Als er erfuhr, daß sein Volk schlagfertig dastehe, da kam er selbst, mit großer Zaubermacht ausgerüstet, und fing an, dem Könige zu diktieren. Seinem Volke aber, das vielleicht noch so einen Dunst hatte von den früheren divinativen (göttlichen) Zuständen der Altpatriarchen, stellte er sich als einen Sendling Jehovas vor, machte ihnen allerlei dem Volke gar leicht begreiflich unbegreifliche Wunder vor, und so folgte ihm das Volk wie die Schafherden dem Leithammel. 9. Er wußte um die Eigenschaft des Meeres gar wohl, daß es täglich zweimal steige und wieder falle. Er hat den möglichen Durchgangspunkt lange vorher ausgespäht. Nur kaum zwei mäßige Stunden Weges ist die ganze Bucht breit. Zur Zeit des Niederstands des Meeres wird in der Mitte durch die Bucht ein über eine Stunde Weges breiter, fester Steinboden stets und gut auf drei Stunden Dauer vollkommen von Wasser frei und dient den Reisenden, wenn das Meer von keinem Sturme bewegt wird, als eine beste Übergangsbrücke. Schnellen Schrittes kann man ihn sogar in etwa einer starken Stunde Dauer durchmachen und befindet sich also auf dem kürzesten Wege gleich in der arabischen Wüste, die man sonst zu Lande, da sich das Meer über dieses Riff noch mehrere Stunden weit ausbreitet und ziemlich tief ist, kaum in vier bis sechs Tagen erreicht. 10. Moses berechnete das sehr klug, da er, wie sonst niemand von Pharaos Hofe, eine ganz gediegene Territorialkenntnis besaß. Er führte seine Massen schnellsten Schrittes über das Riff in die arabische Wüste und allerschroffsten Gebirgsgegenden, in denen, außer seinen Schwiegereltern etwa, wohl niemand etwas besaß. Ihm war darum diese Gegend und deren andere naturwunderlichen Eigenschaften, die unser Prophet sicher zu benutzen verstand, wohl sicher bekannt. 11. Aber lassen wir nun das und sehen uns noch ein wenig nach den übers Meer ziehenden Israeliten um, und wir sehen sie wie auf den Flügeln des Windes gerade den Weg vollenden, als Pharao, nun von Wut und Grimm entbrannt, seinem Heer auf demselben Wege den Israeliten nachzustürmen befiehlt. Wäre Pharao früher gekommen, so wäre unser guter Moses sicher nicht mit ganz heiler Haut davongekommen; aber seine Saumseligkeit und die Wegräumung der mannigfachsten Hindernisse haben sein Heer aufgehalten. Moses bekam einen bedeutenden Vorsprung und entkam seinem ihm nachsetzenden Feinde ganz glücklich. Als nun Pharao, dem Moses durch dasselbe Riff nachjagend, kaum eben des besagten Riffes Mitte erreichte, da fing das Meer wie gewöhnlich an, sehr rasch zu steigen und seine Wogen über des Pharao Heer zu treiben, und dieses fand da leicht begreiflich seinen sichern Untergang in den Fluten.“ Kapitel 152 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 152. — Weitere Erklärungen von alttestamentlichen Wundern 1. Hier unterbrach Cyrenius den Erzähler und sagte zu ihm: „Gar so dumm, wie ich anfänglich glaubte, bist du wohl mitnichten; aber weil du die Sachen denn gar so gut ganz aus der Natur heraus zu verstehen scheinst, so möchte ich denn doch von dir erfahren, wie du mir die bekannte Erscheinung aus der Bundeslade, und zwar deren tägliche Rauch- und deren nächtliche Feuersäule, erklären wirst. Wie entstand denn hernach diese auf deinem so ganz natürlichen und wunderlosen Wege?“ 2. Spricht der Pharisäer ganz leichten Gemütes: „Hoher Gebieter! Nur einen kleinen Blick in die alte Kriegführung gemacht, – und die berühmte und so sehr vergöttlichte Bundeslade ist fertig! Der Kasten selbst war nach der altägyptischen Art ein wohlkonstruiertes, Elektrizität im größten Maße erzeugendes Instrument. Hinter dem höchst komplizierten Kasten waren eherne Karren zum Rauchmachen. Man füllte sie mit allerlei stark rauchenden und zumeist aber auch sehr stinkenden Sachen, wie Federn, Haaren von allerlei Tieren und auch Menschen, bestreute solche Rauchingredienzien mit Schwefel, Pech und Salniter (Salpeter) und zündete dann einen solchen Karren an. Das gab einen dickmächtigen Rauch, der in kurzer Zeit hinter sich, besonders bei einem schnellen Karrenzuge, den Weg, einem dichten Nebel gleich, verhüllte und dem nachziehenden Feinde die Aussicht auf die Wendungen und Stellungen des verfolgten Heeres benahm, zugleich aber auch, als den Kamelen, Pferden und Elefanten zu unausstehlich widrig, diese Kriegstiere zur Umkehr und zum Rückzuge brachte, was für den verfolgenden Feind sicher keine wünschenswerte Sache war. Daß hinter einem flüchtigen Heere oft mehrere der nun beschriebenen Karren gezogen wurden, läßt sich wohl von selbst denken. – Da wäre nun im wahren Bilde die so wundervolle und gar überheilige Bundeslade Mosis, und ich kann zu dir, allerhöchster Gebieter, auch mit gutem Gewissen sagen: SAPIENTI PAUCA!“ [Dem Einsichtsvollen genügt weniges!] 3. Sagt Cyrenius: „Gut, lassen wir also das! Wie aber erklärst du mir dann den Einsturz der Mauern der alten, großen Stadt Jericho? Die Bundeslade ward herumgetragen um die Mauern der Stadt, begleitet von den mächtig schallenden Posaunen nach der Art, wie sie schon bei den alten Ägyptern in den Tempeln üblich waren, und ich glaube, schon beim dritten Umzuge stürzten die Mauern wie Brei zusammen. Wie war denn das möglich? Der Schall von einer Million Posaunen hätte das für sich wohl nimmer zu bewirken vermocht! Erkläre mir denn auch das auf deine natürliche Weise!“ 4. Sagt der Pharisäer, einen hübsch lauten Lacher voranschickend: „Na, das wird etwa doch mit den Händen zu greifen sein! Man erzählt sich von den alten Ägyptern mit der größten Bestimmtheit, daß sie mittels der rechten Benutzung der Elektrizität die Schiffe der Feinde zertrümmerten und verbrannten. Hier sehen wir die gewisse Lade mehrere Male um Jerichos Mauern wandern, – und Josua wird es wohl der Wahrheit nach gewußt haben, warum er das getan hat! Er muß mit der Behandlung und Wirkung der Lade sehr vertraut gewesen sein! Ich meine da auch wieder: Sapienti pauca!“ 5. Sagt Cyrenius: „Ja, die Sache läßt sich hören; aber so die Lade nichts als so eine pure Elektrizitätsmaschine war, so müßte sie ja noch heutzutage das sein!? Warum macht sie denn heutzutage nicht dieselbe Wirkung?“ 6. Sagt der Pharisäer: „Nun, davon wird der Grund wohl etwa doch auch ein sehr begreiflicher sein? Besehen wir uns ein Haus, das ungefähr tausend Jahre Alters zählt, oder ein Schiff, oder einen Rock; der wird von solch einem Alter wohl etwa auch ein schon sehr stark anderes Aussehen haben! Sogar Steine verwittern oft in tausend Jahren sehr merklich, – um wieviel mehr ein altes Holz und die unedleren Metalle, als etwa das Kupfer und das Eisen; sogar dem Golde kennt man tausend Jahre recht gut an! 7. Wir sind noch im Besitze der alten, kunstvollen Lade, die aber mit der Zeit schon derart schadhaft geworden ist, daß sie von der ursprünglichen wirkungmachenden Einrichtung ebensoviel mehr besitzt wie ein Greisenmund der gesunden Zähne, die er schon lange losgeworden ist. Zudem haben die Babylonier ganz gut verstanden, den Tempel samt der Lade zu plündern. Wir aber verstehen es nicht, wie die Lade einst eingerichtet war. Der Form nach haben wir wohl eine ganz gleiche anfertigen lassen; aber die Wirkung der alten kann sie unmöglich haben, weil ihr die erforderliche innere Einrichtung gänzlich mangelt und mangeln muß, weil in dieser Zeit bei uns wenigstens niemand mehr sie einzurichten versteht. – Ich meine, höchster Gebieter, daß ich mich auch darüber möglichst klar ausgedrückt habe!“ 8. Sagt Cyrenius: „Ja, wenn denn aber also schon alles so gewisserart auf einem feinen, frommen Betruge basiert ist, wie kannst denn hernach du mit deiner ganz kerngesunden Ansicht und Einsicht ein wohlkonditioniertes Mitglied solch einer Truganstalt verbleiben?“ 9. Sagt der Pharisäer: „Das ist ja eben des Satans Kern! Weil man als noch ein Blinder zum Mitgliede der Kaste geworden ist! Als ein Sehender hätte man sich etwa wohl schwerlich je dazu bekannt! Ist man aber nun schon einmal dabei und sieht, daß die ganze Welt ein Narrenhaus ist, nun, so macht man denn notgedrungen einen Narren des lieben Magens wegen mit, wie auch der Heilsamkeit der gerne gesund sein wollenden Haut wegen! Eine Desertion wird bei unserer Kaste aus wohlweisen Gründen noch immer mit dem keineswegs angenehmen Tode der Steinigung ohne alle Nachsicht bestraft! – Ich meine, daß diese Antwort auch sehr begreiflich und hinreichend verständig gegeben ist.“ Kapitel 153 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 153. — Die Naturphilosophie des Pharisäers 1. Sagt Cyrenius: „Aus allem dem, was du mir nun erzählt und erörtert hast, geht aber auch klar hervor, daß du als ein frommer Gottesdiener noch nie an einen Gott geglaubt hast; wie kann man aber ein sogar strenger Diener eines Wesens sein, das für euch gar nicht besteht?“ 2. Sagt der Pharisäer: „Nun, das erklärt sich auch ganz leicht aus dem früher angeführten äußerst triftigen und für alle Zeiten gültigen Grunde! Was vermag ein noch so gewecktes Kind gegen die Macht und physische Stärke seiner Eltern und oft überdummen Lehrer? Es muß sich fügen! Ich setze den Fall: Ihr Römer habt mit eurer unwiderstehlichen Macht uns unterjocht. Wer von uns konnte eurer Macht Widerstand leisten? Ihr hättet uns aber statt eurer sehr weisen und gerechten Gesetze zum Beispiel die dümmsten zur strengsten Beachtung auferlegt. Könnten wir Schwache etwas anderes tun, als sie ebenso genau beachten, wie wir diese nunmaligen weisen beachten? Die äußere Macht wirkt mit unwiderstehlicher Kraft, und man muß sich ihren Anordnungen fügen. Auf dieser Erde ist ja nur alles ein Schein und kein wahres Sein. 3. Man sucht die Wahrheit, man sucht Gott. Wo und was aber ist da die Wahrheit, und wo und wer ist da Gott?! Jedes Volk erkennt und hat einen andern Gott und bestimmt danach die Sätze, die demselben Volke als eine heilige Wahrheit aufgetischt werden. Sind sie darum etwa auch für uns eine Wahrheit? Wir lachen darüber und können gar nicht begreifen, wie möglich ein Volk solch unlogisches, allerdümmstes Zeug zusammenglauben kann! Gehen wir aber zu jenem Volke und befragen es um das Urteil über unsern Glauben, so es vom selben etwas weiß, und es wird auch nicht begreifen, wie wir alles das Unsrige glauben und halten können! Etwas Gutes für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung liegt überall darin, – aber darum noch lange keine Wahrheit und noch weniger eine wirklich irgendwo seiende Gottheit! 4. Dort die Sonne ist eine Wahrheit und die wirkende Gottheit für sich und auch für uns, obwohl wir uns bloß nur mit ihrem Scheine begnügen müssen, darum es auch etwa hier auf dieser Erde durchaus mehr einen Schein als irgendein wahres Sein gibt. Oder bewirkt hier etwa nicht alles der Sonne Schein? Alles, was da ist, entsproß durch des Sonnenlichtes Schein und seine wunderbare Wärme, und solange es besteht, besteht und lebt es durch den Schein der wirklich allmächtigen Sonne; denn es wird von einer Seite her stets zur Hälfte beschienen, die andere Hälfte hat den Schatten. 5. Am Firmamente prangt in großer Majestät also die wirkliche Lichtsonne als vollkommene Wahrheit. Die Erde und alles auf ihr ist ein Werk ihres Lichtes oder Scheines, also schon selbst mehr Schein als Sein. Hinter dem Scheinsein der ganzen Erde und aller Dinge befindet sich unvertilgbar der Schatten als eine komplette Lüge; und gerade der Schatten ist es, den alle Wanderer suchen und meistens lieben, und der Schlaf unter dem allgemeinen Schatten der Erde, den wir ,Nacht‘ zu nennen pflegen, ist und bleibt nach des Tages Arbeiten und Mühen die größte, stärkendste und angenehmste Erquickung des Lebens! 6. Und darum scheint es mir auch, daß die Menschen unter der Herrschaft der möglich reinsten Wahrheit moralisch genommen ebensowenig bestehen könnten wie ihr leibliches Wesen ohne Schlaf. Was alsonach der Schlaf dem Leibe ist, das ist eine wohlkonditionierte Lüge dem ganzen moralischen Menschen Und da kommt es dann freilich nicht darauf an, was für eine Gestalt eine Lüge haben soll! Verschafft sie dem moralischen Menschen nur die gewisse befriedigende und sehr erquickliche Hoffnungsruhe und eine halbbeschienene und leicht annehmbare Zuversicht, so ist die Lüge gut, und die reinste Wahrheit kann zu ihr ums Brot betteln gehen. 7. Solange Menschen auf der Erde wohnen, war es so; jetzt ist es auch so und wird auch so bleiben bis an ein mögliches Ende aller Zeiten. Die Menschen werden gleichfort die Wahrheit suchen, aber dabei aus der Schüssel der Lüge essen und leben. Stets wird es unter den gar vielen dummen Menschen auch Weise geben, die den Menschen ein Licht der Wahrheit vorhalten werden. Aber je heller sie die Menschen immer nur auf der einen Seite beleuchten werden, desto bestimmter und ausgeprägter wird sich hinter den von vorne hellst erleuchteten Menschen der Schatten als stete Folge des Lichtes ausnehmen lassen! 8. Wie aber das Licht stets auch den Schatten bewirkt, ebenso bewirkt die reinste Wahrheit auch stets die vollkommenste Lüge. Denn ohne Wahrheit gäbe es ja auch keine Lüge und ohne Lüge nicht leichtlich eine Wahrheit. Jede Wahrheit aber birgt ja wenigstens die Fähigkeit in sich, eine Lüge zu erzeugen, so wie das Licht den Schatten. Was nun von beiden das Bessere ist für den Menschen, darüber richte ein jeder Mensch eine Frage an sich, aber treu und offen und sich nichts verhehlend! Ein gerechter Richter richtet den Lügner und Betrüger nach dem Gesetze und lebt von seinem Amte; wo aber ist derjenige, der mir für allgemein begreiflich machen kann, daß das Gesetz selbst eine Wahrheit ist? Es ist ein angenommener und sanktionierter Satz, hier so, an einem andern Orte anders! Wo ist da die Wahrheit, wo eine Lüge die andere straft? – Ich meine auch hier wieder: Sapienti pauca!“ 9. Mit dem hatte Cyrenius vorderhand genug, ließ die Pharisäer abtreten und sagte zu Mir: „Nein, hörest Du? – So etwas ist mir noch nie vorgekommen! Roklus hat auch zu reden verstanden in seiner rein vernünftigen Sphäre; aber ich bin ihm in meinem Innern stets Meister geblieben. Dieser Pharisäer aber hat mich nun so eingerahmt, daß ich ihm darauf gar nichts einzuwenden vermag! Ich habe mir die Pharisäer stets um sehr vieles dümmer vorgestellt; aber der hat es mir bewiesen, daß sie gar nicht dumm sind! – Was soll aber nun mit ihm unternommen werden?“ Kapitel 154 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 154. — Der Hinweis des Cyrenius auf des Herrn Wunder 1. Sage Ich: „Laß dir aber nun von ihm Meine Wunder erklären, und du wirst dich überzeugen, daß er sie dir ebenso natürlich zu erklären wissen wird wie jene des Moses! Darauf erst werden wir ihm zeigen, in welch einer großen Irre er sich befindet. Rufe ihn zurück und tue das; denn das ist ein Saftiger!“ 2. Cyrenius tat schnellst, was Ich ihm angeraten hatte, und die Gesellschaft der Pharisäer kam tiefst gebeugt vor Ehrfurcht vor den Oberstatthalter, und der das Wort führende Pharisäer fragte in tiefster Gebeugtheit, was sie nun etwa nach seinem hohen Ratschlusse zu gewärtigen hätten. 3. Sagt Cyrenius: „Nichts anderes, als daß wir also weiter die Sache des Göttertums, des Menschenglaubens, der Propheterei und der dabei doch oft vorkommenden Wundertätigkeiten nach deiner mir stets mehr einleuchtenden Weise verfolgen werden; denn Klarheit muß mir werden, entweder so oder so! 4. Du hast mir vorhin die Geschichte von Moses und den alten Wundern wahrlich sehr begreiflich gemacht, und ich kann mir nun schon eher die Erscheinungen nach deiner Erklärung als wahr denken denn nach irgendeiner andern. Natürlich hat das des Volkes wegen streng unter uns zu verbleiben! Aber sieh, trotz deiner Erklärung drückt es mich wie eine schwere Sorge und Verantwortung! Das, was ich hier wahrlich auf die wundersamste Weise von der Welt mit meinen höchst eigenen Augen gesehen und vernommen habe, für alles das stehen hier Zeugen beinahe von allen Weltgegenden: Heiden und Juden, Essäer, der Skythenkönig Ouran mit seinem Gefolge, selbst an Persern fehlt es nicht, – lauter Autoritäten ersten Weisheitsranges, wie in dieser Zeit nun die Weisheit vertreten ist. 5. Betrachte dies herrliche Badehaus und erst seine innere, überköstliche und unschätzbare Einrichtung, den Garten mit der weithin gehenden Einfassungs- und Schutzmauer! Betrachte die herrlichen Früchte im Garten von allen edelsten Arten und Gattungen! Es strotzt alles vor Üppigkeit, und viele Früchte stehen schon vollreif da. Betrachte ferner die herrlichen Wasserquellen, wie sie nicht leichtlich irgend besser bestehen! Dann führe deine Augen ans Meer! Betrachte den Hafen und seine in den tiefen Grund des Sees hinabreichende überaus feste Schutzmauer, die fünf herrlichen Schiffe, die Sperrkette! Danach sieh nach der Stelle hin, wo ehedem der große, den Schiffern oft sehr gefährliche Fels gestanden ist! Sieh, keine Spur mehr davon bis in die tiefste Tiefe hinab! 6. Sieh dort weit übers Meer in die Gegend von Genezareth! Hat dort nicht einmal erst vor ein paar oder längstens vier Wochen ein furchtbar hoher Fels gestanden, der seine senkrechten Wände tief ins Wasser hinabstreckte und dessen Scheitel früher wohl nie von einem Sterblichen betreten ward? Jahrtausende zogen an seiner trotzigen Stirn vorüber, und der Zeiten Zahn vermochte an seinen Granitmassen nichts auszurichten. Aber vor der früher benannten Frist von etwa vier Wochen kam eben der von euch verfolgte Prophet aus Nazareth dahin und verrichtete dort nebst vielen andern Wunderwerken auch das, daß Er jenen Felsberg also sanft und besteigbar gestaltete, daß er nun von allen Seiten ohne alle Gefahr sogar von Kindern mit der größten Leichtigkeit bestiegen werden kann. 7. Wer kannte nicht die höchst ungesunde Fiebergegend von Genezareth? Alles litt an einem das Leben verzehrenden Fieber, besonders die Fremden, die nicht selten siechend dort jahrelang zubringen mußten, um durch die Angewöhnung des Klimas zu so viel Gesundheit zu gelangen, um dann weiterreisen zu können. Selbst unsere Soldaten von kerngesundester und festester Art wurden dort oft sterbenskrank und füllten die Krankenhäuser. Der Prophet aus Nazareth kam hin, segnete die Gegend, und nun ist sie eine der gesündesten von ganz Galiläa, und alle die Kranken wurden im Augenblick gesund. 8. Nun, das sind Tatsachen, die vor unseren Augen geschahen, und uns kann wahrlich niemand beschuldigen, als wären wir leichtgläubige Menschen, denen ein jeder Gaukler aus Ägypten, Indien oder Persien seine Wunder als eine bare Münze anbinden kann. Da ist es, wo einem aller Verstand stillestehen bleibt. Ich lasse es gelten, daß sich alle die auf Moses Bezug habenden Dinge auf eine ganz natürliche Weise erklären lassen; denn fürs erste tragen sie – so bei deinem Lichte betrachtet – wohl ziemlich stark das Gepräge der Natürlichkeit, und fürs zweite haben wir außer den schwerverständlichen Büchern, die von seiner Hand herrühren sollen, keine anderen Zeugen, die uns davon irgend bessere Daten angeben könnten. Die griechischen Chronisten wissen wenig oder nichts davon. 9. Sei ihm nun aber schon, wie ihm wolle; lassen wir das lange Vergangene und beschäftigen wir uns nun mit dieser überaus großartigst wunderbar glänzende Gegenwart! Wie möchtest du mir denn nun diese neuen Wunder erklären? Wahrlich, ich will dich überköniglich belohnen und auszeichnen, so du mir da auf eine gleiche Weise aus meinem divinativen Traume zu helfen vermagst, und ich verspreche dir sogar meinen tätigsten Beistand zur Verfolgung und Vernichtung deines berüchtigten Propheten!“ Kapitel 155 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 155. — Die Belehrung der Pharisäer durch ein Weinwunder 1. Sagt der Pharisäer: „Wann war dieser Nazaräer hier, und wie lange hat er sich allda aufgehalten, und ist er schon früher einmal dagewesen?“ 2. Hinter dem Cyrenius stand auch der alte Markus und nahm das Wort, sagend: „Dieser göttliche Mann war früher niemals je in dieser Gegend, kam mit Seinen etwelchen Jüngern erst vor etwa acht Tagen hierher und brachte nichts als allein Seinen allmächtigen Willen mit, und Seine Jünger waren stets wie Lämmer um Ihn. 3. Das erste Wunder aber war, daß Er mir befahl, alle meine ziemlich vielen Weinschläuche mit Wasser zu füllen, was ich denn auch sobald durch meine Kinder tun ließ. Und siehe da, kaum waren die Schläuche gefüllt, so war das Wasser, wie es der See enthält, auch schon in den allerköstlichsten Wein umgewandelt! Hier ist noch ein voller Becher eben des wunderbaren Weines! Verkoste ihn und gib dann dein Urteil ab!“ 4. Der Pharisäer nahm den Becher, kostete den Wein beinahe bis zum Boden des Bechers aus und sagte: „Wahrlich, einen bessern Wein habe ich noch nie über meine Zunge gelassen! Ist deine Aussage, du alter Krieger, aber auch wohlverläßlich wahr?“ 5. Sagt Markus: „Wer mich kennt, wird wissen, daß meine Zunge noch nie durch eine Lüge verunreinigt worden ist. Wer aber da noch fragt, dessen Glaube ist noch immerhin kein starker. Um dir aber ein wenig die Sache näherzubringen und deinem bunten Naturverstande einen Stoß zu versetzen, ersuche ich dich, mit mir an den See mit diesem ganz leeren Kruge zu gehen und ihn selbst mit Wasser zu füllen, und ich stehe dir dafür, daß der noch unter uns weilende Prophet bloß durch Seinen Willen das Wasser augenblicklich in den Wein verkehren wird! Oder sollte es dich bedünken, daß etwa der Krug schon also zu dem Behufe präpariert wäre, so nimm eines deiner Gefäße und gehe hin an den See, schöpfe dort das Wasser an einer beliebigen Stelle, und wie es im Gefäße sein wird, so wird es auch in den Wein, wie du ihn nun verkostet hast, in einem Augenblicke umgewandelt werden! So ich lüge, da soll dies neue Haus samt dem Garten und samt allen meinen übrigen großen Schätzen völlig zu deinem Eigentume werden!“ 6. Hier zog der Pharisäer einen Goldbecher aus einem Rocksacke und sagte: „Ich werde es sehen. So das Seewasser darin zu solchem Weine wird, dann gehört dieser kostbare Becher dir!“ 7. Mit diesen Worten eilte der Pharisäer samt seinen Gefährten hinaus an den See und schöpfte Wasser, und das Wasser im Becher ward stets zu Wein. 8. Als sich auch alle die Gefährten überzeugt hatten von dieser großen und wunderbarsten Wahrheit, da eilten sie, sich hoch verwundernd, wieder zum alten Markus hin, und der Pharisäer sagte: „Da, nimm den Becher; denn du hast die Wette gewonnen! Ja, da bleibt nun wahrlich auch mir der Verstand stecken! Was soll ich nun dazu sagen? Da geht es nicht mit natürlichen Dingen zu! Es ist sehr merkwürdig: Nicht nur der Geschmack, sondern auch der Geist des Weines war im reichlichen Maße dabei, so daß wir alle beinahe berauscht worden wären! Da kann wahrlich nichts anderes wirken als der Wille des Nazaräers, und es dient uns das als ein Beweis, daß im Ernste auch seine anderen Wunderwerke auf dieselbe Weise zustande gebracht wurden! 9. Wenn man die immerwährende Natürlichkeit der Erscheinungen auf dieser Erde vor sich hat und von einem Wunder – außer den persischen Gaukeleien und den geschriebenen, die aber stets in einen großen Mystizismus verhüllt sind – in seinem ganzen Leben selbst nie etwas zu Gesichte bekommen hat, so wird einem am Ende sogar das ordentlich unglaubbar, was man am Ende nun selbst wirklich und ungezweifelt erlebt hat. 10. Aber was nützet da auch dieses alles, so man den Grund davon nicht einsehen kann? Ja, höchster Gebieter, bei diesen Erscheinungen, die zweifelsohne sich also verhalten, hört alles natürliche Erklären auf! Denn das ist wahrhaft ein Wunder! Dieses kann ebensowenig je natürlich erklärt werden wie die Schöpfung der Welt aus einem für unsere Begriffe und Wahrnehmungen ursprünglichen Nichts. Die ganze Schöpfung ist demnach nichts anderes als ein fixierter Wille der göttlichen Urkraft und des Urseins alles Seins.“ Kapitel 156 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 156. — Die Zweifel des Pharisäers am Dasein Gottes 1. Sagt nun wieder Cyrenius: „Ganz gut, ich bin mit euch vorderhand auch also zufriedengestellt, und wir haben also dabei zu verbleiben; aber es ergibt sich nun eine andere Frage, und diese besteht darin: Weil diese Werke hier nun einmal unfehlbar ganz bestimmt allerpurste Wunder sind und Moses und die vielen andern Seher und Propheten diesen Mann, der nun vor uns solche nie erhörten Dinge wirkt, genau zum voraus beschrieben und derart haarklein gezeichnet haben, daß es nicht möglich ist, anzunehmen, sie hätten noch irgendeinen andern meinen können, so kommt es wenigstens mir vor, daß ihre entsprechungsvollen Vorhandlungen denn doch wunderbarer Art sein mochten! Daß dabei auch so manches Natürliche benutzt wurde, läßt sich nicht in Abrede stellen; aber im ganzen war denn doch das meiste sicher ein großes Wunder, das ebenfalls, so wie diese Wunder hier, nur durch den allmächtigen Willen Gottes, der als Gottes Geist durch den Menschen sich offenbarte, bewirkt wurde. Das ist so meine Meinung. – Was ist da die deinige?“ 2. Sagt der Pharisäer: „Nun ja, wenn die Sachen sich also verhalten, dann läßt sich gegen diese deine hohe Meinung meines Wissens eben nicht vieles einwenden; nur das einzige läßt sich dabei schwer oder gar nicht begreifen: warum denn Gott, so Er irgend einer ist, die Menschheit eine geraume Zeit hindurch stets gar so tief sinken läßt und endlich erst wieder einmal einen Seher und Propheten erweckt, der die ganz erblindete Menschheit wieder ein wenig sehend zu machen hat, aber dabei am Ende selbst ein Opfer entfesselter wilder Leidenschaften der entarteten Menschheit wird. Gott verleiht dem Propheten wohl unfehlbare Wunderkräfte, an denen ich nun nicht mehr zweifeln kann; am Ende aber unterliegt der Prophet gewöhnlich dennoch der rohen Faustmacht der Menschen. Beinahe die meisten mir bekannten Propheten wurden am Ende gewaltsam ums irdische Leben gebracht. Warum schützte sie denn da der allmächtige Geist Gottes nicht? 3. Ich will aber damit der Gottheit keinen Vorwurf machen und sagen: ,Es war nicht klug, so einen vom Geiste Gottes erfüllten Menschen in der rohen, allermateriellsten Gewalt der Menschen irdisch untergehen zu lassen!‘; aber es war seine Erweckung dadurch eine sehr beeinträchtigte im Angesichte der stets selbstsüchtigen Menschheit. Denn es ist offenbar höchst sonderbar anzusehen, wie ein Mensch, der ehedem durch den bloßen Willen ganze Berge zu versetzen imstande war, in kurzer Zeit von Menschen gefesselt, in einen Kerker geworfen und wenige Tage oder Wochen darauf auf eine oft allerempörendste Weise ums Leben gebracht wird. Dadurch werden seine innigsten Anhänger und Verehrer dann selbst entmutigt und kehren vielfach zu ihrer alten, aber wenigstens die irdische Lebenssicherheit verbürgenden Dummheit zurück. 4. Wie lange ist's denn her, daß ein gewisser Johannes in der Wüste am Jordan allerlei wahrhaft große Zeichen zur Zeugenschaft seiner Gottbegeisterung ablegte?! Herodes ließ ihn gefangennehmen und bald darauf allerweidlichst und schnödest im Kerker ganz geheim enthaupten. Er zählte wahrlich schon eine Masse Jünger, und viele Tausende haben sich zum Zeugnisse der Annahme seiner wahrlich ganz reinen Lehre von ihm im Jordan taufen lassen; denn er hatte durch beinahe ganz Galiläa und Judäa am Jordan seinen Streifzug gemacht. Als aber dann seine vielen Anhänger erfuhren, was mit ihrem Meister geschehen war, da wurden sie voll Angst und Furcht und ließen es ja nicht leichtlich merken, daß sie vom Johannes die Wassertaufe genommen hatten; denn sie fürchteten, das traurige Schicksal ihres Meisters ganz unvermutet irgend teilen zu müssen. Dies einzige finde ich mit meinem Verstande, der bis jetzt durchaus noch nie vernagelt war, im Ernste etwas unkonsequent, und es schaut da zum Wohle der Menschheit wenig Klugheit und ein nach unseren Begriffen viel zu wenig guter Wille heraus. 5. Unter der unsichtbaren Herrschaft eines blinden Fatums der Heiden läßt sich so etwas ganz gut denken, – doch sehr schwer unter der Herrschaft eines allweisen, allgütigen, allgerechten und allmächtigen Gottes! Das war auch zumeist der Grund, warum ich bei mir selbst ganz von dem Glauben an einen Gott abgegangen bin. Ein wahrer Prophet sollte bis zu seinem Ende eine nie besiegbare Verteidigungsfähigkeit innehaben, gegen die alle Mächte und Gewalten der Erde nichts auszurichten vermögend sein sollten, – dann würde sich daraus das wahre, göttliche Element schon für alle Zeiten wohl erkennen und auch behalten lassen; aber so nehmen irdisch die meisten Seher und Propheten ein übles Ende und verdächtigen dadurch wieder alles das Göttliche, was sie ehedem ausgesäet haben. So durfte Moses selbst nicht das Gelobte Land betreten, und um seinen Leib mußte der Erzengel Michael mit dem Satan drei volle Tage kämpfen und am Ende noch sieglos abziehen. Ja, wozu denn das? Warum muß denn das böse Prinzip auf dieser Erde nahe allzeit den Sieg über das gute Prinzip davontragen? 6. Wir sagen – und eben mit Recht –: Die sämtliche Menschheit, oder die moralische Welt, liegt im argen und ist böse. Aber forschen wir nur nach dem Grunde, und wir werden ihn ungefähr in dem finden, was ich soeben aufgestellt habe! Wir Menschen können da tun, was wir nur immer wollen, so werden wir weder uns selbst noch die andern bessern; denn da halten uns die Mächte der Welt stets in den Schranken, und überall heißt es: ,Nur bis daher, – dann aber auch keine Handbreit mehr weiter!‘ Wir dürfen weder forschen noch grübeln. Das eherne Gesetz zwingt alle Köpfe unter einen Hut. Wer sich da zu rühren wagt, der ist für die Welt verloren; ob er aber dadurch für eine andere Welt gewonnen ist? Nun, davon haben wir noch um vieles weniger irgendeine überzeugende Gewißheit als von dem, was nach uns in hundert Jahren mit den Menschen geschehen wird! 7. Wahre Seher und Propheten allein könnten diesem Übel abhelfen. Die Menschen würden dadurch die nie besiegbare Kraft und Macht Gottes stets vor Augen haben, den wahren Glauben behalten und dadurch ordentliche, gute Menschen sein. Aber so wird von Zeit zu Zeit wohl hie und da, wenn die Menschen vorher schon unter das Tierreich herabgesunken sind, ein Prophet erweckt, der eine Zeitlang weise Lehren predigt und durch allerlei erstaunliche Wunderkraft den Menschen für die Göttlichkeit seiner Sendung ein vollgültiges Zeugnis ablegt; aber wie lange dauert das? 8. Weil ihm die nach Gott und Wahrheit lechzenden Menschen in großen Mengen zuströmen, so werden die alten Orakel und höchst materiell-egoistischen Priesterkasten, weil sie Verrat ihrer falschen Sache und eine gewaltige Schmälerung ihres Ansehens und ihrer großen Einkünfte befürchten, ergrimmt eifersüchtig und fangen an, den Propheten zu verfolgen. Eine Zeitlang richten sie nichts gegen ihn aus, weil er sie mit der ihm eigenen göttlichen Kraft in den Staub zurückdrängt. 9. Aber in einigen Jahren, wenn er schon viele Tausende sehend gemacht hat, zieht sich die göttliche Kraft von ihm zurück, und er wird zur Beute der gemeinsten menschlichen Rache! Da stehen dann seine Bekehrten voll Furcht da, wissen nicht wo aus und wo ein und wohin. Angst, Furcht, Schrecken und Zweifel ergreift die Jünger, so sie ihrer nicht gar viele sind; bilden sie aber schon ein förmliches Heer, so gibt es dann gewöhnlich einen allergrausamsten Glaubens- und Meinungskrieg, der eher kein Ende nimmt, als bis eine Partei die andere ganz aufgezehrt hat. 10. Nun frage ich aber und sage: So man als ein erfahrener und vernünftig denkender Mensch solche Dinge und solch ein Treiben nüchtern betrachtet, kann man dabei und dadurch zu einem lebendigen Glauben an einen Gott gelangen?! Oder muß man sich nicht vielmehr denken: ,Sieh, lauter Menschenwerk!‘?! Gott aber ist ein ewig Ferner und kein Naher nach den Worten der Schrift! – Habe ich recht oder nicht?“ 11. Sagt Cyrenius: „In der Art, wie du zu denken pflegst, dürfte deine Meinung so manches für sich haben, – aber bloß nur in der diesweltlichen, menschlich- gesellschaftlichen Beziehung. Wir aber sind nun in die allerweisesten Pläne Gottes mit der Menschheit dieser Erde schon ein wenig tiefer eingeweiht und kennen das große göttliche Warum! Ich kann dir darum nichts anderes sagen, als daß deine Meinung eine ganz grundirrtümliche ist. Aber ich hoffe, daß auch du noch anders denken wirst. Nun aber gehe mit deinen Gefährten wieder hin, und komme, wann du gerufen wirst! Besieh dir zuvor die Wunder, denke darüber nach, und es wird dir daraus klar werden, wie töricht und gewagt deine Verfolgung des großen Meisters aus Nazareth war!“ 12. Die Pharisäer verneigten sich tief und zogen sich gegen das neue Haus des Markus, um es zu besichtigen. Auf einen Wink von Mir begleitet sie Markus selbst ins neue Wunderhaus, in den Garten und dann ans Meer, um ihnen alles zu zeigen und zu erklären. Kapitel 157 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 157. — Die Erde, eine Übungsschule für Gotteskinder 1. Cyrenius aber sagt abermals zu Mir: „Herr, ich weiß zwar nun aus Deinem göttlichen Munde, warum auf der Welt alles also ist und geschieht, und kenne nun Deine göttlich weisesten Pläne in bezug auf die Erziehung der Menschen in allen Zeiten und in allen Zonen dieser Erde; aber daneben muß ich dennoch ganz offen gestehen, daß irdisch genommen dieser Pharisäer im Grunde in seinen Ansichten recht viel für sich hat. Es ist das wahrlich von Alpha bis Omega keine Welt der Liebe und der Wahrheit, sondern eine recht arge Welt voll Hasses und voll Lüge und Falschheit und Unrechts! Sie könnte aber wohl auch anders sein! Aber es ist einmal also und wird nie anders werden, und die Erde ist dazu verdammt, ein Haus des Jammers zu verbleiben, und ihre Menschenkinder müssen stets verschmachten auf ihrem Boden! Aber es könnte ja anders sein!“ 2. Sage Ich: „Ja, ja, es könnte wohl anders sein, so wie es auch auf zahllos vielen andern Weltkörpern anders ist; aber dann wäre eben diese Erde nicht ausersehen für die Zucht jener Menschen, die bestimmt und berufen sind, Meine Kinder zu werden! 3. Kann die wahre, mächtige Liebe sich als solche je völlig erkennen unter Menschen, die selbst pur Liebe sind?! Welchen Probierstein soll man zur Übung in der Geduld, Demut und Sanftmut den schon von Geburt an mit aller Liebe erfüllten Menschen geben?! 4. So Ich aber schon jedes Menschen Natur also gestellt hätte, daß er schon von der Geburt an in der höchsten Vollendung ohne sein Zutun dastünde, welche Übung des Lebens und Selbstfortschreitens wäre für ihn da wohl noch denkbar?! 5. Zu welcher Tätigkeit könnten dann endlich solche Geister verwendet werden? Ich sage es dir: Da wären ja die Bäume des Waldes und die Felsen der Gebirge in der zum freien Leben allerunentbehrlichsten Selbsttätigkeit ums gar Vielfachste bevorzugter als ein schon von der Geburt an in jeder Beziehung ganz vollendeter Mensch! 6. Ein Mensch, der einmal physisch völlig ausgebildet wäre und stets einen gedeckten Tisch mit allerlei der köstlichsten Speisen und Getränke vor sich hätte, daß alsonach bei ihm von einem Hunger oder Durste nie die Rede sein könnte, der dazu aber auch ein allerherrlichstes Wohnzimmer hätte, nebstdem auch alle die vollendetsten Geistesfähigkeiten, alles bis ins kleinste Detail, das Nahe wie das Ferne zu schauen und zu vernehmen, wie auch zu genießen und sich allenthalben mit allem zu verständigen, und dem nie irgendeine noch so kleine Unannehmlichkeit in die Quere kommen würde, ein solcher würde wohl sicher kaum seine Ruhestätte einen Augenblick lang verlassen! 7. Ich sage es dir: Solch einem Menschen würden selbst Meine größten Wunderwerke ebenso gleichgültig sein wie der Schnee, der zu Adams Zeiten die Berge mit dem Kleide der ewigen Unschuld umhüllte! Oder meinst du, daß Mir Selbst Meine unendlichste, ewige Lebensvollendung zu etwas frommte und Mir eine Seligkeit abgäbe? Wahrlich nicht! 8. In dem zahllos vielen Mitwachsen in Meinen natürlich ebenso zahllos vielen unvollendeten Kindlein, in ihrem zunehmenden Erkennen und Vollkommenerwerden und in ihrer daraus wachsenden Tätigkeit liegt auch Meine eigene höchste Seligkeit. Ihre Freude über eine mühsam errungene, vollendetere Fähigkeit ist auch Meine stets jüngste Freude, und Meine unendliche Vollkommenheit bekommt ja erst dadurch den unschätzbarsten Wert, so sie von den noch unmündigen Kindlein stets mehr und mehr angestrebt wird und sich teilweise auch in ihnen unverkennbar wachsend zu erkennen gibt. Du verstehst Mich, was Ich dir damit sagen will?! 9. Wäre es nicht also, meinst du, daß Ich je eine Welt und irgendein lebendes Wesen auf ihr gestaltet hätte? Alles das war Mir schon von Ewigkeiten her ein unerläßliches Bedürfnis gewesen, ohne welches nie eine Erde erschaffen und mit allerlei Wesen belebt worden wäre. 10. Wie es also ist, so muß es bleiben! Ich bin nicht gekommen, um der Erde den Frieden und eine tote Ruhe, sondern das Schwert, den Kampf im höheren Tätigkeitsmaße zu geben. Denn erst dem Hasse gegenüber wird die Liebe zur wahren und lebendigen Tatkraft, und der ruhige Tod muß fliehen vor ihr. Die die Menschheit verfolgende Not macht sie tätig, mit der Zeit geduldig, sanft und in Meinen Willen ergeben. Gäbe es keine Lüge mit ihren bitteren Folgen, welchen Wert hätte da die Wahrheit für sich?! Wer zündet am Tage sich ein Licht an, und wer achtet den Wert einer brennenden Öllampe beim Lichte der Sonne?!“ Kapitel 158 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 158. — Die Not als Erziehungsmittel 1. (Der Herr:) „Alles, was demnach als zugelassen einmal da ist, muß dasein als ein Triebkeil zum Besserwerden der Menschen. Jedes Werden aber setzt eine Tätigkeit voraus und diese den Beweggrund und den Hebel, der aber natürlich der Art und Weise der Tätigkeit allzeit völlig entsprechen muß. 2. Es ist demnach alles, was man als moralgesetzwidrig, also auch als arg und schlecht bezeichnet, nur als ein zugelassenes Hebelwerk zu betrachten, und dem Reinen ist demnach alles rein und gut. Dem Schwachen und Unreinen ist und muß es anders sein, weil er noch so manches Tätigkeitshebels benötiget. 3. Als die Kinder Abrahams zu den Zeiten Mosis, Aarons, Josuas und noch unter den ersten Richtern sich einer sichtbaren Gottesführung, einer unbegrenzten Weisheit und dabei eines allergrößten irdischen Wohlstandes erfreuten, wurden sie träge gleich den Polypen und Austern im Meeresgrunde. Sie wurden von Mir aus durch den Mund der Propheten oft zur Tätigkeit und Wachsamkeit aufgemuntert und sogar aufgefordert; aber ihre Antwort war: ,Tun wir etwas, so können wir gar auch eine Sünde begehen, die dann all das von uns Gutgetane verzehrt; tun wir aber nichts, so können wir auch nicht sündigen und stehen dann als sündefrei gerecht vor Dir, o Herr!‘ – Also verphilosophierten sie sich stets mehr und mehr in allerlei Trägheit hinein. Die Folge davon war eine zunehmende Not und mit der Weile die physische und endlich auch moralische Schwäche. 4. In solchem Zustande wandten sie sich dann gleichwohl wieder an Mich und gelobten Mir, in der rechten Lebensordnung tätig zu sein. Eine Zeitlang ging es auch wieder recht gut und recht vorwärts; als sich aber da wieder, als eine Frucht der Tätigkeit, der gesegnete Wohlstand einstellte, da fing der alte Trägheitstanz gleich wieder von vorne an. Man war reich an allem und wollte glänzen und verlangte einen irdischen König als den Repräsentanten des physischen Reichtums und Wohlstandes. 5. Es wurde ihnen ein König gegeben und gesalbt. Aber auch der Vertrag zwischen König und Volk blieb nicht unterm Wege; und so war das Übel, das das Volk verlangte und erhielt, wieder nichts anderes als ein fürs Volk schmerzlicher Hebel zur neuen und erhöhteren notgedrungenen Tätigkeit. 6. Als bald darauf der König samt dem Volke in eine Lethargie verfiel, war es sogleich notwendig, ihm äußere, sehr drohend aussehende Feinde in den roh und mächtig gewordenen Philistern zu erwecken. Da ward Krieg und allerlei denselben begleitende Not ins Land Meines Volkes gedrungen, weckte es, machte es tätig und dadurch stark. 7. In der großen Not und Bedrängnis fand es wieder den Weg zu Mir und nahm zu an Gnade, Weisheit und Wohlstand im kaum denkbaren Maße. Dieser aber bewirkte schon zu der Regierungszeit Salomos eine starke Abspannung der früheren Tätigkeit, und das Reich ging unter den ersten Nachkommen Salomos förmlich in Trümmer. Und so mußte dieses Volk stets durch allerlei Elend und Not in einem fort bedrängt werden, damit es sich nur in einiger Tätigkeit erhielt. 8. Es ist nun im allgemeinen abermals tief unter dem Tierreiche, besonders der Priester- und Lehrstand. Darum aber bin Ich Selbst im Fleische gekommen, um eben dem trägsten Teile des Volkes die größte Verlegenheit und Verwirrung zu bereiten; und sie suchen Mich darum auch zu fangen und zu töten, weil sie fürchten, durch Mein regstes Tun und Treiben ihres Faulbrotes los zu werden. Aber ihre Mühe ist natürlich eine vergebliche. 9. Es ist in ihnen der Keim zur völligsten Trägheit schon zu stark wurzelnd geworden. Daher muß das Trägheitsgefühl ihnen erst genommen werden, und sie müssen nach allen Winden sich zerstreuen und ein Wanderleben führen oder in den neuen, von Mir nun gegründeten Lebens- und Tätigkeitsbund treten, in dem niemand seine Hände wird im faulen Schoße halten dürfen, um leben zu können. 10. Wer es nicht tun wird, der wird hungern und dürsten und in den wertlosesten und schmutzvollsten Lumpen, auf einen Bettelstab gestützt, einhergehen müssen, und man wird ihm hartherzig zurufen: ,Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen!‘ Denn ein jeglicher Arbeiter ist seines Lohnes wert. 11. Oh, da wird sich dann schon ein jeder bestreben, so tätig als möglich zu sein! Wird jemand aber dennoch irgend träge und faul, so wird er, zum Muster für viele andere, die Zuchtrute sogleich zur Schau zu tragen anfangen. 12. Und Ich sage es dir: Jedes träg gewordene und verweichlichte Volk wird, so wie ein jeder Mensch für sich, die bleibende Zuchtrute über den Rücken zu tragen bekommen und für immer verlieren seinen Namen aus dem Buche des Lebens und seine Größe, Macht und Ansehen! Das wird die Menschen stets mehr und mehr stutzig machen und sie antreiben zu allerlei ordentlichen Taten, was gut sein wird. – Hast du dieses alles nun wohl verstanden?“ Kapitel 159 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 159. — Die wahre und die falsche Art weltlicher Tätigkeit 1. Sagt Cyrenius: „Jawohl, Herr und Meister von Ewigkeit; aber es fragt sich hier noch um eines, und dieses besteht darin: So die Menschen aber so recht tätig und arbeitsam werden in den mannigfachsten Zweigen des mit tausend Bedürfnissen versehenen Lebens, da ist aber auch wohl einsichtlich, daß sie dadurch von den geistigen, in sich nur beschaulichen Lebenswegen zu sehr in den puren Weltmaterialismus übergehen werden, und da wird von einer Wiedergeburt des Geistes wenig mehr die Rede sein. 2. Zugleich aber habe ich aus Deinem Munde die Lehre, derzufolge man sich eben nicht sorgen soll ums Fortkommen des irdischen Lebens nach der Art der Heiden, sondern man suche vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, – alles andere werde dann schon von selbst hinzukommen. 3. Wie verhält sich nun diese Lehre mit dieser Deiner neuen, nach der man stets alle Hände voll zu tun haben soll? Siehe, Herr, dieses kann ich in mir nicht so recht unter ein und dasselbe Dach bringen! Es wäre demnach gut, so Du, o Herr, mir das ein wenig begreiflicher machen möchtest.“ 4. Sage Ich: „Noch haben wir eine und eine halbe Stunde Zeit, und Ich kann dir diese Frage wohl beanworten. Merke aber wohl auf das, was Ich dir hierüber in einem Bilde sagen werde! 5. Sieh, zwei Menschen gingen hin zu einem Meister einer überaus nützlichen und schönen Kunst! Der A tat das, um die Kunst zu erlernen, um sich durch sie mit der Zeit selbst sein Brot zu verdienen. Er lernte fleißig und hatte wohl acht auf alles, was zur Handhaftwerdung der Kunst erforderlich war, und war endlich über die Maßen froh, als er vom Meister ein Zeugnis erhielt, in welchem es geschrieben stand, daß er nun die Kunst vollends erlernt habe und nun selbst ein Meister sei. Es gab zwar wohl noch so manche Geheimnisse in der Kunst, von denen er nichts wußte. Allein, das kümmerte ihn nun wenig mehr; denn er hatte nun das Zeugnis, durch das er zu gutem Brote ohne große Mühe gelangen wird und muß. 6. Der Beweggrund aber, der den B zum Meister trieb, war ein ganz anderer und mußte daher bei selbem auch eine ganz andere Wirkung zur Folge haben. Dem B lag es nicht am Brote, an das er gar nicht dachte, sondern lediglich an der Kunst, um ihrer selbst willen. Sein alles andere hintansetzendes Streben war nur, mit allen Geheimnissen der zu erlernenden Kunst auf das allerinnigste vertraut zu werden. 7. Der Meister aber, der da sah, daß es diesem Schüler durchaus nicht ums Brot, sondern pur um die volle Kenntnis der göttlichen Kunst zu tun war, hatte selbst eine große Freude an diesem Schüler, nahm sich mit ihm alle Mühe und führte ihn gründlichst in alle möglichen Geheimnisse der Kunst ein. Und die Folge war, daß der B nachher als ein vollendetster Meister der Kunst ein derartig unübertreffliches Kunstwerk zustande brachte, daß davon der Ruf und das Lob sogar zu den Ohren eines Königs kam und der König dann den Künstler berief, daß er auch ihm zeige sein Kunstwerk. Der Künstler tat das aber etwa ja nicht des anzuhoffenden Gewinnes wegen, sondern um dem König dadurch eine sicher recht große Freude zu machen. 8. Als der König dann das große Kunstwerk zu sehen bekam und sich von der hohen Zwecklichkeit desselben überzeugte, da sagte er: ,Was willst du, großer Meister, daß ich dir tun soll? Verlange einen Lohn von mir, und er soll dir nebst dem werden, daß du von nun fortan ein Günstling meines Hofes verbleibst und dahier deine Kunst ausübst!‘ 9. Und der Künstler sprach, tief gerührt von des Königs Gnade: ,Höchster Herr und weisester Herrscher und Gebieter! Deine Gnade und dein Wohlgefallen an diesem meinem Kunstwerke sind mir schon der höchste Lohn! Denn nicht aus irgendeiner Gewinnsucht, nicht einmal des täglichen Brotes wegen, sondern pur aus reiner Liebe zu dieser Kunst habe ich sie mit allen meinen Kräften so recht in die Seele hinein erlernt und habe nun eben darum schon die höchste Freude und den höchsten Lohn, daß sie nun auch vor den Augen des weisesten Königs eine so ausgezeichnete Anerkennung gefunden hat.‘ 10. Was meinst du wohl, was nun der noch mehr erfreute König darauf mit dem Künstler tat? – Sieh, er sprach: ,Jetzt ersehe ich erst, daß du ganz ein vollendeter Künstler deines Faches bist! Denn hättest du diese an sich noch so herrliche Kunst bloß des Verdienstes und des Brotes wegen erlernt, so hättest du es darin nie zu einer solchen Vollendung gebracht. Denn wer etwas lernt, um dabei sein Fortkommen zu finden, der denkt nur immer ans Fortkommen und begnügt sich bald mit dem seicht und wenig Erlernten und berechnet danebst nur, wie er etwa den Abgang des Wissens mit einem falschen Schein bedecken könnte, damit die Menschen nicht merketen seine Schwäche und ihn dennoch hielten für einen großen Meister. Aber es wird ihm das für die Folge wenig nützen; denn eben seine schlechten und mangelhaften Werke werden seine Verräter sein. 11. Du aber, der du die Kunst um ihrer selbst willen erlernt hast, hattest nur gerechnet, wie du in alle ihre noch so großen und tiefen Geheimnisse eindringen könntest. Dir lag es an der vollsten Wahrheit der Kunst, und du bist eben darum auch ein seltener, wahrer Künstler geworden, den ich brauchen kann. Und dieweil du dich nicht gesorgt hast bis zur Stunde um Brot und Verdienst, so sollst du aber nun denn bei mir ein wahres, bestes und bleibendstes Brot und Verdienst bekommen! Denn für wahre Künstler und für wahre Gelehrte und Weise habe ich als König stets der Stellen und des damit verbundenen Brotes und Verdienstes in Menge.‘ – Da hast du nun die handgreifliche Erklärung deines Einwurfs.“ Kapitel 160 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 160. — Der egoistische Streber nach der Wiedergeburt 1. (Der Herr:) „Das ausschließliche Streben nach dem Reiche Gottes setzt die größte Tätigkeit voraus. Hat dann ein wahrer Jünger sich dasselbe vollends zu eigen gemacht, so wird sich schon auch jener König finden, der das wahre Verdienst auch wahrhaft belohnen wird, und so bleibt es durch alle die guten Sphären des menschlichen Lebens wahr, daß – wo immer und in was immer ein Mensch das Gute und das Wahre des Guten und Wahren selbst wegen tut und darin nach der wahren Vollendung streben wird – ihm die gerechte Anerkennung und das Verdienst von selbst hinzukommen wird und muß. 2. Es ist zum Exempel ein Mensch, dem es daran liegt, nach dieser Meiner Lehre zu erreichen die Wiedergeburt des Geistes, die wahrlich für niemanden unterm Wege verbleiben wird, der wahrhaft mit allem Eifer und gerechter Liebe ihr nachgestrebt hat. Dieser Exempelmensch weiß es, daß die Liebe zu Gott und zum Nächsten dazu der einzige und alleinige Weg ist. Er hält nun alle Gebote Gottes streng, liebt in seinem Herzen nach Möglichkeit Gott, erweist allen nach seinen guten Kräften nur Gutes und unterstützt die Armut reichlich, und wo er einen wahrhaft Gottesweisen weiß, begibt er sich zu ihm, unterstützt ihn reichlich und macht sich ihn zum Freunde. 3. Er tut das jahrelang; aber die verheißene und täglich mehr angehoffte, verlangte Wiedergeburt des Geistes erfolgt dennoch nicht. Er merkt wohl hie und da lichte Momente, aber es sind das nur Blitze, deren Leuchten keinen Bestand fassen will. Da spricht der jahrelang eifrige Bewerber um des Geistes Wiedergeburt: ,Nun fange ich aber an, die ganze Sache von der Wiedergeburt des Geistes für eine reine Fabel zu halten! Zwanzig volle Jahre habe ich nun bis zur Stunde alles getan, was nur immer die Lehre von mir verlangte, und dennoch stehe ich auf demselben Flecke, auf dem ich angefangen habe, danach zu leben und zu streben! Zu erreichen ist dabei der erfahrlichen Wahrheit gemäß nichts; also ist es am allergescheitesten, ich lebe als ein ordentlicher Mensch wieder weltlich fort und ziehe mich von allen den trüglichen geistigen Konnexionen (Verbindungen, Beziehungen) zurück!‘ 4. Nun kommt hier die Hauptfrage: Ja, warum konnte denn dieser recht ehrlich strebende Mensch nicht zur Wiedergeburt des Geistes gelangen? – Eben darum, weil er alles Gute nur darum tat, um sie zu erreichen! 5. Wer Gott und den Nächsten eines anderen Motives wegen als Gott um Gottes und den Nächsten um des Nächsten willen liebt, der kommt nicht zur völligen Wiedergeburt, weil diese ein allerunmittelbarster Verband zwischen Gott und dem Menschen ist. 6. Durch ein solches Motiv setzt der Mensch stets eine wenn auch noch so dünne, aber dennoch das geistige Licht nicht durchlassende Scheidewand zwischen sich und Gott und kann darum nicht völlig eins werden mit dem Geiste Gottes. Solange aber diese Einung nicht vor sich geht, kann von der völligen Wiedergeburt keine Rede sein. 7. Ich sage es dir: Es muß aus der Seele jede Art irgendeines Eigennutzes weichen, und der Mensch muß als vollkommen frei dastehen, sodann erst kann er das Höchste erreichen! – Und nun sage du Mir, ob dir die Sache nun klar ist!“ 8. Sagt Cyrenius: „Ja, nun bin ich auch darin ganz hellsehend in der Ordnung! Ja, zwischen Tun und Tun eines und desselben ist wahrlich ein ungeheurer Unterschied! Wenn man es aber weiß, dann kann man schon auch vollends recht tun, so man dazu nur den festen Willen hat, und an dem kann es wahrlich auch nicht fehlen bei einem Menschen, der den hellen und allein wahren Grund erkannt hat und den Weg, den er zu wandeln hat. Aber bis jemand eben das erkannt hat, dazu wird viel Zeit und Mühe erfordert; denn wenn man auch glaubt, die ganze Sache zu haben, so zeigt sich aber dennoch nur zu bald, daß einem noch so manches und sogar Allerwichtigstes abgegangen ist. Aber nun glaube ich, daß mir nun eben nicht gar zu viel mehr abgehen dürfte! Geht mir aber dennoch irgend etwas ab, so hoffe ich, daß Deine Liebe, o Herr, mir dasselbe zur rechten Zeit verschaffen wird. 9. Aber nun kommen, wie ich sehe, unsere Pharisäer schon wieder zurück, und ihr Hauptanführer ist mit dem Markus in einem Hauptdiskurse begriffen. Bin selbst recht neugierig, welchen Effekt der tiefere Einblick in diese Deine Wunderwerke gemacht hat!“ Kapitel 161 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 161. — Der Eindruck der Wunderwerke des Herrn auf die Pharisäer 1. Sage Ich: „Einen außerordentlichen ganz gewiß, aber sie finden das für unmöglich, daß so etwas bloß durch eine Gott ähnliche Willensmacht in einem Augenblicke könnte zustande gebracht werden. Sie beraten demnach nun, ob da dennoch nicht irgend ganz verborgen gehaltene natürliche Mittel seien angewendet worden. 2. Und der Hauptanführer sagt darum zum schon etwas ärgerlich gewordenen Markus: ,Ja, wir waren einmal nicht dabei, und alle Hierseienden können als Einverstandene uns ganz leicht einen allergrößten Bären anhängen! Wir wissen es recht gut, wie die Essäer ihre großartigsten Wunder zustande bringen, können aber gegen den einmal breitgeschlagenen Aberglauben oder Glauben des Volkes nichts mehr ausrichten. Tausend miteinander Einverstandene können die größten Wunder zuwege bringen und zehnmal tausendmal tausend Menschen breitschlagen. Ihr könnt in diesem verborgenen und abseitigen Erdenwinkel an diesem Wunderwerke, von niemand als nur von euch selbst beobachtet, zehn Jahre gebaut haben! Als es fertig war, ludet ihr dann Fremde ein und sagtet dann verabredetermaßen, dies Gebäude hätte dieser oder jener Wundermann in einem Augenblicke werden lassen, und so den Garten und den Hafen. Und aufs ernste Zeugnis von Tausenden muß der Fremde das Wunder zu glauben anfangen, will er's oder will er's nicht. Es muß ein Wunder vor unseren Augen geschehen, – dann erst werden wir auch an dieses glauben!‘ 3. Sieh, so äußert sich nun der Fuchs von einem Pharisäer! Ich sagte dir das nun darum, auf daß bei seiner Hierherkunft du ihm das gleich wörtlich vorhalten kannst, was er wenigstens dreihundert Schritte von uns entfernt zu Markus geredet hat, und das wird ihn und seine Kollegen ganz entsetzlich stutzen machen, weil das als ein offenbares Wunder gegen seine Behauptung wie ein scharfes Schwert zeugen wird. Er wird zwar noch ein Wunder verlangen; aber es soll ihm kein anderes zuteil werden als dieses, daß wir ihm einige seiner ganz geheimen Sachen hier enthüllen werden, was ihn sehr betroffen machen wird. Sei darum gefaßt, Ich werde nicht reden, sondern dir alles eingeben und dich reden und verhandeln lassen! Und nun halte dich gefaßt; denn er wird nun sogleich hier sein!“ 4. Cyrenius macht sich nun vollends mit vielem Eifer gefaßt und freut sich, den Pharisäer so recht zu verarbeiten. 5. Die Pharisäer nähern sich nun mit großehrerbietigen Mienen dem Cyrenius, und der Anführer, sich tief verneigend, sagt: „Hoher Gebieter! Wir haben alles in Augenschein genommen und konnten uns darüber nicht genug verwundern; denn da ist Pracht mit der zwecklichsten Brauchbarkeit so eng verbunden, daß man nahe geradewegs davon sagen muß: Das ist nicht mit Menschenhänden gemacht, sondern das ist erschaffen worden! Leider hat die Menschheit aus gar keiner Zeitperiode irgendein Beispiel, daß je irgend auf der ganzen bis jetzt bekannten Erde so etwas stattgefunden hat. Zudem sind in dieser unserer Zeit die Menschen namentlich in der Baukunst zu weit vorgeschritten, als daß man es ihnen nicht zumuten sollte, auch so ein wahres Baukunstwerk herzustellen. Seit das Wunderland Ägypten vielfach seiner Baukunstwerke wegen bis tief nach Nubien den Griechen und Römern bekannt sein soll, ist es eben kein zu außerordentliches Wunder, wenn sie auch mit ihren vereinten Kräften so etwas zustande brächten. Denn ob das alles, was da zu sehen ist, wirklich in einem Augenblick oder dennoch zeitweilig entstanden ist, ist immerhin auch eine Frage, die sich stellen und anhören läßt. Denn gar vieles können viele vielerfahrene Menschen zustande bringen und mit mächtig gewappneter Hand sagen: ,Dies und jenes ist so und so geworden!‘ Und die kleinen, ohnmächtigen und schwachen Menschen müssen es dann glauben, weil ein zu lauter Widerspruch ihnen sehr bedeutende Unannehmlichkeiten unfehlbar bereiten würde. 6. Sehen wir die feinen Essäer an! Da gibt es rein gar nichts mehr, was sie nicht zu machen imstande wären. Man sage es nur, daß das alles kein Wunder ist, sondern alles auf dem natürlichsten Wege zustande gebracht wird, und man wird bald einen Bescheid bekommen, der einem wahrlich keine Freude machen wird! Ich will aber damit freilich nicht sagen, daß es also auch hier der gleiche Fall sei, obwohl er mit jenen essäerischen Wundern eine sehr bedeutende Ähnlichkeit hat. Übrigens sei ihm nun, wie ihm wolle; du hast uns dieses Werk als ein reinstes Wunder zur Betrachtung anempfohlen, und wir glauben es, weil uns der Unglaube ganz unglaublich teuer zu stehen kommen dürfte. Wenn du, hoher Gebieter, es uns befehlen würdest, an den Zeus und seine wunderbaren Göttertaten zu glauben, so würden wir's auch äußerlich sogleich völlig glauben; ob auch innerlich, das ist dann freilich wieder eine ganz andere Frage. Vergib, hoher Gebieter, mir diese meine ganz offene Sprache!“ Kapitel 162 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 162. — Cyrenius enthüllt des Pharisäers Ansichten über die Wunderwerke des Herrn 1. Sagt Cyrenius, ein wenig unwillig scheinend: „Hättest du ganz offen geredet, da hättest du mit mir ebenso reden sollen, wie du dort am Meere geredet hast mit dem alten Markus und mit deinen Kollegen! Wohl konntest du dein Inneres nicht ganz verbergen vor mir, und es entfiel dir so manches deiner innern Gesinnung; aber du denkst noch ganz anders in deinem Innern, wie du auch ganz anders mit dem Markus und deinen Kollegen geredet hast. 2. Es wird dir freilich sehr unangenehm sein, so ich dir nun das vorsagen werde, was du gesprochen, und noch mehr, was du so ganz eigentlich gedacht hast, aber mag dir die Sache noch so unangenehm sein, so wirst du sie nun aus meinem Munde dennoch vernehmen müssen! Und so höre du samt deinen lieben Gefährten mich an! 3. Als du am Meere die Schiffe und den Hafenbau bewundertest und dich der alte, biedere Markus fragte, was du nun zu all dem sagen würdest, da zucktest du bedenklich deine Achseln und sagtest: ,Da läßt sich entweder sehr viel, aber auch in einer gewissen Hinsicht sehr wenig darüber sagen. Sehr viel, so das am Ende denn doch trotz aller hohen Beteuerungen und Zeugenschaften kein Wunder, sondern ein ganz natürliches Werk ist; und natürlich sehr wenig oder auch gar nichts, wenn alles das dennoch im Ernste ein Wunderwerk sein sollte! Daß ich und meine sämtlichen Gefährten das aber trotz all der hohen Versicherungen nicht als ein Wunderwerk annehmen können, mag ein jeder denkende Mensch daraus handgreiflich ersehen, daß eben wir selbst dabei nicht Zeugen waren und diese Gegend seit gut zehn Jahren nicht mehr gesehen und noch weniger je irgend betreten haben. Was hat seit der Zeit in diesem abgelegenen Winkel durch die Staatsklugheit der Römer alles geschehen können! Durch Spione wußte man, daß wir in diesem Lande eine Bewegung machen, um zu erforschen, was da alles wider uns unternommen wird, und auch, um auszukundschaften die Personen, die gegen uns in der tätigsten Bewegung sind. Man wußte sicher, daß wir am Galiläischen Meere uns befinden, sandte Lotsen nach uns aus und zog uns hierher, wo ein Hauptlager der Römer aufgeschlagen ist. 4. Daß uns das sehr überraschen mußte, wird hoffentlich wohl sehr leicht begreiflich sein, so man bedenkt, daß die Römer durchwegs keinen Scherz verstehen und irgend Ernstes mit ihnen nicht auszurichten ist. Wir merken es schon seit einer geraumen Zeit, daß die Römer uns nur kaum so halbwegs hin dulden des Volkes wegen, im geheimen aber den Essäern allen Vorschub leisten, die sich natürlich das größte Vergnügen daraus machen, uns nach allen Seiten hin zu untergraben. Wir kennen die Blindfechtereien der Essäer und wissen um ihre Wunderbetrügereien; aber wir dürfen uns nicht rühren und müssen uns Dinge gefallen lassen, die schnurgerade wider unsere Religionsinstitutionen sind, wie zum Beispiel die Volkszählung, die personale Besteuerung und die Einführung der Zölle und Wegmauten. Und obwohl es in ihrem Kodex heiße, die Kinder Abrahams wären im Lande frei, so wird aber darauf dennoch keine Rücksicht genommen, und die Kinder Abrahams werden vor den Mautschranken ebensogut angehalten wie die Fremden. 5. Sogar wir Priester müssen den Mautstater bezahlen, die wir doch von Moses von jeglicher Zahlung freigesprochen sind und selbst das Recht haben, den Zehent zu nehmen von den Kindern Abrahams, Isaaks und Jakobs, dieweil wir nie einen Grund und Boden haben dürfen! Die Essäer, als unsere entschiedensten Feinde, aber sind allenthalben frei und dürfen weder irgendeinen Tribut und noch weniger irgendeine Wegmaut bezahlen! Nun, wer daraus die entschiedenste Antipathie der Römer gegen uns nicht herausfinden sollte, der müßte wahrlich mit der siebenfachen Blindheit geschlagen sein! Da wir also bei der Oberherrschaft Roms durchwegs keine Freunde mehr haben und keine Macht, um diese allerdrückendste Last abzuschütteln, so bleibt uns am Ende ja doch nichts übrig, als uns gleich den zertretenen Würmern zu rühren und zu suchen, uns so viel, als einigermaßen Rechtens nur immer möglich ist, vor den zu deutlich signierten Feinden unseres Institutes zu verwahren und wo möglich sie zum Schweigen zu bringen. 6. Der fragliche Nazaräer, offen ein ganz wohlbestellter Schüler aus der geheimen Schule der Essäer, ist uns nur zu wohl bekannt ein Hauptwidersacher unseres Kollegiums und ein entschiedener Gegner des Tempels, – zudem der Sohn eines Baumeisters. Er hat uns schon eine Menge Kollegen, die hie und da in Galiläa exponiert waren, total abtrünnig gemacht, teils durch die Macht seiner Rede, und noch mehr durch seine verkappten Wunder, – vom Volke gar nicht zu reden, das ihm heerweise nachrennen soll. Es wird demnach von einem vernünftigen Menschen wohl gar nicht zu verwundern sein, so wir uns endlich auf die Beine stellen und danach zu trachten beginnen, wie solch einem Elende für uns Einhalt zu machen wäre. 7. Man hat uns selbst hier Fallen gelegt, um auch uns durch Gewalt oder durch List von der Sache des Tempels loszumachen, und zeigt uns zu dem Behufe ein Wunder des Augenblicks, zu dessen Herstellung man aber im geheimen ganz gut etliche Jahre hat verwenden können, und sucht uns damit nun zu übertölpeln; da wir aber auch Leute von so manchen Erfahrungen sind, so wird das ernstlich etwas schwer herhalten! Vor dem blinden Volke ist leicht Wunder wirken, – aber sehr schwer vor einem scharfsehenden Pharisäer! Wir wissen, was wir sind, und was die Welt ist, und wie sie allenthalben zu ihrem Vorteil mittels allerlei Mitteln zu handeln versteht, und sagen darum: Dies Badhaus samt den überaus herrlich eingerichteten Gärten und diesem Hafen macht den Herren Römern als Non- plus-ultra- Architekten auch so alle Ehre, ohne von uns als ein Wunderwerk des Augenblicks angesehen zu werden!‘“ Kapitel 163 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 163. — Der materialistische Glaube des Pharisäeranführers 1. (Cyrenius:) „Hier suchte dich Markus durch seine aufrichtigsten Beteuerungen von deiner vagen Idee abzubringen; du aber sagtest zu ihm ganz freundlich lächelnd, ihm dabei auf die Achsel klopfend: ,Ja, ja, lieber Freund, ich verarge es dir ja nicht, daß du also sprichst; denn fürs erste bist du selbst ein ausgepickter, altfeiner Römer, und fürs zweite ist ein gewisses Muß da, dem dawider zu reden und zu handeln sehr unratsam wäre! Daher bleibe du nur bei dem, bei dem du zu deinem großen Vorteile zu bleiben hast; wir aber bleiben vorderhand noch immer bei dem, was uns einen sichern Vorteil abwirft, und werden dem erst dann völlig ungetreu, wenn uns anderseitige größere Vorteile für bleibend angeboten werden! Versessen sind wir auf unsere Sache, die schon sehr in allerlei Mißkredit geraten ist, gerade nicht; wenn uns aber anderseitige größere Vorteile – wie gesagt – für bleibend geboten werden, dann können auch wir ebensogut, wie es uns bekanntermaßen schon viele unserer Kollegen dem Tempel gegenüber treulos getan haben, unserem alten, morschgewordenen Institute den Rücken kehren und, so es sein muß, auch mit vielen andern den Zimmermeister aus Nazareth als einen Gott anbeten! 2. Aber wir benötigen dazu wahrlich keiner Wunder, sondern allein reeller irdischer Vorteile, und sind dann aber auch für alles zu haben und zu gebrauchen, und das um so mehr, weil wir als welterfahrene Menschen es nur zu gut und zu klar aus zahllosen Erfahrungen wissen, was man im Grunde des Grundes von jeder Gotteslehre zu halten hat. Wunderwerke sind ein altes Mittel, die unerfahrenen Kinder der Erde breitzuschlagen. Warum sollen sie in dieser Zeit, in der es der Blinden noch eine übergroße Menge gibt, außer Wert gekommen sein, besonders, so sie auf eine feinere Weise als im Altertume betrieben werden, und noch mehr besonders, wenn die höchsten Machthaber daran sich sicher nicht ohne geheimst gehaltene Gründe beteiligen?! Denn eine recht festest innegehaltene Gotteslehre ist für die Regenten ja stets mehr wert als zehntausend der größten Festungskerker und zwanzigtausend Legionen der tapfersten Krieger. 3. Die gutkonstruierten Gotteslehren beleben die blinden Menschen zur Tätigkeit, durch die ein Staat und dessen Regent erst recht reich und mächtig werden kann, während die vielen Kerker und die scharfen Schwerter alle Menschen, die sie treffen, untätig machen müssen. Nachdem sich also ein in einem Staatsverbande lebender Mensch zu einer Götterlehre aus staatsklugen Gründen bekennen muß – so er kein Narr und kein Feind seiner selbst ist –, so ist es wohl am Ende ganz gleichgültig, ob man einen Jehova, einen Zeus oder gar den Zimmermann von Nazareth als Gott anbetet; denn die besseren Gesetze geben die Machthaber ja immer unter dem bleibenden Titel ,Gottes Gebote‘ heraus! Sie für sich können dann noch tun, was sie wollen, und stellen sich im Notfalle auch gleich über alle die schönen Göttergebote. 4. Kann ich mit meinem Gottesbekenntnis einen vorteilhaften Tausch machen, so tausche ich, wie jeder von uns, gleich; soll uns aber in der noch leidlich vorteilhaften Sphäre, in der wir uns jetzt befinden, etwas ohne Entgelt entzogen werden, – ah, da werden wir uns auch mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln zur Wehr zu stellen wissen! Denn es handelt sich da ums Sein oder Nichtsein. 5. Sind wir mit unserer Einrichtung der Regierung von keinem besondern Nutzen mehr, so entschädige sie uns aber entsprechend, und wir schauen den ganzen Tempelplunder sicher nimmer an! Es wird uns dann wenig kümmern, was der Kaiser aus dem Tempel machen wird. Für die Essäer wäre er ganz gut zu gebrauchen. Sie könnten ihn leicht mit ihren neuen, indischen Wundern zu einer zehnfach größeren Rente umgestalten! Wir verstehen uns ohnehin nicht mehr so recht darauf und werden von den Essäern ohnemaßen allenthalben jedes schmählichsten Betruges verdächtigt. Wo aber ein theokratisches Institut einmal durch und durch von einer andern Partei in seinen Mysterien verdächtigt wird, da hat sich an seinem noch so festen Gemäuer auch schon der fressende Krebs angesetzt, der es, wenn auch langsam, aber nach und nach dennoch sicher zerstören und zugrunde richten wird und muß. 6. Ein solches Institut gleicht einem Menschen, der ein Magier ist. Es darf nur ein zweiter, neidischer Magier kommen und nur einigen helleren Köpfen in die Ohren raunen: ,So und so übt der betrügerische Magier seine Künste aus!‘ und ihnen dann aber auch praktisch zeigen, daß seine Verdächtigung eine reelle ist, – und der verratene Magier kann sich aber auch schon bald aus dem Staube machen, bevor noch die Sache allgemein ruchbar wird, sonst kann es ihm übel ergehen! Wohl ihm, wenn er irgendeinen Mächtigen zum Beschützer hat! Ohne den ist er in wenigen Tagen mit aller seiner Zauberei fertig und kann bei noch sehr günstigen Umständen am Hungertuche zu nagen anfangen. Er wird sich natürlich auch solange als möglich wehren – aber retten vom Zugrundegehen nimmer! 7. Denn was einmal verdächtigt ist, das kommt auf kein grünes Plätzchen mehr, was aber auch ganz natürlich ist; denn ein Magier kann seine Stücke nur mit natürlichen Mitteln zustande bringen, in welcher Art sie aber dann auch notwendig als völlig wertlos erscheinen müssen und zu schlecht sind, als daß an ihnen ein allerbarster Narr ein Vergnügen finden sollte, und natürlich noch weniger ein weiser Mensch. Derjenige aber, dem der effektive Grund nicht bekannt ist und auch nicht bekannt sein kann, der muß sie als reine Wunder ansehen und staunen und zahlen; denn er muß es sich selbst eingestehen, daß es dabei nach seinen Begriffen nicht mit natürlichen Dingen zugehen kann. Wird er aber dann von jemand Kundigem überwiesen, daß sein angestauntes Wunder, das er so teuer als etwas Außerordentliches bezahlt hatte, dennoch ganz auf dem allernatürlichsten Wege zustande gebracht ward, dann hat für ihn der frühere Magier aufgehört, ein Wundermann zu sein, und steht nun als ein ganz gemeiner Betrüger vor seinen früheren Bewunderern. Kann der sich je vor dem früheren Gönner reinwaschen? Ich sage: Nein und nimmer! Aus ist es mit ihm für alle Zeiten! 8. Und da ein theosophisch-theokratisches Institut im Grunde nichts anderes als eine wohlkonditionierte Zauberei ist, umhüllt mit allerlei mystischer, aber in sich gar nichts sagender Zeremonie und einer Legion von allerlei weisen Sprüchen, Lehren und Gesetzen, so steht ihm auch dasselbe dekretative (bestimmte) Los unvermeidsam bevor, das ein jeder etwas flau gewordene Magier alle Tage für sich zu gewärtigen hat. Aus dem aber wirst du, mein alter Freund Markus, leicht den reinen Grund einsehen, aus dem mir für meine Person jede wohlbestellte Götterkunde ganz einerlei ist, so ich in ihr die besseren Lebensvorteile ersehe; aber so diese nicht evident (augenscheinlich) in den Vordergrund treten wollen, wie es hier der Fall zu sein scheint, da kann mir's doch niemand verargen, wenn ich mit aller Kraft und Klugheit mein Institut so lange verteidige, als es mir eine gute Existenz bietet. Daß die Verteidigung nur in den Grenzen des bescheiden Möglichen verbleiben muß, davon wird der Grund im Angesichte der allermächtigsten Römer dir hoffentlich nicht schwer begreiflich sein. Ich meine nun auch, daß du mir diese Geschichten da im Ernste nicht mehr als ein reines Wunder wirst aufbürden wollen?! 9. Ah, kannst du mir aber dafür, wenn ich dir's glaube und dir sehr schmeichle, entschiedene Vorteile bieten, dann kannst du zu mir sagen: ,Siehe, jener Nazaräer hat nicht nur dies alles, sondern auch dies Meer mit allen seinen Fischen bloß durch seinen Willen urplötzlich ins Dasein gerufen, und überhaupt diese ganze Erde erst vor zwei Jahren erschaffen!‘ – und ich werde es dir glauben! Was ich dir damit sagen will, wirst du auch ohne alle nähere Erörterung sicher ganz wohl verstanden haben.‘“ Kapitel 164 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 164. — Die Religionsphilosophie des Pharisäers 1. (Cyrenius:) „Da sagte Markus zu dir: ,Freund, ich ersehe aus dieser deiner langen Rede, daß du eines schon überaus verhärteten Herzens bist und dir schwer zu raten und zu helfen sein wird! Denn so ein Mensch nicht mehr den größten Wahrheitsautoritäten einen reellen Glauben schenken kann und alles auf der Erde für einen Betrug hält und erklärt, dann hat bei ihm alles aufgehört, was ihm auf dem Lebenswege zu einer besseren Leuchte hätte dienen können! Sage mir, oder denke es bei dir selbst: Welchen Nutzen hätten wir, so wir dich in ein besseres Licht setzten? Wir haben Schätze der kolossalsten Art in einer unbeschreibbaren Menge; am Golde, Silber und an den kostbarsten Edelsteinen hat es bei uns keinen Mangel; also sind auch unsere Kammern voll Getreides und die Keller voll des edelsten Rebensaftes, wie ihr schon wunderbarerweise einen verkostet habt, – wovon ihr nun nichts mehr zu wissen scheint! Wir haben von euch also gar nichts zu gewinnen vonnöten und reden als selbst durch und durch erstaunte Zeugen unmöglich etwas anderes als die reinste Wahrheit! Warum wollt ihr denn uns nicht glauben? 2. Sieh, es hält dich und deine Gefährten allein der allerverächtlichste Eigennutz ab, demzuliebe ihr euch sogar zu den größten menschlichen Scheusalen gebrauchen ließet nach deinen Worten: ,Um einen bleibend größeren Lebensvorteil sind wir für alles zu gebrauchen!‘ Also auch zum Morden und Rauben? Nein, ich muß es sagen: Wahrlich, dein offenes Bekenntnis ist gar nicht übel und ganz geeignet, selbst einem ärgsten Teufel in seiner Art die größte Ehre zu machen! Und solche Menschen sind Volkslehrer und -erzieher! Nun, da wird es etwa doch für jeden nur einigermaßen menschlicheren Denker leicht begreiflich sein, warum wir wahrheitssuchende und – liebende Römer eurem Institute stets mehr und mehr abgeneigt und stets feindlicher gesinnt werden müssen. Was soll bei solch einer Erziehungsweise in kurzer Zeit aus der Menschheit, die unter euch steht, werden? Ja, ja, Freund, es ist die höchste Zeit, eurem argen Getriebe einmal ganz gehörige Schranken zu setzen, – sonst versinkt ehestens ganz Judenland in den Schlamm des Todes!‘ 3. Auf diese sehr triftige Bemerkung des alten, biedern Markus aber sagtest du für weiterhin eine Weile gar nichts, – dachtest aber bei dir also: ,Verdammt! Jetzt habe ich mich schon verbrannt! Das ist's mit der lumpigen Wahrheit! Solange man lügt wie ein Bär, kommt man überall gut durch die Welt; aber nur ein wahres Wort unter eine sonst recht wohlbestellte Lüge gemengt, – und die Hyäne sitzt einem schon im Genicke! Was tue ich aber nun, um diesem Römer seine Schärfe zu benehmen? Ich werde mir nun wie ein Chamäleon gleich eine andere Färbung geben, und es soll da schon mit allen Teufeln hergehen, so ich den alten römischen Fuchs nicht zu einer besseren Überzeugung von uns bringe, ansonst uns diese dumme Plauderei in die größten Verlegenheiten stürzen kann! Er werde nun von mir mit der ehrlichsten Miene von der Welt allerarmdickst kreuz und quer angelogen, und ich wette, daß er uns als seine neugewonnenen Freunde allerfreundlichst begrüßen wird! Aber es fragt sich nun nur, – wie ihm wieder ins Wort fallen?! Schwer soll's eben nicht werden; denn auch er scheint nachzudenken, wie er uns mit noch triftigeren Beweisen für seine Sache etwa gewinnen und umgestalten könnte!‘ 4. Sieh, das waren deine Gedanken im Hafen, und zwar auf einem der fünf großen und neuen Schiffe! Bald faßtest du Mut und sagtest zum Markus: ,Du scheinst grämlich zu sein ob meiner ehemaligen Äußerungen! Sieh, wollte ich unehrlich und dabei fuchsartig klug sein, da hätte ich offenbar nicht von der Leber weg mit dir gesprochen und mich dir auch nicht also gezeigt, wie ich eigentlich denke und in meinem Innern auch eben also bin! Denn wir Pharisäer verstehen uns sehr wohl darauf, den Mantel nach dem Winde zu kehren; aber da du nach unserem Merken und nach deinem vielleicht noch von deinen Kinderjahren her etwas beschränkten Erkennen es dennoch ehrlich mit uns meintest, so wäre es denn doch wahrlich zu schmählich, wenn ich vor dir mich in Gott weiß was für einer frommen und gläubigen Maske gezeigt hätte! Wäre es uns denn etwa ein Schweres gewesen, dem Scheine nach alles aufs Wort zu glauben, was du uns von dem Nazaräer ausgesagt hast? Sieh, du wärest damit zufrieden gewesen und hättest uns dann also dem Cyrenius als völlig bekehrte Menschen vorgeführt! Allein, eine Ehrlichkeit fordert die andere; ich redete darum ganz von der Leber weg, und es blieb dir von meinem innern Denken und Urteilen nicht ein Jota verschwiegen. 5. Dinge, wie sie hier sollen vor sich gegangen sein, zu glauben, ohne selbst dabei Zeuge gewesen zu sein, ist für eines Menschen geweckten Verstand wohl etwas überaus Schweres, zumal dies so einzig allein als etwas Niedagewesenes dastünde, daß man dabei alle gemachten besseren Erfahrungen rein in das Meer werfen müßte. Denn bis jetzt ist von keinem Menschen auf der ganzen bekannten Erde durch alle Zeiten hindurch etwas Ähnliches zustande gebracht worden, und die bekannten Wunder und Zauberstücke kennen wir, und auch, wie sie verübt wurden. Überall waren Menschen, die sich durch ihren Scharfsinn unter vielen Hunderttausenden ihrer Mitmenschen auszeichneten. Sie erkannten tiefer die Kräfte der großen Natur, machten sich dieselben zum Nutzen und wurden danebst erst noch hinzu als Menschen höherer Art, als Propheten oder Halbgötter, verehrt und förmlich angebetet. Solch ein Geniemensch hatte auch bald und sicher eine Menge wissensdurstiger Jünger um sich, die sich alle Mühe gaben, in die Fußstapfen ihres geistreichen Meisters zu treten. Zu seiner Zeit waren das nur Jünger, später notgedrungen selbst Lehrer und Nachmeister, die samt ihren Jüngern dem Urmeister auch nach seinem diesirdischen Ableben eine große Ehre bezeigten, und das um so mehr, als die Lehren und Werke des Urmeisters sich den Menschen stets wohltätiger erwiesen. Mit der Weile wurden aus den Nachmeistern Priester, die ihren Urmeister zu mindestens einem Halbgotte machten. 6. Wir Juden machten aus solchen Ur- und Erzmeistern Propheten, und die Ägypter, Griechen und Römer ihre Halbgötter und dichteten den sicher allerehrenwertesten Urmeistern mit der Zeit übernatürliche Wundertaten hinzu, um sie dem blinden Menschentrosse leichter und bequemer als Wesen höherer Art vorzustellen und Opfer zu bekommen, die dann oft viele Jahrhunderte fortbestanden, bis wieder irgendein noch größeres Genie dem Schoße einer geweckten Mutter entschlüpfte und das lose Tun und Treiben eines Priestertums auf eine solche Art vor den Augen eines lange betrogenen Volkes enthüllte, daß dasselbe ohne weiteres zu der ungezweifelten Ansicht gelangen mußte, daß es kreuz und quer betrogen ist, und daß seine Priester und gleichsam Gottesdiener als die allerderbsten Tagediebe und Menschenbetrüger dastehen, die die wahren Lehren ihres Urmeisters entweder selbst kaum mehr in der ursprünglichen Reinheit kennen oder selbst das, was sie noch davon kennen, aus staatsklugen Gründen den armen, trost- und wissensdurstigen Menschen vorenthalten, sie also statt mit Gold und Perlen mit allem möglichen Unrate füttern. 7. Ja, wenn ein solcher neuer Großmeister dem Volke, das ohnehin schon vielfach mißtrauisch gegen seine Priester geworden ist, die Augen eben nicht zu schwer öffnet, so sind die alten Priester so gut wie fertig und können sich nur durch allerlei politische Gewaltgriffe und – kniffe eine Zeitlang halten; aber in den Gemütern des Volkes sind sie so gut wie vollauf gestorben. Das droht uns nun auch sehr. Der Großmeister ist bereits in die für uns traurige Wirksamkeit getreten, und Tausende kehren uns für immer den Rücken. Daß uns, über die der Sturm sich erhoben hat, das durchaus nicht gleichgültig sein kann, wirst du sicher einsehen, und auch, daß wir bemüht sein müssen, noch zu retten, was zu retten ist. Und es wäre sonach wahrlich seltsam von dir, sonst einem so biedern Manne, wenn du uns darum gram werden wolltest, so wir mit dir einige ganz entschleierte Worte gewechselt haben, da es uns doch auch ganz freigestanden wäre, dich so dick als möglich zu hintergehen!‘“ Kapitel 165 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 165. — Des Markus Rede über den Glauben und den Unglauben 1. (Cyrenius:) „Hierauf sagte Markus schon im Hergehen: ,Von gram sein ist da keine Rede; aber gefallen kann es mir von euch auch nicht, so ihr es mir ganz trocken beweisen wollt, daß ich nur, um euern Sturz zu fördern, mir ein Vergnügen daraus mache, euch mit diesen Wunderdingen einen bergdicken Bären anzuhängen. Ich bin kein Lügner und kein Betrüger, sondern – mehr, denn ihr es je waret – ein größter Freund der getreuesten Wahrheit. Was wohl hätte ich davon, so ich euch einen Bären anhängte?! Daß ihr das schwer glauben werdet, trotzdem es der allerstrengsten Wahrheit nach sich also verhält, das wußte ich wohl zum voraus; denn ich kenne ja so manche Tugenden der Pharisäer, und darunter auch die ihres totalen Unglaubens in allen göttlichen Dingen. 2. Wie sollte auch bei Menschen der allergröbst materiellen Art, deren inneres Seelenauge schon lange am allerdicksten Stare leidet, ein Glaube sich vorfinden?! Und doch ist der Glaube das Auge der Seele, durch das sie die geistigen Bilder in sich aufnimmt und nach und nach erst über ihren Wert und Zweck in ihrem Geiste zu urteilen anfängt, in gleicher Weise wie auch das Fleischauge die Bilder der Außenwelt erst aufnimmt und sich zuerst kein Urteil über den Wert und Zweck des Geschauten machen kann, was oft erst lange nachher durch den erwachten göttlichen Geist im Herzen der Seele geschieht. Aber ein Stockblinder, dessen Auge zur dicksten finstern Materie geworden ist, empfängt keine Bilder von der Außenwelt, bringt somit seiner Seele nichts zur Beurteilung und kann kein Urteil über den Wert und Zweck der Farben abgeben, weiß nichts vom Schatten und vom Lichte und noch weniger von den Formen der Dinge. 3. Wer sonach nicht glauben kann, der hat eine blinde Seele, die er durch seine vielen Sünden geblendet hat! Und das ist nun, wie auch schon lange, bei allen Pharisäern der Fall. Daher können sie auch nichts glauben, als was sie mit den Händen greifen, wie ein fleischlich Blinder sich von der Form einer Sache nur durch Betasten irgendeinen immerhin schlechten Begriff schaffen kann. 4. Aus dem Gesagten könnet ihr wohl abnehmen, wie ich zum voraus wissen konnte, daß ihr in eurer Seelenstockblindheit das schwer glauben werdet, was ihr gesehen und darüber gehört habt. Aber ich dachte mir, daß die Blinden einem sehenden Führer mehr Vertrauen schenken würden, weil sie eines Führers gar sehr bedürftig sind. Aber ihr nennt euch als Stockblinde sehend und haltet mich – wennschon nicht gerade für blind, so doch, was weit ärger ist, für schlecht. Und das ist es eben, was mir an euch durchaus nicht gefällt und zeigt, daß eben euer Herz ein recht schlechtes sein muß und ihr selbst die größten Betrüger sein müsset, weil ihr durchwegs kein wie immer geartetes Vertrauen mehr selbst zu einem allerehrlichsten Menschen fassen könnet. 5. Daß man derlei Menschen unmöglich ganz besonders gut sein kann, das werdet ihr hoffentlich einsehen; denn solche Menschen mißbrauchen allzeit die Güte derer, die ihnen etwas unbesonnenermaßen oft über die Gebühr gut sind. – Nun gehet aber wieder zum Oberstatthalter hin und besprechet euch mit ihm über das, was ihr gesehen und gehört habt!‘ 6. Da sagtest du zum Markus: ,O Freund, da wird es uns schlecht ergehen! Der wird den festen Glauben von uns verlangen; und doch ist es wahrlich unmöglich, das zu glauben, daß das alles, was wir nun geschaut haben, bloß nur Augenblickswerk des puren Nazaräerwillens ist, und doch haben wir hie und da noch an den behauenen Steinen die deutlichen Spuren des Meißels wahrgenommen! Das ist ja doch etwas Ungeheures, so wir so etwas auf Leben und Tod zu glauben genötigt sein werden!‘ 7. Sagte darauf der Markus: ,Hier wird niemand genötigt! Aber ich glaube, daß ihr durch ein anderes Zeichen frei von selbst auch das glauben werdet! Wir sind nun wieder bei der erhabenen Gesellschaft. Gehet nun denn hin zum Cyrenius, der wird das Weitere mit euch verhandeln!‘“ Kapitel 166 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 166. — Der Pharisäer Bekehrung 1. (Cyrenius:) „Nun, mein Freund, kannst du mir auch das ableugnen, daß du zuvor mit dem alten Markus dich wortgetreu also besprochen hast und bei dir selbst auch also gedacht, aber darauf doch ganz anders notgedrungen geredet hast?! Was ist nun dein Wort und deine Meinung?“ 2. Hier steht der Pharisäer wie versteinert dem Cyrenius gegenüber und weiß ihm mit keiner Silbe zu antworten. 3. Hinter ihm aber steht Markus und sagt zu ihm: „Nun, du hochweiser Naturphilosoph, möchtest du mir dieses Wunder nicht auch auf eine ganz natürliche Weise erklären? Ich wäre wahrlich sehr neugierig, so etwas von dir zu vernehmen, was etwa die staatsklugen Römer hier für eine geheime List angewendet haben, um sich sogar deiner geheimsten Gedanken zu bemächtigen!“ 4. Nach einer kleinen Weile sagte endlich der Pharisäer: „Ja, da geht es wahrlich nicht mit natürlichen Dingen zu! Ich wollte von dem, was ich offen zu Markus im Hafen gesprochen habe, nichts reden – denn es könnte ja jemand ein so scharfes Gehör besitzen, von noch weiter her unser Gespräch zu vernehmen –; aber auch das zu vernehmen, was ich in mir allergeheimst gedacht habe, das übersteigt den Horizont alles noch so tiefen menschlichen Wissens! Das ist ein Wunder; wo aber ein Wunder der höchsten Art möglich ist, da ist dann schon auch die Möglichkeit für alles andere vorhanden, und ich fange nun schon auch im Ernste an zu glauben, daß dies herrliche Haus auf eine wunderbare Weise entstanden ist! Mehr kann ich nun nicht sagen. Wenn aber das alles durch die Macht des berühmten Nazaräers geschah und noch geschieht, da muß er offenbar ein höheres Wesen sein, ein Gott im vollsten Ernste, dem alle Geister der Luft, der Erde, des Wassers und des Feuers alleruntertänigst gehorchen, und keine Menschenmacht kann sich ihm da widersetzen. 5. Aber wir Pharisäer sind fertig und werden jüngst nichts anderes mehr zu tun haben, als uns ins Grab zu legen und darin gleich einem Tiere zu verenden! Was sollen wir mit unserem alten Betrugskrame, wo solche hierortige Wahrheiten allseits gleich Bergen sich über uns aufzutürmen anfangen? Wie das Wild der Wälder werden wir gehetzt und verfolgt werden und zugrunde gehen im Schlamme unserer Nacht und Finsternis! Allein, es kam also, und wir können nicht darum, daß auf dieser lieben Erde stets Nächte und Tage miteinander abwechseln. Wie der Tag die Nacht verzehrt, ebenso verzehrt dann wieder die Nacht den Tag, und bald folgt auf eine lange Nacht ein nur ganz kurzer und kalter Tag, – und bald wieder umgekehrt. Auf den Winter folgt der Sommer, und auf den wieder der Winter; es ist auf der lieben Erde alles einem beständigen Wechsel unterworfen. Wer heute lacht, kann morgen trauern, weinen und wehklagen! 6. Es ist einmal also und wird nie anders auf dieser Erde werden. Hat ein Mensch lange etwas noch so Herrliches, Gutes und Erhabenes, so wird es ihm am Ende so gleichgültig, als nur immer einem etwas gleichgültig werden kann, das man lange in Hülle und Fülle besessen hat. Verliert man aber endlich den lange innegehabten Besitz, dann weiß man erst, was man besaß, und lernt den Wert desselben schätzen. 7. Wir Menschen sind dumm und begreifen noch immer nicht, wie und warum das alles so kommt und ist, und sind darum auch nie mit etwas vollkommen zufrieden, mit dem Guten nicht – und mit dem Schlechten noch weniger! Das Grab scheint mir ein wahrer Glückshafen zu sein; in ihm verändert sich nahezu nichts mehr, und sein Bewohner fühlt kein Bedürfnis mehr nach was immer, und so bleibt für uns Erdenwürmer doch noch bei all den tausend Verlusten der Trost, daß auch wir jüngst ganz zufriedene Bewohner der Gräber werden, und die an unseren Grabstätten Vorübergehenden werden sagen: ,Hier ruhen sie im Frieden!‘ 8. Ja, es ist hier, wie ich's sehe, fühle und glaube, ein großes und noch nie dagewesenes Licht; aber die ebenso große Nacht, die solchem Lichte folgen wird, wird nicht ausbleiben! Wohl denen, die an diesem Tage sich sonnen können; aber desto mehr wehe denen, die von der auf diesen Tag folgenden Nacht ereilet werden! Sie werden ein großes Geschrei nach Licht erheben, werden dadurch wecken die Geister der Nacht und übel zugerichtet werden. Ich habe nun geredet, und euch Machthabern steht es selbstverständlich zu, mich zu richten nach eurem Willen!“ 9. Sagt Cyrenius: „Ich habe in deinen Reden nichts gefunden, das irgend vor einen Richterstuhl zu bringen wäre. Daß du für dein Haus geredet hast, ist eine ganz begreifliche Sache; aber du kamst hier, wennschon etwas mühsam, dennoch zu einer besseren Überzeugung und hörtest auf, ein Feind und Verfolger Dessen zu sein, den du ehedem gar gerne vernichtet hättest. Und mehr wollte ich von dir und von deinen Gefährten nicht, und somit möget ihr von hier wieder in Frieden abziehen! Wollet ihr aber mehr, so habt ihr euch auszusprechen, und es soll euch alles Billige gewährt werden!“ 10. Sagt der Pharisäer: „Was sollen wir nun? Wir haben daheim im Tempel einen Eid in die Hände des Hohenpriesters legen müssen, nicht eher zu ruhen und heimzukehren, als bis wir den Nazaräer völlig unschädlich gemacht haben würden. Nun, das ist nun vielfach unmöglich geworden! Erstens seid ihr mächtigen Römer, wie wir's alle nur zu deutlich vernommen haben, seine Freunde, gegen die wir nichts unternehmen können und werden; zweitens ist er selbst nach allem dem, was sich hier von seiner Macht zeigt, so unüberwindlich in allen Dingen und auf allen seinen Wegen, daß ihm keine Macht der Erde etwas anhaben kann; und drittens sind wir alle aus dem innersten Lebensgrunde seiner so unvergleichbar hohen und nie dagewesenen Eigenschaften wegen ihm selbst zu Freunden geworden, so daß bei uns von einem weiteren Verfolgen seiner Person schon von weitem her keine Rede sein kann. 11. Aber was nun anfangen? Seine Jünger möchten wir am liebsten sein, damit wir den Tag, dessen Morgenröte wir hier erblickten, in seiner Fülle zu schauen bekämen und in seiner Wege Geleise treten könnten! Nun, das wird uns kaum gewährt werden! Unverrichteterdinge nach Hause kehren dürfen wir auch nicht! Was ist da hernach zu tun? Wir müssen, so wir für Magen und Haut versorgt sein wollen, dennoch gleichfort – wenigstens scheinbare Verfolger desjenigen bleiben, den wir lieber auf unseren Händen herumtragen möchten! Hier ist also ein guter Rat, wennschon teuer, aber dennoch sehr vonnöten!“ 12. Sagt Cyrenius: „So das euer Ernst ist, woran ich nun kaum mehr zweifle, so wird sich da bald Rat schaffen lassen. Ob ihr nun gleich Seine Jünger werden könnet, das steht offenbar bei Ihm allein und nicht bei mir. Aber da ihr, wie ich aus euren Reden entnommen habe, sonst recht kluge und erfahrene Leute seid, so kann ich selbst euch brauchen und euch bediensten, und das um so mehr, da ihr auch der griechischen und römischen Zunge mächtig seid. Ich aber habe Seine Lebenslehre in einem Buche geschrieben, aus dem ihr allen Seinen Willen erkennen könnet! Es wird sich dann schon wieder einmal eine Zeit fügen, in der ihr Seine nähere Bekanntschaft werdet machen können, und zwar in einem würdigeren Gewande denn jetzt. Der Pharisäer Röcke liebt Er nicht, weil sie mit dem schlechten und faulen Öle zur Ausübung des Betruges gesalbt sind. – Also lautet mein werktätiger Rat. Wollt ihr auf ihn eingehen, so saget es mir, und es soll euch geholfen sein!“ 13. Sagt der Anführer zu seinen Gefährten: „Ihr habt es vernommen so gut wie ich! Seid ihr mit diesem überaus freundlichen Antrage zufrieden, so äußert euch, da ein jeder von euch einen vollkommen freien Willen hat! Ich für meine Person habe gegen ihn nichts einzuwenden.“ 14. Sagen alle: „Wir auch nicht; nur, so es anständig wäre, möchten wir noch zuvor den erhabenen Nazaräer persönlich kennen lernen!“ 15. Sagt Cyrenius: „Diesmal nicht; aber wenn ihr einmal in Seiner Lehre näher bewandert sein werdet, dann ja! Für jetzt aber übernimmt euch mein Leibdiener; dem folget, und er wird euch mit guter Gelegenheit nach Sidon bringen, wo ihr andere Kleider und eine euren Kenntnissen gemäße Stellung bekommen werdet! Gehet und folget ihm!“ 16. Mit diesen Worten kam ihnen schon ein Leibdiener des Cyrenius, deren er viele hatte, entgegen, verschaffte ihnen eine gute Gelegenheit und reiste mit ihnen selbst gleich nach Sidon ab. Kapitel 167 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 167. — Des Herrn Abschiedsstunde bei Markus 1. Als diese Sache so schnell als möglich geschlichtet war, fragt Mich Cyrenius, ob er wohl vollkommen Meinem in sich wahrgenommenen Willen gemäß gehandelt habe. 2. Sage Ich: „Ja, ganz vollkommen! Mich zu sehen und zu sprechen aber waren sie dennoch bei weitem nicht reif zur Genüge! Wann sie aber wohl reif werden, das wird dir Mein Raphael anzeigen, so wie auch Josoe. 3. Es naht aber nun auch die Stunde Meines Abzuges von hier. Fraget aber nicht, wohin Ich Mich wenden werde! Ein jeder kehre von hier wieder zu seinem Tagwerke und bestelle sein Haus wohl, auf daß, so Ich in der Bälde wieder zu euch komme, Ich alles in der Ordnung finde! Nur eine ganz kleine Stunde werde Ich noch unter euch verweilen, um euch durch und durch zu segnen; dann aber muß Ich noch zu vielen andern bedrängten Kindern dieser Welt, um ihnen zu bringen den rechten Trost und die rechte Hilfe. 4. Forschet aber nicht nach der Gegenwart Meiner Person, sondern lebet im Geiste Meiner Lehre, und Meine Person wird euch nicht ferne verbleiben! Wer da noch etwas wissen will, der komme und forsche!“ 5. Hier fragte Cyrenius: „Herr, darf Dir auch niemand ein Geleite geben bis irgendwohin auf einen nächsten Ort?“ 6. Sage Ich: „Außer Meinen Zwölfen diesmal niemand, auch Raphael nicht, der einstweilen bis zu Meiner Auffahrt wechselweise bei dir und bei Meiner lieben Jarah weilen wird! Doch dürft ihr ihn der Welt gegenüber ja nicht irgend verraten; denn das würde seinen augenblicklichen Verlust bewirken! – Wer von euch hat noch irgendein Anliegen? Der komme und forsche!“ 7. Bringt Markus sein Weib und seine Kinder und sagt: „O Herr, segne sie alle, so Du sie dazu als würdig erachtest!“ 8. Und Ich sagte: „Die sind schon lange voll Meines Segens, und du auch! Wohl werde Ich, weil du es gar so wünschest, jüngst wieder einmal zu dir kommen. Von nun an wirst du aber viele Gäste bekommen! Denn die sich in deinen Bädern baden werden, werden geheilt von der noch so bösen Gicht; und die da trinken werden aus der sprudelnden Quelle im Garten, werden los von jeglicher Art Fieber. Die Aussätzigen sollen sich jedoch draußen vor der Gartenmauer im See baden, allwo das Badewasser hinaus in den See fließt, und sie werden ihres Aussatzes ledig. 9. Es werden darum viele kommen und hier das Heil ihres Fleisches suchen und auch finden. Mit deinen Kindern wirst du die vielen nicht zur Genüge zu bedienen vermögen; daher wirst du dir dienstbare Helfer aufnehmen müssen. Da wird dir im Anfange Mein lieber Freund Cyrenius an die Hand gehen. Für späterhin wirst du der dienstbaren Geister in Hülle und Fülle haben, denn alle die Dienst- und Brotlosen werden dich zu finden wissen. Wer da kommt und Arbeit sucht, dem gib sie nach seinen Kräften; aber allen soll auch dies Mein Evangelium gepredigt werden, auf daß aus den dienenden Sklaven auch freie Menschen werden. 10. So Ich dich jüngst einmal wieder besuche, wirst du wohl kaum Zeit finden, mit Mir zu reden; aber es wird das nichts machen. Denn nach Meinen Worten handeln ist mehr wert, als noch so viel reden und predigen. 11. Denn wer Mein lebendiges Wort, dies zu euch gesprochene Evangelium, nur allein beifällig anhört, aber nicht völlig danach handelt, dem nützt es nichts, und er bleibt der alte und gleiche Weltnarr und kommt nie auf einen grünen Lebenszweig, geschweige auf einen Baum des Lebens! 12. Wer viel hat, wie du nun, der gebe viel, und wer wenig hat, der gebe wenig, auf daß der Nichtshabende auch etwas habe! 13. So du aber siehst einen Geizigen unter deinen Dienern oder unter deinen Gästen, so treibe beide hinaus; denn der Geizige ist ein fressender Krebs in einer bessern Menschengesellschaft und verpestet die Herzen der Menschen mit Zorn und Grimm! Wo aber ist der Mensch, der gegenüber einem Geizigen nicht zornig wird des Guten wegen?! Er wird ihn verachten und schelten! Aber sein Herz wird in solch einer Stimmung nicht besser! Daher treibe jeden Geizigen weit von dir weg und laß ihn nicht wiederkommen, außer er habe seine böseste Leidenschaft ganz besiegt!“ Kapitel 168 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 168. — Über Geiz und Sparsamkeit 1. (Der Herr:) „Alle Laster, die je von Menschen auf dieser Erde sind begangen worden, haben aus der Habgier einzelner Menschen ihren Ursprung genommen. Der Geiz ist ein Vater aller Sünden, die nahe nur zu denken sind. Denn zuerst geizt man sich ein großes Vermögen zusammen, und das durch jedes noch so schlechte und verruchte Mittel; Betrug, Diebstahl und Raub sind bei dieser Gelegenheit ganz mit einzuverstehen. Ist man einmal reich, so wird man hochmütig und herrschsüchtig, wird so sich zu verschanzen und zu befestigen anfangen, dingt Diener und Knechte, daß sie davontreiben jeden, der sich unberufen der Wohnung eines groß und hoch gewordenen Geizigen nähert. Der Reiche kauft sich nachher bald ein ganzes Land zusammen, wird zum förmlichen Herrscher darin, erpreßt oft alles Gut von seinen Untertanen und behandelt sie als ein echter Tyrann. 2. Ist der Geizige einmal schon ganz übermäßig reich, so wirft er sich allem möglichen sinnlichen Wohlleben in die Arme, verlockt die Mädchen, treibt Hurerei und Ehebruch und noch andere Schändlichkeiten ohne Zahl und Maß. Und weil er ein Erster seines Landes ist, so verführt er bald ein ganzes Volk durch sein schlechtes Beispiel; denn es sagt: ,Der Herr muß es doch besser wissen als wir; tut er's, so können wir es auch tun!‘ Und so fängt endlich in einem solchen Lande alles an zu stehlen, zu rauben, zu morden und zu huren, und von einer Gotteserkenntnis ist da keine Spur mehr! 3. Gehe hin in die Länder und Reiche der Erde und schlage nach in deren Chronik, und du wirst es finden, wie zuallermeist deren Herrscher anfänglich höchst geizende und hab- und großgewinnsüchtige, gewöhnlich handeltreibende Menschen waren und sich mit ihren erworbenen Schätzen mit der Zeit Länder und Völker kauften und sich dieselben dann zunutze machten durch allerlei Gewaltmittel, sogar der ihnen untertan gewordenen Völker oft ganz gute Sitten und Religionen derart umgestalteten, daß an ihnen kaum noch eine Spur der alten Reinheit zu entdecken ist. 4. Darum habe du, Markus, vor allem wohl acht darauf, daß sich in dieser deiner schon in der jüngst kommenden Zeit von Menschen sehr besuchten Heilanstalt kein Geiz einschleiche! Ja, es soll von da aus sogar eine übertriebene Sparsamkeit verpönt bleiben; denn sie ist gewöhnlich der Keim des Geizes! 5. Jeder habe so viel, als er zum Leben nötig hat; das Mehr soll in deinem Hause bei niemandem stattfinden! Die Privatgeschenke, die von den Gästen nicht selten deinen Dienern werden gegeben werden, nimm du in die sichere Verwahrung und gib sie mit Zinsen erst dann den Dienern, wenn sie alt und zum Dienen schwach geworden sind! Und sterben sie, so sollen das Ersparte ihre Kinder und Kindeskinder haben. 6. Dieser Rat gilt natürlich dir zuerst, dann aber auch allen deinen Nachkommen. Ist unter deinen Dienern aber ein Verschwender, so ermahne ihn zur gerechten Sparsamkeit, und entziehe ihm auf eine Zeitlang deine Gunst, und zeige ihm, daß ein Verschwender auch vielfach ein Selbstlieber ist, der mit der Zeit seinen Brüdern zur Last fällt, anstatt daß er nur mit dem gerecht Ersparten zur Zeit der Not seinen ärmeren Brüdern beispringen würde. 7. Wer nur für sich allein spart und im weitern Sinne auch für seine Angehörigen, der spart nicht in Meiner Ordnung; sondern wer da spart, damit er etwas habe, um zur Zeit der Not auch für arme Brüder etwas zu haben, den lobe Ich und segne seine Ersparnisse, und er wird niemals eine Not haben. 8. Ich sage nicht, daß jemand nicht sparen soll für seine Kinder und für sein Haus; denn es ist das ja jedes Elternpaares erste Pflicht. Aber es sollen dabei die fremden Armen nicht ausgeschlossen bleiben; denn Ich lasse Meine Sonne ja auch im gleichen Maße über jene leuchten, die nicht Meine Kinder sind! 9. Wer da tun wird, wie Ich es tue, der wird auch sein wie Ich und wird dereinst auch dort sein, wo Ich ewig sein werde. Wer aber seinen Brüdern gegenüber knickert, dem gegenüber werde auch Ich knickern und sehr sparsam sein. 10. Diese Lehre beachte du fortan in deinem Hause, so wird Mein Segen nie von ihm genommen werden! – Nun, hat noch jemand irgendein Anliegen, der komme und forsche!“ Kapitel 169 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 169. — Eine Verheißung für Hilfesuchende. Des Herrn Abschied vom Hause des Markus 1. Tritt zu Mir Ebahl, der Vater Jarahs, und spricht: „Es gibt nun wohl nichts, worüber man Dich noch fragen könnte; denn wir haben der Wahrheiten und der Wunderdinge hier in den etlich sieben Tagen in solcher Menge erlebt, daß, sie auf siebentausend Jahre verteilt, auf ein jedes Jahr ein tüchtiger Teil käme und die Menschheit denn auch in jedem Jahre genug zu staunen und darüber nachzudenken bekäme. Wir sind nun an den allergrößtwertesten Schätzen des Geistes überreich geworden; es hängt nun nur davon ab, diese Schätze auch tatsächlich ins Leben zu übertragen, – denn sonst sind sie wertlos für unsere Seelen, um deren Heil es sich da in diesem Leben einzig und allein handelt. Hier allein fragt es sich: Werden wir sonst nur schwachen Menschen stets die hierzu hinreichende Willenskraft besitzen? Was werden wir tun, wenn uns mit der Zeit Schwächen aller Art überfallen werden, die selbst den oft Bestwilligen nicht verschonen?“ 2. Sage Ich: „Ich werde jedes ernsten Strebens Hilfe, Kraft und Stütze sein! In der Zeit der Not werde Ich niemanden verlassen, der sonst stets treugläubig und Mich liebend auf Meinen Wegen gewandelt ist. Ist er aber durch allerlei Lockungen der Welt von Meinen Wegen abgewichen, da muß er es sich dann schon selbst zuschreiben, so für ihn Meine Hilfe zur Zeit der Not unterm Wege verbleiben wird, und das so lange, als der Gefallene nicht voll Ernstes und reuig und vollgläubig sich an Mich wenden wird! 3. Ich werde zwar ewig ein und derselbe treue Hirte verbleiben und nachgehen den Schafen, die sich irgend verloren haben; aber das Schaf muß irgend zu blöken anfangen und sich finden lassen nach dem ihm eigenen und unantastbaren freien Willen. 4. Wer da irgend belastet ist mit einer für seine Kraft zu großen Lebensbürde, der komme im Herzen zu Mir, und Ich werde ihn stärken und erquicken! Denn Ich gebe eben darum manchem eine größere Bürde zu tragen, auf daß er fühle seine Schwäche und zu Mir käme dann im Herzen und Mich bäte um hinreichende Kraft zur leichteren Ertragung seiner größeren Lebensbürde; und Ich werde ihn stärken in jeglicher Not seines Lebens und ihm ein rechtes Licht geben, zu durchwandeln die finsteren Wege des Lebens dieser Welt. Wer aber diese zu große Bürde wohl fühlt, aber nicht zu Mir kommt im Herzen, der muß sich's selbst zuschreiben, so er erliegt unter der zu großen Last des Erdenlebens. 5. Da hast du den Bescheid auf deine Frage, Mein Freund Ebahl! – Wer noch einen Anstand hat, komme und forsche!“ 6. Kommt in tiefster Ehrfurcht zu Mir Schabbi, der Redner der eben auch noch anwesenden zwanzig Perser, und sagt: „Erlaube, o Herr, mir auch noch ein Wort!“ 7. Sage Ich: „Rede, Schabbi! Darum habe Ich zu allen gesprochen: Komme und forsche!“ 8. Spricht Schabbi: „Daß Du, o Herr, jemandem helfen wirst, der Dich darum anrufen wird, das ist ganz sicher und gewiß; aber was sollen da jene Menschen tun, die ohne ihr Verschulden von Dir, o Herr, unmöglich etwas wissen können, noch lange von Dir nichts erfahren und wissen werden, nun in der größten Lebensfinsternis leben und unsägliche Lebensbürden ertragen müssen? Zu wem sollen diese sich wenden, der ihnen Hilfe brächte und Stärkung in ihrer unbeschreibbar großen Not?“ 9. Sage Ich: „Kein Fleck auf der Erde, dahin nicht käme das Licht der Sonne, und so gibt es auch keinen Menschen, der nicht zum wenigsten eine Ahnung hätte von einem allmächtigen Gottwesen. Er bitte, verlange und hoffe nach seinem Glauben, und er wird auch eine Hilfe finden! Aber es gibt nur gar so viele Menschen nun, die gar keinen Glauben haben. Diese helfen sich selbst und machen sich auf Kosten der andern ihre Lebensbürde so leicht als nur immer möglich; die brauchen von uns dann wahrlich keine Hilfe. Wer einmal des Satans sein will, der sei es; denn einem Selbstwollenden geschieht kein Unrecht! Übrigens denke du nur zurück, was Ich über die mannigfachen Lebensverhältnisse aller Menschen auf der ganzen Erde, und das für alle Zeiten, geredet habe, und du wirst darin alles klar erleuchtet finden! 10. Und nun ist Mein Stündlein, unter euch zu sein, abgelaufen. Ihr möget nun in Meinem Namen noch länger hier beisammen verweilen; Ich aber werde mit Meinen Jüngern Mich notgedrungen von dannen begeben. Frage Mich jedoch niemand von euch, wohin! Denn vorderhand weiß Ich als ein purer Menschensohn es Selbst nicht; nur der Vater in Mir weiß es, und Der spricht: ,Nun hebe Dich und gehe! Auf dem Wege werde Ich es Dir offenbaren, wohin!‘ – Der Friede und Meine Liebe sei mit euch!“ 11. Darauf sagte Ich zum Markus: „Mache das große neue Schiff los! Ich und Meine Jünger werden es besteigen. Und ihr, Meine Jünger, erhebet euch und folget Mir! Eines Schiffsmannes bedürfen wir nicht; das Schiff wird jedoch unversehrt zur rechten Zeit von selbst ohne Steuermann in den Hafen zurückkommen.“ 12. Alle fingen an zu weinen, als Ich mit den Aposteln in das Schiff ging. Ich aber stärkte ihre betrübten Herzen, fuhr schnell auf die hohe See hinaus und entschwand bald ihren Blicken. Sie blieben aber noch den ganzen Tag und die ganze Nacht beisammen und besprachen sich über Mich, Meine Lehren und Taten. Erst am nächsten Morgen zogen sie in ihre Orte, und Cyrenius machte Anstalten, alle die vielen hier bekehrten Pharisäer ihren neuen Bestimmungen zuzuführen. Mehrere wollten Mir nachfahren; doch Raphael hielt sie davon ab und sagte, daß Ich ohnehin bald wieder nach Kis, Genezareth und auch hierher kommen werde. Da wurden alle ruhig und lobten Gott, daß Er sie solcher Gnaden gewürdigt hatte. In wenigen Tagen kamen schon eine Menge Gäste von Tyrus und Sidon, um hier die Wunder zu schauen und die Heilquellen zu genießen, und Markus nahm auch gleich eine Menge Diener auf. Kapitel 170 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 170. — Des Petrus blinder Eifer und Sorge um den Herrn. Ev. Matth. 16, 20-23 1. Als wir aber schon weit draußen auf dem Meere uns befanden, sagte Ich abermals zu den Jüngern: „Wohin wir nun auch kommen mögen, da schweiget und verratet Mich nicht, daß Ich Jesus, der Christ, sei!“ (Matth.16,20) 2. Und Petrus trat zu Mir und fragte Mich, ob Ich noch nicht wüßte, wohin uns das Schiff bringen werde; denn er führte das Steuerruder und hätte gerne erfahren, wohin er lossteuern solle. 3. Ich aber sagte: „Laß es gehen, wohin es geht; der Vater weiß es schon, wohin wir diesmal zu kommen haben! Nun sind wir noch auf dem Lehrwege, und unsere Fahrt geht in die untere große Bucht, wo man der Stadt Cäsarea Philippi in den Rücken kommt, und dort werden wir uns einige Ruhe gönnen. Aber in ein paar Jahren werden wir auf diesem Schiffe gen Jerusalem hinauffahren, und da wird es sich um ganz etwas anderes handeln. – Nun aber kommen wir in einen Ort ganz nahe der vorbenannten Stadt, allda trotz unseres mehrtägigen Aufenthalts auf der Gegenseite der benannten Stadt dennoch kein Mensch von uns etwas vernommen hat. Selbst der große Brand der Stadt hat die Bewohner dieses Ortes nicht aus ihrer Fassung zu bringen vermocht. Aber es mußte das also sein, damit ihr bei dieser Gelegenheit wieder eine andere Art Offenbarung erfahret.“ 4. Petrus aber trat zu Mir und sagte: „Herr, um was wohl wird es sich handeln in Jerusalem, im Orte des großen Verderbens? Denn von dort aus ist noch nie etwas Gutes und die Menschheit Beglückendes gekommen, und noch nie hat ein Ehrlicher in dieser Stadt etwas Tröstliches erfahren. Hochmut und Verfolgung sind darin stets vor allem zu Hause. Daher meine ich, es wäre besser gewesen, Du, o Herr, hättest Jerusalem also gezüchtiget wie diese kleine Stadt, die freilich die Strafe schon lange wohl verdient hatte. Vor acht Monaten ungefähr waren wir ohnehin in Jerusalem und haben uns überzeugt, daß mit seinen Bewohnern rein nichts zu machen ist bis auf ein paar Menschen, die aber als einzelne Schwalben auch noch lange keinen Sommer ausmachen. Daher wäre meine Meinung, wir sollen mit jener stolzen Greuelstadt, in der Johannes vor kurzem erst enthauptet ward, nicht viel Aufhebens machen und sie für alle Zeiten meiden. Denn solch eine Stadt ist ja doch ewig nicht würdig, daß Du sie betrittst mit Deinen heiligen Füßen. Das ist freilich nur so meine Meinung; gib mir auch die Deine kund!“ 5. Von dieser Zeit an fing Ich an, ernstlicher mit Meinen Jüngern davon zu reden, daß Ich nach des Vaters Willen wohl werde nach Jerusalem gehen müssen und werde dort viel leiden von den Ältesten, Hohenpriestern und Schriftgelehrten, werde von ihnen getötet werden, aber am dritten Tage wieder vom Tode auferstehen. (Matth.16,21) Als ein Sieger über allen Tod und über alle Feinde des Lebens werde Ich dastehen dann für ewig, wie Ich schon auf dem Berge des Markus davon Erwähnung tat. 6. Da erschrak Petrus förmlich und sagte zu Mir, Mich beiseite ziehend, in einem gewissen gebieterisch-mahnenden Tone: „Herr, das geschehe Dir ja nicht, und Du bist uns und allen Menschen gegenüber verpflichtet, Deiner zu schonen!“ (Matth.16,22) 7. Aber Ich wandte Mich schnell um und sagte auch in einem ganz ernsten Ton: „Hebe dich, Satan, von Mir! Du bist Mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was da göttlich, sondern nur, was da ganz gemein weltmenschlich ist!“ (Matth.16,23) 8. Hier erschrak Petrus ganz gewaltig, fiel vor Mir nieder, bat Mich um Vergebung und setzte weinend hinzu: „Herr, als wir auf eben diesem Meere dahin steuerten, wo wir uns nun mehrere Tage aufhielten, sagtest Du zu mir ob meines Glaubens: ,Simon Juda, du bist Petrus, ein Fels, auf dem Ich Meine Kirche bauen werde, und alle Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen! Dir will Ich geben des Himmelreiches Schlüssel. Was du auf Erden lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöst sein, und was du binden wirst auf Erden, das wird auch gebunden sein im Himmel!‘ Das, o Herr, waren buchstäblich Deine heiligen Worte aus Deinem heiligsten Munde, an mich armen Sünder gerichtet. Ich aber habe mich darum dennoch nie erhoben, und mich stets nur für den Geringsten unter uns gehalten, – und wegen einer freilich nur menschlichen, aber dennoch nur aus meiner großen Liebe zu Dir erkeimenden Warnung hast Du mich zum Fürsten der Hölle gemacht! Herr, sei doch gnädig und barmherzig dem armseligen Fischer Petrus, der zuerst sein Netz ins Meer warf, Weib und Kinder verließ und Dir nachfolgte!“ Kapitel 171 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 171. — Das Wesen Satans und der Materie. Ev. Matth. 16, 24-28 1. Da wandte Ich Mich wieder freundlichst zu Petrus und sagte: „Darum habe Ich dich nicht im geringsten herabgesetzt, so Ich dir in der scharfen Anrede gezeigt habe dein Menschliches! Alles, was diesweltlich Menschliches am Menschen ist – als sein Fleisch und dessen verschiedenartige Bedürfnisse aus puren diesirdischen Rücksichten –, ist im Gerichte, darum Hölle und Satan, der da ist ein Inbegriff alles Gerichtes, alles Todes und aller Nacht und alles Truges; denn alles scheinbare Leben der Materie ist nur ein Trugleben, und all ihr Wert ist soviel wie gar keiner. 2. Welch ein Mensch immer in einen Sinn der Materie zurückfällt, ist insoweit dann auch Satan, inwieweit er irgend ein Heil in der Materie und in ihrem Scheinleben vertritt. 3. Will jemand aber des Satans noch in seinem Fleische ledig werden, so muß er das Kreuz, das Ich schon jetzt im Geiste trage, auf seine Schulter nehmen und Mir nachfolgen! (Matth.16,24) Denn Ich sage es euch: Wer sein (irdisch) Leben erhalten will, der wird es (das geistige) verlieren; wer aber sein (irdisch) Leben um Meinetwillen verlieren wird, der wird es (das geistige) finden! (Matth.16,25) 4. Was hülfe es denn einem Menschen, so er gewönne die ganze Welt mit allen ihren Schätzen, litte aber dabei Schaden an seiner Seele? Oder was kann ein Mensch geben, daß er dann wieder löse seine Seele aus den Banden der Materie, des Gerichtes und des Todes? (Matth.16,26) 5. Wohl wird es je einmal geschehen, daß Ich, als nun des Menschen Sohn, wiederkommen werde in der Herrlichkeit des Vaters mit allen Engeln, deren Macht ihr kennet, aber Er wird auch dann wie jetzt nur tun, helfen und vergelten können jedermann nach seinen höchsteigenen Werken. Wer tot befunden wird, der wird auch tot verbleiben bis zur Zeit jener großen Erweckung auch aller derer, die in den Gräbern des Gerichtes verblieben sind, und auch da wird eines jeden Liebe, Willen und Gewissen Richter sein für immerdar! (Matth.16,27) 6. Aber die da leben nach Meinen Worten und verrichten die Werke der wahren Selbstverleugnung und innern freien Liebe, die werden den Tod nicht sehen und fühlen jemals. Wahrlich, zu Meiner und eurer großen Freude kann Ich euch sagen, daß von euch etwelche dastehen, die keinen Tod schmecken und fühlen werden und Zeugen sein werden von allem, bis da sogar auch vorbesprochenermaßen kommen wird des Menschen Sohn in Sein Reich, den sie sehen werden und mit dem sie herrschen werden ewig! Aber dazu wird sehr viel Liebe zu Gott und dem Nächsten erfordert.“ (Matth.16,28) 7. Wahrlich, so da ist irgend ein Vater oder eine Mutter, die da nur sorgen darum, daß ihre Kinder in dieser Welt wohl versorgt werden möchten, und achten nicht höher den Wert des Lebens der Seele ihrer Kinder, die haben sich und ihren Kindern ein Grab zum ewigen Tode gegraben; denn was immer der Welt ist, das ist des Satans, also des Gerichtes und des Todes der Materie! 8. Wohl ist die Materie ja bestimmt, erweckt zu werden durch die Kraft eines jenseitigen, reinen Geistes zur Auferstehung aus den langen Gerichten; aber dann muß die Materie nach der ihr wohl eingeprägten freien Intelligenz übergehen in die rechte Form und Wesenheit ihres jenseitigen Geistes, der ein Licht ist aus Gott. Geschieht das von der Materie nicht, so kehrt der jenseitige Geist in seinen Urquell zurück, und die für immer belebt werden sollende Materie fällt abermals in ihr altes Gericht und wird im selben lange zu harren haben, bis etwa einmal abermals ein jenseitiger Geist sie erwecken wird zu einer neuen Lebensprobe. 9. Weil die Sache aber einmal so und nicht anders ist und sein kann, so kam denn ja auch Ich Selbst von oben herab zu euch Menschen dieser Erde und zeige euch nun die volle Wahrheit aller Lebensgestaltungen und deren gute oder schlechte Verhältnisse. Und du, Mein Petrus, wirst nun hoffentlich auch im klaren sein darin, warum Ich ehedem zu dir gesagt habe: ,Hebe dich von Mir, Satan!‘ – Nun in die große Bucht gesteuert!“ Kapitel 172 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 172. — Der Herr mit Seinen Jüngern im Fischerdorf bei Cäsarea 1. Gut bei zwei Stunden Weges unterhalb des nunmaligen Markusbades befand sich die große Bucht, die von den Fischern auch der ,Weiße See‘ genannt ward; in diese wurde hineingesteuert. Sie war des Sees seichtester Teil und war darum mit einem größeren Schiffe etwas schwer zu befahren, weil man da die tieferen Wasserwege gut kennen mußte, um nicht auf einer Sandbank steckenzubleiben. Aber unser Schiff ging dennoch ganz in die Bucht und fuhr nirgends auf, worüber sich sogar die zwölf Apostel sehr zu wundern anfingen, da niemand weder die Treibruder noch das Steuerruder führte. Das Schiff ward also durch eine unsichtbare Macht geführt und als ganz gut geleitet von allen schiffahrtkundigen Aposteln anerkannt. 2. Wir kamen darum aber auch schon noch vor dem Mittage am Orte unserer neuen Bestimmung an und kehrten dort bei einem armen Fischer ein, der uns alle herzlich aufnahm. Der Ort hatte keinen eigenen Namen, man nannte ihn bloß ,Fischerdorf bei Cäsarea‘. Es kamen bald eine Menge der armen Fischer und Fischerinnen zu uns und fragten uns, was wir eigentlich hier suchten, und was wir in diesem überarmen Orte machen würden. 3. Ich aber beruhigte sie und sagte: „Das werdet ihr schon noch erfahren! Vor allem aber saget es Mir, ob wir dreizehn hier einige Tage ganz in aller Stille verweilen können!“ 4. Und unser Wirt sagte: „Von mir aus ohne allen Anstand! Nur muß ich euch, liebe Freunde, die Bemerkung voraus machen, daß ich wohl einen ganz guten Willen, aber keine Mittel habe, euch auch nur einen notdürftigen Unterhalt zu verschaffen; denn mir geht es besonders seit dem Brande von Cäsarea ganz erbärmlich schlecht! Der tägliche kleine Verkauf von unseren Fischen hat natürlich ganz aufgehört, und sonst gibt es bei uns armen Bewohnern dieses Dörfchens auch keinen Verdienst. Wir sind sonach samt und sämtlich am Bettelstabe, haben außer unseren Fischen gar keine Nährmittel und können euch daher auch nichts anderes bieten als nur Fische, wie wir sie haben, bereiten und essen. Aber die Bereitung ist höchst einfach bei uns. Die Fische werden bloß gesotten und ohne Salz und Brot und ohne alle andere Würze verzehrt. Denn offen gesagt: wir sind durch den Brand von Cäsarea mehr denn die abgebrannten Cäsaräer selbst zu den offenbarsten Bettlern herabgesunken und haben nicht so viel irgendeines Geldes, um uns das Salz anschaffen zu können! Ah, uns geht es nun ganz erbärmlich schlecht; so ihr mit mir und meinen Angehörigen ein paar Tage hindurch Hunger leiden wollt, so seid ihr mir herzlich willkommen! 5. Aber nun saget ihr mir doch gütigst, was euch denn in diese nahezu nie von einem Fremden besuchte und für große Schiffe schwer befahrbare Bucht getrieben hat! Ein Sturm gewiß nicht; denn in diesem Winkel, von allen Seiten mit Hochgebirgen umlagert, findet auch dieser den Weg nicht. Oder seid ihr etwa gar Verfolgte, die hier auf so lange ein Asyl suchen, bis irgendeine gewisse Gefahr vorüber sein werde? Allein, alles das ist mir ganz einerlei! Kann ich euch sonach einen Dienst erweisen, so wird es mir nur eine ganz besondere Freude machen. Meine Fragen sind zwar etwas vorlaut, – aber ihr lieben Freunde müsset sie mir vergeben! Ich bin einmal schon von Natur aus neugierig und weiß es gerne, wer der ist, dem ich eine Herberge gebe. Daß ihr keine Armen seid, das zeigt mehr als zur Genüge euer großes, nahezu ganz neues Schiff, das ganz sicher bei hundert Silbergroschen gekostet hat. Für uns ist es offenbar eine große, überraschende Seltenheit, so sich irgend Fremde zu uns verirren; und wenn uns schon so ein Glück zuteil wurde, so hat es mit den Besuchern dieser allermagersten und abseitigsten Gegend sicher allzeit irgendeinen Anstand gehabt. Darum wollet es mir, als dem Vorstande dieses Betteldörfchens, doch sogleich angeben, was ich vor allem von euch, aber nur ganz der Wahrheit gemäß, treust erfahren möchte!“ 6. Sage Ich: „Nun denn, so dich die Neugierde schon gar so plagt, da wisse, daß wir einmal dir ganz gleich Galiläer sind, und noch einmal, daß wir bis hierher durchaus von gar niemandem verfolgt worden sind, sondern freiwillig uns hierher begeben haben, um fürs erste diese sehr merkwürdige Gegend zu besichtigen, einen dieser hohen Berge zu besteigen und, so etwa tunlich, euch in eurer Mir sehr wohlbekannten großen Not zu helfen! – Bist du damit zufrieden nun, so rede!“ 7. Sagt der Vorstand: „Ganz vollkommen; denn daß ihr offenbar Galiläer seid, das wird kein Mensch in Abrede stellen, und daher kann man eurer Aussage auch schon einen ganz vollen Glauben schenken, was man natürlich den Griechen und Römern nicht tun kann, weil sie nahe allzeit anders reden, als sie denken, was bei uns ,lügen‘ heißt. Ruhet hier unter dem Schatten dieses meines einzigen Baumes unterdessen aus, und ich werde in meine Hütte gehen und sehen, wie ich mit einem erklecklichen Mittagsmahle zustande kommen werde!“ Kapitel 173 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 173. — Der Stoizismus der Bewohner des Fischerdörfchens 1. Der Wirt eilt mit Weib und schon erwachsenen Kindern in seine Hütte, kommt aber bald voll Freude und Dank zurück und sagt im freudigsten Tone: „Wer von euch hat mir denn geheim das getan? Meine Speisekammer ist ja doch so vortrefflichst ausgestattet, daß wir alle ein volles Jahr daran zu zehren haben! Ja, nun möget ihr euch ein Jahr lang hier aufhalten, und wir werden mit dem großen Vorrate nicht zu Ende kommen! Wo ich und die Meinen aber nur unsere Augen gehabt haben müssen, daß da niemand bemerkt hat, wie ihr meine Kammer mit so viel Speisen angefüllt habt?! Ja, jetzt werden wir keine bloß im ungesalzenen Wasser gesottenen Fische essen, da wir des Salzes in einer großen Menge haben! Aber nun zur guten Arbeit!“ 2. Als alles Volk dieses Dörfchens sich des Mittags wegen in die Hütten begab, sagte Ich zu den Zwölfen: „Was haltet ihr von diesen Menschen hier?“ 3. Sagte Petrus: „Ja, was soll man von ihnen eigentlich halten?! Sie scheinen ganz ehrliche Leute zu sein; daß sie arm sind, nun, dafür können sie nicht. Das Fischerhandwerk und ein steiniger Boden haben noch nie jemanden reich gemacht, was ich aus einer vieljährigen Erfahrung der Wahrheit gemäß vollauf beweisen kann. Und solche Fischer sind auch diese; sie haben vielleicht am ganzen Meere die schlechteste Bucht. Ihre Hütten stehen zwar auf Felsen; aber es wächst auf solchem Boden und Grunde oft nicht ein Grashälmlein. Woher sollte ihnen da ein Reichtum erwachsen? 4. Also müssen sie auch ehrlich verbleiben; denn in dieser Gegend gibt's weder etwas zu stehlen und noch weniger irgend etwas zu rauben. Und so einen Dieb und einen Räuber nur die Gelegenheit zeiht da müssen diese Menschen dann ja schon für ihr ganzes Leben ehrlich bleiben; denn bei diesen Menschen kann das alte Sprichwort ,Gelegenheit macht Diebe!‘ niemals in Anwendung kommen. – Das ist so meine Meinung über diese Menschen, die sicher keine Schriftgelehrten sind, und unter denen sicher auch kein Pharisäer ist.“ 5. Sage Ich: „Für diese Welt ist dein Urteil ganz richtig; aber hinter dem diesweltlichen Stande eines Menschen gibt es, wie ihr nun schon vielfach wisset und erfahren habt, einen seelischen und am Ende einen rein geistigen. Wie meinst du, daß diese Menschen da bestellt sind?“ 6. Petrus zuckt da mit seinen Achseln und sagt: „Herr, darüber aus sich selbst ein endgültiges Urteil zu schöpfen, wird etwas schwer hergehen! Doch insoweit sie als höchst einfache und notwendig ganz ehrliche Leute dastehen, da dürften sie zum mindesten ein recht fruchtbarer Boden für eine geistige Aussaat sein! Denn wie es ein leichteres ist, für einen wohlgebauten Leib einen gutpassenden Rock zu machen als für einen verkrüppelten und verhöckerten, so sind auch solche einfachen und naturreinen Seelen sicher schmiegsamer für ein geistiges Gewand als die höchst verkrüppelten und verknöcherten Seelen der Pharisäer und Schriftgelehrten. Ich meine, so man bei guter Gelegenheit diesen Menschen vom Reiche Gottes auf Erden etwas vortrüge, so würden sie auch bald im reinen sein. – Nun, das ist wiederum so meine ganz natürliche Meinung; kommen darin auch keine Glanzworte vor, so dürfte aber damit doch der Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen sein!“ 7. Sage Ich: „Ganz gut geurteilt; daher werden wir ihnen auch nachher auf den Zahn fühlen und sehen, inwieweit sie für etwas Höheres zugänglich sind! Ich aber werde hier nicht als Lehrer auftreten, sondern das werdet ihr tun als Ausgesandte und selbst Jünger des Weisen aus Nazareth. Erst so sie euch angehört und das Wort von der Ankunft des Reiches Gottes auf Erden angenommen haben werden, dann erst möget ihr auf Mich also hinweisen und sagen, daß Ich eben Derjenige bin, von dem ihr gepredigt habt. 8. Und so werden wir hier auf diesem kleinsten und unansehnlichsten Orte der ganzen Erde ein ganz großes Werk verrichten! Aber für zu leicht müßt ihr die Arbeit zum voraus nicht ansehen; denn so einfach diese Menschen auch zu sein scheinen, so kompliziert und dabei sehr verwirrt sind sie in ihrem Innern! 9. Sie dünken sich für Weltweise und stecken bis über die Ohren im sogenannten Stoizismus, der am schwersten zu bekämpfen ist. Ich habe euch darum eigens hierher geführt, um euch eine Gelegenheit zu verschaffen, auch mit derlei Menschen euch nun zu versuchen, indem ihr beim alten Markus gar sehr vieles in der wahren, innersten Weisheit gewonnen habt. 10. Aber das sage Ich euch zum voraus, daß ihr euch werdet sehr zusammennehmen müssen! Denn niemandem ist schwerer ein Gesetz wirksam zu geben als einem, der vor den sogar größten Unannehmlichkeiten des Lebens, ja sogar vor dem schmerzhaftesten Tode des Leibes, nicht die allergeringste Furcht besitzt und jede noch so große Glückseligkeit des Lebens für gar nichts achtet. Und das sind eben solche Helden, die sich aus allem nichts machen, aber auch auf keine andere Tugend etwas halten als allein auf die, ihre Bedürfnisse so klein zu machen als möglich, und die bloß deshalb leben und etwas tun, weil sie die Natur, die bei ihnen alles in allem ist, einmal ins Leben gerufen hat. 11. Solche, wie diese hier, sind uns noch gar nicht untergekommen! Daher ist hier sich zusammenzunehmen! Wenig Worte, – aber da darf keines ohne einen Kern vor sie gebracht werden! Das Beste an ihnen ist, daß sie bei allem ihrem Stoizismus sehr neugierige Vögel sind und die Wissenschaft eines Menschen allein für etwas halten. – Jetzt aber kommt schon unser Wirt samt seinen Angehörigen und bringt in einem Korbe Fische und Brot. Wir werden sonach das Mittagsmahl hier unter dem Schatten dieses Baumes zu uns nehmen.“ 12. Hier kommt der Fischer, sein Weib und seine Kinder und setzen den Speisekorb vor uns nieder. 13. Beim Niedersetzen des Korbes sagt der Fischer: „Hier, meine unbekannten Freunde, ist das verlangte Mittagsmahl! Tische, Bänke und Stühle, Schüsseln und mehrere zum Essen dienliche Werkzeuge besitzen wir nicht, und unsere Bedürfnisse, die sehr klein sind, können auch ohne derlei ganz gut befriedigt werden. Zugleich aber waren auch unsere Mittel stets derart gering, daß wir derlei immerhin etwas unnötiges Zeug nie hätten anschaffen können. Wir essen nur, wenn es uns sehr hungert, und da sind ein Korb und unsere Hände hinreichend; das andere versteht sich von selbst! Ich wünsche, daß euch dies einfache Mittagsmahl wohl bekomme.“ Kapitel 174 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 174. — Der wunderwirkende Glaube 1. Sage Ich zum Fischer: „Aziona, hast du doch einen neuen Krug in deiner Wohnung; laß ihn mit Wasser füllen und hierher bringen!“ 2. Aziona macht, als Ich ihn also anrede, große Augen und sagt ganz erstaunt: „Meinen Namen konntest du wohl irgend erfahren haben, – aber woher weißt du denn, daß ich einen neuen Krug, der mein wahrlich größter Reichtum ist, besitze? Das wissen nicht einmal meine Nachbarn, und du als ein total Fremder weißt es? Ah, erlaube mir, das geht bei mir nun schon ins Fabelhafte über! Hat etwa eines meiner Kinder euch geheim meinen Krug verraten? Es liegt weiter gar nichts am ganzen Kruge, – er ist von Stein, wie es bei uns in diesem Lande zahllos viele gibt; aber an dem liegt ungeheuer viel, daß du es weißt, daß sich ein neuer Krug wohlverwahrt in meiner Wohnung befindet!“ 3. Sage Ich: „Auch daran liegt nichts, da man so etwas ja doch erfahren kann! Aber daran liegt mehr, daß du gehst und Mir Durstigem Mein Verlangen erfüllst!“ 4. Jetzt geht Aziona schnell und bringt den Krug voll frischen Wassers. Der Krug aber war einer von der größten Gattung und faßte gut einen viertel Eimer Wassers, daß man zu heben hatte, um ihn zum Munde zu bringen. Als der gefüllte Krug vor uns auf einer Steinplatte stand, segnete Ich das Wasser, und es ward zu Wein. 5. Ich trank daraus, reichte ihn dann den Jüngern, und als diese getrunken hatten, reichte Ich den Krug auch dem Aziona und sagte: „Trinke auch du daraus, auf daß du auch wahrnimmst die Güte des Wassers, das du uns in deinem neuen Kruge hierhergebracht hast!“ 6. Sagt Aziona: „Sollte es schlecht und faul sein?! Den Krug habe ich dreimal ausgeschwemmt, und meine Felsenquelle liefert das reinste und beste Wasser im ganzen Orte! Will es aber dennoch verkosten, ob's nicht etwa einen Geschmack vom neuen Kruge angenommen hat!“ – Er kostet es, macht mehrere starke Züge und sagt dann ganz erstaunt: „Ja, aber was ist denn das schon wieder für eine Hexerei?! Das ist ja kein Wasser, das ist ja ein allerbester Wein, wie ich noch nie einen bessern auf meiner Zunge hatte! Sagt mir doch, wie ihr das angestellt habt! Nein, Wasser zu Wein machen, ah, das ist ja noch nie dagewesen! Ihr seid wahrlich keine Galiläer, sondern entweder Ägypter oder Perser; denn unter allen Juden hat es noch nie irgendeinen solchen Zauberer gegeben, daß er es vermocht hätte, Wasser in den besten Wein zu verwandeln. O sagt mir es doch, wie solches möglich ist! Ich will darum zwanzig Jahre euer Sklave sein!“ 7. Sagt Johannes, dem Ich den Wink zu reden gab: „Mein Freund, dazu ist gar nichts nötig als allein der festeste Glaube und Wille! Wer einen solchen Glauben hat, der keinen Zweifel zuläßt, der kann auch zu jenem hohen Berge dort sagen: ,Hebe dich und stürze dich ins Meer!‘, und es wird geschehen, was er geglaubt und gesprochen hat! Da hast du die ganze kernwahre Erklärung und Anweisung, wie und durch welche Mittel derlei Dinge bewerkstelligt werden können! Eine andere zu geben ist darum unmöglich, weil es durchaus keine andere gibt.“ 8. Hier macht Aziona noch größere Augen und sagt: „Freund, ich weiß gar nicht, was der Glaube ist, – wie könnte ich dann etwas glauben?! Was nennt ihr denn Glauben?“ 9. Sagt Johannes: „So wir irgendeinen wahrhaftigsten Mann vor uns haben, und er sagt uns bald dies und bald jenes, von dem wir früher nie etwas gehört und erfahren haben, und wir nehmen seine Aussagen als völlig wahr an und zweifeln an der Wahrheit keines seiner Worte, so glauben wir dem wahrhaftigsten Manne; und weil das, was wir glauben, sicherst eine vollste Wahrheit ist, so werden wir auch das, was wir glauben, ins Werk übertragen, und das ist dann eben der werktätige, wundervolle Glaube, dem kein Ding unmöglich ist, was sich in der Sphäre seiner in sich selbst ausgesprochenen Wahrheit befindet, das allzeit realisierbar sein muß. – Weißt du nun, was der Glaube ist?“ 10. Sagt Aziona: „Ja, wissen würd' ich's nun wohl, – aber wie anstellen, daß ich wisse, daß derjenige, der mir etwas zu glauben vorstellt, auch im vollsten Ernste ein wahrhaftigster Mann ist? Bloß zu glauben, daß er es sei, weil er ungefähr also aussieht, wäre unklug und verriete eine sträfliche Leichtgläubigkeit, die nach meiner Meinung noch um vieles schlechter wäre als gar kein Glaube! Wie stellt man hernach das an, um seinen Mann, dem man glauben soll und möchte, so zu erkennen, daß er ein vollendetst Wahrhaftiger ist und man ihm alles vom Munde allerungezweifeltst glauben kann?“ 11. Sagt Johannes: „Dazu hat ja jeder Mensch von nur einigem besseren Willen Vernunft und Verstand zur Genüge, um eine geziemende Prüfung mit seinem Manne vorzunehmen; denn nur ein Tor kann eine Katze im Sacke kaufen! Du fragst mich nach dem Probemittel – und wendest es selbst soeben an mir an! Von dir bin ich schon lange zum voraus überzeugt, daß du keine Katze im Sacke kaufen wirst!“ 12. Sagt Aziona: „Ja, ja, Freund! Das ist schon wohl alles sehr wahr und sehr schön, und es hat ein Mensch wahrlich sonst nichts als seinen Verstand, mit dem er seine Umgebung prüft; aber wo liegt der Maßstab, mit dem ich vorher meinen Verstand selbst als zu einer Prüfung der Umgebung für tüchtig und scharf zur Genüge erkennen könnte?“ 13. Sagt Johannes: „Da sind wir eben auf den allerkitzligsten Punkt geraten! Wer da meint, daß er einen hellsten Verstand besitze, der geht überall am meisten hohl aus; wer aber da einsieht, daß seinem Verstande noch gar manches abgeht, der wird es durch Übung bald dahin bringen, daß er mit großer Schärfe alles wird beurteilen können, was um ihn her ist und geschieht! 14. Ein eingebildet hoher Verstand gleicht einer Bergspitze, die sehr prunkt in ihrer schwindelerregenden Höhe, und je höher sie in die eitle Luft hinaufragt, desto öfter wird sie von allerlei Wolken und Nebeln umhüllt. Die kleine Spitze einer Nadel, mit der man die Kleider zusammenheftet, ist, was die Größe und das Ansehen betrifft, nahe soviel wie nichts; aber sie dringt überall durch, und man könnte mit ihr so viele Matten zusammenheften, daß man damit die größten Bergspitzen tief herab bedecken könnte. – Mit den großen und stolzen Bergspitzen wird sich sicher nie ein Gewand zusammenheften lassen! 15. Es ist dieses Gleichnis wohl etwas extrem; aber es bezeichnet dir dennoch ganz das Verhältnis eines sich über alles hoch und weise dünkenden Verstandes und eines demütigen, der ganz unscheinbar vor den Augen der hochweisen und weltklugen Menschheit erscheint. Während aber der hohe Verstand weit in die Lüfte hinausstarrt und bei seiner reinsten Aussicht gleich dick umnebelt wird, da wirkt der demütige Verstand in einem fort Gutes und wird nach einer jeden Arbeit heller und feiner und für die Folge immer brauchbarer. Bei euch, wie es mir so vorkommt, scheint der Verstand eine große Ähnlichkeit mit den allerhöchsten Bergspitzen zu haben, die nur höchst selten wolkenfrei sind, und da dürfte es dir denn auch etwas schwerfallen, die volle Wahrhaftigkeit dessen genau prüfen zu können, von dem du eine Wahrheit als volle und ungezweifelte Wahrheit annehmen sollst! – Welcher Meinung bist du da?“ Kapitel 175 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 175. — Des Fischers Aziona stoische Weltanschauung 1. Sagt Aziona: „Na, das käme jetzt erst darauf an, ob es völlig in meinem Willen läge! Freilich nehmen wir nicht leichtlich etwas an, so wir zuvor nicht irgend auffallende Wirkungen gesehen haben. Nun, an der ersichtlichsten Wirkung aus dem von dir mir offen angegebenen Grunde fehlt es hier durchaus nicht; meine Speisekammer ist voll Eßwaren, und nun hier der Wein aus reinstem Wasser! Das wären denn doch, wie man sagt, so hübsch handgreifliche Beweise dafür! Aber jetzt kommt es nur darauf an, klar zu wissen, ob ihr denn nicht doch so ganz geheim irgendein Spezifikum besitzet, durch dessen noch so geringe Beigabe jedes reine Wasser zu Wein werden müßte! Es wird das wahrscheinlich der Fall nicht sein; aber man kann sich bei der Betrachtung dieses reinen Wunders eines solchen Gedankens nicht ganz erwehren; solange man aber das nicht kann, ist es mit der gänzlichen Zweifellosigkeit wie mit der Wirkung des von dir gut gezeichneten Vollglaubens nichts! Und ich sehe darum schon zum voraus nur zu gut ein, daß wir sämtlichen Bewohner dieses Ortes nie auch nur einem Tropfen Wassers den Geschmack des Weines werden zu verschaffen imstande sein! 2. Wir sind hier zwar so armselig wie möglich plaziert – unsere Nahrung besteht nur aus Ziegenmilch, Fischen und Wasser; denn etwas anderes gedeiht in dieser reinen Wüste nicht –; aber wir sind damit zufrieden in unserem allerpursten Naturzustande. Dieser schließt die von uns allerorten vielfach gemachten Erfahrungen nicht aus. Weit und breit in aller Welt sind wir herumgekommen; denn wir waren Sänger und Magier, und ich habe in Athen die Apothekerkunst gelernt, gewisse geheime Spezifika zu bereiten, mittels welcher man für die vielen Laien eine Menge Wunder hat zustande bringen können. 3. Kurz und gut, ich bin, so einfach ich auch hier aussehe, mit einer großen Menge von allerlei Wissenschaften und Erfahrungen ausgestattet! Ich kenne das Lebenskraut der Königsschlange und kenne den Wunderstein Bezoar. Ich kenne Asien bis tief nach Indien, kenne Europa, war in Hispania, im Lande der Gallier und war auch in Britannien, kenne dieser Länder Sitten und Zungen, kam wieder nach Griechenland und lernte dort Weise kennen aus der Schule des großen Weisen Diogenes und sagte dann: ,Oh, ein wie großer Narr ist doch der Mensch! Länder und große Reiche durchwandert er des dummen Geldes wegen; Diogenes, der größte Weise, war glücklich in seinem Fasse, weil er die volle Nichtigkeit der Welt, ihrer Schätze und die vollste Wertlosigkeit des vergänglichen Erdenlebens ganz klar wie kein anderer eingesehen, begriffen und bewiesen hat!‘ 4. Ich verließ mit meiner Gesellschaft dann vor zehn Jahren Athen und zog von aller Welt fort in diese Wüste. Hier erbauten wir uns diese Hütten, die wir nun ganz zufrieden bewohnen. Unsere mitgenommene kleine Ziegenherde und die hier reichlich vorkommenden Fische, mit deren Überfluß wir bloß nur des Salzes wegen einen kleinen Handel nach der Stadt Cäsarea unterhielten, ernähren uns. 5. Da nun aber diese Stadt vor wenigen Tagen eine Beute der Flammen geworden ist, so hat auch natürlich dieser Handel sein Ende erreicht, und wir alle haben nun schon vier Tage hindurch zu unserer großen Freude die Erfahrung gemacht, daß man auch ohne Salz leben kann, weil man schon von irgendeiner unsichtbaren Macht der Natur zum Leben verdammt ist. 6. Denn ich und wir alle halten das Leben für eine Strafe für die von der großen allgemeinen Natur losgetrennte kleine Natur, die wir belebten Wesen vertreten. Das denkende, sich selbst bewußte Wesen muß alle Reize des Lebens fühlen, um sich dann am Ende desto schmerzvoller durch den sichern Tod von ihnen trennen zu müssen. Daher ist des wahren Weisen Sache, von der wir alle ganz durchdrungen sind, diese: Das Wertloseste frühzeitig vollkommen verachten lernen, und den Tod als die Versöhnung mit der großen Natur betrachten und für das größte Glück eines jeden lebenden Wesens halten! Ist ein Mensch einmal darin groß und tüchtig geworden, so hat er damit auch das allein wahre und größte Lebensglück erreicht. Er lebt dann ganz zufrieden und sehnt sich ganz durch und durch nach dem Tode, der eines jeden lebenden Wesens größter Freund ist. 7. Wir haben eine rechte Freude an jedermann, dem wir mit unseren kleinsten Mitteln einen Dienst erweisen können; aber wir bemitleiden auch aus gutem und tiefwahrem Grunde jeden Menschen, der sich alle Mühe gibt, in der Welt etwas zu erreichen. Wozu sich plagen und sorgen für etwas, das buchstäblich nur von heute bis morgen besteht? Wer uns aber etwas anderes weismachen will, dem zeigen wir bloß die Gräber der Toten, aus denen noch kein Wesen neubelebt hervorgegangen ist! Was man war, das wird man wieder, nämlich Erde zur Nahrung der glücklichen Pflanzen, die da sind und nicht fühlen, daß sie sind, und nicht denken, daß sie vergehen werden. Oh, wie groß und heilig ist das Nichtleben gegenüber dem sich klar bewußten Leben! 8. Ihr scheint allem Anscheine nach auch so eine ganz bestbestellte Künstlergesellschaft zu sein und zu versuchen, euch ein sogenanntes Erdenglück zu erringen!? Wir ganz Glücklichen können euch nur bedauern, so ihr das wahre Lebensglück auf irgendeinem andern Felde suchen wollet als allein auf dem, auf welchem es allein für bleibend zu finden ist. Bleibet da und erbauet euch kleine Wohnhütten gleich den unsrigen! Begnüget euch für dies nichtige, gar nichts sagende und ebenso gar nichts bedeutende Leben mit dem möglich Wenigsten, und ihr werdet es erst nach und nach einsehen und kennenlernen, wie sehr recht und wahr das ist, was ich soeben zu euch geredet habe! 9. Und du, Hauptredner, wirst es auch begreifen, daß dies mein reellstes Wissen um sehr vieles mehr wert ist als dein fester, ungezweifelter Vollglaube! Was nützt es dir, so du mit deinem Vollglauben auch ganze Bergreihen versetzest, am Ende aber doch sterben und in die nimmer endende Vernichtung übergehen mußt? Wir alle sind nichts als ein Spiel der großen Natur zwischen Erde, Mond und Sonne! Zwischen diesen dreien bilden sich zufällig Gesetze, und ihre Folgen beleben momentan den Erdboden. Die blinden Schwachbelebten sehen das freilich wohl nicht ein; aber wir, die wir durch gar viele Strahlen der Sonne hindurchgewandert sind, haben das kennengelernt und können es mit dem besten Gewissen von der Welt jedermann kundtun, was das Leben ist, und was man vom selben zu erwarten hat!“ 10. Hierauf schwieg Aziona. Kapitel 176 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 176. — Johannes enthüllt das Leben des Aziona 1. Aber Johannes sagte: „Ich staune über deine Beredsamkeit und über deine Lebensansichten, die teilweise wahrlich gar nicht zu verwerfen sind; aber in der Hinsicht, daß du meinst, dies Leben habe gar keinen Wert und sei bloß nur ein Spiel der großen Natur, – wahrlich, da bist du sehr irre daran! Hast du denn nie etwas von einem Gott gehört, der Himmel und Erde und alles, was da ist, aus Sich heraus erschaffen hat? Man bemerkt ja doch auch mit Leichtigkeit eine gewisse Ordnung in allem, was da ist: Die Zwecklichkeit der Glieder eines Tieres und noch mehr eines Menschen! Wie wohlberechnet das Auge und das Ohr! 2. Kannst du bei nur einigem höheren Denken wohl annehmen, daß das alles allein nur ganz tote und lebensstumme Gesetze getan haben?! Oh, da bist du trotz deiner vermeinten größten Weisheit noch sehr armselig daran, und es ist mir sehr leicht begreiflich, warum du dies Erdenleben gar so verächtlich und wertlos findest! Du hast zwar mit deiner Gesellschaft viele Länder mit manchen beträchtlichen Beschwerden durchwandert, hast viel gesehen und erfahren, – aber um den besten Teil des Lebens hast du dich noch nie bekümmert! 3. Im Anfange hast du dich nur fürs materielle Heil des Lebens geopfert. Es wollte dir aber, wie es schon so manchmal in der Welt sich fügt, die Sache nicht glücken; denn ein gar besonders ausgezeichneter Magier warst du nicht und besaßest dazu auch viel zu wenig derjenigen äußeren Weltklugheit, durch die allein man die Welt vom Aufgange bis zum Niedergange so recht breitschlagen kann. Du konntest dir also dein früher sooft geträumtes Erdenlebensglück mit Hilfe deiner Kunst, die, wie gesagt, nicht zu sehr weit her war, nicht erringen, trotz deiner weiten Reisen. Ich werde dir aber den ganz einfachen Grund auch noch dazu sagen, damit du erfahrest, wie man durch den festen Glauben auch das Innerste und Verborgenste eines Menschen herausbringen kann. 4. Siehe, du warst dir so in deinem Herzen sehr wohl bewußt, daß du in allen deinen Künsten und Wissenschaften nur ein purer Stümper warst und auch nicht hast wagen dürfen, in irgendeiner großen Stadt im Angesichte sehr gebildeter, wohlerfahrener und verständnisvoller Menschen deine nichtssagenden Künste zu produzieren, und doch hättest du nur in den Großstädten dir reichliche irdische Schätze zu sammeln vermocht! Du mußtest dir also stets nur so ein recht dummes Volk aufsuchen, das sich leichter über den Daumen drehen ließ. Ein solches hast du auch zuweilen gefunden; aber da ein dummes Volk auch stets ein armes ist, so konnte da für dich nie ein Gewinn herausschauen. 5. Darauf wurdest du toll, als du nach Illyrien kamst und durchaus schlechte Geschäfte gemacht hattest. Da kam im Dorfe Ragizan ein Grieche zu dir, pries dir Athen an und versprach dir dort goldene Berge. Dieser Grieche war aber ein gewöhnlicher Küstenfahrer mit seinen Booten, und es war ihm nur darum zu tun, Fahrgäste nach Griechenland für seine leeren Boote zu bekommen. Ob du in Athen etwas gewinnen werdest oder nicht, das war ihm ganz einerlei. Kurz, du verdingtest dich mit dem Griechen nach Athen und kamst nach einer langweiligen, dreiwöchigen Fahrt ganz glücklich und wohlbehalten in Athen an, allwo du in der alten, kunstklassischen Stadt gleich bei der ersten Produktion weidlichst ausgepfiffen worden bist. 6. Das ärgerte dich und deine Gesellschaft sehr, und du fingst infolge deiner Erfahrungen an, mit den Griechen als ein Weiser zu verkehren, und fandest bald recht viele Zuhörer, die dich für deine Erzählungen gerne sogar groschenweise zahlten; denn niemand hört so gerne von gemachten Reisen erzählen wie eben die reiselustigen Griechen. Als du also mit den Griechen eine Zeitlang verkehrt hattest, machtest du Bekanntschaft mit einer Art Weisen nach der Lehre eines gewissen Diogenes. Diese gefielen dir, weil sie trotz ihrer ersichtlichen Armut sehr heiter und voll guter Dinge waren. Dir kam das sonderbar vor, daß Menschen, in der tiefsten Armut steckend, weise Reden führend und im Essen und Trinken stets höchst mäßig seiend, so heiter und zufrieden sein können. Du fingst an, dich stets näher und näher um den Grund zu erkundigen, und er wurde dir gezeigt. 7. Als du und deine Gesellschaft in solche Lebenszufriedenheitslehre eingeweiht waret, beschlosset ihr bald, hierher heimzukehren, von wo ihr ausgegangen seid, und irgend in der Nähe der Stadt Cäsarea in einer herrenlosen Gegend euch niederzulassen und da eine zwar arme, aber möglichst glückliche Menschenkolonie zu gründen. Und wie ihr vor ungefähr zehn Jahren hier angekommen seid und euch allhier angesiedelt habt, so seid ihr noch. 8. Ihr habt als geborene Juden die Lehre eurer Väter, die ihr freilich nie ernstlich gehandhabt habt, weil ihr euch an den Handlungen der Pharisäer gestoßen habt, verlassen und habt jene euch weiser dünkende der Heiden angenommen. Auf diese Art seid ihr aber dann vollends gottlos geworden und habt an Gottes Stelle die Macht der großen Natur gesetzt. Mit dem meinet ihr den Stein der Weisen gefunden zu haben!? Aber ich sage es dir und kann es mit dem besten Gewissen von der Welt sagen, daß ihr euch dadurch vom selben nur stets weiter und weiter entfernt habt! 9. So du ein wahrhaft Weiser bist, da zähle nun du mir auf, was ich von meiner Jugend an getan habe, was ich gelernt habe, was ich war, und was ich nun so ganz eigentlich bin! Ich aber habe dir ganz kurz, doch offenbar nicht mit einer Silbe unrichtig, dargestellt, wie es dir nahe von deiner Geburt an in der Welt ergangen ist, und so es die Zeit gestatten würde, hätte ich dir auch haarklein dein ganzes Leben beschreiben können! Urteile nun aber selbst, wer von uns beiden der Weisere ist, ich mit meinem ungezweifelten Vollglauben, oder du mit deinem vollen Unglauben!“ Kapitel 177 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 177. — Der wahre, lebendige Glaube 1. Hier sah Aziona den ganz gemütlichen Johannes groß an und sagte: „Höre, du mein übrigens höchst schätzbarer Freund! Das, was ich nun aus deinem Munde vernommen habe, ist mehr als meine gefüllte Speisekammer und bei weitem mehr als der aus reinem Wasser hergestellte Wein; denn was du mir gesagt hast, ist buchstäblich von Alpha bis Omega wahr! Du hast mich zuvor nie gesehen und gesprochen und kennst meine und meiner ganzen Gesellschaft Lebensverhältnisse so genau, als hättest du das alles mit uns durchgemacht! Das ist viel – und etwas, das mich sehr stutzig zu machen beginnt. Daß dein Kollege, der zuerst den Redner machte, um meinen Namen wußte, fiel mir durchaus nicht auf, da um den ganz Cäsarea weiß, von wo aus ihr habet hierher beschieden werden können; aber meine Lebenserfahrungen sind von gar keinem von uns irgend jemandem bekanntgegeben worden, und du hast sie daher auch von niemandem in Erfahrung bringen können, – und du weißt um jede Kleinigkeit, ja sogar um meine damals gehabten Gedanken, Beschlüsse und inneren, oft nicht einmal irgend jemandem aus meiner Gesellschaft mitgeteilten Absichten! Freund, das ist etwas, das sich auf gar keinem natürlichen Wege erklären läßt! 2. Wohl soll es einst in Ägypten Weise gegeben haben, die da aus den Linien der Hand und der Stirne einem Menschen weissagen konnten, was er getan hat, und was er zu erwarten habe; auch gab es gewisse Tempelschläfer, die in einer Art Schlafekstase so manche Dinge weissagten, die entweder irgend so bestanden oder erst geschehen und bestehen werden. Aber mit welchen mystischen Bildern wurde all dergleichen Orakelzeug an das Tageslicht gefördert! Es bedurfte da wieder neuer Weiser, die da solche höchst unverständlichen Orakelsprüche den Laien zumeist auf eine witzige und sehr pfiffige Weise erklärten, nach welchen oft sehr pomphaften und kostspieligen Erklärungen der Fragende eben das wußte, was er entweder gar nie zu wissen begehrte, oder was er schon lange früher gewußt hatte. Aber bei dir ging die Sache ohne allen Tempelschlaf, ohne alle Besichtigung meiner Hände und ohne allen mystischen Wortkram ganz linieneben heraus! Ja, so eine Weissagung lasse ich mir gefallen! Aber jetzt kommt der hinkende Fragbote und sagt: Wie, wie ist so etwas möglich? Außer einer allsehenden und allfühlenden Götterkraft ist das vollkommen undenkbar! Sollte sich so etwas im Ernste allein durch den Vollglauben erreichen lassen?“ 3. Sagt Johannes: Jawohl, Freund; aber freilich kommt es sehr darauf an, was man glaubt! Es könnte dir jemand eine Lüge vorsagen, und du glaubtest sie fest, so würde solch ein noch so ungezweifelter Glaube keine Wirkung haben, weil man darauf, wo es keinen wahrhaft festen Kerngrund gibt, kein Haus bauen kann.“ 4. Sagt Aziona: „Das ist alles in der Ordnung; aber wo ist der Probierstein, mittels welchem ich zur vollsten Überzeugung gelangen könnte, daß das eine vollste Wahrheit sei, was mir jemand zu glauben vorgestellt hat?“ 5. Sagt Johannes: „Über dies Kapitel haben wir zwar schon gesprochen; allein, um dir noch einen näheren Fingerzeig zu geben, sage ich dir, daß Gott, der Herr Himmels und dieser Erde, einem jeden nach der Wahrheit strebenden Menschen ein Gefühl in sein Herz gelegt hat, das die Wahrheit noch viel eher erkennt und erfaßt als ein noch so durchgebildeter Verstand. 6. In diesem Gefühle weilt auch die Liebe zur Wahrheit, die sie als solche wahrnimmt, bald mit ihrer Lebenswärme durchdringt und also lebendig macht. Wird der Glaube als eine von der Liebe durchdrungene Wahrheit aber einmal lebendig, dann wird er auch sich zu regen, zu bewegen und am Ende selbst zu handeln anfangen. In solchem zuversichtlichen Handeln liegt dann erst auch das volle Gelingen dessen, was man im Herzen, und nicht etwa im Gehirn des Kopfes, als ungezweifelt glaubt. 7. Im Gehirne hat die Seele nur ihre Augen, Ohren, ihren Geruch und Geschmack; von diesen geht aber kein Leben aus, da sie selbst nur Wirkungen des Lebens sind. 8. Soll denn ein Glaube wirken, so muß er eins sein mit dem Leben selbst und nicht, gleich den Augen und Ohren, der Nase und dem Gaumen, als eine bloße Wirkung des Lebens für sich einzeln dastehen ohne einen tieferen Verband als allein den des nötigen äußeren Gebrauchs. Ist aber dein Wahrheitsglaube einmal eins geworden mit deinem Leben, so hat er schon von selbst jeden Zweifel aus sich ausgeschieden, und er darf dann nur wollen, und es wird geschehen, was solch ein Lebensglaube will.“ Kapitel 178 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 178. — Der Weg zum wahren Glauben 1. (Johannes:) „Der echte, wahre Glaube gleicht bei einem Menschen, der zu glauben anfängt, dem Weinmoste, der in die Schläuche getan wird. Da fängt er bald an zu gären, so er ein echter Traubenmost ist. Durch diese Gärung wirft er alles von sich hinweg, was nicht völlig Wein ist. Hat er alles aus sich entfernt, was nicht seiner Art war, so wird er dann ein reiner und kräftiger Wein, der beim Genusse alles belebt, weil er selbst gewisserart Leben ist. Tust du aber eine andere Flüssigkeit in die Schläuche, so wird sie entweder in gar keine Gärung oder höchstens in eine faule gelangen und in eine stinkende Verwesung übergehen, durch die auch der Schlauch angegriffen und zerstört wird. 2. Gleich dem Schlauche aber ist des Menschen Herz, das durch die Wahrheit stets lebendiger und kräftiger wird, durch Lüge und Trug aber am Ende selbst als sonstiger Träger des Lebens in den vollen Tod übergehen muß. 3. Glaubst du an einen Gott im Herzen, so wirst du Ihn auch lieben, weil im Herzen alles mit der Liebe durchdrungen wird. Liebst du aber Gott, so ist Gottes höchste Kraft in dein Herz und also in dein Leben selbst eingedrungen. 4. Gottes Kraft aber ist keine irgend begrenzte, sondern durchdringet die ganze ewige Unendlichkeit. Wirst du aber also im Verbande mit der göttlichen Kraft irgend in deinem Lebensgrunde angeregt, so wird zugleich auch die göttliche Kraft in dir angeregt, und so dann diese in dir will, so geschieht unfehlbarst, was sie will. 5. Ich bin zwar äußerlich ganz so ein Mensch wie du; aber in meinem Herzen bin ich nicht mehr als nur für mich selbst daseiend, sondern Gottes Kraft ist durch meine große Liebe zu Ihm eben in meinem Herzen wohnend und ist eins geworden mit meiner Liebe. Darum konnte ich auch aus der Kraft Gottes heraus alles erschauen und wahrnehmen, was da alles mit dir und deiner Gesellschaft auf deinen Reisen sich zugetragen hatte. Hierin liegt alles! 6. Du mußt Gott erstens erkennen, und dazu hast du einen geordneten Verstand. Aber beim Verstande allein hat es nicht zu verbleiben. Was du verstehst, mußt du ehest in dein Herz oder in dein Leben aufnehmen, es damit beleben, und du wirst dann schon auf dem rechten Wege sein! – Hast du mich aber wohl auch verstanden?“ 7. Sagt Aziona: „Verstanden habe ich dich wohl; aber was ist dann zu tun, so das Herz schon mit allerlei Unflat von Lüge und Trug erfüllt ist? Wie das vorher hinausschaffen?“ 8. Sagt Johannes: „Nimm du nur die Wahrheit an; sie wird das ihrige auch ohne deine Hände tun! Wenn du in der Mitternacht die Finsternis betrachtest, kannst du dir auch ängstlich denken, wie diese vor dem werdenden Tag etwa doch weichen wird. Wer wird sie hinwegfegen? Ich aber sage dir: Sorge dich nicht darum! Laß nur erst die Sonne des Tages kommen, die wird mit der noch so dichten Finsternis gleich fertig werden! Wie aber Gott wirket in der großen Außennatur der Welten, ebenso wirket Er auch durch Seine Lebensgnadensonne im Menschenherzen. – Verstehst du das?“ 9. Sagt Aziona: „Ja, ich verstehe es nun; aber nun lasse mich zu einigen Nachbarn gehen, daß ich ihnen offen sage, was ich hier erfahren habe!“ 10. Darauf empfahl sich unser Aziona und eilte hastig zu seinen Nachbarn, rief laut und schnell alle zusammen und erzählte ihnen haarklein alles, was er nun erfahren, gesehen und gehört hatte. Kapitel 179 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 179. — Der Traum des Hiram 1. Diese erstaunten höchlichst über alles das, und einer sagte: „Merkwürdig, ich halte zwar nichts auf die Träume, – aber mein Traum, der mir in dieser Nacht vorkam, scheint sich mit dieser höchst sonderbaren Begegnung sehr als wahr zu bestätigen!“ 2. Fragt ihn gleich Aziona in seiner hastigen Weise: „Nun, nun, erzähle nur geschwind, was dir alles geträumt hat! Aber laß ja nichts aus; denn es kann alles von großer Wichtigkeit sein!“ 3. Sagt der Nachbar: „Nur eine kleine Geduld, mein Freund Aziona; denn man muß sich den Traum erst so recht aus allen den Lebenswinkeln seines Gemütes ein wenig geordneter zusammensuchen, weil man dir mit keiner ungeschickten Erzählung je kommen darf. Aber nun habe ich ihn schon so ziemlich beisammen, und so wolle du ihn ganz geduldig vernehmen. 4. Ich stand am Ufer unserer für jedes größere Schiff nahe unbefahrbaren Bucht. Da ersah ich im Morgen einen großen Glanz aufsteigen, stärker leuchtend denn die Mittagssonne. Ich forschte mit meinen Augen hin und her und auf und ab, doch es wollte sich nichts zeigen als etwa irgend etwas der Sonne Ähnliches, von dem der große Glanz hätte ausgehen können! 5. Ich betrachtete diesen großen Glanz mit einer stets größeren Lust und entdeckte bald darauf ein großes Schiff, das gerade in diese Bucht einlenkte. Dieses Schiff aber war so leuchtend, daß ich bald gewahrte, daß der vorhergehende große Lichtglanz allein nur von diesem Schiffe herrühren konnte. Ich bemerkte auch bald Menschen in diesem Lichtschiffe, unter denen besonders einer mehr denn die Mittagssonne leuchtete. Aber auch die andern, bis auf einen, leuchteten stark, aber dennoch so, als wären sie gleich den weißen Sonnenwölkchen von dem einen beleuchtet. Das Schiff näherte sich schnell unserer Kolonie. Mich ergriff ob des stets stärker werdenden Lichtes ein großes Bangen, daß ich mich eiligst in meiner Hütte zu verbergen suchte. Aber da ward ich wach und sah erst ein, daß es nur ein Traum war. 6. Obwohl ich aber, wie auch jeder von uns, auf einen Traum nichts halte, so hat mich aber dennoch dieser sonderbare Lichttraum bis jetzt beschäftigt und ich rief mir zu öfteren Malen zu: ,Nein, das ist kein gewöhnlicher, leerer Traum! Der wird auf irgendeine ganz entsprechende Weise in Erfüllung gehen!‘ Und siehe, da ist sie schon vor uns! 7. Jetzt aber nur gleich hin; denn ich brenne vor Begierde, das Schiff zu sehen, ob es mit dem von mir im Traume gesehenen zum wenigsten eine formelle Ähnlichkeit hat! Auch die Menschen habe ich in größerer Nähe schon so deutlich ausgenommen, daß ich mir die Physiognomien recht gut habe merken können. Es wäre wahrlich höchst merkwürdig, so das Schiff und auch die Menschen, die ich auf dem Schiffe in meinem Traume geschaut habe, mit deinen wunderbaren Gästen eine Ähnlichkeit hätten! Gehen wir daher nur gleich zu ihnen, auf daß sie uns nicht vorher etwa abfahren!“ 8. Darauf erhob sich gleich die ganze Nachbarschaft und eilte zu uns. 9. Als sie nun vor uns standen, rief gleich der Träumer laut aus: „Ja, ja, Bruder Aziona, das ist auf ein Haar dasselbe Schiff, und das sind auch ebenso ganz dieselben Menschen, nur alles ohne den Lichtglanz!“ 10. Hier rief Ich Selbst ihn beim Namen und sagte: „Hiram, was hältst denn du demnach nun von deinem Traume? Und was du, Aziona?“ 11. Sagte Hiram: „Ja, ihr lieben, wunderbaren Freunde! Darüber weiß ich gar nichts anderes zu sagen, als daß er mit euch, was die Form betrifft, ganz vollkommen in die Erfüllung gegangen ist! Nur das Licht ist nun nicht ersichtlich; vielleicht aber werden wir alle es auch wieder zu sehen bekommen, so dieser helle Sonnentag sich mit dem Sternenmantel der Nacht umhüllen wird!“ 12. Sagt Aziona: „Ich aber meine, daß es da keines äußeren Leuchtens bedarf, weil diese lieben Freunde des unbegreiflichen innern Lebensweisheitslichtes gar so strotzend voll sind! Und ich möchte da schier meinen, daß du, Freund Hiram, in deinem wahrhaft merkwürdigen Traume nur dieser Männer geistiges Leuchten geschaut hast! Jedoch darüber werden dir erst eben diese lieben Männer und unbekannten Freunde den rechten Aufschluß geben!“ Kapitel 180 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 180. — Das Schauen der Seele im Traume 1. Sagt hierauf Johannes: „Siehst du, Freund Aziona, wie es bei dir schon geistig zu dämmern beginnt? Denn du hast deinem Freunde und Nachbarn Hiram über das Leuchten seines Traumgesichtes eine ganz vollkommen richtige Erklärung gegeben; denn es verhält sich gerade und ganz genau also! Im Traume schauet nur die Seele geistig mit ihren geistigen Augen und kann demnach auch nur das Geistige sehen, – und so hast du uns zum voraus auch nur geistig sehen können, das heißt nicht du, Aziona, sondern der Hiram.“ 2. Sagt Aziona: „Aber Hiram sah nicht nur das Licht allein, sondern auch die Materie der Form nach, wie sie hier ist! Nun, mit welchen Augen sah er diese?“ 3. Sagt Johannes: „Als wir heute vor etwa drei Stunden ankamen, da warst du und noch mehrere deiner Nachbarn zugegen; nur Hiram war nicht da. Als der Mittag kam, eilte alles in die Hütten des kargen Mittagsmahles wegen; du allein nur bliebst uns zu unserer Bewirtung. Wäre Hiram auch unter denen gewesen, die uns mit dir hier empfangen haben, so hättest du eher noch eingesehen, wie man mit den geistigen Seelenaugen zuweilen auch materielle Formen sehen und wahrnehmen kann. Aber nun muß dir das erst nach und nach gezeigt werden; denn da kommt es nun auch auf das alte Sprichwort an, daß mit einem Hiebe noch lange kein Baum fällt.“ 4. Fragt Aziona: „Ja, lieber, weisester Freund, warum aber hätte ich das dann früher eingesehen, so bei eurer Ankunft auch Hiram zugegen gewesen wäre?“ 5. Sagt Johannes: „Ja, das hat, weißt du, schon so alles seine sehr geweisten Wege! Hiram hätte uns sogleich als dieselben erkannt, welche er in seinem Lichttraume gesehen hatte, und da hätte unser Gespräch sicher auch gleich eine andere Wendung genommen, und wir wären da offenbar früher über diesen Punkt zu reden gekommen. Nun aber sind wir später erst darauf gekommen, und so kannst du auch aus ganz natürlichen Ursachen nur später hinter dies Geheimnis kommen!“ 6. Sagt Aziona: „Ja, das ist freilich etwas ganz Natürliches; denn das geht mit allem in der Welt also! Je später man mit einer Arbeit, die eine bestimmte Zeit erfordert, anfängt, desto später wird man auch damit fertig!“ 7. Sagt Johannes: „Aber es ist hier doch auch noch ein anderer Grund vorhanden, den du aber jetzt noch nicht so geschwind einsehen kannst; mit der Zeit jedoch wirst du auch darin ins klare kommen, nur mußt du dir vor allem ein wenig mehr Geduld aneignen! Denn nur mit Geduld kann man endlich die ganze Welt in sich und auch außer sich besiegen.“ 8. Sagt Aziona: „Geduld, wahrlich, die ist meine schwache Seite nicht, – denn an der hat es mir stets stark gemangelt; aber so es sein muß, so kann ich schon auch geduldig sein!“ 9. Sagt Johannes: „Du hast eigentlich sagen wollen, daß die Geduld bei dir keine starke, sondern wirklich nur eine sehr schwache Seite ist, die bald und gerne reißt, – nicht wahr, mein Freund Aziona?“ 10. Sagt Aziona: „Gediegene Sprachkenntnis müßt ihr bei uns nicht suchen; denn wir reden nur so nach altem Sprachgebrauche, und der ist, was den Sinn betrifft, fast überall ein anderer. Aber weil du schon gerade von starken und schwachen Saiten gesprochen hast, so möchte ich fast meinen, daß ihr auch Musiker und Sänger seid!“ 11. Sagt Johannes lächelnd: „Ja, ja, du möchtest nicht so ganz unrecht haben; denn Musik und Gesang ist bei den Juden ja von jeher unter allen Völkern der Erde am stärksten vertreten gewesen, obwohl wir denn so ganz eigentlich doch weder Musiker noch Sänger sind, wie sie nun bei uns in Galiläa sehr häufig vorkommen. Auch meinte ich mit dem Ausdrucke ,schwache und starke Seite‘ nicht etwa die Saiten eines musikalischen Instrumentes, sondern nur die moralische Seite des menschlichen Gemütes; aber dessenungeachtet sind wir dennoch auch Musiker und Sänger, aber nur so recht tief geistig! – Verstehst du solches?“ – 12. N.B. Hier muß zum Verständnisse der Deutschen das wohl bemerkt werden, daß in der althebräischen Sprache die Saite eines Musikinstrumentes und die Seite eines Menschen noch gleichlautender waren als in der gegenwärtigen deutschen Sprache; denn Saite hieß Strana, auch Strauna, und die ,Seite‘ hieß ebenfalls Strana, auch kürzer Stran oder Stranu, und es kann daraus leicht entnommen werden, warum Aziona uns für Musiker und Sänger zu halten anfing. (Anmerk. v. J. Lorber) Kapitel 181 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 181. — Hirams stoisch-naturalistische Weltanschauung 1. Sagt darauf Aziona: „Wahrlich, nein, das verstehe ich noch ganz und gar nicht! Wie soll ich denn das verstehen?“ 2. Sagt Johannes: „Indem du ein Jude bist, so wirst du doch auch einmal von den Psalmen Davids, von dem Hohenliede Salomos und von den Klageliedern des Propheten Jeremias gehört haben?“ 3. Sagt Aziona: „O ja, das gewiß, obwohl ich davon noch wenig gehört und viel weniger verstanden habe!“ 4. Sagt Johannes: „Siehe, das ist geistige Musik und geistiger Gesang, weil er den erwähnten Sängern durch den Geist Gottes eingegeben worden ist! Nun, verstehst du diese Sache schon besser?“ 5. Sagt Aziona: „Nun ja, so etwas dämmerlicher wird es mir offenbar; aber irgendeiner klaren Einsicht brauche ich mich noch lange nicht zu rühmen anzufangen! – Wie verstehst denn du, Hiram, diese Sache?“ 6. Sagt Hiram: „Geradeso wie du! Es wehet hier wohl so eine Art geistigen Duftes; aber so uns diese lieben und wunderbaren Freunde etwa das Hohelied Salomos sollten vorzusingen anfangen, da werde ich gehen. Denn mit dem Liede kann mich jemand wie eine Gemse über alle Bergspitzen hinaushetzen; das ist nach dem dir bekannten Apothekerausdruck eine wahre Quintessenz der menschlichen Dummheit, abgesehen davon, daß Salomo sonst einer der weisesten Judenkönige gewesen sein soll. 7. Von den Psalmen Davids und von den Klageliedern Jeremiä will ich gerade nichts sagen; denn es sollen darin viele ganz gute und erhabene Dinge vorkommen und allerlei so hübsch dunkel gehaltene Weissagungen von einem einst kommen sollenden Messias der Juden, etwa nach der Art der Ilias der Griechen. Aber das ist alles eine recht schöne Poesie, hinter der aber nicht einmal mein heutiger, schöner und hier auch in die Erfüllung gegangener Lichttraum steckt! Die armen, sterblichen Menschen vertrösten sich, so gut es gehen kann, stets mit lauter guten Dingen; aber wo ist da die effektive Wirklichkeit? Die bleibt ewig unterm Wege stecken, und ein jeder Mensch mit all seinen schönsten Hoffnungen findet endlich da unten in der kühlen Erde die Erfüllung! Das ist und bleibt die ewige und gleiche Wahrheit; alles andere zerstäubt ins alte, eitle Nichts! 8. Es ist wahr, Aziona hat mir ehedem so manches und sehr Beachtenswertes gesagt, hinter dem wohl irgendeine geheime, von uns noch gar nicht gekannte Wahrheit steckt; aber es hat die liebe Erde seit Moses, Sokrates und Plato schon so manche überaus weise Männer, die man ganz gut schon für Götter hätte halten können, getragen. Sie waren sicher da, und alle Kräfte der Natur gehorchten ihren Winken! Allein, sie wurden dennoch älter und schwächer und gebrechlicher, und am Ende ihrer Tage zeigte sich's dennoch, daß sie auch nur sterbliche und vergängliche Menschen waren, und sie sind in das ganz gleiche Nichts übergegangen wie diejenigen uns ganz gleichen menschlichen Wenigkeiten, denen es nie eingefallen ist, auf der Welt etwas sein zu wollen. Darum ist alles eitel in dieser todvollen Welt! 9. Man sagt wohl so ziemlich allgemein von einem irgendwo befindlichen jenseitigen Seelenreiche; allein, wo ist dieses, wer hat je eine Seele und wer je ihr künftiges Wohnland gesehen? Ja, Dichtungen und Sagen gibt es überall in Mengen darüber! Wir sind unser viele hier, das heißt für diesen ganz verlassensten Ort der Erde; aber darunter ist auch nicht einer, der es mit Bestimmtheit sagen könnte, daß er selbst je einmal eine Seele gesehen oder nur so recht lebhaft gefühlt hätte! Was sich aber nicht jedermann, der als Mensch doch auch ein Recht darauf haben sollte, in seinem Leben zu erkennen gibt, sondern zumeist allein nur den verschiedenen Priesterschaften und andern ihnen sehr ähnlichen Individuen, nun, da ist es hoffentlich für einen wahrhaft nur einigermaßen unbefangen helldenkenden Menschen doch nicht schwer zu erraten, auf welchem Grund und Boden und zu wessen Frommen derlei Sagen, Dichtungen und sogar Lehren entstanden sind! Wohl denen, welchen solche luftigen Wortgebilde irgendeinen Trost und eine Beruhigung gewähren können! Wir, liebe Freunde, haben etwas Besseres hell erkannt und erfaßt, nämlich die uralte, stets gleiche Wahrheit in ihrer tiefsten Tiefe, und finden eben darin unsern größten Trost und zugleich unsere größte Beruhigung, ehest ins ewig uralte Nichts wieder zurückzukehren; denn im Nichtsein liegt ja doch offenbarst die größte und allerseligste Ruhe. 10. Daß wir nun da sind, leben, denken und fühlen, das ist schon so ein eigenes, unbegreifliches Spiel der Natur. Die Winde spielen mit den Meereswogen, und diese toben, sausen und brausen, als wollten sie schon gleich die ganze Erde samt ihren Bergen verschlingen; allein, bald legen sich die Winde, und alle noch so tobende Macht der Wogen ist dahin. So auch steigen Wolken auf, ganz entsetzlich gewitterschwanger. Man sollte glauben, daß das der Erde ein Ende bereiten werde; aber nur zu bald hat der Sturm ausgetobt, und ihm folgt wieder die alte Ruhe. Und so wechselt die große Spielerei der Natur. Alles vergeht und kommt auch wieder; nur die große Natur bleibt sich stets gleich. Sonne, Mond, Sterne und diese Erde sind stets dieselben, und die Erscheinungen und ihre Spielereien auch. 11. Seht, liebe und sehr achtbare Freunde, möget ihr machen, was ihr nur wollt und könnt, und ebenso allerlei Weisheit reden, schreiben und lehren, so ist das alles eitel! Nur das, was ich euch aus meiner sicher schlichten und uneigennützigsten Armseligkeit gesagt habe, ist und bleibt wahr. Denn das lehrt den Menschen die tägliche Erfahrung, und diese kennt als die urälteste Lehrerin aller Kreatur durchaus keine Ausnahme, da sie aller Kreatur so eigen ist, wie diese beiden Augen, solange ich lebe, mein eigen sind. Alle andern Weisen und Propheten hatten ihre Weisheit und ihre Kenntnisse wieder von ihren Vorgängern geschöpft und wollten damit der alten Erfahrung Trotz bieten; aber es ist alles rein umsonst und eitel! Da unten sind sie schon lange zunichte geworden, und nichts ist von ihnen übriggeblieben als ihre eitel weisen Lehren und so manche ihrer Großtaten. Nur schwache, an diesem nichtigsten Leben stark hängende Geister können an derlei Gehirnverwirrtheiten noch irgendein Wohlgefallen, ja mitunter sogar einen leeren Trost finden. 12. Das ist nun meine Lebensansicht. Habt ihr vielleicht eine bessere, so lasset sie los, und ich werde es sehr gerne sehen, so ihr uns noch etwas Wahreres zu sagen imstande seid! Doch ich weiß es schon wie zum voraus, daß ihr mir mit nichts Wahrerem und Gediegenerem kommen könnet, weil es dergleichen nirgends gibt und geben kann.“ 13. Sagte heimlich Petrus zu Mir: „Herr, na, der spricht so ein bißchen hebräisch! Wahrlich, wenn ich nicht mit Dir schon so außerordentliche Erfahrungen gemacht hätte, so wäre der noch der erste, der mich ganz schwach reden könnte!“ 14. Sagte Ich: „Oh, wartet nur, das ist noch lange ihr Kern nicht; sie werden schon noch dichter kommen! Ich habe es euch ja darum zum voraus gesagt, daß ihr euch da sehr werdet zusammennehmen müssen, um diese Menschen zu einer andern Überzeugung und, was aber die Hauptsache ist, zur Liebe zum Leben zu bringen. Johannes, fahre du nun nur fort!“ 15. Sagte Johannes hier etwas kleinlaut: „Herr, aber nur lege Du mir gleichfort Worte in den Mund; denn vorhin hast Du mich einige Augenblicke allein reden lassen, und ich war gleich – wer weiß es wo! Ich habe zwar gerade nichts Unpassendes geredet; aber kurz, ich merkte es, daß ich nicht auf der Linie geblieben bin!“ 16. Sagte Ich: „Mein lieber Johannes, sei darum ganz ruhig! Was du geredet hast, war alles in der größten Ordnung, denn es mußte alles genau also kommen. Daher fahre du nun nur ganz mutig fort, und wir werden uns noch eines der schönsten Siege zu erfreuen haben!“ 17. Das machte dem Johannes Mut, und er begann sogleich wieder zu reden, und zwar mit noch mehr Geist und Mut denn früher. Kapitel 182 Großes Evangelium Johannes, Buch 5 182. — Die Gestaltungskraft der menschlichen Seele im Traume 1. Also aber fing Johannes an und sagte: „Mein Freund Hiram! Du hattest diese Nacht einen von dir so genannten Lichttraum und gabst vor, uns alle samt dem Schiffe schon hier einlaufen gesehen zu haben, und dein nunmaliges höchsteigenes Geständnis gab unaufgefordert an, daß wir dieselben waren, welche du in deinem Lichttraume gesehen hast. Nun erkläre du mir das nach deiner Weisheit, die in ihrer Art durchaus nicht zu verachten ist, wie das möglich war! Denn so wir nur bloß die Leiber allein und keine Seelen hätten, die am Ende denn doch auch ohne einen Leib fortleben könnten, wie möglich hätten wir uns als Seelen deiner in deinem Leibesschlafe ebenfalls wachen und tätigen Seele zeigen können, während diese unsere Leiber sich um jene Zeit noch ganz gut in der oberen Nähe von Cäsarea befanden?“ 2. Sagte Hiram: „Ja, ganz gut! So aber das im Ernste eure Seelen waren, die, frei von ihrem Leibe, schon zum voraus in dieser Bucht herumgeschwärmt sind, da möchte ich denn doch auch wissen, ob denn euer Schiff auch eine Seele hat! Siehst du, Freund, da sind wir wieder auf dem alten, etwas strittigen Punkte, worüber mein Freund Aziona schon früher eine Aufklärung hat haben wollen, von dir aber zur Geduld verwiesen worden ist. Nun aber bin ich sehr neugierig, wie du diese stark kitzlige Frage beantworten wirst!“ 3. Hier nimmt Johannes den Krug und sagt: „Du, Freund, bist durstig, ich sehe es dir an! Da nimm und trinke zuvor, dann erst wollen wir weiterreden!“ 4. Sagt Hiram: „Ist das etwa so ein indischer Zaubertrank, von dem man berauscht wird und dann in alle Narrheiten der Menschen eingeht?“ 5. Sagt Johannes: „Neben dir steht Aziona; frage ihn, ob das ein Zaubertrank aus Indien ist!“ 6. Sagt gleich Aziona: „Trinke nur daraus, es wird dir darauf ganz wohl werden!“ 7. Sagt Hiram: „Auf deine Verantwortung, Bruder!“ Hiram nahm darauf den Krug und machte daraus einige ganz kräftige und ausgiebige Züge, da er auch ein sehr kräftiger und starker Mann war. Als er seinen Durst gelöscht hatte, sagte er ganz erstaunt zum Aziona: „Ah, da sieh einmal! Aus welcher Quelle hast du denn dieses herrliche Wasser geschöpft?“ 8. Sagt Aziona: „Das habe ich dir schon bei deiner Hütte erzählt! Das ist dasselbe von diesen Wunderfreunden zum Weine umgestaltete Wasser aus meiner dir ohnehin sehr bekannten Quelle!“ 9. Sagt Hiram: „Nun wahrlich, diese Kunst möchte ich auch können; denn so ein Trank könnte unsereinem dann und wann dies vergängliche Leben denn doch so ein wenig würzen. Wahrlich, das ist noch der allerbeste Wein, der je über meine Lippen geflossen ist. So einem Weine zuliebe könnte der Mensch schon ohne Überdruß so ein paar tausend Jahre leben! Geh und laß mich noch einmal ein paar Züge tun!“ 10. Aziona gab dem Hiram den Krug, und dieser machte noch ein paar so recht kernfeste Züge, dankte dann dem Johannes und sagte darauf: „Das, lieber Freund, ist wahrlich sehr gut gegangen; ob es dir aber nun mit dem Seelenbeweise des Schiffes auch so gut gehen wird, das ist eine andere Frage!“ 11. Sagt Johannes: „Lieber Freund, noch um vieles leichter! Aber du mußt zuvor wissen, daß eine jede schon geistig vollendete und mit dem Geiste Gottes enger verbundene Seele auch so ein bißchen allmächtig ist, und daß es ihr daher ein ganz leichtes ist, sich so ein Schiff im Momente zu erschaffen und es einer fremden Seele, wenn es gerade sein muß, als ein Produkt ihrer schöpferischen Kraft auch wie in der Natur bestehend zu zeigen. Und siehe, das war denn auch in dieser vergangenen Nacht der Fall, und so hast du als Seele denn auch ein uns tragendes Schiff erschauen können, ohne daß darum unser Schiff irgendeine Seele zu haben brauchte. Du ersahst uns auch also bekleidet, wie wir nun da vor euch in der Natur zu sehen sind; da müßten unsere Kleider ja auch eine Seele haben! Aber diese sind ein nur gewisserart zeitgemäßes, schöpferisches Produkt der mit dem Geiste Gottes in enger Verbindung stehenden Seele. 12. Du hast also uns, wie wir sind, in deinem Traume offenbar mit den geistigen Augen deiner Seele gesehen, und wir wußten wohl darum, daß du, als eben der Hartnäckigste deines Glaubens, uns werdest sehen müssen, und wollten es also, um vorderhand etwas zu haben, wodurch dir die Augen zuerst ein wenig geöffnet werden können; denn wären wir gar nie in der Welt oder überhaupt nie dagewesen, – wahrlich, so hättest du uns auch in einem noch so hellen Traume nie zu Gesichte bekommen können! Weil wir aber da sind und bestehen, und zwar dem Geiste nach in Gott schon von Ewigkeit her, so war es uns auch ein leichtes, deine Seele zu de